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Full text of "Zeitschrift für deutsche Philologie"

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ZEITSCHRIFT 


FÜR 


DEUTSCHE  PHILOLOGIE 


HERAUSGEGEBEN 


VON 


Dr.  ernst  hopfner  und  Dr.  JULIUS  ZACHER 

PROVINZIALSCHULRAT  IN   KOBLENZ  PROF.    A.   D.    UNIVERSITÄT   ZU   HALLE 


3>555 


ZWÖLFTER    BAND 


HALLE, 

VEELAG     DER     BUCHHANDLUNG     DES     WAISENHAUSES. 

188  1. 


Pf 

Z3S 
Sc/.  /^ 


INHALT. 


Seite 

Altdeutsches  cpistel-  und  evangelienbuch.     Von  Stejskal    1.  323 

Gahmiuets  wappen.     Von  Hortzschansky    73 

Die  laienboichte  bei  Wolfram.     Von  Josef  Seeber 77 

Fetisch.  Hulft.  Judenspiess.  Liespfund.     Von  A.  Lübben    81 

Halberstädter  bruchstiicke.  1.  Aus  einer  predigtsanilung.  2.  Katechismusstücke 
und  segen.     3  Gevatter  tod.     4.  Medicinisches.     5.    Aus  einem    alphabetisch 

geordneten  kräuterbuche  [Macer  Ploridus].     Von  G.  Schmidt 129 

Zu  den  Halberstädter  predigtbruchstücken.     Von  J.  Zacher  183 

Macer  Floridus  und  die  deutsche  botanik.    Von  J.  Zacher 189 

Dativ  und  accusativ.     (Zu  ztschr.  11,  73).     Von  0.  Behaghel 216 

Briefe  an  Job.  Joach.  Eschenburg.     Von  R.  Thiele 217 

Der  wadel.     Von  K.  Kinzel  226 

Die  erd-   und   Völkerkunde    in    der  Weltchronik    des  Eudolf  von  Hohen -Ems. 

Von  0.  Doberentz  257.  387 

Beiträge  aus  dem  Niederdeutschen.    Von  Fr.  Woeste   302.  479 

Der  Verfasser  der  Frohen  Frau.     Von  M.  Rieger 304 

Aus  dem  Summarium  Heinrici.     Von  A.  Hortzschansky 305 

Die  älteste  alba.     Von  Joh.  Schmidt 333 

Fünf  sagen  vom  Hoch schwab.     Von  F.  Branky 342 

Zum  Sprachgebrauch  Goethes.     Von  R.  Sprenger    348 

Zu  Macer  Floridus.    Von  J.  Zacher 349 

Fetisch.    Von  W.  Crecelius 352 

Zum  Parzival  463,  15.    Von  K.  Lucae   383 

Ackermann  und  Agricola.    Von  H.Holstein 455 

Bruchstück  einer  mitteldeutschen  Margaretenlegende.     Von  R.  Hasenjäger....  468 

Miscellen, 

Zu  Klopstocks  Messias  ^ 256 

Ein  brief  Jakob  Grimms  an  Jon  Ärnason,  mitgeteilt  von  William  Carj! enter  353 
Die  jahresversamlung  des  Vereins  für  niederdeutsche  Sprachforschung  in  Hildes- 
heim.   Von  W.  Seelmann  353 

Bericht  über  die  Verhandlungen  der  deutsch -romanischen  abteilung  der  XXXV. 
versamlung  deutscher  philologen  und  schulmänner  zu  Stettin  vom  27.  —  30. 

September  1880.     Von  E.  Henrici  361 

Brants  Narrenschiff,  neuhochdeutsch  von  Simrock 500 

Jablonowskische  preisaufgaben 500 

Litteratur. 

Die  prosaische  Edda  im  auszuge  nebst  Völsungasaga  und  Nornageststhättr, 
herausg.  von  E.  Wilken;  tli..  1.  —  Untersuchungen  zur  Snorra  Edda,  von 
E.  Wilken;  angez.  von  B.  Sijmons 83.  368 


rV  INHALT 

Seite 

M.  Schcrer,  geschichtc  der  deutschen  litteratur;    angez.  von  F.  Seiler  113 

Beowulf,  herausg.  von  Moritz  Heyne;  angez.  von  H.  Gering  122 

G.  Boetticlier,  die  Wolframliteratur  seit  Lachmann;  angez.  von  K.  Kinzel    126 
Seb.   Zehetmayr,    analogisch   vergleichendes    Wörterbuch   über   das   gesanit- 

gebiet  der  indogennanischen  sprachen;  angez.  von  0.  Behaghel  127 

Lessings   Hamburgische    dramaturgie,    erläutert   von    dr.    Fr.   Schröter    und 

dr.  Eich.  Thiele;  angez.  ven  E.  Neidhardt  229 

Hadamars  von  Laber  Jagd,  herausg.  von  dr.  K.  Stejskal;  angez.  von  K.  To- 
ra an  etz  243 

Die    poetischen  erzählungen    des   Herraud  von  Wildonie,    herausg.  von  K.  F. 

Kummer;  angez.  von  K.  Kinzel 250 

G.  Michaelis,  beitrage  zur  geschichte  der  deutschen  rechtschreibung ;   angez. 

von  K.  Kinzel 253 

H.  Althof,   graramatik  altsächsischer  eigennamen  in  westfälischen  Urkunden; 

angez.  von  0.  Behaghel 255 

Ad.  Ebert,    allgemeine   geschichte  der  literatur   des  mittelalters   im   abend- 

lando.  2.  bd.;  angez.  von  E.  Peters  364 

Th.  Mob  ins,   Verzeichnis  der  auf  dem  gebiete  der  altnordischen  spräche  und 

litteratur  von  1855  bis  1879  erschienenen  Schriften;  angez.  von  H.  Gering  369 
K.  Bünting,  vom  gebrauche  der  casus  im  Heliand.  —     Fr.  Naber,  gotische 

praepositionen.  1;  angez.  von  E.  Bernhardt  370 

Die  Pariser  Tagezeiten ,  herausg.  von  St.  Waetzoldt;  angez.  von  K.  Kinzel  372 

E.  Martin,  zur  Gralsage;   angez.  von  G.  Boetticher 377 

Eich.  Hamel,  Klopstock -studien.  IL  III;  angez.  von  0.  Erdmann 380 

M.  Eieger,   Klinger  in  der  Sturm-    und  Drangperiode;    angez.  von  0.  Erd- 
mann    382 

W.  Braune,  gotische  graramatik;  angez.  von  H.  Collitz 480 

K.  Weinhold,   kleine  mittelhochdeutsche  gramraatik.    —     H.  Paul,    mittel- 
hochdeutsche grararaatik;   angez.  von  K.  v.  Bahder  483 

G.  Milchsack,  die  oster-  und  passionsspiele ;  angez.  von  E.  Lehfeld 487 

Lamprecht  von  Eegensburg,  herausg.  von  K.Weinhold;  angez.  von  K.  Kinzel  491 
Der  Junker    und    der    treue   Heinrich,    herausg.   von  K.  Kinzel;    angez.   von 

H.  Busch 494 

0.  Erdmann,  über  die  Wiener  und  Heidelberger  handschrift  des  Otfrid;  angez. 
von  J.  Zacher 496 


Eegister  von  E.  Matthias 501 


ALTDEUTSCHES  EPISTEL-  UND  EVANGELIENBUGH. 

Die  lezteii  vier  decennieu  haben  für  die  erkentnis  altdeutscher 
prosa  bereits  ein  reiches  und  wertvolles  material  geliefert.  Werke 
geistlichen  Inhaltes  waren  es  in  erster  linie ,  die  volständig  oder  bruch- 
stückweise aufgefunden,  zur  veröifentlichung  gelangten.  Und  doch 
blieb  trotz  der  nicht  geringen  zahl  bisher  erschienener  predigten,  homi- 
lien ,  Übersetzungen  von  teilen  des  alten  und  neuen  testanientes,  beicbt- 
spiegeln  u.  ä.  eine  art  von  prosawerken  geistlichen  Inhaltes  völlig  unver- 
treten  —  die  altdeutschen  epistel-  und  evangelienbücher  (pericopen- 
samlungen).  Diese  lücke  auszufüllen  ist  das  im  folgenden  zur  mittei- 
lung  gelangende  denkmal  des  13.  Jahrhunderts  bestirnt.  Es  dürfte  einer 
freundlichen  aufnähme  gewiss  sein,  da  es  nicht  allein  seines  litterar- 
historischen  ,  sondern  aucb  seines  spracblichen  wertes  wegen  verdient, 
der  Vergessenheit  entrissen  zu  werden.^ 

I. 

Die  bandschrift,  nach  welcher  der  nachstehende  abdruck  erfolgt, 
befindet  sich  in  der  k.  k.  studieubibliothek  zu  Olmütz  (sign.  II  h  36), 
perg.,  13.  Jh.,  8«  (142"""  hoch,  113  """  breit),  121  biätter.  Das  evan- 
gelienbuch  begint  auf  bl.  1^'  und  schliesst  auf  120*",  angehängt  ist  ein 
seqencen  vom  heiligen  geisf  (120'' — 121").  Es  ist  von  zwei  in  ihrer 
Schrift  sehr  deutlich  unterschiedenen  Schreibern  geschrieben;  der  erste 
schrieb  von  l**  —  95%  der  zweite  von  95"— 121^;  die  zabl  der  zeilen 
auf  einer  seite  variiert  beim  ersten  zwischen  15  und  16,  beim  zweiten 
zwischen  22  und  23  zeilen.  Die  Überschriften  der  episteln  und  evan- 
gelien  sind  rot ,  ebenso  die  initialen ;  nach  Interpunktion  häufig  die 
folgenden  (schwarzen)  buchstaben  mit  roter  auszeichnung.  Die  schrift 
ist  durchaus  schön,  deutlich  und  rein;  der  dialect  des  denkmals  der 
baierisch- österreichische.  Die  bandschrift  besteht  aus  15  lagen  zu  je 
8  blättern;  nur  die  erste  läge  hat  9  biätter,  das  erste  blatt  ist  aber 
jezt  an  die  innere  seite  des  vorderen  deckeis  (holzband  mit  liellbraunem 
lederüberzug)  geklebt.     Blatt  121   bildet  mit  dem    an   die  innere  seite 

1)  Aufgabe  eines  zweiten  artikels  wird  es  sein  ,  das  werk  naeli  diesen  beiden 
ricbtungen  bin  einer  eingebenden  untersucbung  zu  unterzieben. 

ZEITSCHR.    F.    DEUTSCHE    PHILOLOGIE.      BD.    XII.  1 


des  hinteren  Deckels  geklebten  blatte  ein  doppelblatt  (vor  dem  einbin- 
den besass  also  die  hs.  1  -f-  121  +  l  blatt).  Die  einzelnen  lagen  sind 
je  auf  ihrem  ersten  blatte  mit  römischen  Ziffern  bezeichnet  gewesen, 
einige  (I,  XII,  XIII)  fielen  später  dem  einbinden  zum  opfer.  Die  Vor- 
derseite des  buches  trägt  auf  zwei  papierstreifen  eine  alte  Signatur: 
EpVe  et  ewü"'  d'  tpe  in  vvlgari  S  21. 

Die  handschrift  war  bisher  wenig  oder  vielleicht  richtiger  gesagt 
gar  nicht  bekaut.  Wattenbach  führt  sie  in  seinem  „Verzeichnis  der 
handschriften  der  k.  k.  Universitätsbibliothek  in  Olmütz"  (Pertz,  Archiv 
der  geselschaft  für  ältere  deutsche  geschichtkunde  10,671  —  681)  nicht 
auf  und  Jul.  Feifalik  scheint  sich  auch  nur  mit  einem  sehr  oberfläch- 
lichen blicke  in  das  buch  begnügt  zu  haben,  denn  sonst  würde  er 
kaum  den  inhalt  desselben  mit  dem  irreleitenden  worte  „Predigten" 
bezeichnet  haben;  s.  „Beiträge  zur  deutschen  Handschriftenkunde  aus 
mähr.  Bibliotheken  und  Archiven"  im  Notizenblatt  der  bist. -stat. 
Section  der  k.  k.  mähr. -schles.  Gesellschaft  zur  Beförderung  des  Acker- 
baues, der  Natur-  und  Landeskunde.  Beilage  der  „Mittheilungen" 
1857  (nr.  7)  s.  55\ 

Der  nun  folgende  text  schliesst  sich  möglichst  getreu  der  hand- 
schriftlichen Überlieferung  an.  Dass  ich  einen  abdruck  und  nicht  einen 
kritisch  gereinigten  text  bringe,  wird  wol  keine  misbilligung  finden 
Prosaische  werke  wie  das  vorliegende  sind  ja  vor  allem  dazu  bestirnt, 
neues  und  verwendbares  material  dem  grammatiker  und  lexicographen 
zu  bieten  und  da  schien  eine  urkundliche  widergabe  des  textes  besser 
am  platze  zu  sein,  zumal  die  Schreibweise  des  ersten  und  zweiten 
Schreibers  nicht  die  gleiche  ist  und  manches  bemerkenswerte  moment 
bietet.  Nichtsdestoweniger  bin  ich  zu  zwecken  grösserer  brauchbarkeit 
des  buches  von  der  handschrift  in  einzelnen  punkten  abgewichen,  die 
ich  hier  kurz  anführe.  Der  citate  wegen  sind  die  zusammengehörigen 
episteln  und  evangelien  unter  je  einer  römischen  Ziffer  vereinigt,  die 
Zeilenzahl  am  rande  bemerkt;  die  einzelnen  stücke  sind  gegen  die  hs. 
von  einander  durch  einen  kleinen  Zwischenraum  gefreut;  alle  abkür- 
zungen  erscheinen  aufgelöst,  alle  eigennamen  und  ersten  Wörter  der 
absätze  mit  grossen  anfangsbuchstaben  geschrieben;  endlich  ist  die 
Interpunktion  consequenter  und  sinngemässer  durchgeführt.  Wo  ich 
sonst  von  der  hs.  abzuweichen  für  nötig  fand,  habe  ich  die  hand- 
schriftliche lesart  in  die  anmerkungen  gestelt  (nur  offenbare  Schreib- 
fehler wurden  stillschweigend  gebessert);  ergänzungen  meinerseits  sind 
durch  cursiven  druck  kentlich  gemacht. 


ALTDEUTSCHE    PERIKOPEN 


[bl.  i"J      Das  sind  epistel  vnd  ewangelij'  an  den 

sun  tagen. 


Di  letzen  am  ersten  suniag  ze  aävent  scJireiht  Paulus'^. 

Priieder!  wissund  seit,  wann  zeit  ist  iezund  von  dem  slaff  auf 
zesten ;  wann  nu  ist  nsehner  vnser  liail ,  denn  do  wir  gelaiibten.  di 
nacht  ist  uergangen,  siinder  der  tag  hat  genahent;  darum  werf 
wir  ab  di  uerch  der  vinster  vnd  werd  wir  an  gelegt  di  waflfen  des  5 
Hechtes,  also  das  wir  an  dem  tag  erwerleich  gen:  nicht  in  frashait 
vnd  truncheuhait,  nicht  in  slaf  petten  vnd  vnschaemichaiten ,  nicht 
in  chrieg  vnd  neidung,  sunder  wert  an  ge  [2"]  legt  den  herren  lesum 
Christum. 

Bas  ewaiig^elij  am  ersten  suiitag-  ze  advent  —  Slatheus".  lo 

Do  si  nahenten  zu  lerusaleni  vnd  chomen  zu  Bethfage  zu  dem 
perg  Oliueti,  do  sant  lesus  zuen  seinr  iuuger  vnd  sprach:  „get  in 
das  castell,  das  gegen  ew  ist;  do  vindet  ir  zehant  ein  ezlinn  gepuu- 
ten  pei  irem  chinde;  di  loest  vnd  fuert  mir  di  her  zu  mir.  vnd 
Sprech  ew  iernent  zue,  so  sprecht  also:  do  bedarf  sein  der  herr,  so  15 
laet  er  ewchs  zehant."  das  ist  geschehen,  das  erfüllet  wurd  das 
geschriben  ist  durch  des  weissagen  mund,  der  do  spricht:  nu  sagt 
der  [2*^]  tachter  von  Syon:  siech,  dein  chünig-  chümt  dir  senfter 
sitzund  auf  ainer  eslinn  vnd  vnder  ires  chindes  loch,  di  iunger 
gingen  vnd  teten  als  in  lesus  gepoten  het  vnd  füerten  im  di  esliu  20 
mit  irem  chinde  vnd  legten  dar  auf  ir  gev/ant  vnd  hiessen  in  dar 
auf  sizen.  raanige  schar  strewten  ir  gewant  an  den  wege ,  di  andern 
prahen  este  von  den  paumeii  vnd  strewtens  an  den  wege.  aber  di 
schar,  di  do  var  gie  vnd  her  nach  uolget.  di  schrieren  sprechund: 
„wol  gesprochen  sey  dem  sun  Da  [3'']  uides ,  der  do  chumt  in  dem  25 
namen  des  herren." 

IL 
Am  andern  snntag-  di  lezen  —  sand  Panl*. 

Prüeder !  welch  geschriben  sind ,  zu  vnserr  1er  sind  si  geschri- 
ben, das  wir  mit-''  gedult  vnd  mit  troestung  der  schrift  geding" 
haben,     aber   got  der   gedult  vnd  des  trastes  geb  ew  das  selbe  ze 

1)  Die  ahbreviaturen  dafür  ew,   owg,  ewgelij ;    ansfjcschriehen   ist   das  icort 
nur  hl.  113a.  2)  Brief  an  die  Römer  18,  11  —  14.  3)  Emn(j.21,  1—9. 

4)  Brief  an  die  Römer  15,  4  — 13.      5)   Über  mit  von  jüngerer  hand  p  (patientia). 
6)  Darüber  von  jüngerer  hand  spoz. 


5  iiersten  geu  ein  ander  nach  lesu  Christo,  das  ir  ainmütig  mit  aym 
mnnd  eret  got  vnd  den  vater  lesu  Christi  vnsers  herren.  vm  das 
euphacht  an  einander,  als  auch  Christus  ew  enphie  in  di  er  gotes; 
ich  sprich  zwar ,  Christum  ^  gewesen  sein  eiun  diener  der  he  [3^\ 
sneiduug  durch  di  warhait  gotes  zu  bestaeten  di  gehaisse  der  vseter. 

10  awer  di  diet  über  di  parmung  eren  got  als  geschriben  ist:  dar  vm 
gich  ich  dir  in  den  dieten  vad  deini  nani  sing  ich.  vnd  awer 
spricht  er:  „vrewt  ew  diet  mit  seinem  volkh."  vnd  awer:  „lobt 
den  herren  alle  diet  vnd  Sprech  in  gras  alls  volkh."  vnd  aAver 
sprach  Ysayas :    „  is  ^  wirt   di  wurtz   vnd    der  auf  stet  zu  arden  di 

15  diet,  an  in  di  diet  gedingent.  awer  got  des  gediugeu  erfüll  ew  mit 
allen  vrewden  vnd  vrid  im  glauben,  das  ir  genüegt  in  hoffnung  vnd 
[4^]  tugent  des  heiligen  geistes," 

Das  ewang-elij  an  dem  auderu  suutag  —  Lticas^. 

lesus  sagt:    „is  werdent  zaichen  an  der    sunne  vnd   au    dem 

20  mann   vnd   an    den  sternen  vnd   auf  der  erde,    nat   an    den   lewten 

von  den   dussen   des  meres  vnd  wassers;   vnd  darrent  di  lewt  var 

varchten  vnd   von  der  Wartung,    das   do   chunt   wirt  der   weit;    is 

werdent  auch  erweget  di  tugent  der  himel.     so  sehent   si  denn  des 

menschen   sun  choemen  in   den  gewolchen  mit  grassem  gewalt  vnd 

25  magenchraft.     so    das   anhebet,    so    secht  auf  vnd  hebt   auf  ewre 

haubt;    wann   is  na  [4^"]  hent  ewr  lasung.''     vnd  sagt  in  ein  gleich- 

nüsse :  „  secht  di  veig  paum  vnd  all  paum.     so  si  vrucht  aus  werf- 

fent,   so  wisst  ir,   wo    das   der  sumer  nahent.     also  wenn  ir  secht, 

das  diz  geschiecht,    so  wisst,   das  nahent  ist  das  reich  gotes.     ich 

30  sag    ew    werleich,     das    diz    gesiecht    nicht    uerfert    vuz    is    alles 

geschiecht.     himel    vnd    erde    uergent,    awer    meine    wart   uergent 

nicht." 

III. 

Di  lezen  am  dritten  suntag'  —  sand  Paul*. 

Prüeder!  also  uerwsen  vns  der  mensch  als  di  diener  Christi 
vnd  ausgewer  der  hairaleichhait  gotes.  hie  iezund  wirt  gefra  [5*] 
get  vnder  den  aus  gewern,  ob  etwer  getrewer  funden  werd.  awer 
5  mir  vür  das  mynist  ist,  ob  ich  von  ew  geurtailet  werde  oder  von 
dem  menschleichen  tag;  sunder  noch  ich  mich  selb  urtail.  wann 
nichsnicht  ich  mir  wissund  pin,  sunder  nicht  in  dew  gerechtigt 
ich  pin.     wer  awer  urtailt  mich,  der  herr  ist.     darum  ir  sult  nicht 

1)  Daneben  oben  von  jüngerer  hancl  iSz.  2)  Josse   Vnlg.  3)  Evang. 

21,  25—33.  4)  1.  Brief  an  die  Corinther  4,  1  —  5. 


ALTDEUTSCHE    I'ERIKOPEN  O 

var  der  zait  urtailii,  vntz  das  cböin  der  lierr,    der  auch  erlewclitet 
di  uerparj>'en  vinster  viid  offeiit   di    riet    der  liertzen  vnd  denu  wirt  10 
lob  eini  igleichem  von  got. 

Das  ewang'elij  -—  loluiiines'. 

lobannes  bart  in  der  fancbnüss  Christi  werch ,  do  [5'']  saut  er 
zwen    iimger  zu   im   sprechund:    „pistus  der  cbünftig  ist  oder  pait 
wir  eins  andern."     des   antwurt  lesus  vnd  sprach    zu  in:    „get  bin  15 
wider  vnd  sagt  lobauui,    das  ir  habt  gebort  vnd  gesehen:   di  plin- 
ten  di  gescheut,  di  chrumpen  di  gent,    die    aussezigen   di  werdent 
gerainigt,  di  tareu  geho3rent,  di  taden  erstent,  den  arm  wirt  gepre- 
digt vnd  der  ist  sselig,  der  an  mir  nicht  wirt  geergert."    do  di  iun- 
ger  wider  haim  gingen,    do  begund  lesus  zesprechen  zu  der  menig  20 
von  lobanni:  „Avas  Avantt  ir  zesehen  in  derwüeste,  einen  rar  be  [6*] 
weget  von   dem  wiute?    was  want  ir  zesehen,    einn  menschen  lind 
gechlaidetV  nemt  war,  di  lind  gechlaidet  sein,  di  sind  an  der  cbü- 
nig  hofe.    was  maint  ir  zesehen,   einn  weissagen?    auch  ich  sag  ew 
halt   merer  denn   ein  weissag,  er  ist,    von  dem  geschriben  ist:   ich  25 
sent  meinn  engel  var  deinem  antliiz ,  der  macht  deinen  weg  var  dein." 

IV. 

Am  vierden  siuitag-  di  lezeu  —  sand  Paul  2. 

Prueder!  vrewt  ew  im  herreu  all  zeit,  awer  sprich  ich,  vrewt 
ew!  ewr  sitleicbait  sei  chund  allen  lewten:  der  herre  ist  nahen, 
nichsnicht  fleissig-  seit,  sun  [6^]  der  in  allem  gepet  vnd  Verlegung 
mit  genad  tueung  ewr  gepet  bechant  werde  pei  got.  vnd  der  vrid  5 
gotes ,  der  über  wint  allen  sin ,  der  behuet  ewer  hertz  vnd  ewr  uer- 
stentichait  in  Christo  lesu  vnserm  herren. 

Das  ewaug-elij  am  vierden  suutag  —  luhanncs^. 

Di  luden  santen  von  Jerusalem  di  ewarten  vnd  di  leuiten  zu 
lobanni,  das  si  vragten:  „wer  pistu."  vnd  er  uergach  sein  vnd  10 
laugent  sein  nicht  vnd  uergach  sein  vnd  sprach :  „  ich  pin  nicht 
Christ."  vnd  si  vragten  in:  ,,wer  pistu  denn,  pistus  Helyas?"  er 
sprach*:  „nicht."  ,, pistus  ein  weissag?"  er  sprach:  „nicht  pin." 
si  [7*]  sprahen:  „wer  pistus,  das  wir  is  chünnen  gesagen  den,  di 
vns  gesaut  haben?  was  sprichstu  von  dir  selbe?"  er  sprach:  ,,ich  15 
pin  ein  stymm  des  ^  rueffuuden  in  der  wüeste :  rieht  den  wege  des 
herren,    als  Ysayas    der   weissag  sprach."     vnd   di  poten  warn  der 

1)  Evang.  Mattlnei  11,  2  —  10.  2)  Brief  an  die  Philipper  4,  4  —  7. 

3)  Evang.  1,  19—25.        4)  spracht  hs.         4)  d'  lis. 


pliarisey  di  vragten  in  vud  spralien  zu  im:  „was  taufstii  denn,  so 
du  nicht  pist  Christ,  noch  Helyas,  noch  ein  weissag?"  des  ant- 
20  wurt  in  Johannes:  „ich  tauflf  in  dem  wasser;  er  stet  enmitten  vnder 
ew,  des  ir  nicht  wisst.  der  ist,  der  chamen  sol  nach  mir,  der 
var  mein  geschepht  ist,  des  ich  nicht  wirdig  pin  zeloe  [7^]  sen  di 
riem  seins  geschuechs."  das  geschach  in  Bethani  euhalb  des  Jor- 
dans, do  lohanues  was  vnd  tauft. 


All  dem  Aveiclmacht  tag-  zu  chriss  messe  di  letzen  saiid  Paul  zu  Tyto^ 

Aller  liebster!  erschinn  ist  di  genade  gotes  vnsers  hails  allen 
lerund  vus,  das  wir  uerlaugnund  di  vngüetichait  vnd  weltleich  begir, 
nüechtleich  vnd  gerechtichleich  vnd  guetleich  leben  in  dierr  uelt, 
5  bewartund  der  sseligen  hofnuug  vnd  der  zuechunft  der  glori  des 
grasseu  gotes  vnd  vnsers  hailer  lesu  Christi,  der  gegeben  hat  sich 
selb  vm  vns ,  das  er  vns  erledigaet  von  aller  pas  [8'']  hait  vnd  rai- 
nigaet  vns  im  ein  gensem  volch,  ein  nachfolger  der  gueten  werch. 
dew  red  vnd  man  in  lesu  Christo  vnserm  herren. 

10  Das  ewaug-elij  —  sand  Lucas". 

Ein  pot  gie  aus  von  chaiser  Augusto,  das  beschriben  wurde 
alle  di  weit,  di  beschreibung  ist  zu  dem  ersten  geschehen  von 
Cyrino,  lantvogt  in  Syria.  vnd  si  gingen  all  in,  das  si  uergsehen, 
igleicher  in  sein  stat.     Yoseph  der   fuer  auch  von  Galylea  von  der 

15  stat  Nazareth  in  ludeam  Dauides  stat,  di  genant  ist  Bethlehem, 
do  von  das  er  auch  von  Dauides  haus  was  vnd  von  seim  [8''J 
geskecht,  das  er  auch  uergsch  mit  Mariam  seinr  euphessenten 
chann,  di  swanger  was.  is  geschach  also,  do  si  warn,  das  erfüllet 
warn  di  tag,  das  sie  gepser.  vnd  gepar  ir  erst  geporn  sun  vnd  waut 

20  in  in  tuecher  vnd  legt  in  in  ein  chripp,  wann  si  het  nicht  stat 
vnder  der  schuphen.  dew  hierten  di  do  warn  in  dem  selben  lant 
hüettund  vnd  wachuud  di  nacht  wache  pei  ir  vich,  vnd  uemt  war, 
der  engel  des  herren  stuend  pei  in  vnd  di  chlarhait  gotes  vmschain 
sew  vnd  farchtenn  mit  grasser  farcht.     do  sprach  der  engel  zu  in: 

25  [9"-]  „furcht  ew  nicht;  ich  chünd  ew  ein  grassew  vrewd,  di  aller 
weit  geschieht:  wann  vns  ist  geparn  der  hailant  Christus,  der  do 
ist  Christus  der  herr  in  der  stat  Dauides.  vud  habt  das  zu  aim 
zaichen:  ir  vint  ein  chind  in  tuecher  gepuuten  vud  in  di  chrippe 
gelegt."    do  war  zehant  mit  dem  engel  ein  michlew  schar  des  him- 

1)  Brief  an  Titus  2,  11  —  14.  2)  Evamj.  2,  1-14. 


ALTDEUTSCHE    PERIKÜPEN  i 

lischen  heres  lobuud  got  viid   sprachen:    „er  vnd  lob  sei  im  dem  30 
haheii  got  viul  vrid  sei  auf  erde  den ,  die  guetes  willen  sein." 

VI. 

Di  Iczeu  zu  tag-  messe    -   saiul  Vaul  zu  Tyto^ 

Aller  liebster !  erschiun  ist  di  guetichait  vnd  nienscliait  [9''J 
des  hailer  gotes  nicht  aus  den  gerechten  werchen,  di  wir  haben 
getan ,  sunder  nach  seinr  parmung  hat  er  vns  hail  gemacht  durch 
sein  vlewung  vnd  widerpringung  der  uernewung  des  heiligen  gei-  5 
stes,  den  er  aus  gegossen  hat  in  vns  genüegieich  durch  Jesum 
Christum  vnsern  hailer,  daz  wir  gerechtigt  mit  seinn  genaden  erben 
sein  nach  dem  gedingen  des  ewigen  lebens  in  Christo  Jesu  vnserm 
herren. 

Das  ewaiigeüj  zu  tag-  messe  —  Lucam^.  10 

Dew  hierten  sprachen  zu  einander:  „ge  wir  hintz  Bethlehem 
vnd  besehen  das  wart,  das  geschehen  ist,  das  [10'']  vns  der  herr 
gezaigt  hat."  do  chomen  si  eylund  dar  vnd  funden  Mariam  vnd 
Yosephen  vnd  das  chindel  was  gelegt  in  ein  chrippe.  do  si  das 
gesahen,  do  erchantens  von  dem  wart,  das  in  gesagt  was  von  dem  15 
chinde.  do  wundert  sein  alle,  di  is  uernamen  vnd  das  in  di  hierten 
sagten.  Maria  behielt  alle  die  wart  in  irem  hertzen.  di  hierten 
fuern  wider  vnd  lobten  vnd  gloriticierteu  got  in  allen  den,  das  si 
gehört  vnd  gesehen  ^  beten. 

VII. 

Zu  vTou  ampt  di  lezeu  —  sand  Paul*. 

Prüeder!  vil  redund  vnd  in  vil  Aveis  etweun  got  reduud  den 
va:!tern  inn  propheten,  am  iungsten  [lO'']  an  den  tagen  hat  er  zu 
vns  geredt  in  dem  sun,  den  er  gesazt  hat  ze  erben  aller,  durch 
den  er  auch  di  weit  gemacht  hat.  der  wonet  mit  vns,  er  ist  ein  5 
schein  der  glori  vnd  ein  figur  seinr  Substanz  vnd  tragund  alle,  die 
mit  dem  wart  seinr  chraft  ein  rainiguug  der  sunden  maclmnd.  er 
sitzt  zu  der  zesem  der  maiestat  in  der  hoech:  als  vil  pesser  den 
engein  warden ,  wie  vil  er  vnderschaidener  var  in  den  namen  hat 
geerbet,  wan  Avelhem  ie  der  engel  sprach  er:  ,,niein  sun  pistu,  10 
ich  gepar  dich  heut?"  vnd  aber:  „ich  wierd  im  ein  vater  vnd  er 
wirt  mir  ein  sun?"  vnd  wenn  er  [ll'']  aber  in  füert  den  erst  geparu 
in  der  weit   rinch,   sprach  er:    „vnd  in    aupetten  all  gotes   engel." 

1)  Brief  an  Titus  3,  4  —  7.       2)  Evang.2,  15 — 20;  zu  Luc  am  «pfZ.  Evan- 
gelium secundum  Lucam.        3)  geh'u  hs.        4)  Brief  an  die  Hebräer  1,  1  — 12. 


STEJSKAL 


viid  7Ai  den  eiigelii  sprach  er:  „der  do  macht  sein  engel  geist  vnd 
15  sein  diener  flammen  des  fewer;"  awer  zn  dem  sun:  „dein  thron, 
got ,  in  weit  weit ;  di  gertt  der  gerechtichait  ein  gertt  deins  reiclis ; 
du  hast  lieb  gehabt  di  gerechtichait  vnd  hast  gehasset  di  pashait, 
darum  hat  dich  gesalbet,  got,  dein  got  mit  dem  oel  der  vrewden 
var  deinu  genasseu."  vnd:  „du  im  anfang,  herr,  das  erdreich 
20  gegruntfest  hast  vnd  di  werch  deinr  hant  sind  di  himel;  si  uer- 
derbent  awer  du  beleibest  vnd  sam  das  ge  [11^]  want  eraltent  vnd 
als  di  wat  wandelstu  sew  vnd  si  werdeut  uerwandelt:  awer  du  der 
selb  pist  vnd  deinew  iar  nicht  zergent." 

Das  evaiigelij  zum  ampt  —  saiid  lohaimesi. 

25  Im  anfang  was  das  wart   vnd   das  wart  Avas  pei  got  vnd  got 

was  das  wart,  das  was  im  anfang  pei  got  vnd  durch  is  wurden 
dinch  beschaffen  vnd  an  in  ist  nichtes  beschaffen  vnd  das  beschaf- 
fen warden  ist.  in  im  was  das  leben  vnd  das  leben  was  ein  liecht 
der  menschen,   vnd  lewcht  das  liecht  in  der  vinster  vnd  di  vinster 

30  begraif  sein  nicht,  ein  mensch  was  gesant  von  got,  des  nam  was 
Johannes,  der  chom  ze  [12''']  einem  urchunde,  das  er  urchimdet  von 
dem  liecht ,  das  si  all  gelanbteu  durch  in.  der  was  nicht  das  liecht, 
suuder  er  solt  urchunde  pringen  von  dem  liecht.  is  was  ein  wares 
liecht,     das    do    erlewcht   einn   igleichen   menschen    chcemunden  in 

35  disew  weit,  is  was  in  der  weit  vnd  di  weit  durch  is  gemacht  ist 
vnd  di  weit  bechant  sein  nicht,  in  sein  aigue  chom  er  vnd  di 
seinn  namen  in  nicht,  wie  vil  awer  ir  in  namen ,  den  gab  er  allen 
den  gewalt,  das  si  wurden  gotes  chind,  di  do  gelaubten  in  seinn 
namen,    di  nicht  von  sippe  noch  von  dem  willen  des  [12'']  mannes, 

40  sunder  di  von  got  geparen  sind,  vnd  das  wart  ward  zu  fleisch  vnd 
wonet  in  vns  vnd  wir  haben  gesehen  sein  glori,  als  di  ere  eins  ain- 
geparn  vom  vater  uolles  genaden  vnd  warhait. 

Vlll. 

Am  saiul  Stephans  tag"  di  lezen  an  der  zwelf  poten  puech^. 

Stephanus  vol  genaden  vnd  der  sterkh  tet  wunder  vnd  zaihen 
vil  im  volkh.  awer  is  stuenden  etleich  auf  aus  der  sammung,  di 
genant  warn  Libertinorura  vnd  Cyrenensium  vnd  Alexandrinorum 
5  vnd  der,  di  do  warn  von  Cylicia  vnd  Asya,  vnd  disputierten  mit 
Stephano.  vnd  si  machten  nicht  wider  sten  der  weis  [13*]  halt  vnd 
dem  geist ,    der  do  redt ,    sunder  do  si  harten   die ,   si  wurden  zer- 

1)  Evang.  1,1  — 14.  2)  Apontclgesch.  6,  8 — 10  und  7,  51  —  59. 


ALTDEUTSCHE   PERIKOPEN  v 

hakht  ierr  lieizeii  vud  grisgvamteu  mit  deu  zendeii  gegen  im.  avver 
do  Stepliauus  was  vol  des  heiligen  geistes,  er  gedacht  inu  himel 
vud  sach  di  glori  gotes  vud  lesum  steundeu  zu  der  zeseni  gotes.  10 
awer  si  schreyund  mit  grasser  stymm  uei'habten  ire  aren  vud  sews- 
sen  teteus  ayumüetichleich  gegen  im  vnd  aus  wuerfeu  in  vur  di 
stat  vud  ucrstaiuteu  in.  vud  di  zewg  ab  legten  ir  gewaut  pei  deu 
füessen  des  iüugeliugs,  der  genant  was  Saulus,  vnd  stainteu  Ste- 
phanuni  got  au  rüeftundeu  |13'']  sprechund:  „herr  lesu  enphach  15 
meinen  geist."  awer  mit  geprauchten  chuieu  scliray  er  mit  grasser 
stymme  vud  sprach:  „herr,  nicht  sez  den  ir  sunte".  vnd  do  er  das 
gesprach,  entslief  er  im  lierren. 

Das  ewaiig-elij  au  saiid  Stephans  tag-        saud  Slatheus '. 

lesus    sagt   deu  luden   scharen    vnd  den  fürsteu  der  priester:  20 
„ich  sent  zu  ew  di  weissagen  vnd  die  weisen  vud  di  Schreiber,     di 
erslacht  ir  siimleich  vud  chrowtzigt  etleich  vnd  gayselt  sew  in  ewerr 
syuagog  vud  tehts  von  aiuer  stat  hiutz  der  andern,  das  do  von  über 
ew  chceui   alles   das  pluet   der  gerechten,    das  do  uergossen  ist  auf 
di  erden  von  des  rechten  Abels  pluet  [14"]  vntz  au  Zacharias  pluet,  25 
Barachye   sun ,   deu  ir  erto3tt  zwischen   dem  ^  tempel  vnd  dem  all- 
ter.    werleich  sag  ich  ew:  das  chumt  alls  über  ditz  geslaecht.    Isra- 
hel  ^,  di  du  siechst  di  weissagen  vnd  erstainst  di  zu  dir  gesaut  sind, 
wie  offt  wolt  ich  sammen  deine  chind  als  di  henne,  di  do  sammet 
ire  hüeudel   vuder   ir  uetich  vnd   du  wolltest  uicht!     uu  Avirt  uer-  30 
lassen   ewr   haus   wüestes.     ich    sag   awer  ew :    ir  secht  mich  nicht 
mer,  vntz  ir  Avert  sprechen:  der  sey  gesegent,  der  do  chümt  in  dem 
uamen  des   herreu.'' 

IX. 

Di  letzen  an  saud  lohauues  tag'  am  puecli  der  weisliait*. 

Der  furchtt  den  herren,  der  würcht  [14'']  das  guet,  vud  wer 
behaltuud  ist  di  gerechtichait,  er  begreifft  sei;  vnd  begegent  im 
als  ein  mueter  geeret.  si  speist  in  mit  dem  prat  des  lebens  vnd 
der  uersteutichait  vnd  mit  dem  wasser  hailuuder  weishait  trenkht  5 
si  in  vnd  wirt  geuestent  in  im  vnd  nicht  gepraucht  vnd  behaltet 
in  vnd  uicht  wiert  er  gescheudet  vnd  hoehet  in  pey  seinn  nächsten, 
in  mitte  der  saramuug  tuet  si  auf  seinu  muud  vnd  erfüllet  in  mit 
dem  geist  der  weishait   vud    der   uersteutichait  vnd    die  chlayd  der 

1)  Evang.23,  34  —  39.  2)  des  hs.  3)  Jerusalem  Vulg.  4)  Eccle- 

siasticus,  Buch  Jesus  Sirach  15,  1 — 6. 


10  STEJSKAL 

10  glori   legt    si   im   au,    vroleicli   vnd  vralokhen   hcert   si   auf  in  vnci 
mit  dem  [15*J  ewigen  nam  erbet  in  der  herr  vnser  got. 

Das  ewaugrelij  des  selben  tagres  schreibet  loliannes». 

lesus  sprach  zu  Petro:  „volge  mir  nach,"  Petrus  chert  sich 
vm  vnd  sach  den  iunger,  den  lesus  lieb  het  nach  volgund,  der 
15  auch  auf  seinner  pruste  lag  zdem  abent  essen  vnd  zu  im  sprach: 
„herr,  wer  ist,  der  dich  uerchauft?"  do  Petrus  den  iunger  sach, 
do  sprach  er  zu  Jesu:  ,,herre,  was  sol  awer  dierr?"  des  antwurt 
im  lesus :  „  ob  ich  in  also  wil  lassen  beleiben ,  vntz  ich  chüm ,  was 
willdu?  des  volge  mir  nach."  disew  rede  was  vnder  den  lungern, 
20  das  Johannes  der  iunger  nicht  solt  sterwen.  vnd  Jesus  [lö**]  sprach 
nicht  zu  im,  das  er  nicht  sterwen  solt,  sunder:  ob  ich  in  also  wil 
beleiben ,  vntz  ich  chiim ,  was  wildu  des  ?  der  iunger  Johannes 
urchviudet  das  vnd  hat  is  geschriben  vnd  wir  wissen  das  wol,  das 
sein  urchünd  war  ist. 

X. 
An  dem  suntag  dar  nach  di  letzen  —  sand  Paul  2. 

Prüeder!  wie  lang  zeit  der  erb  chlain  ist,  chain  vnderschaid 
ist  er  dem  chnechte,  wann  er  doch  sei  der  herr  aller;  suuder  vnder 
den  schermern  vnd  weisern  ist  er  vntz  an  di  gemessen  zeit  von 
5  dem  vater.  also  auch  wir,  do  wir  warn  chlain  vnder  den  demen- 
ten dierr  weit,  waren  wir  dienund.  sunder  do  chom  [16*]  di  uoll- 
hait  der  zeit,  sant  got  seinen  sun  geparn  vom  weih  warden  vnder 
der  e,  das  er  Icesat  di  vnder  der  e  warn,  das  wir  di  wünschung 
der  sün  enphingen.  awer  wenn  ir  seit  sun  gotes,  gesant  hat  got 
10  den  geist  seins  suns  in  ewr  hertz  schreyund:  abba,  pater!  zwar 
yezund  ist  er  nicht  ebnecht,  suuder  sun;  vnd  ob  er  ist  der  sun,  so 
ist  er  erb  durch  got. 

Das  ewangelij  —  sand  Lucam''. 

Joseph  vnd  Mariam,  di  mueter  Jesu,  di  wundert  iiber  das, 
15  di  geredt  wurden  von  im.  vnd  Symeon  segent  in  vnd  sprach  zu 
Mariam,  seiner  mueter:  „is  ist  gesetzt  zu  falle  vnd  zu  urstend 
manigen  in  [16'']  Jsrahel  vnd  im  zaichen,  dem  wider  sprechen  wirt. 
dein  selbs  sei  di  durch  vert  das  swert,  also  das  maniger  herzen 
gedanch  werdent  geoffent."  vnd  was  Anna  ein  weissaginne ,  di  waz 
20  Fanueles  tachter  von  dem  gesltecht  Äser,  di  was  ein  alt  weib,  di 
het  gelebt  mit   ir  manne   siben   iar  von  ir  magtum  vnd  was  witib 

1)  Evamf.äl,  19  —  24.       2)  Brief  an  die  Galater  4,  1  -7.       3)  Evang.  2, 
33—40. 


ALTDEUTSCHE    PERIKOPEN  11 

nutz  au  vier  vnd  achzik  iar.  di  cbom  von  dem  teinpel  nicht  vud 
pat  got  nacht  vnd  tag  mit  iiasten  vnd  mit  irem  gepet.  di  chom 
zu  der  selben  weil  auch  got  lobund  vnd  sagt  von  im  allen  den,  di 
do  piten  der  lasung  Israhel.  vnd  als  si  uolprach  [17"]  ten  alles  25 
das,  sam  is  geschviben  was  an  der  e  von  got,  do  fuereu  si  Avider  in 
Galyleam  in  di  stat  ze  Nazareth.  das  chind  wuecbs  vnd  ward  chref- 
tig  voller  weishait  vnd  di  genade  gotes  was  in  im. 

XL 
Am  eweii  weich  tag  di  lezeu^  —  saiid  Paul  2. 

Prueder!  e  denn  chom  der  gelaub,  wurd  wir  behüett  beslos- 
seu  iu  deu  gelauben,  der  ze  offen  ward,  zwar  die  ee  vnserr  züch- 
tigern was  iu  Christo,  das  wir  aus  dem  gelauben  gerechtigt  werden, 
sunder  do  chom  der  glaub,  yezund  sei  wir  nicht  vnder  dem  zucht  5 
maister.  wanu  all  sei  wir  sün  gotes  durch  deu  gelauben,  der  ist 
[17'']  in  Christo  lesu.  wand  welch  ir  in  Christo  getauft  seit,  Chri- 
stum habt  ir  an  gelegt,  nicht  ist  der  lud  noch  der  Chriech,  nicht 
ist  der  diener  noch  der  vrey,  nicht  ist  der  man  noch  das  weih; 
wand  ir  all  ain  dinch  seit  in  Christo  lesu.  seit  ir  aber  Christi,  10 
darum  seit  ir  Abrahams  sam  vnd  nach  der  gehaisse  erben,  ich 
sprach  aber:  „wie  lang  zeit  der  erb  chlain  ist,  chain  vnderschaid 
ist  er  dem  chnechte,  vnd  er  doch  ist  der  herr  aller;  suuder  under 
den  schermiern  vnd  weisem  ist  er  vntz  an  die  gemesenn    zeit  vom 

vater."  15 

Das  ewangelij  —  saud  Lucam^. 

Do  di  aht  tag  ende  heten,  das  man  [IS""]  das  chind  besneiden 
solt,  do  ward  im  gegeben  der  nam  lesus;  alsam  ward  er  auch 
gehaissen  von  dem  engel,  e  das  er  enphangen  wurde  in  der  mue- 
ter  leibe.  20 

Xll. 
An  dem  preheu  tag  Esaye  letzen*. 

Stand  auf,  wierd  erlewcht  lerusalem!  wann  chomm  ist  dein 
liecht  vnd  di  glori  des  herren  ist  über  dich  auf  gegangen,  wand 
nim  war,  di  vinster  bedekhent  di  erden  vnd  die  swertz  di  folk; 
über  dich  awer  wiert  auf  geund  der  herr  vnd  sein  glori  wirt  an  5 
dir  gesehen,  vnd  werdeut  geund  di  diet  in  deim  liecht  vnd  di  chü- 
nig  in  dem  schein  deius  ausgangs,  heb  [18^]  auf  in  dem  vmswaif 
dein    äugen  vnd   siech,    alle  die  sind   gesammet  vnd   sind   chomen 

1)  Hs.  lez.         2)  Brief  an  die  Galater  3 ,  23  — 39;  4,  1  —  2.        3)  Evang. 
2,  21.        4)  Isaias  60,  1  —  6. 


12  STEJSKAL 

dir;  dein  sün  von  uerren  choement  vnd  dein  tcecliter  von  der  seifc- 
10  ten  auf  steut.  denue  wierstii  sehund  vnd  zue  liiessund  vnd  wirt 
wundrund  vnd  wiert  gepraitt  dein  hertz,  wann  becliert  wirt  zu  dir 
di  menig  des  nieres  vnd  wenn  di  sterk  der  diet  dir  zue  cliumt.  di 
menig  der  cha3mlein  wirt  bedekhund  dich,  dromedarij  Madian  vnd 
Epha,  all  von  Saba  choments  gold  vnd  weyroch  tragund  vnd  lob 
15  dem  herren  cliündund. 

An  dem  pielieu  ta§'  das  ewangelij    -  sand  Matheus^ 

[19"]  Do  lesus  was  geparn  ze  Bethlehem  Inda  in  den  tagen  ^ 
chunig^  Herodes,  do  chomen  die  chünig  von  asterlant*  ze  ^  leru- 
salem  vnd  sprahen:   „wo  ist^  der  luden'  chunich '^,  der  geparn  ist? 

20  wir  sahen  seinn  stern  in  dem  asterlant^  und  choemen,  das  wir  in 
an  petten."  do  das  der  chünich  Herodes  hart,  do  ward  er  traurig 
vnd  alle  lerosolima^*^.  vnd  samit^^  di  priester  fursten  ^^  all  vnd 
di  Schreiber  des  folkhs  vnd  vragt  sew  ^^,  avo  Christ  solde  geparn 
werden,     do  sagten  si  im   all:    „ze  Bethlehem  Inda;   wand  also  ist 

25  is  geschriben  durch  den  weissagen^'*:  Bethlehem  iudischs  *^  laut, 
du  pist  [19*]  nicht  di  minnist^^  vnder  den  fursten  Inda;  wann  von^' 
dir  chumt^^  ein  laitter^^,  der  richten  sol  mein  tblk  Israhel,"  do 
lued^*^  Herodes  di  chuuig  haimleich  vnd  lernt  ^^  von  in  di  zeit  des 
Sterns,    der  in  erschain  ^^  vnd   sant   sew  ^^   hintz  ^^  Bethlehem  vnd 

30  sprach  zu  in:  ,,get  hin  vnd  vragt  vleischleich  von  ^^  dem  chinde; 
vnd  so  ir  is  vindet,  so  enpiett  mir  herwider,  das  ich  auch  dar 
choem  vnd  is  an  pett."  do  si  uernomen  das  von  dem  chünich,  do 
fuern  ^^  si^'  danue  vnd  der  stern,  den  si  ze  ^*^  Orient  heten  gesehen, 
der  gie  ^^  var  in,    vntz^*^   si  dar  chamen,    do  das   chind  was;    dar 

35  ob  ^^  stuend  [20*J  er.     do  si  awer   den   stern  sahen,    do  vrewten  si 

1)  Evang.2,  1  — 12.  2)  Die  folgenden  handschriftlichen  hemerlcungen  zu 

diesem  stücTce  (anm.  2 — 31,  1  —  6)  rühren  sämtlich  von  einer  jüngeren  hand  her 
und  sind  zum  teil  das  resultat  eines  Vergleiches  unserer  hs.  mit  der  Versio  anti- 
qua.  —  Hinter  tagen  ein  j,  am  rande  des/.  3)  Über  u  ein  e,  oberhalb  g  ein  s. 
4)  Darüber  orieut.  5)  Darüber  Gen.  6)  Hinter  ist  41^.  7)  Zwischen  Juden 
wid  chünich  oben  ein.  8)  vor  der  4t-     (Ubi  est  qui  natus   est  rex  JiuteoruuiV) 

9)  Am  rande  orient.  10)  Darüber  mit  ym  (cum  eo).         11)  Hs.  sannit,  fehler 

corrigiert.  12)  "priester  "forsten"    (principcs  sacerdotum).  13)  w  durch- 

gestrichen. 14)  Durchgestrichen ,  daneben  am  rande  propheten  Micheam.  15)  Über 
u  ein  e.  16)  Darüber  kleinste.  18)  Darüber  wirt  ausgen  (exiet).  17)  Darüber 
aus  (ex).  19)  Am  rande  fürst  (dux).  20)  Darüber  rufte  (vocavit).  21)  Darüber 
forste  (exquisivit).  22)  Hsl.  erschain  corrigiert  in  erschine,  darüber  wä,&.  23)  w 
durchgestrichen.  24)  Darüber  Gen  (in).  25)  Darüber  noch.  26)  Darüber 
zogen.         27)  Vor  danne  oben  von.         28)  Darüber  in  (in).  29)  Corrigiert  in 

gie^'.    30)  Darüber  baß.        31)  Corrigiert  in  ob*'". 


ALTDEUTSCHE   PERIKOPEN  13 

sich  mit  grasser  vrewcl  viid  giengen  iu  das  haus  vud  fanden  das 
chind  mit  Mariam  seiner  mueter  vnd  viellen  vür  is  vnd  paten  ^  is 
an  vnd  teten  auf  ir  sehst/  vnd  prachten  ^  im  ir  gab,  gold  weyroch 
vnd  myerren ,  vnd  naraen  ^  antwurt  in  dem  gesiebte  *,  das  si  nicht 
widercbaemen  zu  Herode^  ein  andern  weg  cbertens  ^  wider  in  ir  40 
laut. 

XIII. 
Di  letzen  am  suutag:  do  nach  —  sand  Paul''. 

Prüeder!  ich  man  ew  durch  di  parmung  gotes,  das  ir  erpiett 
ewr  leichnam  ein  lemtig-  opher  heilig  got  gefallund,  das  beschai- 
[20'']  den  sei  ewr  dienst,  vud  nicht  sült  ir  geleichent  werden  dierr 
weit,  suuder  wert  uernewet  in  der  newuug  ewers  sinnes,  das  ir  5 
bewsert,  welher  sei  der  will  gotes  gueter  vnd  wol  geuallunder  vnd 
uolchcemner.  wann  ich  sprich  durch  di  genade,  di  mir  geben  ist, 
allen ,  di  do  sind  vuder  ew,  nicht  mer  uersten  denn  man  mues  uer- 
sten,  sunder  uersten  zu  der  nuehtichait  vnd  eim  igleichem,  als  got 
getailt  hat  di  masse  des  gelaubens.  wand  als  wir  in  aim  leichnam  10 
mer  glid  haben,  aber  alle  glid  nicht  das  selb  werch  haben,  also  wir 
vil  ain  leichnam  [21*]  sein  iu  Christo,  awer  wir  sunder  aynr  des 
andern  glid  in  Christe  Jesu  vnserm  herreu. 

Das  ewaug-elij  des  selben  tags        sand  Lucam^ 

Do  lesus   ward   zwelf  iar  alt   vnd   si  auf  fuern   zu  lerusalem  15 
nach  der  gewonhait   der   heiligen  tag,    do  di  ende  genomen  vnd  si 
wider  haim  gegiugeu ,    do  belaib  daz  chind  lesus  ze  lerusalem  vnd 
wessten   seine    vrewnt  des  nicht,     vnd  do  si  wouten,    das  er  haim 
mit  in  chsem,  vnd  do  si  ein  tag  waide  gegingen,  do  suechten  si  in 
vuder  seinn  chunden  vud  vnder  seinn  neuen,     vnd  do  si  sein  nicht  20 
funden,    do  gingen   si  wider  gen  lerusalem  vnd   suechten  in.  [21"] 
vnd  nach  drein    tagen   do    funden   si   in  sitzund  vnder  den    lersern, 
das  er  sew  hart  vnd  auch  vragt.     all,    di  in  harten  vnd  sahen,   di 
farchten  über  sein  weishait  vnd   sein  antwurt  vnd   sahen  vnd  wun- 
dert sew.  vnd  sein  mueter  sprach  zu  im:  ,,sun,  wi  hastu  vns  getan?  25 
dein  vater  vnd  ich  suechten  dich   chlagund."     do   sprach   er  zu  in: 
„was  ist,  das  ir  mich  suchet?  wisst  ir  nicht,  das  ich  mues  sein  an 
den  geschseften,  das  meins  vater  ist  ? "  vnd  si  uerstuenden  nicht  das 
wart,  das  er  zu  in  redt,     vnd  er  fuer  mit  in  wider  haim  vnd  chom 

1)  Über  a  ein  e.  2)  Darüber  opferten.  3)  Hsl.  iiam  corrigiert  in  name. 
4)  Daneben  " ,  am  rande  ym  slof  (in  somnis).  5)  Daneben  ' ,  am  rande  zunder. 
6)  Daneben  oben  (•).       7)  Brief  an  die  jRömer  12,  1—5.      8)  Evang.  2,  42-52. 


14  STEJSKAL 

30  zu  Nazareht  vud  was  in  [22"]  vndertau.  vnd  sein  mueter  behielt  alle 
diesew  wart  vnd  betracht  sew  in  ir  hertzen.  vnd  lesus  nam  zue 
an  der  weishait  vnd  an  dem  allter  vnd  an  der  genad  pey  got  vnd 
pei  den  lewten. 

XIV. 

Di  letzen  am  ersten  suntag-  —  sand  Paul^ 

Prüeder!  seit  habund  di  gäbe  nach  den  genaden,  di  ew  gege- 
ben ist  vnderschaidenleich.  aintweder  das  weissagen  nach  der 
beschaidenhait  des  glaubens  oder  den  dienst,  im  dienen  oder  der 
5  do  lert,  in  der  lernung;  der  do  mant,  in  der  manung;  der  do  geit, 
in  der  ainfaltichait;  der  do  var  ist,  in  der  entzichait;  der  do  erparmt, 
[22'']  in  der  vroeleichait.  di  lieb  an  gleichsenhait.  hassund  das  übel 
vnd  an  hangund  dem  gueten.  mit  prüederleicher  lieb  an  einander 
lieb  habund,  mit  den  eren  an  einander  vürchomund.     in  der  entzi- 

10  chait  nicht  trreg,  in  dem  geist  hitzig,  dem  herren  dienund.  in  der 
hoffnung  vrewund,  in  truebsal  gedultig,  dem  gepet  an  steund.  den 
natdürften  der  heiligen  gemainsamund ,  der  gast  ladung  nach  vol- 
gund.  wol  sprecht  ewern  a?htern  vnd  nicht  sult  ir  übel  sprechen, 
vrewt  ew  mit  den  vrewunden   vnd  waint  mit  den  wainunden.     das 

15  selb  an  einander  enphindund;  nicht  [23*]  hahew  uersteund,  sunder 
den  dienmuetigen  gehelund. 

Das  ewang-elij  —  sand  Johannes '-. 

Hachtzeit  sind  warden  in  Ghana  Galylee  vnd  di  mueter  lesu 
was   do.     Jesus   ward    auch    dar    geladen  vnd    sein    iunger    zu    der 

20  hachtzeit.  vnd  do  geprast  des  weins,  do  sprach  di  mueter  lesu 
zu  im:  „si  habent  nicht  weins."  des  antwurt  ir  Jesus:  „was^  mir 
vnd  dier,  weih?  is  ist  nicht  choemen  noch  mein  zeit."  do  sprach 
sein  mueter  zu  den  dieiia^rn :  „  was  er  ew  sage ,  das  tuet."  do  warn 
auch  gesatzt   sex  steineine  vas   nach    der   rainigung  der  luden  vnd 

25  in  igleich  vas  gieng  zwen  metzen  oder  trey.  do  |23'']  sprach  Jesus 
zu  in:  „füllet  di  uas  mit  wasser."  do  fülten  sis  vntz  ze  obrist. 
do  sprach  awer  Jesus:  „schepht  nu  vnd  gebt  dem  fursten  der  hacht- 
zeit." das  teten  di  diener.  do  er  do  getranch  des  wassers,  das 
do  warden  was  ze  wein,  vnd  er  wesst  nicht,  von  wanne  is  chomen 

30  was  (di  diener  wessten  is  awer  wol),  do  rüeft  architriclinus  dem 
prewtkan  vnd  sprach  zu  im:  „ein  igleich  mensch  geit  von  erste 
den  gueten  wein  vnd  so  si  trunckhen  werdent,  so  geit  er  denn  den 

1)  Brief  an  die  Römer  ]2,  6  —  16.        2)  Ermif/.  2,  1-^Jl.        3)  ZwiscJien 
was  und  mir  von  jüngerer  hand  ist. 


ALTDEUTSCHE    PERIKOPEN  15 

argen,  du  liast  awer  den  gueten  behalten  vntz  her."  das  zaichen 
tet  Tesus  des  ersten  var  seinn  hmgern  in  Cha  [24*]  na  Galylee 
vnd  offent  sein  glori  vnd  sein  iunger  gelaubten  an  in.  35 

XV. 

Di  letzen  am  andern  suntag*  —  sand  Pauli. 

Prfieder!  nicht  sult  ir  witzig  sein  pey  ew  selben,  niemt  fibel 
vra  übel  Avider  gebund ;  besichtigund  di  gueten  nicht  alain  var  got, 
Sünder  auch  var  allen  menschen,  ob  is  geschehen  mag  das  von  ew 
ist,  mit  allen  lewten  vrid  habund.  nicht  ew  selb  werund  ir  aller  5 
liebsten,  sunder  gebt  stat  dem  zarn.  wann  geschriben  ist:  mir  di 
räch  vnd  ich  g'ilts,  spricht  der  herr.  sunder  ob  hungert  deinen 
feint,  speis  in;  ob  in  dürsst,  trenkh  in;  wann  das  tueund,  di  choln 
des  fewers  sammestu  [24'']  auf  sein  haubt.  nicht  soltu  nber  wunten 
werden  von  dem  übel.  10 

Das  ewangrelij  —  Matlieus^. 

Do  lesus  gie  ab  dem  perge ,  do  uolget  im  nach  ein  michlew 
menig.  vnd  ein  aussetziger  chom  vnd  pat  in  an  sprechund:  „herr, 
ob  du  wild,  so  machtu  mich  gerainigen."  lesus  rekht  aus  di  haut 
vnd  rüert  in  an  vnd  sprach:  ,,ich  wil,  wierd  gerainigt."  vnd  sotze-  15 
haut  ward  er  gerainigt  von  der  aussetzichait.  lesus  sprach  zu  im: 
,.  siech ,  das  du  is  iemeut  sagest ,  sunder  ge  vnd  zaig  dich  den  prie- 
stern  vnd  pring  das  opher,  das  Moyses  gepat  zu  einem  urchunde." 
do  er  gie  in  die  stat  ze  Capharnaum,  do  [25"]  gie  zu  im  der  cen- 
turius  vnd  pat  in  sprechund:  „herr,  mein  chind  leit  in  meim  haus  20 
pett  ris  vnd  wiert  übel  gechestigt."  do  sprach  lesus:  „ich  chum 
vnd  mach  in  gesunt."  do  antbuert  im  der  zenturius:  „herr,  ich 
piu  des  nicht  wierdig,  das  du  gest  vnder  mein  dach,  sunder  du 
sprich  ain  wart,  so  wirt  mein  chind  gesunt.  ich  pin  auch  ein 
mensch  vnder  gewalte  vnd  ritter  vnder  mir  han  vnd  sprich  ich  zu  25 
dem:  gingk!  vnd  er  get,  zu  eim  andern:  chum!  vnd  er  chumt,  vnd 
zu  meim^  chnecht:  tue  das!  vnd  er  tuets."  do  lesus  das  gehart, 
do  wundert  in  des  vnd  sprach  zu  den ,  di  im  nach  [25'']  uolgten : 
„werleich  sag  ich  ew,  ich  vand  so  grass  glaubens  nicht  in  Israhel. 
ich  sag  auch  ew  das  genueg  choement  von  osten  vnd  wessten  vnd  30 
sitzent  mit  Abraham  vnd  Ysaac  vnd  lacob  in  dem  himelreich;  di 
chind  ditz  reiches  werdent  gewarflfen  in  di  ausserist  vinster ,  do  wirt 
wainn  vnd  grisgramen  der  zende."     vnd  lesus   sprach  zu  dem  cen- 

1)  Brief  an  die  Römer  12,  16  —  21.       2)  J£vmr(f.  8,  1  —  13.      3)  Hs.  mein. 


16  STEJSKAL 

tiirio:    „ge  liin,    als  du   gelaubst  also   geschecli  dir"     viid    an  der 
35  selben  weil  ward  gesunt  sein  chind. 

XVI. 

Di  letzen  *  am  dritten  suntag  —  sand  Paul  ^. 

Prueder!  niement  sult  ichsicht  mier,  das  ir  an  einander  lieb 
habt;  wann  wer  seiun  nächsten  lieb  hat,  [26'']  der  erfüllet  di  e. 
wann:  nicht  ee  prich,  nicht  tcett,  nicht  betrewg,  niht  sag  falsch 
5  zewgnusse,  nicht  beger  das  guet  deins  nächsten,  vnd  ob  icht  ist 
ein  ander  gepot,  in  dem  wart  wiert  is  bestift:  hab  lieb  dein  näch- 
sten als  dich  selb,  di  lieb  des  nächsten  wiircht  nicht  Übels;  darum 
dew  uollhait  der  e  ist  di  lieb. 

Das  ewangelij  —  Marcus  3. 

10  Jesus  gie  in  ein  schef  vnd  uolgten  im  nach  sein  iunger.    vnd 

ward  ein  grasse  wegung  auf  dem  mere,  also  das  das  schef  bedekht 
ward  mit  dem  wasser;  lesus  der  slief.  do  wekten  in  sein  iunger 
vnd  sprachen:  „herr!  hail  vus,  wir  uerderben."  do  antwurt  [26''] 
in  lesus  vnd  sprach:    .,wes  furcht  ier  ew ,  ir  chlaius  glauben?"   do 

15  stuend  er  auf  vnd  gepat  dem  wint  vnd  dem  mer  vnd  ward  ein 
michlevv  stille,  vnd  di  lewt,  do  sis  gesahen,  wundert  des  zehant 
vnd  sprahen:  „wie  tan  ist  der,  wand  im  geharsam  sind  di  wind 
vnd  das  raer?" 

XVII. 

Di  letzen  am  vierden  suntag-  —  sand  Paul*. 

Prueder!  legt  ew  an  als  di  erweiten  gotes  vnd  di  lieben  di 
gedserm  der  parmung,  di  gfletichait,  dienmüetichait,  msessichait, 
gedult.  über  tragund  an  einander  vnd  gebund  ewch  selb,  ob  ainr 
5  wider  den  andern  icht  chlag  liab;  recht  als  der  herr  ew  geben  hat, 
[27'']  also  tuet  auch  ir.  vber  das  alles  seit  di  lieb  habuud,  di  ist 
ein  pant  der  uolchomenhait.  vnd  der  vrid  Christi  vrew  sich  in 
ewern  hertzen ,  in  dem  ier  auch  geladen  seit  in  aym  leichnam ; 
vnd  danchufem  west!  das  wart  Christi  das  wen  in  cav  genüchtlcich 
10  in  aller  weishait.  lerund  vnd  gemeinsam  und  ew  selb  in  psalm 
vnd  loben  vnd  geistleichen  sa^ngeu,  in  gonaden  siiigund  in  ewerm 
hertzen  dem  harren,  alles,  das  ir  tuet  in  warten  oder  in  werchen, 
alls  tuets  in  dem  namen  des  herren  Jesu,  der  genaden  danchund 
got  vnd  dem  vater  durch  lesum  Christum  vnsern  herren. 

1)  Hs.  letz.         2)  Brief  an  die  Römer  13,  8-10.         3)  Evanf).  MaithfP.i 
8,  33—27.        4)  Brief  an  die  Colosser  3,  12—17. 


ALTDEUTSCHE   PERIKOPEN  17 

Am  suntag-  das  ewangelij  —  saiid  Matlieus'.  15 

[27*']  lesiis  sach  zu  seinen  lungern  vnd  sprach:  „ich  uergich 
dir ,  vater  hiniels  vnd  der  erden !  wann  du  uerpargen  hast  dein  tau- 
gen var  den  weisen  vnd  den  chluegen  vnd  hasts  geoft'ent  den  chin- 
den,  vater!  also  geuiel  is  dier.  is  ist  mir  alles  gegeben  von  mei-  . 
neni  vater  vnd  erchennet  auch  niement  den  sun  denn  der  vater,  20 
noch  den  vater  nieni  denn  der  sun  vnd  dem  is  der  sun  chunt  tuet, 
chcemt  zu  mier  all,  di  arbaitten  vnd  di  beswert  sein,  vnd  ich  hilff 
ew.  nemt  mein  loch  auf  ew  vnd  lernt  von  mir,  wann  ich  pin  senft 
vnd  dienmütigs  hertzen,  vnd  ir  vint  rue  ewern  seien;  [28*]  mein 
loch  ist  suess,  mein  purd  ring.  25 

XVIII. 

Di  letzen,  so  man  das  alleluja^  nidei*  leit  —  sand  Paul\ 

Prueder!  wisst  ir  nicht,  das  all  die  zewett  lauflfent  zwar  all 
lauflfents,  awer  ainr  uimt  den  Ion?  also  laufft,  das  ir  begreift! 
wann  ein  igleicher,  der  am  streit  chriegt,  var  allen  er  sich  enthaltt, 
vnd  di  selben  darum ,  das  si  ein  zergsenchleich  chron  enphahen ;  5 
awer  wir  ein  vutzergseuchleichew.  darum  lauff  ich  also  nicht  sam 
auf  ein  vngewiss,  also  streit  ich  nicht  sam  den  wint  slahuud;  sun- 
der ich  chestig  meinu  leichnam  vnd  zu  dienst  ich  in  pring,  das 
icht,  wenn  ich  den  andern  predig,  ich  vnfrum  [28'']  werde,  ich  wil 
nicht  ew  nicht  wissen,  prueder!  wand  ewr  vseter  all  vnder  dem  10 
gwolchen  gewesen  sind  vnd  all  das  mer  durch  gangen,  vnd  all  in 
Moysi  getauft  sind  in  dem  gwolken  vnd  im  mer,  vnd  all  das 
selb  geistleich  essen  geessen  habent,  vnd  all  das  selb  geistleich 
tranch  getrunken  haben  —  si  trunkhen  awer  aus  dem  geistleichen 
stain  in  begreiffund;  aber  der  stain  was  Christus.  15 

Das  ewangelij  —  Matheus*. 

lesus  sprach  zu  seinn  lungern:  „das  hlmelrelch  ist  geleich 
oim  hauswlert,  der  des^  margens  aus  get  mieten  werchlewt  in  seinn 
Weingarten,  do  er  gedingt  het  mit  den  [29°^]  werchlewten  zu  aym 
tag  vm  aym  phenlng,  do  sant  er  sew  in  seinn  Weingarten,  vnd  zu  20 
der  dritten  weil  gie  er  awer  aus  vnd  sach  an  dem  markt  ander 
sten  muessig  vnd  sprach  zu  den:  „get  auch  ir  in  den  Weingarten, 
vnd  was  recht  ist,  das  gib  ich  ew."  di  gingen  auch  hin.  do  gie 
er  aber  aus  vm  sext   vnd  non  zeit  vnd  tet  allsam.     zder  aindleften 

1)  Evang.  11,  25  —  30.  2)  Hs.  all'a.  .1)  1.  Brief  an  die  Corinther  9, 

24  —  10,5.        i)  Evang.  20,  1-^-16. 

ZElTSnUR.    F.    DEUTSCHE    PHII.OT-OGIK.      BD.    XII.  2 


18  STEJSKAL 

25  weil  gie  er  awer  aus  vnd  vand  ander  sten  vnd  sprach  zu  den: 
„wes  stet  ir  hie  all  deu  tag  raüessig?"  si  sprahen:  „vns  dingat 
niemen."  er  sprach  zu  in:  „get  auch  ir  in  den  Weingarten."  do 
is  do  spet  ward,  do  sprach  der  herr  zu  dem  schaf  [29*"]  fer:  „rueff 
den  werchlewten  vnd  gib  in  ir  Ion  vnd  heb  au  datz  dem  iungsten 

30  vntz  hintz  dem  ersten,"  vnd  do  is  chom  an  die,  di  vm  den  abent 
waren  chomen  in  den  Weingarten,  do  enphie  ir  igleicher  ainn  phe- 
ning.  do  is  do  an  di  ersten  chom ,  wolten  sie  wsennen ,  das  si  mer 
solten  haben ;  do  enphie  auch  igleicher  aynn  phening.  vnd  do  si 
enphingen,    do   murmelten  si   wider   den  hauswiert  sprechuud:    „di 

35  lessten  habent  ein  weil  gewarcht  vnd  du  hast  sew  vns  geleichet  an 
dem  Ion,  di  do  haben  getragen  di  puerd  des  tages  vnd  der  hitze." 
des  antwurt  er  ir  ainem:  „vrewnt!  [30*]  ich  tuen  dir  nicht  vnrecht; 
du  dingtest  mit  mir  nicht  mer  denn  vm  aym  phening.  nim ,  das 
dein  sei,    vnd  ge;    ich  wil  den  lösten  geben  als  vil  sam  dir.     oder 

40  zimt  mir  nicht  zetuen,  das  ich  wil?  oder  dein  aug  ist  ein  schalk, 
wann  ich  pin  guet?  also  werdent  di  lesten  di  ersten  vnd  di  ersten 
di  lessten;  vil  sind  geladen,  awer  ir  sein  wenich  erweit." 

XIX. 

Di  letzen  am  suiitag  do  nach  —  Paulus  i. 

Prueder!  gern  leit  ir  di  vnwitzigen  vnd  ir  doch  selb  witzig 
seit,  wand  ir  dultt,  wer  ew  in  dienst  pringt,  wer  ew  isst,  wer 
ew  nimt,  wer  sich  erhebt,  wer  ew  ans  antlutz  siecht.  [SC*]  nach 
5  der  vnedel  rede  ich,  als  wier  chrank  sein  gewesen  au  dem  tayl; 
in  weu  lernen  getar  —  in  vnweishait  red  ich  —  in  dew  getar  auch 
ich.  Hebrei  sinds,  vnd  ich;  Israheliteu  sinds,  vnd  ich  auch;  der 
sam  Abrahe  sinds ,  vnd  auch  ich ;  diener  Christi  sinds ,  vnd  ich 
auch  —  als  minne  weis  red  ich  —  ich  noch  mer ;  in  mer  arwaiten, 

10  entzichleich  in  charchern,  in  siegen  über  di  mass,  in  tceden  ent- 
zichleich.  von  den  luden  fünstund  viertzich  ains  minner  hau  ich 
gellten.  2  dreistund  mit  gerten  pin  ich  geslagen,  ains  pin  ich 
gestaint,  dreistund  schefbrüch  hau  ich  gellten,  nacht  vnd  tag  in 
[31*]  der  tieff  des  mores  pin  ich  gebeseu,  aufwogen  dikh,  in  schse- 

15  den  der  wasser,  in  noeten  der  Schacher,  in  nceten  aus  der  gemain, 
in  noeten  von  den  dieten,  in  noeten  in  der  stat,  in  nceten  in  der 
aingsecht,  in  noeten  auf  dem  mer,  in  noeten  von  falschen  pruederu, 
in  arbait  vnd  schceden,   in  vil  wachens,  in  hunger  vnd  dursste,  in 

1)  2.  Brief  an  die  Corinther  11,  19—12,  9.  2)   Am  linken  runde  der 

Seite  von  jüngerer  hand  genern. 


ALTDEUTSCHE   PERIKOPEN  19 

vil  uasten,  in  chelten  vnd  naktum,  awer  an  di  äussern  dinch  mein 
taegieicher  anstant  ist,  di  fleissicbait  aller  chircheu.  wer  ist  siech,  20 
vnd  ich  nicht  siech  pin?  wer  wiert  geschent,  vnd  ich  nicht  wird 
geprant?  ob  ich  mues  gewden,  di  von  meiner  chrankhait  sind  gewd 
ich.  got  der  vater  vnsers  herren  [Sl**]  lesu  Christi,  dem  wol  ist 
gesprochen  iu  weit,  der  wais,  das  ich  nicht  lewg,  in  Damasco  der 
probst  des  folkhs  chnnigs  Arethe  der  huettat  der  stat  Damascenorum,  25 
das  er  mich  begriffe;  vnd  durch  ein  uenster  iu  eim  charb  über  di 
maur  ward  ich  aus  gelassen  vnd  also  entran  ich  seinn  hanten.  ob 
ich  gewden  mues  —  zwar  is  zimt  nicht  —  ich  chüni  awer  zu  den 
gesiebten  vnd  offnung  des  herren.  ich  wais  ein  menschen  in  Christo 
var  viertzehen  iaren  —  oder  im  leichnam  oder  aus  dem  leichnam  30 
wais  ich  niclit ,  got  waiss  —  getzukten  den  selben  vntz  in  den  drit- 
ten himel;  vnd  ich  wais  den  selben  [32*]  menschen  —  oder  im 
leichnam  oder  ausem  leichnam  wais  ich  nicht,  got  waiss  —  wand 
er  getzukt  ist  ins  paradys  vnd  hart  di  gehaimen  wart,  di  nicht 
ziment  dem  menschen  zereden.  durch  des  willen  gewd  ich;  durch  35 
mein  willen  aber  nicht  nuer  in  meinn  chrankaiten.  wann  ob  ich 
Avil  gewden ,  ich  wird  nicht  vnweis ,  wann  di  warhait  sag  ich ;  awer 
ich  uertrag,  das  iement  w?en  über  das,  das  er  an  mir  siecht  oder 
hoert  icht  von  mir.  vnd  das  icht  di  groes  der  offnung  mich  erheb, 
ist  mir  geben  ein  stechaer  meins  fleischs,  der  engel  Sathane,  das  40 
er  mich  halsslach.  vni  das  hau  ich  dreistuud  den  herren  gepeten, 
das  er  entwich  [32'' |  von  mir.  vnd  er  sprach  zu  mir:  „genüe  dich 
nieinr  genad,  wann  tugent  in  chrankait  wirt  uolpracht."  dar  um 
gewd  ich  gern  in  meinn  siechtümen,  das  in  mir  won  di  tugent 
Christi. 

Das  ewangelij  des  selben  tags  —  Lucas  ^  45 

Do  ein  michel  menig  chom  zu  lesu  vnd  von  den  steten  eyl- 
ten  zu  im,  do  sprach  er  ein  pispel:  „der  akherman  gie  aus  säen 
seinn  sam;  vnd  do  er  gesset,  do  viel  ain  sam  pei  dem  wege  vnd 
ward  uertreten  vnd  assen  in  auch  di  vogel.  vnd  ein  ander  sam 
viel  auf  di  stain ;  vnd  do  is  bechom ,  do  darret  is ,  wann  is  het  der  50 
fewcht  nicht,  vnd  ein  ander  sam  viel  in  di  darn  vnd  giengen  di 
[33*]  darn  do  mit  auf  vnd  erstekten  den  samen.  vnd  ein  ander 
sam  viel  auf  ein  guet  erdreich  vnd  pracht  hundertfaltig  vrucht." 
do  er  das  gesprach,  do  rief  er:  „der  aren  hab  zehörn,  der  hoer." 
sein  iunger  vragten  in,  was  das  pispel  wser,  do  sprach  er  zu  in:  55 
„ew   ist  gegeben   zu   wissen  di   betzaichnung   des  gotes  reich;   den 

1)  Evang.  8,  4  — 15. 


20  STEJSKAL 

andern  au  pispeln,  das  si  sehund  nicht  sehen  vnd  horunde  nicht 
uernemen.  also  ist  das  pispel:  der  sam  ist  das  gotswart.  der  do 
uellet  zu  dem  wege,    das  sind  di  das  gotes  wart   hcerent;    do  nach 

60  chümt  der  tiefel  vnd  uimt  is  von  ir  hertzeu ,  das  si  gelaubund  nicht 
sselig  werden,  das  [SS**]  awer  do  uelt  auf  den  stain,  das  sind  di^ 
di  das  wart  hcerent  vnd  is  mit  frewden  enphahent;  vnd  di  habent 
der  wurtzen  nicht ,  wann  si  gelaubent  zu  churtzer  zeit  vnd  werdent 
uerchert  von  der  becharung.     das  awer  wellet  in  di  darn,   das  sind 

65  di  is  hoirent  vnd  von  den  sargen  vnd  von  dem  reichtum  vnd  von 
der  Wollüste  des  leibes  sterwent  si  vnd  pringent  nicht  vrucht.  das 
awer  uellt  in  di  gueten  erd,  das  sind  die  mit  gueten  vnd  aller 
pesten  hertzen  vnd  mit  rainem  rauet  horent  das  gotswart  vnd  is 
auch  behaltent,  di  pringent  mit  gedult  di  vrucht. 

XX. 
Di  letzen  1  des  sunutags^  [34*]  ze  uasnaeht  —  sand  Paul^. 

Prüeder !  ob  ich  mit  zungen  der  menschen  vnd  der  engel  redset, 
sunder  hab  ich  nicht  di  lieb,  ich  pin  wardeu  als  ein  doenund  glok- 
speis  oder  ein  chlingunde  cymbal.  vnd  ob  ich  hau  den  weissagtum 
5  vnd  bechenn  alle  gehaim  vnd  all  chunst;  vnd  ob  ich  hab  allen 
glauben,  also  das  ich  di  perg  Übertrag,  sunder  hau  ich  nicht  di 
lieb ,  nichtes  pin  ich.  vnd  ob  ich  tail  in  essen  der  arm  all  mein 
hab,  vnd  ob  ich  gib  meinn  leichnam,  also  das  ich  prinne ,  suuder 
hab  ich  di  lieb,    nicht   nitsnicht   frumts   mir.     di  lieb   ist  gedultig, 

10  güetig  iss;  di  lieb  nicht  nei  [34"]  det ,  si  würcht  nicht  Übels,  nicht 
plset  si  sich,  si  ist  nicht  begierig,  nicht  suecht  si  das  ir  ist,  si 
wiert  nicht  geraitzt,  si  gedenkht  nicht  Übels,  nicht  vrewt  si  sicli 
über  di  pashait,  awer  si  mit  vrewt  der  warhait;  alle  diuch  über 
traits ,   alle  gelaubts ,  allew  gedingts ,    alle  leits.     di  lieb  ueltt  nim- 

15  mer  aus,  ob  di  weissagtum  werdent  gelsert  oder  di  zungen  horent 
oder  di  chunst  zenicht  wiert.  wann  aus  aim  tail  erchenn  wir  vnd 
aus  aim  teil  weissa  wir,  awer  wenn  nu  chumt  das  uolchomen  ist, 
so  wiert  gelaert  das  aus  dem  tail  ist.  do  ich  was  chlain,  do  redt 
ich  als  ein  chlainrr,  [35*]  ich  uerstuend  als  ein  chlainr,  ich  gedacht 

20  als  ein  chlainr;  awer  do  ich  pin  warden  ein  man,  hau  ich  aus 
gelsert  was  des  chlainn  was.  wier  sehen  nu  durch  ainen  spiegel; 
awer  dann  von  angesicht  zu  angesichte.  nu  erchenn  ich  aus  dem 
tail ,  aber  denn  wierd  ich  erchenuen ,  als  ich  erchant  pin.  nu  beleibt 
der  gelaub,    der  geding  vnd  di  lieb,   di  drew;    awer  das  merer  der 

25  ist  di  lieb. 

1)  Hs.  letz.        2)  Hs.  suuu.        3)  1.  Brief  an  die  Corinther  13,  1  —  13. 


ALTDEUTSCHK   PERIKOPEN  2X 

Das  ewangelij  —  Matheus'. 

lesus  nam  zu  im  di  zwelf  sein  iunger  vnd  spi;icli:  „wir  choe- 
men  auf  zu  lerusalem  vnd  wirt  geendet  alles,  das  geschriben  ist 
von  den  weissagen  von  des  menschen  sun.  er  wiert  ge  [30'']  geben 
den  dieten  vnd  wiert  uerspott  vnd  gegayselt  vnd  uerspürtzt;  vnd  so 
si  in  gegayselnt,  so  toettent  si  in  vnd  er  erstet  des  dritten  tages." 
das  wart  was  uerpargen  var  in  vnd  si  uerstuenden  des  nichsnicht, 
das  gesprochen  ward,  is  geschach ,  do  er  naheut  zu  Yericho ,  do  sas 
ein  plinter  pey  dem  wege  vnd  pat  das  allmuesen.  vnd  do  er  hart 
di  schar  vür  gen,  do  vragt  er,  was  do  wsev.  si  sagten  im,  is  wser  35 
lesus  von  Nazareth.  do  er  viir  gie,  do  rnefft  er  im:  „lesus  Dauids 
sun ,  erparm  dich  über  mich ! "  vnd  di  var  gingen ,  di  strafften  in, 
das  er  swig.  er  rM't  awer  michels  [36*]  mer:  „Dauids  sun,  erparm 
dich  über  mich!"  lesus  stuend  vnd  hies  in  weisen  zu  im  vnd  do 
er  im  nahent,  do  vragt  er  in:  „was  wild,  das  ich  dir  tue?"  der  40 
plint  sprach:  „herre,  das  ich  gesech."  lesus  sprach  awer  zu  iem: 
„siech  auf,  dein  gelaub  hat  dich  gesunt  gemacht."  vnd  so  zehant 
gesach  er  vnd  uolgt  im  nach  vnd  lobt  got.  alles  folkh,  das  is 
gesach ,  das  gab  got  glori. 

XXL 

Di  letzen  des  ersten  suntag^es  in  der  uassten  —  sand  Paul  2. 

Prüder!  wir  manu  ew,  das  ir  icht  eytel  di  genad  gotes  en- 
phacht.  wann  er  sprach :  in  der  gensemen  zeit  er  [36'']  hart  ich  dich 
vnd  an  dem  tag  des  hailes  half  ich  dir.  nemt  war  di  gensem  zeit, 
nu  ist  der  tag  des  hailes!  niemen  gebt  chain  laidigung,  das  nicht  5 
gescholten  werd  vnser  dienst;  sunder  in  allen  dingen  erpiet  wir  vns 
selbe  als  di  gotes  dieuer  in  vil  gedult,  in  truebsaln,  in  augsten,  in 
siegen,  in  charchern,  in  herferten,  in  arbaiten,  in  wachen,  in  uass- 
ten, in  chewsch,  in  chunst,  in  langmüetichait ,  in  süessichait,  im 
heiligen  geist,  in  vngetichter  lieb,  im  wart  der  warhait,  in  der  10 
tugent  gotes,  durch  di  waften  der  rechtichait  zu  der  zesem  vnd  zu 
der  letzen ,  durch  di  glori  vnd  vu  [37*]  edelhait ,  durch  den  vnleunt 
vnd  gueten  leunt;  recht  als  betrieger,  vnd  warhaft;  recht  als  di 
vnerchanten,  vnd  doch  erchaut;  als  die  taden,  vnd  secht,  wir  leben; 
als  di  gechestigten ,  vnd  doch  nicht  getoett;  als  di  traurigen,  awer  15 
all  zeit  vroeleich ;  als  dew  dürftigen ,  awer  vil  reichund ;  als  nichs- 
nicht habund,  vnd  alle  besitzund. 

1)  Evang.  Luccb  18,  31  —  43.        2)  2.  Brief  an  die  Corinther  6,  1  —  10. 


22  STEJSKAIi 

Das  ewangelij  —  Matlieus*. 

lesus  ward  gefiirt  in  di  wuesst  von  dem  heiligen  geist ,  das  er 

20  wurde  becbart  von  dem  tiefel.  vnd  do  er  gefasst  viertzk  tag  vnd 
viertzk  nacht,  do  nach  hungert  in.  vnd  der  uersuecher  chom  zu  im 
vnd  sprach:  „ob  dus  pist  der  gotes  sun,  so  ge  [37'']  peut,  das  di 
stain  werden  prat.."  des  antwurt  im  lesus:  „is  ist  geschriben,  das 
der  mensch  nicht  lebe  alaine  des  prates,  sunder  eins  igleichen  war- 

25  tes,  das  do  chomund  ist  von  dem  munde  gotes."  do  nam  in  der 
tiefel  mit  im  in  di  heilig  stat  vnd  setzt  in  auf  di  hoech  des  tem- 
pels  vnd  sprach  zu  im :  „  pistus  der  gotes  sun ,  so  la  dich  hin  nider ; 
is  stet  geschriben:  er  hab  dich  seinn  eugelen  enpholhen,  vnd  di 
tragen   dich  auf  iren  beuten,    das  du  deinn  fues  icht  laidigest  am 

30  stain."  do  sprach  lesus  awer  zu  im;  „is  ist  geschriben:  du  uer- 
suech  nicht  deinn  herreu  vnd  deinn  [38*]  got."  der  tiefel  nam  in 
awer  vnd  fuert  in  mit  im  auf  einn  haben  perkh  vnd  zaigt  im  alle 
reich  dierr  weit  vnd  ir  ere  vnd  sprach  zu  im:  ,,das  alles  gib  ich 
dir,    ob   du  nider  uellest   vnd  pettest   mich  an."     do  sprach  lesus 

35  zu  im:  „ge  hin,  Sathanas,  is  ist  geschriben:  deinnen  herren  vnd 
deinn  got  an  pette  vnd  im  ayn  dien."  do  lies  in  der  tiefel  vnd 
gingen  zu  im  di  engel  vnd  dienten  im. 

XXII. 
Di  letzen  am  andern  snnntag  —  sand  PauP. 

Prueder!  wir  pitten  ew  im  herren  lesu  vnd  vlegen ,  als  ir 
enphangen  habt  von  vns,  wie  ir  muesst  wandern  vnd  gefallen  got, 
als  auch  ir  wandert,  [38"]  das  ir  mer  genueget.  ir  wisst,  welhew 
5  gepot  ich  ew  geben  hab  durch  den  herren  lesum.  wann  das  ist  der 
wille  gotes,  ewr  heiligung;  das  ir  ew  enthalt  var  vnchewsch,  das 
chünn  ewr  igleicher  sein  vas  besitzen  in  heiligung  vnd  eren,  nicht 
in  leiden  der  begier  als  di  diet,  di  nicht  bechennent  got;  vnd  das 
niement  überge  oder  betrieg  in  geschäft  seinn  prueder;  wann  ein 
10  recher  ist  got  von  den  allen,  als  wir  ew  var  gesaget  haben  vnd 
betzewgt  haben,  waun  ew  nicht  got  geladen  hat  in  vnrainchait, 
sunder  in  heiligung  in  Christo  lesu  vnsern»  herren. 

Das  [39»]  eAvaug-elij  ~  Matheus''. 

lesus   gie   in   das   laut  Tyri  vnd  Sydonis.     vnd  ein  weib  von 
15  dem  geslsecht  Chanaan  aus  dem  selben  laut  di  rueft  in  an:   „herr, 

1)  Evang.  4,  1  —  11.    2)  1.  Brief  an  die  Thessalonicher  4,  1  —  7.    3)  Evang. 
15,  21  —  28. 


ALTDEUTSCHE   PEKIKOPEN  23 

üauidüs  sun ,  erpariii  dich  über  mich !  mciu  tachier  wiert  übel  gemüct 
von  dem  tiefel."  des  antwurt  er  ir  nicht,  des  gingen  sein  iunger 
zue  vnd  paten  in  sprechund:  „la  sei,  wann  si  schreit  vns  nach." 
des  antwnrt  in  lesus:  „ich  pin  nicht  gesant  wenn  zu  den  schaffen, 
di  uerdarben  sind  von  dem  haus  Israel."  do  chom  das  weib  und  20 
pat  in  sprechund  zu  im:  »herr,  hilf  mir!"  er  antwurt  ir:  „is  ist 
nicht  guet  zenemeu  der  chinde  prat  vnd  geben  [39"]  den  hunden." 
do  sprach  das  Aveib:  „ja,  herr,  wann  di  hüntel  essent  dew  prasera, 
di  do  uallent  von  ir  herren  tisch."  des  antwurt  ir  awer  lesus  vnd 
sprach:  „weib,  gras  ist  dein  gelaub;  dir  geschech  was  du  wellest."  25 
vnd  an  der  selben  weil  ward  ir  tachter  gesunt. 

XXIII. 
Di  letzen  am  dritten  suutag  —  sand  Paul*. 

Prueder!  seit  di  nachuolger  gotes  als  di  liebsten  süu,  vnd 
wandert  in  lieb ,  als  Christus  vns  lieb  hat  gehabt  vnd  gab  sich  selb 
vm  vns  ein  opher  vnd  ein  prant  opher  got  in  den  gesmachen  der 
süessichait.  awer  vnchewsch  vnd  alle  vnrainchait  oder  geitichait  5 
sol  [40"]  in  ew  nicht  genant  werden,  als  gezimt  di  heiligen;  oder 
pasheit  oder  toerleichew  rede  oder  vmlauffung,  di  zu  den  dingen 
nicht  gehorent,  sunder  mer  di  genad  tueung.  wann  das  wisst  uer- 
steund,  das  ein  igleich  vnchewscher  oder  vnrainr  oder  geitiger, 
das  ein  dienst  ist  der  apgoetter,  nicht  erbes  hat  in  dem  reich  Christi  10 
vnd  gotes.  niemt  ew  betrieg  mit  eyteln  warten;  wann  durch  das 
chom  der  zarn  gotes  in  di  sün  des  vngediugens.  darum  sult  ir 
nicht  werden  ir  gemainer ;  wann  ir  wart  etwenn  ein  vinster ,  awer 
nu  ein  lieht  im  herren.  als  di  sun  des  liechtes  [40^]  wandert ;  wann 
di  vrucht  des  lichtes  ist  in  aller  güet  vnd  gerech tichait  vnd  warhait.  15 

Das  ewaugelij  —  saiid  Liicam-. 

lesus  treib  eimi  tiefel  aus,  der  was  ein  stumme,  vnd  do  er 
den  tiefel  aus  gewarf,  do  redt  der  stumme;  das  wundert  di  schar, 
is  sprachen  auch  ir  sümleich :  „  er  uertreibt  den  tiefel  mit  Beltze- 
bup,  der  ein  fürsst  ist  der  tiefel."  sümleich  uersuechten  in  vnd  wol-  20 
ten  von  im  zaichen  sehen  von  himel.  do  lesus  sach  ir  gedänkh 
do  sprach  er  zu  in:  „ein  igleich  reich,  das  wider  sich  selb  ist, 
das  zerget  vnd  uellt  ain  haus  auf  das  ander,  vnd  ob  [41*]  der  tie- 
fel wider  sich  selb  ist,  wie  gestet  sein  reich,  wann  ir  sprecht,  das 
ich  mit  dem  fürssteu    der  tiefel    die  poesen  geist  uertreib?     vnd  ob  25 

1)  Brief  an  die  Ephesier  5,1  —  9.        2)  Evang.  11,  14  —  28. 


24  STEJSKAL 

ich  mit  Beltzebup  uerfcreib ,  mit  wem  uertreibent  sew  denn  ewr  sün  ? 
do  von  werdent  si  richter  über  ewch.  ob  ich  mit  dem  lieiligen 
geist  den  tiefe!  uertreib,  so  chitmt  in  ew  das  gotes  reich,  so  der 
starkh  gewaften  seinnes  hauss  huett,  so  ist  alles  das  mit  vrid,   das 

30  er  hat  besessen,  chimt  awer  ein  sterkherr  denn  er  vnd  über  win- 
det in ,  er  nimt  im  alls  sein  waften ,  zu  dem  er  het  zueuersicht. 
vnd  seinn  raub  den  tailt  er.  der  [41''J  mit  mir  nicht  ist,  der  ist 
wider  mich;  vnd  der  nicht  sanmiet  mit  mir,  der  strewt.  so  der 
pces  geist  aus   dem  menschen  fert,   so  fert   er  vm  die  wsesserigen 

35  stet  vnd  suecht  rue ;  vnd  so  er  ir  nicht  vint ,  so  spricht  er :  ich 
chum  wider  in  mein  haus,  dar  aus  ich  pin  gefarn.  vnd  so  er  aber 
chümt,  so  vindt  er  is  mit  pesem  geraiuigt  vnd  getziret.  so  nimt 
er  dennoch  zu  im  siben  ander  geist,  wirserr  denn  er,  vnd  varent 
dar   in   vnd  wouent  do;    vnd   sind   des   menschen  lesste  tag  wirser 

40  denn  sein  erste."  is  geschach  do  lesus  also  redt,  das  ein  weib  ir 
stimm  auf  hueb  von  [42"]  den  scharn  vnd  sprach  zu  im :  „derpaucli 
sei  sailig,  der  dich  trueg,  vnd  di  pruste,  di  du  saugtest."  vnd  er 
sprach:  „das  ist  also;  auch  sind  sselig,  di  do  horent  das  gotes 
wart  vnd  das  behutent." 

XXIV. 

Di  letzen  ze  mitter  uassteu  —  sand  Paul  K 

Prueder!  is  ist  geschriben,  das  Abraham  het  zwen  sün:  aynn 
von  der  diern  vnd  ain  von  der  vreyn.  sunder  der  von  der  diern 
ist  geparn  von  dem  fleisch,  aber  der  von  der  vreyn  ist  geparen 
5  dur  di  gehaisse.  dew  sind  gesprochen  durch  gleichnüsse ;  wann  das 
sind  die  zwai  geschajft:  das  ayn  an  dem  perg  Syna,  das  in  dienst 
[42**]  gepiert,  dew  ist  Agar;  wann  Syna  ist  ein  perkh  in  Arabia, 
der  zue  gefüegt  ist  ir,  di  nu  ist  lerusalem  vnd  dienuet  mit  ireu 
sünn.     awer  die  di  oben   ist  lerusalem  ist  vrey,   di  ist  vnser  mue- 

10  ter.  wann  is  ist  geschriben :  vrew  dich ,  vnfruchtparew !  di  du  nicht 
gepierst ;  prich  aus  vnd  schrey ,  di  du  nicht  gepierst ;  wann  vil  sein 
der  sün  der  uerwüssten  mer  denn  ir ,  di  do  man  hat.  awer  wir, 
prueder !  nach  Ysaac  gehaiss  sei  wir  sün ;  vnd  als  do  der  nach  dem 
vleisch  geparn  was  aechtat  den,  der  nach  dem  geist:  also  auch  nu. 

15  awer  was  spricht  di  schritt?  wierf  aus  di  diern  vnd  iren  sun; 
[43'1  wann  nicht  wiert  erb  der  diern  sun  mit  der  vreyen  sun.  zwar, 
prueder!  wir  sein  nicht  der  diern  sün,  sunder  der  vreyn,  mit  der 
vreyhait  vns  Christus  gelobst  hat. 

1)  Brief  an  die  Galuter  4,  22  —  31. 


ALTDEUTSCHE    I'ERIKOPflN 


25 


Des  suntag-s  ze  mitter  uasteii  das  ewaiigelij  lohamtcs '. 
Jesus   tiier    ze  Galylee   über  luer ,    das   genant  ist  Tyboriadis.  20 
vud  uolget  im  nach  ein  niiclilew  schar ,   wann  si  sahen  di  zaichen, 
di  er  begie  ob  den,  di   do  siech  warn,     er  gie  auf  ainn  perkli  vnd 
sas  do.     is  was  nahen  di  astern  zdeni  hachtzeitleichen  tag  der  luden, 
vnd  do  lesus  di  äugen  auf  liueb  vnd  sach ,  das  die  maist  menig  zu 
im  chom,  do  sprach  er  zu  seinem  iunger  Philippo :  „von  wem  chauff  25 
\i'6^]  wir  das  prat,   das  dise  geessen?'"     das  sprach  er  darum,  das 
er  in  uersuecht,   wann  er  wesst  wol,   was   er   tuen  solt.     des  ant- 
wurt  im  Pliilippus:    „zway  hundert  pheniug  wert   prates   gemieget 
in  nicht,    das  igleichem  ein  weuich  wurde.''     do  sprach  ainr  seiner 
iunger  zu  im,  der  was  genant  Andreas ,  Symonis  Petri  prueder:  „hie  30 
ist  ein  chind,    das  hat  fünf  giersteinew   prat  vnd  zwen  visch;    wie 
hach  hebt  awer  das  vnder  so  manigen?"  do  sprach  lesus:  „haisst  di 
lewt  sitzen."     do  lag  vil  hews  an  der  stat.     do  sassen  di  man,  der 
warn   an  der   zal   wol   fünf  tausent.     lesus   nam   di  prat  vnd  |44*] 
segent  sew  vnd  tailts  den,    di  do  sassen,   vnd  der  visch,  als  vil  si  35 
weiten,     do  si  Avurden  gesatt,    do   sprach  lesus   zu   seinu  iungern: 
„legt   zesamme   di   prasem,    di   do  über  sein  warden,    das  si  nicht 
verderben."     si  lasen  sew  zesamm  vnd   fülten  zwelf  chorb  mit  den 
prasem  von  den  fünf  giersteiuu  praten ,  di  do  über  sind  warden  den, 
di  do  assen.     do  di  lewt  sahen   das  zaichen,   das  er  begangen  het,  40 
do  sprachen  si :  „  er  ist  werleich  der  prophet ,  der  do  chomen  ist  in 
disevv  weit." 

XXV. 

Di  letzen  am  tympel  suntag-  —  saud  Paul-, 

Prueder !  Christus ,  der  peysteund  pisch  [44*']  olf  der  chünftigen 
güet,  das  witer  vnd  das  uolchomner  getzelt,  nicht  mit  der  hant 
gemacht,  das  ist  als  vil  gesprochen,  nicht  dierr  schephung,  noch 
mit  dem  pluet  der  poekh  vnd  der  chelper,  sunder  mit  seim  aygenn  5 
pluet  gie  er  ains  in  di  heilichait  vnd  ward  funden  di  ewig  erlasung. 
wann  ob  das  pluet  der  pcekh  vnd  der  stier  vnd  der  aschen  des 
chalbs  di  gemailigten  heiligt  zu  rainigung  des  vleischs,  michels  mer 
das  pluet  Christi ,  der  durch  den  heiligen  geist  sich  selb  geophert 
hat,  vngemailigt  got  hat  gerainigt  vnser  gewissen  von  den  taden  10 
werch  [45''J  en  ze  dienen  dem  lemtigen  got!  vnd  darum  ist  er  ein 
mitter  der  newen  e,  das  si  mit  dem  tade  ein  erlasung  der  übergeng, 
di  do  warn  vnder  dem  erern  geschseft ,  vnd  ein  gehaisse  enphahen, 
di  do  geladen  sind  dem  ewigen  erbtail  in  Christo  Jesu  vnserm  herren. 

1)  Evang.  6 ,  1  —  15.        2)  Brief  an  die  Hebräer  9,  11  — 15. 


26  STEJSKAL 

15  Das  ewaiigrelij  —  saiid  lohaimes'. 

lesus  sprach  zu  den  scharn  vud  zu  den  pischolfen:  „welher 
ewr  strafft  mich  von  der  sünden  ?  ob  ich  ew  di  warhait  sag ,  warum 
gehiubt  ir  mir  nicht?  der  von  got  ist,  der  hört  auch  gotes  wart; 
darum  beeret  ir  des  nicht,  wann   ir  seit  von   got  nicht."     di  luden 

20  antwurten  sprechuud:  „du  pist  recht  ein  Sama  [45'']  ritanus  vnd  pist 
behaft  mit  dem  tiefel."  in  antwurt  lesus:  „ich  han  nicht  den  tie- 
fel,  sunder  ich  er  meinen  vater  vnd  ir  habt  mich  geunert.  ich 
suech  nicht  mein  glori;  er  ist  ders  suecht  vnd  rieht,  werleich, 
werleich  sag  ich  ew,  wer  meine  wart  behallt,  der  siecht  ewichleich 

25  nicht  den  tad!"  do  sprachen  di  luden:  „nu  wisse  wir  wol,  das 
du  behaft  pist.  Abraham  ist  tad  vnd  weissagen,  vnd  sprichstu: 
wer  meine  wart  behalt,  der  gesiecht  ewichleich  nicht  den  tad!  oder 
pistu  merr  denn  vnser  vater  Abraham,  der  tad  ist?  vnd  weissagen 
sind  auch  tad.     wen  machs  [46*]  tu  aus  dir  selben?"    des  antwuert 

30  in  lesus:  ,,ob  ich  mich  selben  ere,  so  ist  mein  er  enwicht;  mein 
vater  ist  is,  der  mich  eret,  den  ir  do  sprecht,  er  ist  vnser  got. 
vnd  ir  bechent  sein  nicht;  ich  erchenn  in  awer  wol;  vnd  spreechich, 
das  ich  sein  nicht  erchant ,  so  wurd  ich  ein  lugner ,  als  ir.  ich  erchenn 
in  vnd  behalt   seine  wart.     Abraham ,   ewr  vater ,   vrewt  sich ,   das 

35  er  gessech  mein  tag;  den  sach  er  vnd  ward  gevrewt."  do  sprachen 
di  luden:  „du  hast  noch  nicht  funftzik  iar  vnd  hast  Abraham 
gesehen?"  lesus  sprach  awer  zu  in:  „werleich,  werleich  sag  ich 
ew ,  e  das  Abraham  waer  ^,  [46'']  do  pin  ich ! "  do  hueben  si  stain 
auf,  das  si  in  wuerften;  lesus  parg  sich  vnd  gie  aus  dem  tempel. 

XXVI. 
Di  letzeu  am  pluemastertag  zum  ampt  —  sand  Paul  3. 

Prüeder!  des  enphint  in  ew,  das  do  ist  in  Christo  lesu.  do 
er  in  der  gestalt  gotes  was,  nicht  in  raub  uerwant  er  sich  geleich 
wesen  got;  sunder  sich  selb  uerwandelt  er  di  gestalt  des  chnechtes 
5  an  sich  nemuud,  in  gleich  uüss  des  menschen  warden  vnd  mit  der 
handlung  funden  als  ein  mensch,  er  dienmuetigt  sich  selb  vnd 
ward  geharsam  vutz  inn  tad,  halt  in  den  tad  das  chrewtz.  darum 
hcech  [47*]  at  in  got  vnd  gab  im  einen  nam,  der  ist  über  all  nam, 
das  in  dem  nam  lesu  alls  chnie  gepogen  werde  der  himlischen 
10  vnd  der  ierdischen  vnd  der  helle  vnd  das  alle  zuuge  uergech,  wann 
der  herr  lesus  Christus  ist  der  glori  got  des  vater. 

Dem  ewangelij  gelelch  vindestu  ain  ersten  suntag  des  aduentes. 

1)  Evany.  8,  46  —  59.        2)  Hs.  w'.        3)  Brief  an  die  Philipper  2,  5^  11. 


ALTDEUTSCHE   PERIKOPEN 


27 


XXVII. 

DI  letzen  am  autlas  tag-  —  sand  Paul '. 

Piücder!  wenn  ir  zesamnie  choemt,  so  ist  yotzund  iiiclit  zeit 
das  herleich  abeiitmal  zu  essen,  ein  i gleicher  getar  wol  sein  abent- 
mal  essen;  awer  ainr  der  ist  hungerig,  und  der  ander  der  ist  truu- 
khen.  habt  ir  nicht  hewser  zu  essen  vnd  zu  trink  [47'']  en?  oder  5 
smaicht  ir  di  chirchon  gots  vnd  schendet  se,  di  ir  nicht  habeutV 
was  sag  ich  ew  ?  ich  lob  ewch  ?  an  dew  lob  ich  ew  nicht,  wand  ich 
han  genomeu  vom  herren,  das  ich  ew  gegeben  han.  wann  der  herre 
lesus  an  der  nacht,  vnd  er  uerraten  ward,  nam  er  das  prat  vnd 
prachs  vnd  sprach:  das  ist  mein  leichnam,  der  vor  ew  gegeben  10 
wiert;  das  tuet  in  meinr  gedajchtniisse !  alsam  den  chelch,  do  er 
geas ,  vnd  sprach :  der  ehelich  ist  ein  news  geschaäft  in  meini  pluet ; 
das  tuet ,  als  offt  ir  das  trinkt  in  meinr  gedsechtnüsse !  wann  [48"] 
als  dikh  ir  das  prat  esst  vnd  den  chelch  trinkt ,  den  tad  des  herren 
chundet  ir  vntz  das  er  cbümt.  zwar  welher  ist  das  prat  oder  trinkht  15 
den  ehelich  des  herren  vnwierdichleich ,  der  wiert  schuldig  des  leich- 
nam vnd  des  pluets  des  herreu.  bewahr  aber  sich  selb  der  mensch ; 
vnd  also  esse  des  prates  vnd  trinchk  des  chelchs.  wann  wer  isst 
oder  trinkt  vnwierdikleich,  das  gericht  isst  vnd  trinkt  er  im,  nicht 
richtund  den  leichnam  des  herren.  darum  vnder  ew  sind  chranker  20 
vnd  chlainmüetiger  vnd  slaffent  ier  vil.  vnd  ob  wir  vns  selb  rich- 
tseten,  zwar  wir  wurden  nicht  gericht.  [48**]  awer  wenn  wir  gericht 
werden,  von  dem  herren  werd  wir  gestrafft,  das  wir  icht  mit  dierr 
weit  uerdamt  werden. 

Das  ewang-elij  —  lohaiines^.  25 

Var  dem  heiligen  tag  der  astern  wesst  lesus  wol ,  das  chomen 
was  sein  zeit,  das  er  fiier  von  diser  weite  zu  dem  vater,  do  er  lieb 
het  di  seinn  di  in  der  weit  waren,  do  het  ers  lieb  vntz  ins  ende, 
vnd  do  si  geassen,  do  het  der  tiefel  gesant  in  ludam  Symonem 
Scariothium  hertz,  das  er  in  uerchauft;  vnd  wesst  wol,  das  is  im  30 
sein  vater  gab  alles  in  sein  heut  vnd  das  er  chom  von  im  vnd  get 
zu  got:  do  stuend  [49'']  er  auf  von  dem  tisch  vnd  legt  von  im  sein 
gewant  vnd  nam  ein  twehel  vnd  giierrt  sich  do  mit.  dar  nach  gas 
er  wasser  in  ein  pekhe  vnd  begunde  der  iunger  füesse  twahen  vnd 
trukhenu  mit  der  twehel,  mit  der  er  sich  geguerrt  het.  vnd  do  35 
er  chom  zu  Symon  Petro,  do  sprach  zu  im  Symon  Petrus:  „herr, 
du  twechst  mir  mein  fuesse  ? "  des  antwurt  im  lesus  vnd  sprach  zu 

1)  1.  Brief  an  die  Corinther  11,  20  —  32.        2)  Evcmg.  13,  1  —  15. 


28  STEJSKAL 

im:  „das  ich  do  tuen,  des  waistu  nicht  uu ;  awer  hernach  so  wur- 
destu  is  wissund."     do  sprach  awer  Petrus:  „du  twechst  mein  füess 

40  nimmer  ewichleich ! "  des  antwurt  im  lesus:  „vnd  ob  ich  dich  [49"] 
nicht  wasch,  so  hastu  nicht  tail  mit  mir,"  do  sprach  awer  zu  im 
Symon  Petrus:  „herr,  nicht  alain  di  fiiesse,  sunder  di  hent  vnd  das 
haubt."  do  sprach  zu  im  lesus :  „  der  gewaschen  ist,  der  endarf  nicht, 
wenn  das  man  im  di  fuesse  twach,   vnd  ist  denn  gar  rain.     vnd  ir 

45  seit  rain,  nicht  alle."  er  wesst  wol,  wer  der  was,  der  in  wolt  uer- 
raten.  darum  sprach  er:  „ir  seit  nicht  all  rain."  do  er  gewuesch  ir 
fuess  vnd  er  genam  sein  gewant  vnd  das  er  gesas,  do  sprach  er  zu 
in:  „wisst  ir,  was  ich  ew  getan  habe?  ir  haist  mich  maister  vnd 
herr  vnd  sprecht  dar  [50"]  an  wol;  wann  ich  pius.     ob  ich  maister 

50  vnd  herr  twach  ewr  fuesse,  alsam  sült  auch  ir  an  ein  ander  waschen 
di  fuess.  ich  han  ew  gegeben  ein  pilde;  als  ich  ev^^  getan  hab, 
also  tuet  auch  ir!" 

XXVIII. 
Di  letzen  am  aster  tag  —  Paul^. 
Prueder!    rainigt  das  alt  urhab,   das  ir  seit  ein  new  gespren- 
gung, als  ir  seit  derb;  zwar  vnser  asterlamp  Christus  ist  geophert. 
zwar  esse  wir  nicht  in  altem  urhab ,  noch  in  urhab  der  pashait  vnd 
5  der  schalchait,  sunder  in  den  derben  der  ainfaltichait  vnd  der  warhait. 

Das  ewangelij  —  Marcus  2. 

IVIaria  Magdalena  vnd  Maria  lacobi  vnd  Salo  [bO^]  mee  di 
chauften  weiroch,  vm  das  si  chömen  vnd  salbten  lesum.  vnd  vil 
vrue  eins  suntages  chomen   si  zu   dem   grab,    do  di  sunn  was  auf 

10  gegangen,  vnd  sprachen  zu  einander:  „wer  walget  vns  den  stain 
abe  dem  grab?"  vnd  sahen  wider  vnd  sahen  den  stain  ab  dem 
grabe  gewalcen;  er  was  gar  gras,  vnd  si  gingen  in  das  grab,  do 
sahen  si  einen  iüngiinch  sitzen  zu  der  rechten  hant  bedekt  mit  weis- 
sem   gewant    vnd  erchomen.     der    sprach  zu  in:    „furcht  ew  nicht, 

15  ir  suecht  lesum  von  Nazareth  den  gechrewtzteu ,  er  ist  erstanden; 
er  ist  hie  nicht,  secht  [bV]  di  stat,  do  si  in  hin  heten  gelegt,  get 
vnd  sagt  is  seinn  lungern  vnd  Petro ,  das  er  var  in  get  in  Galy- 
leam;  da  secht  ir  in,  als  er  ew  sagt." 

XXIX. 
Di  letzen  am  montag  an  zweit"  poten  puech''. 

In  den  tagen  Petrus  stuend  in  mitt  des  uolkhs  vnd  sprach: 
„man,  prueder!  ir  wisst,  das  das  wart  ist  warden  durch  allludeam; 

1)   1.  Brief  an  die  Corinther  5,  7  — 8.         2)  Evang.  16 ,  1  —  7.        3)  Ax)o- 
stelgesch.  10,  37  —  43. 


ALTDEUTSCHE  PERIKOPEN  29 

vncl  liebt  an  zu  Galylee  nach  der  taufte,  di  loliannes  gepredigt  hat; 
lesum  von  Nazareth  wie  in  got  gesalhet  hat  mit  dem  heiligen  geist  5 
vnd  mit  tugent;    der  durch  gangen   hat  woltueund  vnd   hailund  all 
gedrukten    von   dem   tiefel,   wann   got  was    mit  [51''|  im.     vnd  wir 
sein  oretzewff  aller,    di    er  getan  hat  in    dem   lante   der  luden  vnd 
lerusalem,  den  si  getoett  habent  hahund  an  das  holtz.    den  erchükt 
got   am   dritten   tag  vnd   gab  in  chund  werden,   nicht  allem  uolkh   10 
sunder  den  vargeardenten  zewgen  von  got,    vns,    di  geessen  haben 
vnd  getrunkhen    mit  im,   do  nach  vnd    er  erstuend  vom  tad.     vnd 
er  gepat  vns    predigen    dem    uolkh  betzewgen,    wand    er   iss,    der 
gesatzt  ist  von  got  richter  lemtiger  vud  tader.     dem  geben  all  pro- 
pheten  zewgnüss  antlas  der  sunten  enphahen  durch  seimi  namen,  di  15 
do  au  in  gelaubent." 

[52*]  Das  ewangelij  —  Lucam^ 

Zwen  iunger  lesu   gingen   in  ein   castell,    das  was  von  leru- 
salem in  der  ferr  als  sechtzig  gwanten ;  das  hies  Emaus.     vnd  red- 
ten mit  einander  von  allen  den,  di  do  warn  geschehen,  vnd  geschach  20 
also,   do  si  redten  vnd  vragten  vnder  in,   do  nahent  lesus  vnd  gie 
mit  in.     ir  äugen  warn  bedakht ,  das  si  sein  nicht  erchanten.     vnd 
er  sprach  zu  in:  „was  red  ist,  di  ir  sprecht  zu  einander  geund  vnd 
seit  traurig?"    vnd  ainr  derantwurt,  der  hies  Cleophas ,  vnd  sprach 
zu  im :    „  du  pist   ein  ainig  pillgreim   in  lerusalem  vnd    hast   nicht  25 
erchant  was  da  ist  gesche  [52'']  hen  in  den  tagen?"     do  sprach  er 
zu  in:    „welhew?"   des  antwurten  si:    „von  Jesu  Nazareno,   der  do 
was  ein  man  prophet  gewaltig  an  red  vud  an  werchen  vnd  an  war- 
ten var  got  vnd  var  alleu  lewten;  vnd  wie  in  di  pischolf  vnd  vnser 
fursten   uerrieten   in    di   uerdamnnsse  des  tades  vnd   chrewtzteu  in.  30 
wir    uersahen  vns,    des   er   solt   erloesen  Israel,     liber  das  alles  ist 
heut  der  dritt  tag,  das  is  geschach.     vnd  siimleich  weih  der  vnsern 
di  erschrekten  vns,    di  warn  var  Hechts  do  zu  dem  grab  vnd  do  si 
des  leichnam  nicht  funden ,    do  chomen  si  vnd  sprachen ,   si  bieten 
di  engel  gesehen ,  di  bieten  in  gesagt,  [53*]  das  er  lebte,    vud  gin-  35 
gen  sümleich  der  vnsern  hin  zu  dem  grab  vnd  funden  is  also,   als 
di  weih  heteu  gesagt,     sein   selbs   funden  si   nicht."     do  sprach  er 
zu  in:    „owe    tumb   vnd   trseges   hertzen   zu  gelauben   in  alle  dew, 
das  di  weissagen  haben  gesprochen!    is  muest  sein,   das  Christ  das 
lid  vnd  also  chomen  in  sein  glori."     vnd  hneb  an  von  JVToysen  vnd  40 
von  alleu  weissagen  vnd  bedewt  in  di  schrift  in  all  den ,  di  von  im 
waren,     vnd  nahenten  dem  castell,  do  si  do  gegen  gingen;  vnd  er 

1)  Evang.  24,  13—35. 


30  STEJSKAL 

erpat  sich  ferrer  zegen.  vnd  si  noetten  in  sprechund:  „beleih  pey 
vns,  wann  is  ist  abeut  vnd  ist  der  löS*"]  tag  genaiget."     vnd  er  gie 

45  hin  mit  in  vnd  geschach ,  do  mit  in  gesas ,  do  nam  er  das  prat  vnd 
segent  is  vnd  prachs  vnd  gab  is  in  vnd  ir  äugen  wurden  offen  vnd 
erchanten  in;  vnd  er  uerswaut  var  ir  äugen,  vnd  si  sprachen  zu 
einander:  „pran  vnser  hertz  nicht  in  vns  von  lesu,  do  er  mit  vns 
redt  an  dem  wege  vnd  vns   offent   di  schrift?"     vnd   stuenden  auf 

50  an  der  selben  weil  vnd  cherten  wider  gen  lerusalem  vnd  funden 
pei  einander  di  aindlef  iunger  vnd  di  mit  in  warn  vnd  sprahen,  das 
gut  w£er  ^  erstanden  werleich  vnd  erschain  Symoni.  vnd  [54*]  di 
sagten,  das  er  an  dem  weg  was  gegangen  vnd  wie  si  in  heten 
erchant  an  dem  pruch  des  prates. 

XXX. 

Di  letzen  am  eritag  an  der  zwelf  poten  puecli^. 

In  den  tagen  Paulus  stuend  auf  vnd  mit  der  liant  gepat  er 
ein  stille  vnd  sprach:  „man,  prüeder,  sün  des  geslaechts  Abrahe 
vnd  di  in  ew  fürchtent  got,  ew  ist  gesant  das  wart  des  hailes ! 
5  wann  di  do  wonten  ze  lerusalem  vnd  ir  fuersten  bechanteu  nicht 
Tesura  noch  di  stymme  der  propheten,  di  all  veirtag  gelesen  wer- 
dent ,  richtund  uolprachten  si.  vnd  chayn  sache  des  tades  funden 
si  an  ym,  si  paten  von  Pylato,  das  si  in  [54'' |  toettaeteu.  vnd  do 
sis  alle  uolprachten ,    di  von  im  geschriben  sind ,    si  namen  in   ab 

10  dem  holtz  vnd  legten  in  in  das  grab,  awer  got  chiikt  in  vom  tade; 
der  ist  gesehen  vil  tag  von  den,  di  auch  mit  ym  auf  warn  gegan- 
gen gen  lerusalem  von  Galyle,  di  vntz  nu  sein  zewg  sind  zum 
folkh.  vnd  wir  chüuden  ew  di  gehaiss,  di  zu  vnsern  vaetern  ge- 
schehen sind;   wann  di  hat  got  erfüllet  vnsern  chinden  erchüekund 

15  lesum  Christum  vnsern  herren. 

Das  ewangelij  —  sand  Lucam  ^ . 

lesus  stuend  enmitten  vnder  seinn  lungern  vnd  sprach  zu  in : 
„frid  sei  mit  ew;  ich  pins,  furcht  [55*]  ew  nicht!"  di  iunger  warn 
traurig  vnd  erschrakten  vnd  wonten,  si  bieten  einn  geist  gesehen. 
20  vnd  er  sprach  zu  in:  „warum  seit  ir  traurig  vnd  habt  soelch  gedanch? 
secht  mein  hent  vnd  mein  fiiess,  wann  icb  pin  is  selb;  secht  vnd 
greift!  wann  dew  geist  haben  weder  vleisch  noch  pain,  als  ir  mich 
secht  haben."  vnd  do  er  das  gesprach,  do  zaigt  er  in  hent  vnd 
füesse.     do   si   dennoch   nicht   gelaubten  vnd   sew  des  wunder  nam 

1)  Hs.  w^        2)  Apostelgeseh.  t3 ,  16.  26  —  33.        3)  Emng.24,  36—47. 


ALTDEUTSCHE   PERIKOPEN  31 

var  vrewdeu,  do  sprach  er:  „habt  ir  hie  das  man  esse?"  do  prach-  25 
teil  si  im  eins  vischs  ain  tail  vnd  honigsaim  vnd  do  er  geas  var 
in,  do  nam  |55''l  er  das  ander  tail  vnd  gab  ins  vnd  sprach:  „das 
sint  di  wart,  di  ich  sprach  zu  ew,  do  ich  dennoch  pei  ew  was, 
wann  sein  was  duerft  zu  erfüllen  alles,  das  geschriben  was  an  der 
e  moysi  vnd  den  weissagen  vnd  psalm  von  mir."  do  offent  er  in  30 
den  sin  vnd  si  uernamen  di  schritt  vnd  sprach  zu  in:  „is  vs^as  also 
geschriben  vnd  muest  Christ  also  leiden  vnd  ersten  vom  tad  am 
dritten  tag  vnd  predigen  in  seim  nam  di  rew  vnd  den  antlas 
aller  diet. " 

XXXI. 

Di  letzen  am  ahten  tag-  nacli  asterii  —  loliannes'. 

Aller  liebsten!  alles,  das  geparn  ist  von  got,  über  wintt  di 
weit;  vnd  das  [56*]  ist  der  sig,  der  di  weit  überwintt,  vnser  glaub, 
wer  ist  awer  er,  der  di  weit  überwintt?  nuer  der  gelaubt,  wand 
lesus  ist  gotes  suu.  der  ist,  der  chomen  ist  durch  wasser  vnd  5 
pluet,  lesus  Christus,  nicht  in  wasser  alain  sunder  in  wasser  vnd 
in  pluet;  vnd  der  geist  ist  is,  der  betzewgt,  wann  Christus  ist  di 
warhait.  wann  drey  sind  ir,  di  zewgniiss  geben  auf  erde:  der 
geist,  das  wasser  vnd  das  pluet.  vnd  drey  sind  ir  dew  zewgnüss 
gebeut  im  himel:  der  vater,  das  wart  vnd  der  geist  vnd  di  drei  10 
sind  ains.  ob  wir  di  zeugnüss  des  menschen  nemen,  den  [56'']  zewg- 
nüss gotes  ist  grcesser;  wann  das  ist  di  zewgnüss  gotes,  di  grosser 
ist,  wann  er  getzeugt  hat  von  seym  sun.  wer  do  gelaubet  an  den 
gotes  sun,  der  hat  di  zewgnüsse  gotes  an  ym. 

Das  ewaiig:elij  —  sand  lohaunes^.  15 

Au  aym  suntag,  do  ist  spat  ward  vnd  di  tür  warn  uersperret, 
do  di  iunger  warn  gesammet  durch  der  luden  farcht,  do  chom  le- 
sus vnd  stuend  enmitten  vnd  sprach  zu  in:  „vrid  sei  mit  ewch!" 
vnd  do  er  das  gesprach ,  do  zaigt  er  in  hent  vnd  seytten.  do  wur- 
den di  iunger  vra,  do  si  den  herreu  sahen,  do  sprach  er  zu  in:  20 
„der  vrid  sey  [57*]  mit  ew!  als  mich  saut  mein  vater,  also  sent  ich 
ew."  do  er  das  gesprach,  do  plies  er  vnd  sprach  zu  in:  „uemt 
den  heiligen  geist!  wem  ir  uergebt  ir  sunt,  dem  werdent  si  uerge- 
ben  vnd  wem  irs  behabt,  dem  werdent  si  behabt."  Thomas  der 
genant  ist  Dydimus,  der  zweiten  ainr,  der  was  nicht  mit  in,  do  25 
lesus  chom.  do  sagten  im  di  andern  iunger:  „wir  sahen  den 
herren."     er  sprach  zu  in :  „  ich  sech  denn  di  hent  mit  den  loechern 

1)  1.  Brief  5,  4-10.        2)  Evmig.  20,  19—31. 


32  STEJSKAL 

der  negel  vnd  ich  leg  mein  vinger  an  der  nagel  stat  vnd  ich  leg 
mein  hant  in  sein   seitten ,    ich  gelaub  sein  nicht."     vnd  nach  acht 

30  tagen  warn  [57"]  awer  di  iunger  do  inn  vnd  Thomas  mit  in.  do 
chora  lesus  bei  uersparter  tür  vnd  stuend  vnder  iu  vnd  sprach : 
„der  vrid  sey  mit  ew!"  do  nach  sprach  er:  „Thoma,  la  her  dein 
vinger  vnd  siech  mein  hent  vnd  stas  dein  hant  in  mein  seitten  vnd 
wis  nicht  vngelaubig,   sunder  getraw!"     do  antwurt  Thomas   spre- 

35  chund:  „mein  herr  vnd  mein  got!"  do  sprach  zn  im  lesus: 
„Thoma,  wann  du  mich  gesehen  hast,  gelaubstu;  die  sind  salig-, 
die  nicht  habent  gesehen  vnd  is  doch  gelaubent."  lesus  begie  aucli 
andrer  zaihen  vil  zu  gesiebte  seinr  iunger,  di  nicht  geschriben  sein 
an  disem  puech ;    [58"]    dis   sind  awer   geschriben,    das   ir   gelaubt, 

40  das  lesus  ist  gotes  sun  vnd  das  si  gelaubund  das  leben  haben  in 
seim  namen. 

XXXII. 

Di  letzen  am  audern  suiitag'  —  sand  Peter  i. 

Aller  liebsten!  Christus  hat  gellten  vm  vns  vnd  hat  ew  las- 
sen das  pilde,  das  ir  nach  uolget  seinn  fuesparn;  der  di  sunt  nicht 
hat  getan  noch  trugenhait  funden  ist  iu  seim  munde;  vnd  so  er 
5  gescholten  ward,  er  sprach  nicht  wider  übel;  wann  er  led,  so  draot 
er  nicht,  awer  er  gab  sich  dem  richtunden  vnrechtleich ;  wann  er 
vnser  sunt  getragen  hat  in  seim  leichnam  auf  dem  holtz,  das  wir 
den  sünten  [ 58*^1  tad  der  gerechtichait  lebten,  des  pressten  wir  ge- 
hallt sein,  wann  ir  seit  genesen  sam  di  ierren  schaf  vnd  nu  seit 
10  ir  bechert  zu  dem  herttaer  vnd  pischolf  evverr  sei. 

Das  ewaiigelij  am  andern  sun  tag-  —  lohannes^, 

„Ich  pin  ein  guet  hertter,  der  geit  seinn  leib  vm  seinew  schaf. 
der  mietman,  der  nicht  hertter  ist  vnd  des  aygen  di  schaf  nicht 
sein,  so  er  siecht  den  wolf  choemen ,  so  la^t  er  di  schaf  vnd  fleucht; 

15  vnd  zukt  der  wolf  di  schaf  vnd  zestrewet  di  schaf.  der  mietman 
der  fleucht,  wann  er  ist  ein  mietman  vnd  gehorent  zu  im  nicht  di 
schaf.  ich  pin  ein  guet  hertter  vnd  erchenne  di  meinn  vnd  [59"] 
erchennent  mich  di  meinn ;  als  mich  mein  vater  erchennet,  also 
erchenn  ich  den  vater;    vnd  gib  meinen  leib  vm  meine  schaf     vnd 

20  han  auch  andrew  schaf,  di  nicht  sind  aus  disem  schaf  haus;  di  mues 
ich  her  fueren  vnd  horent  si  mein  stymme  vnd  wiert  ain  schaf  haus 
vnd  ayn  hertter." 

1)  1.  Brief  2,  21  —  25.        2)  Evang.  10,  11-16. 


AI,TDEDTSCHE    PERIKOPEN  33 

XXXIII. 
Di  letzen  am  dritten  '  suntag  —  sand  Feter  ^. 

Aller  liebsten!  ich  pitt  ew,  als  her  chömeu  vnd  pillgreiui,  ew 
iiiii  zehabeii  var   vleischleicheü   begiren,   di    do   ritternt  wider   devv 
sei;  ewerii  wandel  vnder  den  lewteu  gueten  habt,  das  an  dew,  das 
si  übel  von  ew  sprechent  als  von  den  übel  tiet  [öy""]  t«3rn,  aus  gue-  5 
ten  werchen   ew   merk  vnd  glorificieru  den  herren  an   dem  tag  der 
besuechung.     west  vndertau  aller  nienschleicher  creatnr   durch  got 
oder  dem  chüuig  als  vürgeunden  oder  dem  hertzogen,  als  di  von  im 
gesant  sind  zu  einer  räch  der  po3seu  vnd  eim  lob  der  gueten;  wann 
also  ist  der  will  gotes,    das  ir  wol  tueuud  gestummet  des  vnwitzi-  10 
gen  menschen   unerchantnüsse ;   als  di  vreyen   nicht   als  bedechung 
habund    der   poesen  vreyhait,    sunder   als   di  diener   gotes.     all  ert, 
pruederschaft  habt  lieb,  got  furchtt,  ert  den  chünig.   ir  diener!  seit 
vndertan  [G0*|   in    aller   faricht  den  herreu,    nicht  alain  den  gueten 
vnd  den  ma3ssigen,  sunder  auch  den  vngeardenten ;  wann  das  ist  di  15 
genade  in  Christo  lesu  vnserm  herren. 

Das  ewangelij  —  sand  Ioliannes\ 

lesus  sprach  zu  seinn  lungern:  „is  ist  ein  wenich  zeit,  das 
ir  mich  nu  nicht  secht ;  vnd  ist  awer  ein  churtzew  zeit ,  das  ir  micli 
secht:  wann  ich  var  zu  meini  vater/'  do  sprachen  sein  iunger  zu  20 
einander:  „was  ist,  das  er  spricht:  is  ist  nicht  lanch,  das  ir  mich 
nicht  secht,  vnd  awer  churtz,  das  ir  mich  secht;  wann  ich  var  zu 
meinn  vater  ?  was  ist,  das  er  spricht  ein  wenich  ?  wir  enwissen ,  was 
er  [60'']  maint.''  do  wesst  Jesus  wol,  das  si  in  wolteu  vragen  vnd 
sprach  zu  in:  „ir  vragt  vnder  ew  von  dem,  das  ich  sprach:  is  ist  25 
nicht  lanch,  das  ir  mein  nicht  secht  vnd  aber  nicht  lanch,  das  ir 
mich  secht.  werleich,  werleich  sag  ich  ew,  das  ir  traurt  vnd  waint 
vnd  das  sich  di  weit  vrewet  vnd  ewr  trauren  wirt  gecheret  in  vrewd. 
so  das  weib  gepiert,  so  ist  si  traurig,  wann  ir  zeit  ist  chomen;  so 
si  aAver  das  chind  gepiert,  so  gedenchet  si  nicht  der  no3t  von  der  30 
vrewd  das  ein  mensch  ist  geparu  in  dise  weit,  vnd  ir  habt  nu 
vnfrewde,  ich  gesiech  ew  awer  vnd  vrewt  sich  denn  [6rj  ewr  hertze 
vnd  nimt  niemen  di  vrewde  von  ev^." 

XXXIV. 
Di  letzen  am  vierdeu*  suntag-  —  sand  lacob". 

Aller  liebsten !    alle  peste  gab  vnd  aller  uolchomniste  gab  ist 
chömund  von  oben  her  ab  vom  vater   des  Hechtes,    pei  dem  nicht 

1)  Hs.u].       2)  1.  Brief  2,  Jl  -19.        3)  Erany.  16,  IG  — 22.       4)  m.  iiij. 
5)  Katholischer  Brief  1,  17  —  21. 

ZEITSCHR.    F.    DEUTSCHE    PHELOLOGIE.    BD.  XII.  3 


34  STEJSKAL 

ist  uerwandlung  noch  der  stund  vinstermlsse.  willichleich  hat  er 
5  vns  geparn  mit  dem  wart  der  Avarhait,  das  wir  sein  ein  anfanch 
seinr  creatur.  ir  wisst,  mein  liebsten  prueder!  sunder  is  sol  seyn 
ein  igleich  mensch  snell  zu  hören  vnd  tra^g  zu  reden  vnd  auch 
trseg  zum  zarn.  wann  der  zarn  des  mannes  würcht  nicht  di  gerech- 
tichait  [61'']  gotes.  darum  werift  ab  allew  vurainchait  vnd  alle 
10  genueg  der  pashait;  in  senftmüetichait  enphacht  daz  ingeseet  wart, 
das  gehailn  mag. 

Das  ewaugelij  -    sand  loliauues '. 

lesus  sprach  zu  seinn  lungern:    „ich  gen  wider  zu  dem,    der 
mich  hat  gesant;    vnd  vragt  mich  ewr   chainr:    wo  wildu  hin?    nu 

15  hau  ich  ew  gesagt,  das  ewer  hertz  traurent.  werleich,  werleich 
sag  ich  ew:  is  ist  ew  guet,  das  ich  var;  ob  ich  nicht  hin  var,  so 
chumt  der  heilig  geist  nicht  zu  ew;  chüni  awer  ich  dar,  so  sent  ich 
ew  in.  so  der  denn  chümt,  so  strafft  er  die  weit  vm  di  sunde 
[62'j  vnd  vm  das  recht  vnd  vm  das  gerichte  :  vm  di  sünde,  das  si 

20  nicht  an  mich  gelaubent;  vm  das  recht,  das  ich  var  zu  meinem 
vater  vnd  mein  uu  nicht  secht;  vm  das  gericht,  wann  der  füersst 
dierr  weit  ist  gerichtet,  ich  han  ew  noch  vil  zesagen,  ir  mügt 
sein  awer  nu  nicht  getragen,  so  awer  chümt  der  geist  der  warhait, 
so  lernt  er  ew  alle  warhait.     er  redt  nicht  von  im  selben ,    sunder 

25  was  er  hört,  das  redet  er,  vnd  swas  chunftig  ist,  das  chündet  er 
ew.  er  eret  mich,  wann  er  nimt  von  dem  meinem  vnd  chundet  is 
ewch." 

XXXV. 

Dew  [62'*]  letzen  am  fünften  suntag  —  lacobus^. 

Aller  liebsten!  weset  wiircher  vnd  nicht  alain  horaer  betrie- 
gund  ew  selbe,  wann  wer  ein  hoerer  ist  des  wartes  vnd  nicht  ein 
würcher,  der  wirt  geleichent  eym  manne,  der  do  merkt  das  antlütz 
5  seinr  puerd  in  einem  spiegel;  er  merkt  sich  vnd  gie  vnd  zehant 
uergas  er,  wietan  er  was.  wer  awer  siecht  in  der  ee  der  uolcho- 
menn  vreyhait  vnd  beleibt  nicht  ein  horaer,  der  uergessen  ist  war- 
den,  sunder  ein  würcher  des  werchs,  der  wiert  saelig  an  seinem 
werch.  awer  wer  sich  warnet  geistleich  sein  vnd  zamet  nicht  sein 
10  [63*1  zunge,  der  geistleichait  ist  eytel.  ein  raine  geistleichait  vnd 
vngemailigtew  pei  got  dem  vater  ist  dew:  besuechen  die  waisen 
vnd  witibeu  in  irem  truebsal  vnd  vngemailigt  sich  behüetten  var 
dierr  weit. 

1)  Evang.  16,  5  —  14.        2)  Katholisclier  Brief  1,  22  —  27. 


ALTDEUTSCHR    PRRIKOPEN  35 

Das  ewiiiig-ellj  —  loliainies  >. 

lesus  sprach   zu    seinii  iungern:    „werleicli,    werleicli  ich  sag  15 
ew :  ob  ir  icht  pitt  den  vater  m  meiiu  namen,  das  geit  er  ew.  vntz 
her  habt  ir  nicht  gepeten  in  meini  namen.     pitt  vud  euphaclit,  das 
ewr  vrewd  werd  erfüllet,     das  hau  ich  mit  ew  geredt  in  gleiehnüs- 
sen;  nu  ist  di  zeit  chomen,  das  ich  mit  ew  nu  Jiiclit  rede  in  gleich- 
[63"!  missen ,  sunder  offenleich  chünd  icli  ew  von  meinem  vater.  des  20 
selben  tages  pitt  ir  in  in  meinem  namen  vnd  sag  ich  ew  nicht,  das 
ich  pitt  vür  ew  meinn  vater;  der  vater  hat  ew  lieb,  wenn  ir  mich 
lieb  habt  vnd  gelaubt,  das  ich  von  got  pin.   ich  fuer  von  dem  vater 
vnd  chom   in  dise  weit;    nu  lasse   ich  aber   di  weit  und  var  wider 
zu  meim  vater."     do  sprachen  zu  im  sein  iunger :  „  nu  redestu  offen-  25 
leich  vnd  sprichst  chain  gleichniisse.     nu  wisse  wir  is  wol,    das  du 
is  alles  waist  vud  ist   nicht  düerft,    das   dich   iement  vrag.     do  an 
gelaub  wir,  das  du  von  [64*J  got  chomen  pist." 

XXXVI. 
Di  letzen  am  moutag-  in  der  petwoclien  —  Iaeobns2. 

Aller  liebsten!  uergecht  an  einander  ewer  sünten  vnd  pitt  vnr 
einander,  das  ir  gehallt  Avert;  wann  vil  frumet  entzigs  gepet  des 
gerechten.  Helyas  was  ein  leidleich  mensch  vns  geleich  vnd  pat 
des  gepetes,  daz  is  icht  regna^t  auf  erde;  vnd  is  regent  nicht  drew  5 
iar  vnd  sechs  maneid ;  vnd  awer  pat  er  vnd  der  liimel  gab  den 
regen  vnd  di  erde  gab  ir  frucht.  awer  welher  vnder  ew  ierr  get 
von  der  warhait  vnd  das  in  iement  bechert,  der  sol  wissen,  wann 
wer  bechern  macht  den  sünter  [64'']  von  dem  ierrsal  seins  weges ,  er 
hallet  sein  sei  vom  tade  vnd  bedekt  di  menig  der  sünden.  10 

Das  ewaug-elij  —  sand  Liicas^. 
lesus  sprach   zu  seinn  iungern:    ,, welher  ewr  hat  einn  vrewnt 
vnd  chumt    zu   dem   vm   mitte   nacht  vnd  spricht   zu   im:    vrewnt, 
leich  mir  drew  prat,  wann  mein  vreunt  ist  müeder  chomen  zu  mir 
vnd  hau  nicht,  das  ich  vür  in  leg;  vnd  der  inderthalb  antwurt  im:  15 
müe  mich  nicht,  is  ist  mein  gadem  uersperret  vnd  sint  meine  chind 
pey  mir  in  dem  gadem ,  ich  mag  nicht  auf  gesten ,  das  ich  dir  gebe ; 
vnd    dar  über  stet   er   chlophen  vnd    ob    er  auf  [65"]  stet   vud   im 
darum  nicht  geit,    das  er  sein  vreunt  ist,    vnd  stet  doch    auf  vnd 
geit  im  durch  sein  vngestüemchait  vnd  geit  im  swie  vil  er  bedarf.  20 
ich  sag  ew:  pitt,  so  wirt  ew  gegeben;  suecht,  vnd  ir  vindt;  chlopht 
vnd  so   tuet  man  ew  auf.     swer  pitt,    der  nimt;   vnd  swer  suecht, 

1)  Evang.  IG,  23—30.     2)  Katholischer  Brief  5,  IG— 20.     3)  Evamj.  11,  5—13. 

3* 


36  STEJSKAL 

der  vint;  vnd  dem  chlophunden  wirt  auf  getan,  welher  ewr  pitt 
den  vater  des  prates  vnd  geit  im  einen  stain?  oder  des  vischs  vnd 
25  geit  er  im  viir  den  visch  ein  slangen?  oder  ob  er  pitt  des  ayes 
vnd  peutt  im  den  scorpeu?  ob  ir  poesen  chünt  di  gueten  geben 
ewern  chinden ,  michels  [66^]  mer  ewr  vater  von  himel  geit  den  gue- 
ten geist  den,  di  in  do  pittent!" 

XXXVII. 

Di  letzen  am  auffart  tag  an  der  zw  elf  poten  puech'. 

Di  erst  red  han  ich  getan  von  den ,  Theophile ,  do  lesus  gefie 
zetuen  vnd  lern,  vntz  an  den  tag,  do  er  gepat  den  zwelfpoten  durch 
den  heiligen  geist  di  er  erweit  het,  vnd  auf  genomen  ward;  den 
5  er  auch  erpat  sich  selb  lebund  nach  seim  leiden  in  vil  bewernüsse, 
viertzk  tag  erschain  er  in  vnd  redt  von  dem  reich  gotes.  vnd  do 
er  mit  in  geas ,  do  gepat  er  in ,  das  si  uicht  naher  cha3men  von 
lerusalem,  sunder  das  si  warttseten  der  [66*|  gehaisse  des  vater 
„di  ir  gehört  habt,"  sprach  er,  „ durch  meinen  muud.    wand  lohan- 

10  nes  hat  getaufet  in  dem  wasser,  awer  ir  wert  getauft  in  dem  hei- 
ligen geist  nicht  nach  vil  tagen."  vnd  di  zesamm  warn  chomen, 
do  vragten  in  vnd  sprachen:  „lierr,  geistu  in  der  zeit  wider  das 
reich  Israel  ? "  vnd  er  sprach  zu  in :  „  is  ist  nicht  ewr  chennen  di 
zeit  vnd  di  stunt,    di  der  vater  hat  gelegt  in  seinn  gewalt;   sunder 

15  ier  wert  nemen  di  tugent  des  heiligen  geists,  der  in  ew  chnmt  vnd 
wert  mir  zewg  daz  lerusalem  vnd  in  aller  ludea  vnd  Samaria  vnd 
vntz  an  das  [66'']  ende  der  erden."  vnd  do  er  das  gesprach  in  zu 
gesiebte ,  ward  er  auf  gehebt  vnd  das  gewolchen  enphie  in  var  iren 
äugen,     vnd   do   si    auf  sahen  gen  himel  in  gen,    nemt  war,    zuen 

20  man  stuenden  pei  in  in  weissem  gewaut  vnd  sprahen:  „ir  man  von 
Galylee,  wes  stet  ir  sehund  gen  himel?  der  lesus,  der  von  ew 
genomen  ist  inn  himel,  also  chümt  er,  sam  ir  in  habt  gesehen 
geunden  inn  himel." 

Das  ewangelij  —  lohaunes^. 

25  Di  aindlef  iunger  sassen  pey  einander  ze  lerusalem ,  do  erschain 

in  lesus  vnd  strafft  sew  vm  ir  vngelauben  vnd  vm  di  liertte  ires 
hertzen;  wann  di  |67''|  in  beten  sehen  ersten,  di  gelaubten  sein 
nicht,  vnd  sprach  zu  in:  „get  in  alle  weit  predigen  das  ewangelij 
aller  creatur!     der  gelaubt   vnd  getauftt  wirt,    der  wiert  behalten; 

30  der  nicht  gelaubt,    der  wirt  uerdamt.     disew   zaichen   uolgent   den, 

l)  Apostelgesch.  1,  1  —  11.        2)  Evang.  Marci  16,  14  —  20. 


ALTDEUTSCHE    PERIKOPEK  37 

die  do  gelanbent :  si  wei'ttent  di  tiefel  aus  in  ineim  namen ,  si  ledent 
mit  iieweii  zuiigeii,  si  hebeiit  di  slangen  auf  mit  der  haut  vnd  ob 
si  etwas  toedleichs  trinkent,  das  schadet  in  nicht,  auf  die  siechen 
legent  si  dew  hent  vnd  si  werdent  gesunt.''  vnd  vnser  herr  lesus 
do  nach  vnd  er  geredt  mit  in,  do  ward  er  geno  [ß7''l  man  inn  35 
himel  vnd  sitzt  zu  der  zeseui  gotes.  si  wurden  predigen  allenthal- 
ben mit  der  hilft"  vnsers  harren,  der  ir  red  bestictt  mit  zaicheu,  di 
do  nach  uolgteu. 

XXXVIII. 

Di  letzen  siiii  suiita!?  »ach  der  auffart        sand  Peter'. 

Aller  liebsten!  seit  witzig  vnd  wacht  an  den  gepeten.  awer 
var  allen  dingen  habt  in  ew  selb  entzigew  gemaiue  lieb,  wann  di 
lieb  bedekt  di  meuig  der  sunteu.  seit  wiertleich  an  einander  an 
murmeln,  ein  igleich  als  er  enphangen  hat  die  genade,  mit  ein  5 
ander  tailt  sei,  als  di  gueten  aus  gewahr  der  manichgestalteu  gena- 
den  gotes.  wer  redt  als  di  red  go  [68"]  tes;  welher  dient  als  aus 
der  tugent,  di  got  uerleicht,  das  in  allen  dingen  got  geert  werde 
durch  lesum  Christum  vnsern  lierren. 

Das  ewangelij  des  selben  tag  —  Johannes^.  10 

lesus  sprach  zu  seinn  lungern:  ,,wenn  der  troestleich  geist 
chumt,  den  ich  ew  sende  vom  vater,  den  geist  der  warhait,  der  do 
chumt  von  dem  vater,  der  do  sagt  von  mir  urchünde.  vnd  ier  sagt^ 
urchunde  von  mir,  wann  ir  von  anigeng  seit  mit  mir  gebesen.  das 
han  ich  mit  ew  geredt,  das  ier  icht  wert  geergert.  si  sundernt  15 
ewch  von  der  menig;  nu  ist  awer  chomen  di  zeit,  swer  ew  toett, 
das  er  w*uet,  das  er  got  gedient  habe,  vnd  tuent  [68'' |  ew  das, 
wann  si  ercheuuen  weder  den  vater  noch  mich,  darum  han  ich  ew 
disew  wart  gesaget,  so  ewer  zeit  choem,  das  ir  gedencht,  was  ich 
ew  gesaget  habe." 

XXXIX. 
Di  letzen  am  pliingstabent  au  der  zwelf  poten  puech*. 

In  den  tagen  do  Apollo  was  Coriuthi  vnd  Paulus  übergangen 
het  di  obrem  tail  vnd  chom  Ephesum  vnd  vand  do  etleich  iuuger, 
zu  den  sprach  er:  „habt  ir  enphangen  den  heiligen  geist  gelaubund?" 
si  sprachen  zu  im:  ,,ob  der  heilig  geist  sey,  haben  wir  nie  gehört."  5 
vnd  er  sprach  in:  „wew  seit  ir  denn  getauift?"  si  spraheu:  „in 
lohannes  tauft'."    vnd  is  sprach  Pau  [69*]  lus:  „lohannes  hat  getauff't 

1)  1  Brief  4,7  —  11.      2)  Evang.  15,  26  —  16,  4.     3)  Hs.  sargt.       4)  Apo- 
stelgesch.  19,  1  —  8. 


38  STEJSKAL 

mit  der  tauflf  der  puesse  das  uolkh  vnd  sprach,  das  si  an  den 
gelaubten  der  chünftich  waer  S  das  ist  an  lesum."  do  si  das  gehar- 
10  ten ,  do  Avurden  si  getaufet  in  dem  namen  des  herreu  lesu.  vnd  do 
in  auf  gelegt  Paulus  dew  hent,  do  chom  der  heilig  geist  über  sew 
vnd  si  redten  mit  zungen  vnd  weissagten,  vnd  is  aller  mann  nahen 
zweit',  is  gie  Paulus  in  di  sammung,  mit  gediuge  redt  er  durch 
drew  maneid  vnd  chrieget  vnd  ret  von  dem  reich  gotes. 

15  Das  ewaugelij  —  lohannes^. 

lesus  sprach  zu  seinn  lungern:  „ob  ir  mich  lieb  habt,  so 
behaltt  mein  [69'']  gepot.  vnd  ich  pitt  den  vater  vnd  er  geit  ew 
einn  andern  troester,  das  er  mit  ew  beleihe  ewichleich ,  den  geist 
der  warhait,  den  di  weit  nicht  mag  enphahen;    wann  si  sein  nicht 

20  siecht  noch  enwais  sein  nicht,  ier  erchent  in,  wann  er  beleibt  mit 
ew  vnd  wiert  in  ew  wanund.  ich  lasse  ew  nicht  waisen,  ich  chum 
zu  ew.  noch  ein  lutzzel  vnd  siecht  mein  di  weit  nicht,  awer  ir 
secht  mich,  wann  ich  lebe  vnd  ir  lebet,  an  dem  tag  erchennet, 
das  ich   in    meiuem  vater  pin   vnd  ich  in  ew  vnd  ir  in  mir.     wer 

25  meinew  pot  hat  vnd  dew  behaltt,  der  ist  der  [70"]  mich  do  lieb 
hat.  der  mich  lieb  hat,  der  wiert  lieb  gehabt  von  meinem  vater 
vnd  ich  han  in  lieb  vnd  icb  offen  im  mich  selben. 

xxxx. 

Di  letzen  am  phingsttag  an  der  zwelf  poten  pueeh='. 

In  den  tagen  do  uolendet  wurden  di  phingstag,  do  warn  all 
iunger  pey  einander  an  der  selben  stat.  vnd  werbering  geschach 
von  himel  ein  don  als  des  zuechcemunden  gsehen  geists  vnd  erfüllet 
5  das  gantz  haus ,  da  do  waren  di  sitzunden.  vnd  erschinn  die  getau- 
ten zuug  als  das  fewr  vnd  sas  auf  ir  igieichen  vnd  si  sind  alle  erfüllt 
des  heiligen  geistes  vnd  gevingen  zereden ,  sam  der  heilige  [70''] 
geist  in  gab  geredig  zesein.  vnd  is  warn  ze  lerusalem  luden  geist- 
leich  man  aus  aller  gepuerd,  di  vnderm  himel  ist.    vnd  do  geschach 

10  die  stimme,  do  chomen  zu  einander  alle  menig  vnd  ward  des  mue- 
tes  geschendet;  wann  is  hart  ein  igleicher  in  seinr  zung  sew  reden, 
si  erschrakten  all  vnd  wunderten  sich  vnd  sprachen:  „nerat  war, 
sind  die  nicht  all  von  Galilee,  di  do  redent?  vnd  wie  hoert  vuser 
igleicher  vnser   zung,    in  der   wir   geparn   sein?     Parthi  vnd  Medi 

15  vnd  Elamiteu  vnd  di  do  wonent  ze  Mesopotami,  ze  ludea  vnd  Capa- 

1)  Hs.  y\'.        2)  Evamj.  14,  15  —  21.        3)  Apostelgesch.  2 ,  1  —  11, 


ALTDEUTSCHE   PERIKOPEN  39 

docia,  ze  Ponto  vnd  [71'j  Asia,  ze  Frigia  vnd  Pampliilia,  zu  Egypto 
vnd  die  tail  Lybie,  di  do  ist  pei  Cyrenen,  vnd  di  herchomen  Eoe- 
mer,  di  luden  vnd  di  Proseliteu,  di  Chrielien  vnd  Arabes;  wir 
haben  sew  gehört  reden  di  wunder  gotes!" 

Das  ewangelij  —  loliannes'.  20 

lesus  sprach  zu  seinn  iungern:  „wer  mich  lieb  hat,  der  behalltt 
mein  wart  vnd  in  hat  lieb  mein  vater;  vnd  chomen  zu  im  vnd 
haben  wonung  mit  im,  der  mich  nicht  lieb  hat,  der  behaltt  nicht 
mein  1er;  vnd  di  rede,  di  ir  uernomen  habt  von  mir,  di  ist  nicht 
mein,  suudfir  des,  der  mich  gesant  hat,  des  vater.  das  hau  ich  ewch  25 
ge  [71'']  sagt  pei  ew  wonund.  der  heilige  geist  der  troester,  den 
ew  der  vater  sent  in  meim  namen,  der  lernt  is  ew  alles  vnd  chün- 
det  ew  alles,  das  ich  ew  sag.  meinen  vrid  lass  ich  ewch,  meinn 
vrid  sent  ich  ew;  nicht  als  di  weit  vrid  geit,  ich  gib  ew.  ewer 
hertz  trauren  nicht,  noch  fftrchtenn.  nicht  habt  ir  uernomen,  das  30 
ich  ew  sagt:  ich  var  vnd  chura  zu  ew;  ob  ir  mich  lieb  habt,  so 
vrewt  ew,  werleich  var  ich  zu  dem  vater;  wann  der  uater  ist  merr 
wenn  ich.  vnd  han  is  ew  uu  gesagt,  e  is  geschech,  so  is  geschiecht, 
das  ir  gelaubt.  ich  red  nu  nicht  vil  mit  ew;  is  ist  choemen  [72*] 
der  füersst  diser  weit  vnd  hat  nicht  an  mir,  suuder  das  di  weit  35 
erchenn,  das  ich  minne  den  vater;  vnd  als  mir  der  vater  gepat, 
alsam  tuen  ich." 

XXXXI. 

Di  letzen  am  raontag  am  puech  der  zwelf  poteii^. 

Petrus  tet  auf  seinen  mund  vnd  sprach:  „man,  prüeder  vnd 
vseter !  vns  hat  gepoten  der  herr  predigen  dem  uolkh  vnd  zewgen, 
wan  er  iss ,  der  gesatzt  ist  von  got  richter  lemtiger  vnd  tader.  dem 
geben  all  propheten  zewgnüsse,  den  antlas  der  snnden  enphahen  5 
durch  seinn  namen  all,  di  an  in  gelaubent."  do  dennoch  Petrus 
redt  di  wart,  do  viel  der  heilig  geist  über  alle,  di  das  wart  [72**] 
harten,  vnd  is  erschrakhten  di  gelaubigen  aus  der  besneidung,  dew 
do  chomen  mitPetro,  wand  auch  in  die  gepuerd  di  genade  des  hei- 
ligen geists  ist  gegossen;  wand  si  harten  sew  redund  mit  zungen  10 
vnd  got  lobimd.  do  antwurt  Petrus:  ,,  secht  das  wasser,  wer  mags 
gewern ,  das  di  nicht  getauflft  werden ,  di  enphangen  haben  den  hei- 
ligen geist  als  auch  wir?"  vnd  er  hiess  getauft  Averden  in  dem 
nam  lesu  Christi. 

1)  Evang.  14,  23—31.  2)  Apostelgesch.  10,  34.  42  —  48. 


40  STEJSKAL 

15  Das  ewangelij  —  loliaimes^. 

lesus  sprach  zu  seinn  iungern;  „also  minnet  got  di  weit,  das 
er  gab  seinen  aingeparn  sun ,  das  alle  di  an  in  gelaubten  nicht 
uerdurben,  sunder  [73"]  das  si  haben  das  ewig  leben,  got  sant 
seinn  sun  nicht  in  di  weit,    das  er  rieht  über  di  weit,    sunder  das 

20  dew  weit  gehailiget  durch  in.  der  an  in  gelaubt,  den  urtailt  man 
nicht;  der  nicht  gelaubt,  der  ist  nu  geurtailet,  wann  er  nicht  gelaubt 
in  dem  namen  des  aingeparn  sun  gotes.  das  ist  das  gericht ,  wann 
das  liecht  chom  in  dise  weit  vnd  di  lewt  heten  lieber  di  vinster 
wenn  das  liecht;  irew  werch  warn  pces.     swer  übel  tuet,  der  hasst 

25  das  liecht  vnd  chümt  niht  zum  liecht,  das  man  nicht  straffe  sei- 
new  werch.  der  awer  tuet  di  warhait,  der  chümt  zum  liecht,  das 
seine  [73'']  werch  geoffent  werden,  wann  si  in  got  sind  getan." 

XXXXIL 
Di  letzen  am  eritag-  an  der  zwelf  poten  puecli^. 

In  den  tagen  do  di  zwelf  poten  harten,  di  do  warn  ze  Jeru- 
salem, das  Samaria  enphangen  heten  das  wart  gotes,  si  santen  zu 
in  Petrum  vnd  lohannem.  vnd  do  si  chomen,  do  patens  vür  sew, 
5  das  si  enphingen  den  heiligen  geist;  wann  nicht  dennoch  in  ir 
chainn  er  chomen  was,  sunder  alain  warn  si  getaufft  in  dem  namen 
des  herren  lesu.  do  legt  er  dew  hent  über  sew  vnd  si  enphingen 
den  heiligen  geist. 

Das  eAvangelij  —  sand  lohannem  3. 

10  lesus  sprach  zu  seinn  iungern:  „werleich,  werleich  ich  sag  ew, 

der  nicht  in  get  [74*]  durch  di  tüer  in  das  schaf  haus ,  sunder  der  als- 
wo  über  steigt,  der  ist  ein  deup  vnd  ein  Schacher,  der  awer  in 
get  in  das  schafhaus  durch  die  tüer,  der  ist  hertter  der  schaff,  dem 
tuet   der  tarwertel   auf  vnd  hoernt  di  schaf  sein  stymme  vnd  rüefft 

15  seinn  aigenn  schaffen  mit  namen  vnd  füert  sew  aus.  so  er  denn 
di  schaf  aus  gefüert,  so  get  er  var  in  vnd  wolgent  im  di  schaf  vnd 
erchennent  sein  stymme.  eim  vroemden  uolgent  si  nicht  vnd  vlie- 
hent  von  im,  wann  si  erchennent  nicht  sein  stymme."  das  pispel 
sagt  *  in  lesus ;  si  uerstuenden  awer  nicht ,  was  er  maint.     do  sprach 

20  [74^]  er  awer  zu  in:  „werleich,  werleich  ich  sag  ew,  ich  pins  di 
tüer  der  schaffe,  alle  di  chcement  an  mich,  das  sind  diep  vnd  rau- 
ber vnd  erchennent  nicht  di  schar,  ich  pin  di  tür.  swer  durch 
mich  in  get,    der  wiert  heilig   vnd  get   in  vnd  aus   vnd   viudet   di 

1)  Evang.  3,  16  — 21      2)  Äpostelgesch.  8,  14-17.       3)  Evang.  10,  1  —  10. 
4)  Hs.  sag. 


ALTDEUTSCHE   PERIKOPEN  41 

waid.     der  deup  chumt  durcli  anders  nicht,    denn  das  er  stele  vnd 
slach  vnd   uerliese.     ich  chom ,    das   si  das   leben   haben   vnd  uol-  25 
chommleicher  haben." 

XXXXIII. 

Di  letzen  am  iichteii  tag-  des   pliiug'st  tage«  an  dem  puecli  der  taug-en 

lohannes  i. 

In  den  tagen   ich    sach  ein  ottue    tüer  im  himel;    vnd  di  erst 
stymm,    di  ich  hart  als  eins  schelle  harns,    das  mit  mir   redt  vnd 
sprach:    [75"!  chum  do  herauf  vnd  zaig,   was  geschehen  mues.     do  5 
nach  zehant  was  ich  ym  geist ;  vnd  nemt  war ,  ein  stuel  was  gesatzt 
in  dem  himel  vnd  auf  dem  stuel  ein  sitzunder.  vnd  der  do  sas,  der 
was  geleich   dem   angesicht   des  staines  yaspidis  vnd  sardinis;    vnd 
ein  regenpogen  was  in  dem  vmswaif  des  stuels.  geleich  dem  gesiebte 
des  stuels   warn  vier  vnd  zwaintzk  gestuel  vnd  auf  den  troenn  vier  10 
vnd  zwaintzk  elter  sitzund  vmgeben   mit  weissem  gewant   vnd  auf    . 
ir  haubten  guidein  chrou.     vnd  aus  dem  thron  gingen  plekkitz  vnd 
stymme  [75"]  vnd  donrr;  vnd  siben  prinnund  lampen  var  dem  thron, 
das  sind  di  siben  geist  gotes.     vnd  in  dem  angesichte  sam  das  gie- 
sein  mer  geleich  dem  christalle  vnd   in    mitte   des   stueles   vnd  im  15 
vmswaif  vier  tier  uole  äugen  hinten  vnd  uar.     vnd  das  erst  tier  was 
geleich  dem  leben ,  vnd  das  ander  tier  geleich  dem  chalb ,  vnd  das 
tritt  tier   het   ein  antliitz  als   eins  menschen,    vnd  das  vierde   tier 
geleich  eini  vliegunden  adelar.     vnd  der  vier  tier  heten  ir  igleichs 
sex  uetich  vnd  im  vmswaif  vnd  innen  sinds  vol  äugen  vnd  rue  hetens  20 
nicht  nacht  vnd  tag  Sprech  [76'']  und:  heilig,  heilig,  heilig  herr  got, 
allmsechtiger ,  der  do  was  vnd  der  ist  vnd  der  chunftig  ist.     vnd  do 
di  tier  gaben  glori  vnd   er   vnd  segen   dem   sitzunden    aufm  thron, 
dem  lebuuden   von  weit   ze  weit,    so    viellen    di   vier  vnd  zwaintzk 
eitern  vur  den  sitzunden  ym  thron  vnd  petten  an   den  lemtigen  in  25 
weit  weit.    amen. 

Das  ewaugelij  —  sand  Johannes  2. 

Is  was  ein  mensch,  der  hies  Nicodemus  vnd  was  fursste  der 
luden,  der  chom  des  nachtes  zu  lesu  vnd  sprach  zu  im :  „  maister, 
wir  wissen  wol,  das  du  von  got  chomen  pist;  is  moecht  di  zaihen  30 
niem  getuen,  di  du  tuest,  is  waer  [76''J  denn  got  mit  im.''  lesus 
antwurt  vnd  sprach  zu  im:  „werleich,  werleich  ich  sag  dir,  niemen, 
denn  der  anderstund  wirt  geparn,  mag  gesehen  das  gotes  reich." 
do  sprach  zu  im  Nichodemus:  „wie  mag  der  mensch  wider  geparn 

1)  Apocalyiise  4,  1  —  10.        2)  Evang.  3,  1  —  15. 


42  STEJSKAL 

35  werdea,  so  er  alt  ist?  oder  mag  er  awer  in  sein  mueter  chcemeu 
vud  anderstund  werden  geparn?"  des  autwurt  im  lesus:  „wer- 
leich  ich  sag  dir,  nuer  der  getaufft  wirt  aus  dem  wasser  vnd  dem 
geist,  das  niemen  mag  cliomen  in  das  gotes  reich,  das  von  dem 
vleisch  gepara  ist,    das  ist  auch  vleisch;    vnd  das  geparn  ist  vom 

40  geist,  das  ist  ain  geist.  lass  [77']  dich  nicht  wundern,  das  ich  dir 
gesagt  han,  das  ir  anderstund  muesst  geparn  werden,  swo  der  geist 
wil,  do  spricht  er  vnd  hörest  sein  stymme  vnd  waist  nicht  von 
wanne  oder  wo  hin  dew  var;  also  ist  alle  dem,  das  von  dem  geist 
geparn  ist."     des   antwurt  Nychodemus:    „wie  mag  das  werden?" 

45  des  antwurt  lesus  sprechund:  „du  pist  ein  maister  in  lerusalem 
vnd  waist  des  nicht?  werleich,  werleich  sag  ich  dir,  das  wir  wis- 
sen, das  rede  wir,  vnd  das  wir  sehen,  das  urchunde  wier;  vnd  ir 
enphacht  nicht  vnser  urchunde.  ob  ich  ew  di  ierdischen  dinch  han 
gesaget,    vnd  ir  des  nicht  gelau  [77'']  bet,    vnd   sagt  ich   ew   denn 

50  himlische,  wie  gelaubet  ir  mir  dew?  vnd  niement  chumt  hintz 
himel,  denn  der  von  himel  chomen  ist  her  nider,  des  menschen 
sun ,  der  ze  himel  ist.  vnd  als  Moyses  di  slangen  hoeht  in  der 
wüeste,  also  mues  gehoecht  vy^erden  des  menschen  sun,  das  alle  die, 
di  an  in  gelauben ,  nicht  ersterben ,  sunder  haben  das  ewig  leben." 

XXXXIV. 

Di  letzen  am  ersten  suutag-  —  sand  Johannes  i. 

Aller  liebsten!  got  ist  di  lieb,  in  dew  ist  erschinn  di  lieb 
gotes  in  vns,  wann  seinen  aingeparn  sun  hat  got  gesaut  in  di  weit, 
das  wir  leben  durch  in.  in  dew  ist  di  lieb:  nicht  als  wir  got  [78*] 
5  haben  lieb  gehabt,  sunder  wann  er  von  erst  vns  hat  lieb  gehabt 
vnd  hat  gesant  seinn  sun  ein  genjedigung  vm  vnser  sunt,  aller 
liebsten!  ob  also  vns  got  hat  lieb  gehabt,  vnd  wir  sollen  an  ein- 
ander lieb  hau.  got  hat  niement  ie  gesehen,  ob  wir  lieb  an  ein- 
ander haben,    so  beleibt  got  in  vns.     in  dew  uerste  wir,  wenn  wir 

10  in  im  beleiben,  vnd  er  in  vns,  wann  er  seius  geistes  vns  hat  gege- 
ben, vnd  wir  haben  is  gesehen  vnd  zewgen  is,  wann  der  uater 
hat  gesant  seinn  sun  den  hailant  der  weit,  welher  uergicht,  [78*"] 
wann  lesus  ist  gotes  sun,  got  beleibt  in  im  vud  er  in  got.  vnd 
wir  habens  erchant  vnd  gelauben  der  lieb,  di  got  hat  in  vns.     got 

15  ist  di  lieb  vnd  der  beleibt  iu  der  lieb,  in  got  beleibt  er  vnd  got 
in  im.  in  dew  ist  di  lieb  uolchomen  pei  vns ,  das  wir  gedingen 
haben   an  dem  tag   des  gerichts,    wann   als  er  ist,    also  sein  auch 

1)  1.  Brief  4,  8—21, 


ALTDEUTSCHE    PERIKOPEN 


43 


wir  in  der  weit,  di  farcht  ist  nicht  in  der  lieb ,  suuder  di  uolcho- 
inen  lieb  sentt  aus  di  farcht;  wann  di  farcht  hat  pein.  wer  awer 
furcht,  der  ist  nicht  uolchomen  in  der  lieb,  darum  hab  wir  lieb,  20 
wann  oot  hat  vns  e  lieb  gehabt,  wer  do  spricht:  „ich  han  got  lieb" 
vnd  hasst  seinn  prneder ,  der  [79*]  ist  ein  lugner.  wann  wer  nicht 
lieb  hat  sein  prueder,  den  er  sieht,  got,  den  er  nicht  siecht,  wie 
mag  er  den  lieb  gehaben?  vnd  das  pot  haben  wier  von  got:  wer 
got  lieb  hat,  daz  auch  er  seinn  prueder  lieb  hat.  25 

Das  ewang-elij  —  Lucas". 

lesus  sprach  zu  seinn   iungern:    „is  was  ein  reicher   mensch, 
der  was  gechlaidet   mit   phelle  vnd  mit  wisse  vnd   sas  all  tag  mit 
wiertschaft.     vnd  was  ein  armer  petlser,  der  hies  Lazarus,  der  lag 
zu  seinr  tnr  uol  seres   vnd  begert  sich   ze   satten  von  den  prasem,  30 
di  do  viellen  von  des  reichen  tische;  vnd  di  gab  im  niement,  sun- 
der di   bunt   chomen  vnd    lekhten    seine  geswer.     is  geschach  also, 
[79"]  das  der  arm  starb  vnd  ward  getragen  von  den  engelen  in  Abra- 
hams schass.     do   starb   auch   der  reich  vnd  ward  begraben  in  der 
helle,     do  tet  er  auf  seinew  äugen,   do  er  was  in  den  weitzen,  do  35 
sach  er  Abrahamen  ferr  vnd  Lazarumm  in  seinr  schasse  vnd  ruefft 
sprechund:   „vater  Abraham,   erparm  dich  über  mich  vnd  la  Laza- 
rum,    das  er  stasse  den  aussristen   tail  seins  vingers  in  ein  wasser, 
das  er  chüel  mein  zunge,  Avann  ich  priun  in  disem  fewr."    do  sprach 
zu  im  Abraham :  „  sun ,  gedench ,  das  dus  guetes  hiett  in  deim  leben  40 
vnd  Lazarus  als  Übels;   nu  wiert   er  getrcesst,    awer  du   geweitzigt. 
vnd  von  den  allen,  so  ist  [80"]  zwischen  vns  vnd  ew  gefesstent  ein 
grassew  ferr,  das  di  von  vns  hin  zu  ew  nicht  chomen  mügen,  noch 
von  dann  her  wider.''     do   sprach   awer   der  reich:    „ich  pitt  dich 
vater,    das  du  in  sendest  in  meins  vater  haus;    ich  han  noch  fümf  45 
prueder,    das  er  den   sag,    das  si  icht  choemen  an  disew  stat  dierr 
weitz."     vnd   is   sprach   zu   im  Abraham:    „si    habent  Moysen  vnd 
ander  weissagen ;  di  hörn."     do  sprach  er  awer:  „swer  also  von  den 
taden   chümt  hin    zu   in,    so    enphahen    si   puess."     do   antwurt  im 
Abraham :  „  ob  si  Moysen  vnd  di  weissagen  nicht  horent ,  swer  denn  50 
also  von  den  taden  erstet,  dem  gelaubent  si." 

xxxxv. 

Di  letzen  ^  am  anderii  [80'']  sautag-  —  loliaiines  ^. 

Aller  liebsten !  ir  sult  ew  nicht  wundern ,  ob  ew  die  weit  has- 
set.    Avir  Avissen,    das  wir  gefuert   sein  vom  tad  zum  leben,    Avand 

1)  Hs.  loh'ues,    von  jüngerer    hand  durchgestrichen   tmd  am   rand  Lucas 
geschrieben.  —    Evang.16,  19  —  31.        2)  Hs.  letz.        3)  1.  Brief  3,  13  — IS. 


44  STEJSKAL 

wir  haben  lieb  di  pmeder.  der  nicht  lieb  hat,  der  beleibt  im  tad. 
5  ein  igleiher,  der  do  hasst  seiun  prueder,  der  ist  ein  mausleg  vnd 
ir  wisst,  das  ein  igleich  mansleg  nicht  hat  das  ewig  leben  in  im 
beleibund.  in  dew  erchenn  wir  di  lieb  gotes,  wann  er  vür  vus  hat 
gelegt  sein  sei  vnd  wir  süllen  di  sei  vur  di  prueder  legen,  wer  do 
biet  das  gelt  der  weit  vnd  siecht  seinn  prueder  die  nadtuerft  leiden 
10  vnd  besleüst  sein  gewaid  var  im,  wi  beleibt  di  [81"]  lieb  gotes  in 
im?  meine  chindel!  nicht  hab  wir  lieb  mit  dem  wart  vnd  mit  der 
zung,  sunder  mit  dem  werch  vnd  der  warhait. 

Das  ewang-elij  am  suntag  —  Lucam^ 

lesus  sagt  seinn  lungern:   „ein  mensch  macht  grassew  wiert- 

15  Schaft  vnd  lued  manig  vnd  saut  seinn  chnecht,  do  man  essen  solt, 
das  er  den  sagt  di  geladen  warn,  das  si  chssmen,  is  wser  ^  alles 
berait.  do  begunden  si  sich  all  entsagen,  der  erst  sprach  zu  im: 
„ich  hau  ein  darf  chaufft  vnd  mues  drat  hin  aus  gen  vnd  das  bese- 
hen; ich  pitt  dich,  das  du  mich  beredest."  der  ander  sprach:  „ich 

20  hau  fünf  loch  achsen  chauft  vnd  mues  gen  di  [81*']  uersuehen;  ich 
pitt  dich,  das  du  mich  entschuldigst."  der  dritt  sprach:  ,,ich  hau 
ein  weib  haim  gelaitt  vnd  darum  mag  ich  nicht  chcemeu."  vnd  do 
der  chnecht  wider  chom ,  do  sagt  er  das  seim  herren.  do  ward  der 
wiert  zarnig  vnd  gepat  seinn  chnechten:  „get  drat  an  di  Strasse  vnd 

25  an  di  gassen  vnd  fuert  her  in  di  armen  vnd  di  hufhaltzen,  di  plin- 
ten  vnd  di  chrumpen."  do  sprach  zu  im  der  chnecht:  „herr,  is  ist 
geschehen,  sani  du  geputt;  vnd  ist  noch  ain  stat."  do  sprach  der 
herr  zu  dem  chnecht:  „ge  aus  vmb  di  wege  vnd  vm  di  zewn  vnd 
ncett  sew   her  in    ze  gen,    das  mein   haus  [82"]  erfüllet  werd.     ich 

30  sag  ew ,  das  der  mann  chainr ,  di  do  geladen  sind ,  enpeisseu  moins 
essens  nicht." 

XXXXVI. 

Di  letzen 3  au  dem  dritten*  suntag*  —  sand  Peter '^. 

Aller  liebsten !  wert  gediemmuetigt  vnder  di  gewaltig  haut 
gotes,  das  er  ew  hoech  an  der  zeit  ewerr  haimsuechung.  allen 
ewern  vleis  werfft  an  in,  wann  iem  ist  sarg  vm  ew.  west  uiiecht 
5  vnd  wacht ;  wand  ewr  widerwech ,  der  teufel ,  als  ein  leb  winnunder 
get  er  um  vnd  suecht,  wen  er  vresse;  dem  widerstet  stark  au  dem 
gelauben  vnd  wisst,  das  selb  leiden  geschehen  ewerr  pruederschaft, 
di  in  der  weit  ist.  awer  got  aller  genadeu ,  der  vns  geladen  [82''] 
hat  in  sein  ewige  glori  in  lesu  Christo ,  wenich  gellten  er  uolpriugs 
10  staes  vnd  festens.     im  sei  glori  vnd  gewalt  in  weit  zewelt.   amen. 

1)  Evang.  14,  16—24.   2)  Hs.  w'.     3)  Hs.  letz.     4)ifs.  iij.    5)  1.  Brief  5,  6—11. 


ALTDEUTSCHE    PERIKOPEN  45 

Das  ewangelij  am  dritten  ^  suutag  —  Lxicas  2. 
Is  nahenteu  di  otteu  süuter  vnd  di  sünter  zu  lesii,    das  si  in 
harten,    vnd  der  luden  pischolf  vnd  Schreiber  murmelten  sprechund: 
„  er  enphiecht  di  offen  sünter  vnd  isst  mit  in."    do  sagt  in  Jesus  ein 
gleiclinusse ;  .,\velher  ewr  liat  hundert  schaf  vnd  vleust  er  ains  von  15 
den ,  er  Iset  di  newn  vnd  newntzich  in  der  wüeste  vnd  get  dem  nach, 
das  do  uerlarn  ist.     vntz  ers  vindt,    so  nimt  ers  vrceleich  auf  sein 
acliseln  vnd  chümt  haim  vnd  ladet  seine  [83*]  vrewnt  vnd  sein  nach- 
paurn  vnd  spricht:    vrewt  ew  mit  mir,    wann    ich   han  mein  schaf 
fluiden,   das  uerlaren  was.     ich  sag   ew,    das  auch  also  ein  vrewde  20 
zehimel  wiert  von  ainem  sünter,  der  sich  Iset  rewen  sein  sünde,  mer 
denn  vm  newn  vnd  newntzichk  gerechter ,  di  nicht  puesse  bedürffen. 
oder  welch  weib  hat  zehen  dragma  vnd  uerleust  si  aine,  si  zünt  ir 
latern  vnd  chert  das  haus  vnd  suecht  vleissichleich ,  vntz  si  is  vin- 
det.     vnd  so  si  is  vindt,   so  ladet  si  ir  vrewnt  vnd  ir  nachpauriun  25 
vnd  spricht:  vreut  ew  mit  mir,  wann  ich  han  funden  mein  dragma, 
di  ich  uerlarn  [83'']  bet.     also  sag  ich  ew:    vrewd   wiert   von   gotes 
engein  von  ayni  sünter,  der  sich  bechert." 

XXXXVII. 

Di  letzen  am  vierden^  suntag:  —  sand  Paul*. 

Prüeder !  ich  wsen ,  das  nicht  gegenwürtigew  leiden  sein  dierr 
zeit  zu  der  chünftigen  glori,  di  in  vns  geoffent  wirt;  wann  di  wart- 
tung  der  creatur  dei-  offnung  der  gotes  chind  gepeitt.  der  eytel- 
chait  ist  di  creatur  vndertan,  an  willen,  sunder  durch  in,  der  sei  5 
vnder  gewarffen  hat  in  gedinge;  vnd  auch  die  creatur  zerlest  wiert 
von  dem  dienst  der  zerleidung  in  di  vreyhait  der  glori  gotes  chin- 
der.  wir  wissen,  das  alle  creatur  sewfft  vnd  gepiert  vntz  nu.  [84"] 
vnd  nicht  alain  di  sünter,  auch  wir  selb,  di  do  haben  di  anfeug  der 
wünschung  gotes  chinder  vnd  der  erlasung  vnseres  leicbnams  in  10 
Christo  lesu  vnserm  herren. 

Das  ewang^elij  an  dem  selben  suntag-  -  Lucas  ■•. 
lesus  sprach  zu  seinn  lungern:  „seit  parmhertzig  als  ewr  him- 
lischer  vater  parmhertzig  ist ;  urtailt  niement ,  das  ir  icht  uerurtailt 
wert;  uergebt,  das  auch  man  evv^  uergeb;  gebt,  das  ew  werd  gege-  15 
ben.  di  guet  mass  vnd  ein  geschütte  masse  vnd  uolle  mass  vnd 
über  trieffunde  di  wirt  gegeben  in  ewern  puesem;  mit  der  mass,  do 
mit  ir  messt,    do  wiert    ew  mit   gemessen."     er   sagt   in   auch  ein 

1)  Hs.  iij.  2)  Evang.  15,  1—10.  3)  Hs.  lU].  4)  Brief  an  die 

Römer  8,  18  —  23.        5)  Evang.  6,  36—42. 


46  STßJSKAL 

gieicli  [84'']  nüsse:  „wenn  ain  plinter  den  andern  plinteu  laittet,  so 
20  uallent  si  paid  in  di  grueb.  der  iunger  ist  nicht  über  den  maister ; 
is  ist  ein  igleicher  uolchomen ,  ob  er  ist  sani  sein  maister.  du  siechst 
di  agen  in  deins  prueder  äugen  vnd  merkst  nicht  den  tram  in 
deim  äugen,  wie  machtu  gesprechen  zu  deim  prueder:  prueder,  la 
das  ich  aus  werffe  di  agen  aus  deinem  äugen ,  vnd  siechst  nicht 
25  den  tram,  der  in  deim  äugen  ist?  gleichsner!  von  erst  wirf  den 
tram  aus  deim  äugen  vnd  denn  siech,  das  du  aus  nemst  di  agen 
aus  den  äugen  deines  prueder." 

XXXXVIII. 

Di  letzen  am  fünften  suntag-  —  sand  Peters. 

[85*]  Aller  liebsten!  seit  all  ainmüetig  in  dem  gepet,  mitlei- 
dig, liebhaber  der  pruederschaft ,  parmbertzig,  maissig,  dienmuetig; 
nicht  gebt  wider  pois  vm  guet,  noch  fluech  vm  fluech,  sunder  her 
5  wider  gesegent ,  wand  ir  in  dew  geladen  seit ,  das  ir  den  sogen  im 
erbtail  besitzt,  wann  wer  das  leben  wil  lieb  haben  vnd  guet  tag 
sehen,  der  straff  sein  zung  von  dem  übel  vnd  sein  lefss ,  das  si  icht 
trugenheit.  eher  ab  von  dem  übel  vnd  tue  guet,  suech  den  vrid  vnd 
ge  im  nach ;  wann  di  äugen  des  herren  liber  di  gerechten  vnd  seine 
10  arn  an  ir  gepet;  awer  der  anplik  des  herren  über  die,  di  übel 
tuent.  wer  [85'']  ist  er,  der  ew  schat,  ob  ir  guet  liebhaber  seit? 
ob  ir  icht  leit  vm  die  gerechtichait ,  so  seit  ir  salig.  ir  farcht 
furcht  nicht  vnd  wert  nicht  betruebt,  awer  den  herren  Christum 
heiligt  in  ewern  hertzen. 

15  Das  ewaug'elij  —  sand  Lucas^. 

Do  di  menig  drangen  zu  lesu,  das  si  harten  sein  wart,  do 
stuend  er  pei  dem  se  Genazareth  vnd  zwai  schef  stuendeu  pei  dem 
mer;  di  vischer  warn  dar  ab  gegangen  vnd  wueschen  ir  netz,  do 
gie  er   in   ein  schef,    das  Symonis   was ,    vnd  hies  ins    ein   wenich 

20  füeren  von  dem  gestat.  vnd  sas  vnd  leret  di  menig  ab  dem  scheffe. 
de  er  sich  des  gelaubt,  do  sprach  er  zu  Symoni:  [86*]  „fuer  is  au 
di  tieft'  vnd  werlft  ewre  netz  vnd  faclit."  do  autwurt  Symon  vnd 
sprach  zu  im:  „pieter,  wir  haben  alle  di  nacht  gearbait  vnd  vin- 
den  nicht;    von    deinem   wart   wierflfe   ich    mein  netze."     do  er  das 

25  getet,  do  vingen  si  ein  grasse  menig  der  visch,  das  ir  netz  erprast, 
vnd  winkhten  den  gesellen  in  dem  andern  schefte,  daz  si  chaemen 
vnd  in  hulffeu.     vnd  cliomen  vnd  fülten  pedew   schef,    das  si  sun- 

1)  1.  Brief  3,  S—W.        2)  Evcmg.  5,  1  —  11. 


ALTDEUTSCHK    PERIKOPEN  47 

chen.  do  das  Symou  Petrus  ersach,  do  viel  er  im  zetuossen  vnd 
sprach:  „herr,  ge  hiu  aus  von  mir,  wann  ich  pins  ein  sünter."  in 
het  di  farcht  vmgangen  vnd  all,  di  mit  im  do  warn,  do  [86''J  di  3U 
visch  wurden  gefangen ;  vnd  al  sam  geschach  lacobum  vnd  lohan- 
nem,  di  sün  Zebedei ,  di  gesellen  waren  Symunis.  do  S})racli  lesus 
zu  Symonem:  „furcht  dir  nicht;  hetlauch  wierstu  nahen  di  lewt." 
vnd  fürten  di  schef  zu  der  erden  vnd  Hessen  is  alls  vnd  uolgten  ym. 

IL. 
Di  letzen  >  am  sexteu  suiitag:  —  saiid  Paul  '^. 

Prueder!  welich  wir  getauft't  sein  in  Christo  lesu,  in  seim 
tad  sei  wir  getauft,  wann  wir  sein  mit  begraben  mit  im  durch  di 
tauft"  inn  tad;  recht  als  Christus  ist  erstanden  durch  di  glori  des 
uater,  alsam  ge  auch  wir  in  der  newung  des  [87*J  lebens.  wann  5 
ob  wir  gephlantzet  sein  in  der  gleichnüss  des  tades,  also  werd  auch 
wir  der  urstend.  vnd  wisst  das,  das  vnser  allter  mensch  auch 
gechrewtzt  ist,  das  zeprochen  werde  der  leichnam  der  sünteu,  das 
wir  vürbas  der  sunt  icht  dienn.  wann  welher  tad  ist,  der  ist 
gerechtigt  von  den  sünten.  vnd  ob  wir  tad  sein  mit  Christo,  auch  10 
gelaub  wir,  das  wir  leben  mit  Christo,  vnd  wisst,  das  Christus,  der 
erstanden  ist  von  dem  tad,  der  stirbt  nu  nicht;  der  tad  herscht  im 
vnrbas  nicht,  wan  das  er  tad  ist  den  sünten ,  das  ist  er  ains  tad ; 
awer  das  er  lebt,  das  lebt  er  got.  also  uerwajnt  auch  uns  tad  sein 
[87'']  den  sünten  vnd  got  leben  in  Christo  lesu  vnserm  herren.  15 

Das  ewaiigelij  —  saud  Matheum^. 

lesus  sprach  zu  seinn  lungern :  „werleich  sag  ich ,  nuer  is  sey 
denn  ewer  gerechtichait  grcesser  denn  der  schreiber  vnd  der  luden 
pischolf,  ir  choemt  nicht  in  das  reich  gotes.  habt  ir  uernoraen, 
das  den  alten  uerpoten  ist:  ir  toett  niement;  der  awer  toett,  der  20 
wiert  schuldig  des  gerichts?  ich  sag  awer  ewch:  swer  ertzürnt  seinn 
prueder,  der  wirt  des  gerichtes  schuldig;  sv^er  aber  spricht:  racha! 
zu  seim  prueder,  der  wirt  der  sammnng  schuldig,  awer  swer 
spricht:  tar!  der  wiert  schuldig  der  helle  fewer.  vnd  pringstu  dein 
gab  dem  allter  [88*]  vnd  gedenkst,  das  du  wider  deinen  prueder  25 
icht  habst  getan,  so  la  dein  gab  var  dem  allter  vnd  gincli  e  vnd 
uersüen  dich  mit  deinem  prueder  vnd  chüm  denn  vnd  pring  dein 
opher. 

1)  Hs.  letz.       2)  Brief  an  die  Bömer  6,  3  — 11.      3)  Evang.  5,  20—24. 


48  StEJSKAt, 


Di  letzen'  am  sibenteii  suntag  —  Paulus 2. 

Prueder!  menschleich  so  sprich  ich  durch  di  chrankhait  ewrs 
vleischs.  wann  als  ir  erpoten  habt  ewre  glid  zu  dienn  der  vnrain- 
chait  vnd  der  pashait  zu  der  vurechtichait,  alsara  erpiett  nu  ewere 
5  gelid  der  gerechtichait  in  di  heiligung.  wann  do  ir  wart  chnecht 
der  simten,  do  wart  ir  vrey  der  gerechtichait.  was  frucht  hett  ir 
do  an  dew,  des  ir  ew  nu  schämt?  der  endt  ist  der  tad.  awer  nu 
ir  [88**]  seit  gelcest  von  der  sunt  vnd  seit  warden  diener  gotes,  so 
habt  ir  ewr  frucht  vnd  di  heiligung  vnd  das  ent  das  ist  das  ewig 
10  leben,  wann  der  sünten  solt  ist  der  tad ;  awer  di  gnad  gotes  ist 
das  ewig  leben  in  Christo  lesu  vnserm  herren. 

Das  ewang-elij  —  sand  Matheum '-^. 

Do  ein  grassew  schar  was  mit  lesu  vnd  nicht  heten,  das  si 
sessen,    do  lued  er  zesamme   sein  iunger  vnd  sprach:    „ich  erparm 

15  mich  über  das  uolkh,  wann  si  duldent  mich  endritten  tag  vnd  haben 
nicht,  das  si  essen,  vnd  lasse  ich  sew  fasstund  haim,  so  erligent 
si  auf  dem  wege:  ir  sein  sumleich  ferr  her  chomen."  do  antwur- 
[89"]  ten  im  di  iunger:  „wer  moech  so  vil  prat  gewinnen  in  der 
wüesste ,  do  mit  er  di  all  gesatte  ?  "    vnd  er  fragt  sew :  „wie  manich 

20  prat  habt  ir?"  si  sprahen:  „sibenew."  vnd  er  gepat  der  menig 
zesizen  auf  di  erden  vnd  nam  di  siben  prat  vnd  gesegent  dew  vnd 
prachs  vnd  gabs  seinn  iungern,  das  sis  den  lewten  viir  trüegen; 
vnd  legtens  der  menig  vuer.  vnd  beten  ein  wenich  visch ,  di  gese- 
o-ent   er  auch   vnd  hiess  vür  sew  setzen  vnd  assen  all  vnd  wurden 

25  gesatt;  vnd  hueben  auf  das  do  über  ward  der  prasem  siben  choerb. 
di  do  assen ,  der  warn  vier  tausent  vnd  do  lie  er  sew. 

LI. 

Di  letzeu  am  aelitedeii  suutag  —  Paulus^. 

[89'']  Prueder!  wir  sein  schuldiger  nicht  demvleiscli,  das  wir 
nach  dem  vleisch  leben,  wann  ob  ir  nacli  dem  vleisch  lebt,  so 
sterbt  ir;  ob  ir  awer  mit  dem  geist  di  werch  des  leichnam  tojtt, 
5  so  lebt  ir.  welch  mit  dem  geist  gotes  gewarcht  werdent,  di  sind 
gotes  sün.  ir  habt  nicht  genomen  den  geist  des  diensts  awer  in 
di  farcht,  sunder  ir  habt  genomen  den  geist  der  erwünschung  der 
chind,  in  dem  wir  schreyen:  abba  [vater].     wand  er  der  geist  geit 

1)  Hs.  letz.        2)  Brief  an  die  Römer  6 ,  19  —  ^3.        3)  Evang.  Marci  8, 
1  —  9.        4)  Brief  an  die  Bömer  8,  12—17. 


AX,TDEUTSCHE   PKRI  KÜPEN  49 

zewgiiösse  vns(n-in  geist,  das  wir  sein  gotes  sün.     vnd  sei  wir  snii, 
so  sei  auch  erweu,  zwar  gotes  erweii  viul  mit  erweri  Cliristi.  10 

Das  ewangelij  am  ahteu  sun  [90"]  tag  —  Matheus^. 

Tesns  sprach  zu  seiim  iuugern:  „huett  ew  var  den  falschen 
jiropheteu,  di  zu  ew  choement  in  scheffein  gowant,  innen  sinds  zu- 
kund  wolff.  pey  irn  wercheu  erclient  sew.  man  list  nicht  vonn 
darn  di  weinper  vnd  ab  dem  liagen  di  veigen.  also  pringt  ein  guet  15 
paum  di  gueten  vrucht,  der  poes  pauni  di  poesen  vrucht.  der  guet 
panm  der  mag  nicht  pws  vrucht  pringeu ,  noch  der  poes  paum  guete. 
welch  paum  nicht  guet  vrucht  pringet,  den  siecht  mau  ab  vnd  legt 
in  an  das  fewr.  pei  ier  vrucht  erchent  ir  sew.  nicht  alle,  di  do 
sprechent:  lierr,  herr!  choement  in  das  reich  gotes;  sun  [90']  der  20 
di  tuent  meins  vater  willen,  der  ze  himel  ist,  der  chumt  iu  das 
reich  gotes." 

LH. 
Di  letzeu-  am  ueuiiteu  suutag-  —  Paulus''. 

Prueder!  nicht  sei  wir  gierig  des  pausen ,  als  di  begert  haben, 
wert  auch  nicht  aupitter  der  apgoetter  als  etleich  aus  in ,  als  geschri- 
ben  ist:  is  sas  das  uolkh  essen  vnd  trinken  vnd  stuenden  auf  zespi- 
len.  noch  vnchewsch  wir,  als  etleich  aus  in  gevnchewscht  haben,  5 
vnd  is  viellen  ains  tages  drew  vnd  zwaiutzk  tausent.  noch  uersuech 
wir  Christum,  als  ir  etleich  in  uersuechten  vnd  uerdurben  von  den 
nateru.  noch  murmelt,  als  ir  etleich  murmelten  vnd  uerdurben  von 
uertrei  [91"]  her.  awer  das  alls  geschach  in  in  einem  pilde;  vnd  is 
ist  geschriben  vus  zu  besti'affung  in  dew  di  ende  der  weit  chomen  10 
sind,  zwar  wer  sich  wsent  sten,  der  sech,  das  er  icht  ualle.  chain 
auweig  begreiff  ewch  nicht,  nuer  di  menschleich.  awer  got  ist 
getrew;  der  is  nicht  leyt,  das  ir  uersuecht  w^ert  liber  das  ir  mugt; 
sunder  er  macht  mit  der  auweig  ein  vursicht,  das  iers  geleiden 
mugt.  15 

Das  ewaiigelij  —  saud  Lucas*. 

lesus  sprach  zu  sein  lungern  ein  gleiclmusse :  „  es  was  ein  rei- 
cher mensch,  der  het  aynn  rnaja*;  vnd  ward  der  besagt  hiutz  in, 
das  er  uerwüesst  biet  sein  guet.  vnd  er  besant  in  vnd  sprach  zu 
iem:  [Bl**]  „was  ist  das  ich  bor  von  dir?  antwurt  mir  von  meiim  20 
guet,  wann  du  mäht  nicht  mer  mein  amtman  gesein."  do  sprach 
der  mair  wider  sich  selb :  ,,was  tuen  ich ,  wann  mein  herr  mir  nimt 

1)  Evang.  7,  15—21.     2)  Hs.  letz.     3)  1.  Brief  an  die  Corinther  10,  6^13. 
4)  Ecatu/.  16,  1—9. 

ZEITSCHß.    F.    DKÜTSCHE    PHILOLOGIE.     BD.  XII.  4 


50  STEJSKAL 

den  mairhof  ?  ich  mag  nicht  rewten ,  des  allmuesens  schäm  ich 
mich,     ich  wais  wol  was  ich  tuen,  wenn  ich  von  dem  ampt  chura, 

25  das  si  mich  enphahen  in  irew  hewser."  vnd  lued  igleiehen  gelter 
seins  herren  vnd  sprach  zu  dem  ersten:  „wie  vil  soltu  meim  herren?" 
er  sprach:  ,,hundert  mass  oels."  do  sprach  er  zu  im :  „nuschreib  drat 
funftzk."  do  sprach  er  zu  dem  andern:  „wie  vil  soltu?"  er  sprach: 
„hundert  mass  [92*]  waitz."  „nim  den  prief  vnd  schreib  achtzik,"  vnd 

30  lobt  der  herr  den  mair,  das  er  weisleich  biet  getan,  wann  die 
chind  dierr  weit  weiser  sind  in  ierr  gepuerd ,  wenn  di  sün  des  Hech- 
tes, vnd  ich  sag  ew :  „  macht  ew  vreunt  vom  gnet  der  pashait, 
wenn  ew  enpresst,  das  si  ew  enphahen  in  dew  ewigen  hewser." 

LIII. 

Di  letzen  am  zehenteu  suutag  —  sand  Paul  ^ 

Prueder!  ir  wisst,  do  ir  diet  wart,  das  ir  gingt  zu  den  stum- 
men appgcettern,  als  ir  gefuert  wurtt.  darum  tuen  ich  ew  chuut, 
das  niement,  der  do  in  gotes  geist  redt,  spriclit  den  pan  lesu;  vnd 
5  niement  mag  gesprechen:  der  herr  Jesus  nuer  [92'*]  im  heiligen 
geist.  tailung  sind  der  genaden ,  awer  der  selb  ist  der  geist.  is 
sein  auch  tailung  der  dienst  vnd  ist  doch  der  ain  herr.  vnd  tai- 
lung sind  auch  der  werch,  awer  der  selb  got  ist,  der  do  allew 
dinch  würcht  in  allen,     eim  igleiehen  wiert  gegeben  di  oft'uuug  des 

10  geists  zu  nutz,  ainem  wirt  geben  durch  den  geist  di  rede  der  weis- 
hait,  dem  andern  di  rede  der  chunst  nach  dem  selben  geist,  dem 
andern  der  glaub  in  dem  selben,  ainem  di  genad  des  gesunts  in 
aim  geist,  aim  di  Avurchuug  der  tugent,  aym  der  weissagtum,  aym 
di  erchennung  der  geist,   aym  di  mannichfaltichait  der  zung,   aym 

15  di  bedewttung  [93"]  der  rede,  awer  di  alle  würcht  der  ain  vnd  der 
selb  geist  vnd  tailt  igleichem  als  er  wil. 

Das  ewangelij  am  siiutag-  —  Lticas''. 

Do  lesus  nahent  zu  lerusalem  vnd  do  er  di  stat  sach,  do 
waint  er  vnd  sprach:  „hietestu  erchant  was  dir  zevrid  vnd  zu  gena- 

20  den  solt!  nu  sint  si  uerpargeu  var  deinn  äugen,  is  werdent  di  tag, 
das  dich  dein  veint  vmgebent  mit  eim  graben  vnd  besitzent  vnd 
besengstigent  dich  allenthalben  vnd  zestörent  dich  vnd  deine  chind, 
di  in  dir  sein,  vnd  lassent  in  dir  ayun  staiu  nicht  auf  dem  andern, 
darum  das   du  nicht  erchant  hast  di  zeit  deins  hailes."     vnd  gie  in 

25  den  [93'']  tempel  vnd  traib  dar  aus  di  uerchauflFer  vnd  chaufter  vnd 

1)  1.  Brief  an  die  Corinther  12,  2—11.        2)  Evang.  19,  41  —  47. 


ALTDEUTSCHE   PERIKOPEN  51 

sprach:  „is  ist  geschribeii,  das  mein  liaiis  ist  ein  petbaus;  ir  habt 
is  awer  gemacht  zu  eiur  hoel  der  diep."  vnd  was  lerund  tsegleich 
in  dem  tempel. 

LIV. 

Di  letzen  am  aindlefteii  suntag*  —  Paulus'. 

Prueder!  ich  tuen  ew  chuut  das  ewangelij,  das  icli  ew  gepre- 
digt hau,  das  auch  ir  uamt  vnd  au  dem  ir  auch  stet,  durch  das 
auch  ir  gehailet  wert,  vm  welich  sach  ich  ews  gepredigt  hab,  ob 
ir  is  behaltt,  nur  ir  liabt  denn  eytel  geglaubt,  ich  gab  ew  von  5 
erst,  das  ich  auch  euphaugen  het:  das  Christus  tad  ist  vm  vnser 
[94*]  sunt  nach  der  schrift  vnd  das  er  begraben  ist  vnd  das  er 
erstueud  au  dem  dritten  tag  nach  der  schrift  vnd  das  er  erschain 
Cephe  vnd  do  uach  den  aindlefeu.  dar  nach  erschain  er  mer  denn 
funfhuudert  prüedern ,  der  noch  vil  sind ,  awer  etleich  sein  tad.  do  10 
nach  erschain  er  lacobum,  do  nach  allen  poteu,  awer  zum  aller 
iungsten  erschain  auch  er  mir  als  eim  wüerfling;  ich  pin  der  minst 
der  zwelf  poten  vnd  ich  pin  nicht  wierdig  genaut  sein  ein  zwelf 
pot,  wann  ich  hau  gesecht  di  chirchen  gotes,  aber  von  den  geua- 
den  gotes  pin  ich  das  ich  piu.  15 

Das  ewangelij  des  selben  suntags  [94'']  —  Liicas'^. 
lesus  sprach  zu  seinu  lungern  vnd  zu  sumleichen,  di  in  selb 
getrauten  als  di  grechten,  ditz  pispel:  „zwen  menschen  gingen  auf 
petteu  inn  tempel:  ain  phariseus  vnd  ein  offner  sünter.    der  phari- 
seus  stuend  vnd   pett    also    mit   im   selbe:    herr  got,    ich   sag   dir  20 
genade,    wann    ich  pin    nicht   als   ander   lewt,    rauber ,    vugerecht, 
huerer,   als    auch  der  publicanus.     ich  vasst  zwier   in  der  wocheu, 
ich    gib  meinu   zeheut  von  allen  dem ,   das  ich  han  besessen,     vnd 
der  publicanus  stuend  ferr  vnd  getarst  sein  äugen  nicht  auf  geheben 
hiutz  himel  vnd  der  slueg  in  sein  prust  vnd  sprach:  [95*]  herr  got,  25 
wis  gensedig  mir  sünter!  ich  sag  ew,  das  er  gie  in  sein  haus  gepes- 
sertter  von  im;  wann  alle  di  sich  hoehent  werdent  genidert  vnd  di 
dienmüetigen  werden  geh5cht.  ^ 

LV. 
Di  letzen  am  zwelften  suntag  —  Paulus*. 

Prüeder!    einn   soelchen  gedreng   hab  wir   durch  Christum  zu 
got;   nicht  daz  wir  geuueg  von  vus  selb  etwaz  gedenchen    von  got 

1)  1.  Brief  an  die  Corinther  15,  1  —  10.  2)  Evang.  18,  9-14.  3)  Bis 
hieher  schrieb  der  erste  Schreiber,  das  fernere  rührt  von  der  hand  des  zweiten 
Schreibers  her.        4)  2.  Brief  an  die  Corinther  3,  4  —  9. 

4* 


52  STfiJSKAL 

als  von  vns  selben,  sunder  vnser  genueg  ist  von  got,  der  vus  auch 
5  ffiegleich  diener  gemacht  hat  dem  newen  geschseft  vnd  nicht  nach 
der  Schrift  sunder  nach  dem  geist;  di  sclirift  toett,  aber  der  geist 
der  chükht.  vnd  ob  der  dienst  dez  tades  geformt  mit  puechstaben 
in  di  stain  vyaz  in  der  glori  also ,  daz  di  chiud  Israhel  nicht  mach- 
ten gesehen  daz  antlutze  Moysi  durch  di  glori  seins  antlütz,  daz 
10  gelsert  wirt,  wie  dann  nicht  mer  der  [Oö*"]  dienst  dez  geists  wiert 
in  glori?  vnd  ob  der  dienst  dez  geists  in  glori  ist,  michels  mer 
genüegt  der  dienst  der  gerechtichait  in  glori! 

Daz  ewaugelij  dez  selbeu  suutags--  Marcus  \ 

lesus  gie  von  Tyro  vnd  chom  durch  Sydouem  zu  dem  mer 
15  Galylee  in  dem  laut  Decapoleos.  vnd  prachten  iem  einn  tauben  vnd 
stummen  vnd  pateii  lesum,  daz  er  in  berüert.  vnd  er  graif  in  an 
vnd  füert  in  aus  der  meuig  vnd  graif  im  an  sein  aren  vnd  spürtzt 
aus  vnd  bestraich  sein  zuugen  vnd  sach  auf  hintz  himel  vnd  sewflft 
vnd  sprach  zu  im:  „eflfata,"  daz  spricht:  wierd  geoffent.  vnd  zehant 
20  wurden  auf  gepant  vnd  redt  recht  vnd  gepat  in ,  daz  sis  iemen  sag- 
ten, so  er  ins  ie  mer  uerpat,  so  sis  ie  mer  sagten;  vnd  wundert 
sew  sein  ie  mer  vnd  sprachen:  „alle  diuch  hat  er  wol  getan,  er  hat 
di  taren  gemacht  hoerund  vnd  di  stummen  redund." 

LVI. 

[96"]  Di  letzen  am  dreitcelieuteu  suiitagr  —  Paulus  ^. 

Prueder !  Abrahe  sind  gesprochen  gehaizz  vnd  seim  sam ;  er 
spricht  nicht:  „seim  samen,"  als  in  der  gemain  oder  menig,  sun- 
der als  in  aynem:  „vnd  deim  sam,"  der  do  ist  Christus,  awer  ich 
5  sprich:  daz  geschseft,  daz  besta-tt  ist  von  got,  daz  zespricht  nicht 
di  e,  die  nach  vier  hundert  vnd  dreizzik  iaren  gemacht  ist,  daz  si 
leer  daz  gelub;  wand  ob  der  erbtail  ist  von  der  e,  so  ist  er  zehant 
nicht  von  dem  gelüb ;  aber  Abrahe  gab  is  got  durch  di  gehaizze. 
waz  ist  di  e?   vm  di  ubergeung  ist  sy  gesatzt,   vntz  daz  chaem  der 

10  sam,  den  er  uerliaizzen  het;  geardent  mit  den  engein  in  di  haut 
dez  mitter;  awer  ain  mitter  ist  nicht,  awer  aiu  got  ist.  ist  di  e 
wider  di  gehaizz  gotes?  nicht,  ob  gegeben  wer  di  e,  di  do  macht 
lemtig  gemachen,  werleich  so  wer  von  der  e  di  gerechtichait;  aber 
di  Schrift  hat  alle  dinch  beslozzen  vuder  der  sunt,  daz  di  gehaizze 

15  aus  dem  [96*"]  gelauben  lesu  Christi  wurde  gegeben  den  gelau- 
bigen. 

1)  Evang.  7,  31  —  37.        2)  Brief  an  die  Gulater  3,  16—22. 


ALTDEUTSCHE   PERIKOPEN 


53 


Das  eivang:elij  am  suntag  —  Lucas ». 
lesus  sprach  zu  seiun  iiuigeni:    „di  äugen  sind  saelig,    di  do 
sehent,    daz   ir   secht!    ich  sag  ew ,    daz  vil  weissagen  vnd  chüuig 
wolten  sehen,    daz  ir  secht  vnd  sahen  sein  nicht;    vnd  hoeren,    daz  20 
ir  hoert    vnd    harten    sein   nicht."     vnd  stuend    auf  ein  weiser  man 
von  der  e  vnd  sprach  in  uersuechund :  „niaister,  waz  sol  ich  tuen, 
daz  ich  daz  ewig  lehen  hesitz?"  er  sprach  zu  im:  „waz  ist  geschri- 
ben  in  der  e?  wie  lisstu?"  der  antwurt  im  vnd  sprach:  „hab  lieb 
deinn  got  von  alle  deim  muet  vnd  von  alle   deim  hertzen    vnd  von  25 
aller  deiner  sei  vnd  von  alle  deinn  chreften  vnd  hab  lieb  deinn  näch- 
sten als  dich  selb."     do  sprach  er  zu  im:    „du    hast   recht  ertailt; 
daz  tue  vnd  du  lebst."     er  wolt  sich  selb  entschuldigen  vnd  sprach 
zu  lesu:  „wer  ist  mein  nächster?"     do  sach  lesus  auf  vnd  sprach: 
„ein  mensch   gie  ab  von  lerusalem  [97*]  hintz  Yericho  vnd  viel  in  30 
der  Schacher  haut  vnd  di  beraubten  in  vnd  sluegen  in,  daz  er  halb 
tad  waz  vnd  fuerten  in  hin.     do  fuer  ein  ewart  den  selben  weg  vnd 
do  er  in  sach ,  do  fuer  er  für.     alsam  tet  auch  ein  leuit ;  do  er  chom 
zu  der  stat  vnd  in  sach  ,  do  fuer  er  für.     ein  Samaritanus  fuer  auch 
den  weg  vnd  chom  zu  im ;  do  er  in  ersach ,  do  erparmt  er  sich  über  35 
in  vnd  nahent  zu  im  vnd  pant  im  sein  wunten  vnd  gas  dar  in  oel 
vnd  wein  vnd  setzt  in  auf  sein  viech  vnd  fuert  in    in  seinen  stadel 
vnd  beruecht  in.     dez  andern  tagßz  zach  er  aus  zwen  phening  vnd 
gab    sew   dem   stalmaister  vnd  sprach:   phlig  sein  wol  vnd  waz   du 
mit  im  vertzerest  daz  gilt  ich  dir,    so  ich  herwider  chüm.     welher  40 
der   dreyr  dunkhet  dich  dez  nächster  gewesen  sein ,    der  do  viel  in 
der  Schacher  haut?"     do  antwurt  er  im:    „der  di  parmung  an  im 
begie."  [97'']  do  sprach  zu  im  lesus:  „ge  vnd  tue  alsam." 

LVII. 

Di  letzen  am  viertzehenten  suntag  —  Paulus  2. 

Prueder !  nach  dem  geist  get ,  so  volpringt  ir  nicht  di  gier  dez 
fleisches.  wann  daz  vleisch  begert  wider  den  geist  vnd  der  geist 
wider  daz  vleisch ;  wann  die  sind  in  selb  an  einander  wider,  daz  ir 
nicht  tuet  waz  ir  weit,  ob  ir  gefuert  wert  von  dem  geist,  so  seit  5 
ir  nicht  vnder  der  e.  is  sind  di  werch  dez  vleischs  often,  daz  ist 
vnchewsch,  vnrainchait,  vnchewsch,  der  appgoetter  dienst ,  zawbrey, 
feintschaft,  chrieg,  neyd,  zarn,  streit,  misshelunge,  chetzrey,  vnard- 
nung,  hjezze,  mansleg,  trunckhenhait  vnd  frashait  vnd  der  geleich; 
daz  sag  ich  ew  var,  als  ich  ews  var  gesagt  hau,  wann  welch  soel-  10 

1)  Evang.  10,  23  —  37.        2)  Brief  an  die  Galater  5,  16  —  24. 


54  STEJSKAL 

chew  tuen,  di  begieiffent  nicht  daz  reich  gotez.  awer  di  frucht 
dez  geists  ist  dew  lieb,  vrewd,  vrid,  gedult,  lanchmuetichait,  giiet, 
senftmiietichait ,  zamhait,  der  glaub,  di  msessichait,  di  ent  [98°'] 
haltung,  di  chewsch;  wider  dew  ist  nicht  dew  e. 

15  Das  ewangelij  des  selben  siuintag-es  —  sand  Lucas  ^. 

Do  lesus  gie  hintz  lerusalem ,  do  gie  er  enmitten  durch  Sama- 
ria  vnd  Galyleam.  vnd  do  er  gie  gegen  eym  casstell,  do  chomen 
im  zehen  aussetzig  mau ;  di  stuenden  ferr  vnd  ruefften  sprechund  : 
„  lesu  gepieter ,  erparm  dich  über  vns ! "     do  er  sew  sach ,  do  sprach 

20  er :  „  get  vnd  zaigt  ewch  den  priestern."  vnd  do  si  gingen ,  do 
wurden  si  gerainigt.  vnd  ir  ainr  der  di  gerainigt  waren,  der  gie 
wider  mit  lauter  stymme  vnd  lobt  got  vnd  viel  vür  sein  fuezz  vnd 
sagt  im  genad;  vnd  der  waz  ein  Samaritanus.  lesus  antwurt  vnd 
sprach  zu  im:  „nu  sind  doch  zehen  gerainigt  vnd  wo  sein  di  newn? 

25  is  sind  niclit  chomen  ir  chainr  mer,  di  got  lob  sagen,  wenn  der  ain." 
vnd  lesus  gepat  im :  „  stand  auf,  ge  hin,  dein  gelaub  hat  dich  gesunt 
gemacht." 

LVIII. 

Di  letzen  am  fünf  [98'']  tzehenten  suntag  —  Paulus  2. 

Prueder!  ob  wir  dez  geists  leben,  so  ge  wir  auch  nach  dem 
geist.  nicht  werd  wir  der  eyteln  glori  begirig ,  daz  wir  an  einander 
raitzen  oder  aneinander  neyden.  prueder!  ob  bechummert  wirt  der 
5  mensch  in  chainr  lay  misstat,  ir  di  do  geistleich  sind  leret  di  sel- 
ben ym  geist  der  senftichait  vnd  merkh  dich  selb,  dast  icht  uer- 
suecht  werdest,  ainr  dez  andern  puerd  trag ,  also  uolpringt  ir  di  e 
Christi,  wann  wer  sich  uerwaent  etwaz  sein  vnd  ist  nichts,  er 
betrewgt  sich  selben,     ein  igleicher  beswser  sein  werch  vnd  also  hat 

10  er  glori  .an  im  vnd  nicht  an  eim  andern;  wand  ein  igleicher  wirt 
sein  selbs  puerd  tragund.  is  sol  der  gemainsamen  daz  wart  der  do 
gelernet  wirt  dem,  der  in  do  lernt,  in  allen  gueten.  nicht  seit 
ierr;  got  wiert  nicht  uerspott.  wann  waz  der  mensch  sset,  daz 
sneit  er  auch,     wann  wer  sset  im  fleisch,    der  sneit  auch  von  dem 

15  fleisch  [99*]  di  zerleidung;  wer  aber  sset  in  dem  geist,  der  sneit 
aus  dem  geist  daz  ewig  leben,  nicht  geprech  wir  guettueund ;  wann 
zu  seinr  zeit  sneid  wirs  vnd  geprechen  nicht,  darum  di  weil  wir 
zeit  haben,  so  würch  wir  daz  guet  zu  allen,  awer  aller  maisi  zu 
den  hausgenassen  dez  gelauben. 

1)  Evcmg.  17,  11—19.         2)  Brief  an  die  Galater  5,  25  —  6,  10. 


W  ALTDEUTSCHE    TERIKOPEN  55 

Daz  ewaugrelij  am  siiiitag:  —  sand  Malheus '.  20 

lesus  sprach  zu  seiiin  iimgeni :  „  is  enmag  iiieint  zwain  herren 
gedienn ;  er  diiltt  ainn  viul  sma'clit  den  andoiii.  ir  miigt  nicht  got 
gedieiin  vnd  dem  rciclitum.  darum  sag  icli  ew ,  daz  ir  icht  sarget 
ewerr  sei,  waz  ir  esst,  oder  ewerm  leih,  waz  ir  an  legt,  di  sei  ist 
groezzer  denn  daz  essen  vnd  der  leib  grarzzer  denn  daz  gewant.  25 
secht  di  uogel  in  den  liiffteu !  die  Si^nt  nocli  sneident  noch  saniment 
in  ir  sta3dcl  vnd  ewr  vater  zehimel  fiicret  sew.  ier  seit  tewerr  denn 
sew.  welher  ewr  mag  gedenchen ,  daz  er  setz  zu  seiner  gewa^chst 
ainr  hant  lauch?  [99''J  vnd  warum  sargt  ir  vm  daz  gewant?  schawet 
di  lyligen  auf  dem  akher.  wie  si  wachssen!  si  usent  noch  spinnent  30 
nicht;  ich  sag  ew,  daz  Salomon  in  aller  seiner  glori  nicht  waz  als 
aine  vnder  den  allen,  ob  aber  daz  chraut,  daz  heut  ist  vnd  mar- 
gen  wirt  uerpreuuet,  got  also  michels  paz  bechlaidet  er  ew,  ir 
chlains  gelauben!  ier  sfüt  nicht  sargen  vnd  sprechen:  waz  süllen 
wir  essen  oder  trinkhen  oder  waz  leg  wir  an?  vm  daz  alles  sargent  35 
di  haiden.  ewr  vater  wais  wol,  daz  ir  dez  alls  bediirfft.  suecht 
von  erst  daz  reich  gotez  vnd  sein  rechtichait,  so  werdent  ew  dise 
allew  gegeben." 

LIX. 
Di  letzen  am  sextzehenten  -  suutagr  —  sand  PauP. 
Prueder!  ich  pitt  ew,  daz  ir  nicht  geprecht  in  meim  truebsaln 
vm  ew ,    daz   ist   ewr  glori   durch   dez  dinges  geuade.     prauch   ich 
meine  chnie  zu  dem  vater  vnsers  herren  lesu  Christi,  von  dem  allew 
vaeterleichait  chumt,  wie  di  genant  ist  in  himel  vnd  auf  erden,  daz     5 
[100"]  er  vns  geh  nach  dem  reichtum  seinr  glori  di  tugent  chreftig 
sein  durch  sein  geist  vnd  geh  Christum  wonen  mit  dem  glauben  in 
dem  inueru  menschen  in  ewern  hertzen.     in  der  lieb  seit  gewurtzt 
vnd  gegruntfestent ,  daz  ir  mügt  begreiften  mit  allen  heiligen,   waz 
sei  die  prait,  di  leng,  di  hoech,  di  tieft";   daz  ir  vv^isst  di  vurgeund  10 
lieb  der  chuust  Christi;    daz  ir  erfüllet  wert  in  alle  uollhait  gotez. 
awer  im,  der  gewaltig  ist  zetuen  uberfluzzichleicher  denn  wir  pitten 
oder  uersten  nach  der  chraft,  di  in  vns  wurcht,  ym  sey  glori  in  der 
chirchen   vnd   in  Christo  lesu  in  allew  geslaecht  von  weit  ze  weit. 
amen.  15 

Das  ewang-elij  dez  selben  suntags  —  lohannes*. 

lesus  gie  in  di  stat  Naym  vnd  sein  iunger  gingen  mit  im  vnd 
ein  michlew  menig.     do   er  nahent  zu  dem  purgtar,   do  trueg  man 

1)  Evcmg.  6,  24 — 33.      2)  Hs.  xvj.        3)  Brief  an  dieEph€ser3,  13  —  21. 
4)  Evang.  Lucce  7,  11  —  16. 


56  STEJSKAL 

einn  taden  her  aus;  der  waz  ein  ainiger  sim  seiner  mueter  vnd  di 
20  waz  ein  witib;  vnd  gie  ein  grazzew  menig  mit  ir.  do  si  vnser 
herre  er  [100'']  sach ,  do  erparmt  er  sich  über  sey  vnd  sprach  zu 
ir:  „nicht  wayu."  vnd  gie  hin  zue  vnd  ruert  in^  di  in  truegen, 
di  stuendeu  stille,  vnd  er  sprach:  „iunglinch,  ich  gepeut  dir,  stand 
auf/'  vnd  sas  der  do  tad  waz  vnd  begunde  reden,  vnd  er  gab  in 
25  seinr  mueter  wider,  si  begunden  in  all  fürchten  vnd  lobten  got 
sprechund :  ein  weissag  ist  vnder  vns  auf  gestanden  vnd  schawet  ^ 
got  sein  volkh. 

LX. 
Di  letzen  am  sibentzehenten  suntag:  —  Paulus  s. 
Prueder!    ich  man  ew  ich  gefangner  ym  herren,    daz  ir  wir- 
dichleich  get  in  der  ladung-,  do  ir  inne  geladen  seit,  mit  aller  dien- 
müetichait  vnd  seuftmuetichait ;  mit  gedult  übertragt    an  einander; 
5  in  lieb   seit   fleizzig  zu  behalten   di   ainung  des  geists  in  dem  pant 
dez  vridez.     ain  leichnam  vnd  ain  geist ,  als  ir  geladen  seit  in  ainr 
hofFnung  ewr  ladung.     ain   herr  vnd   ain   glaub  vnd   ain  tauff,    ain 
got  aller  vater,  der  über  all  vnd  durich  [101*]  all  vnd  in  vns  allen, 
der  gesegent  ist  von  weit  ze  weit.   amen. 

10  Daz  ewangelij  —  sand  Lucas^. 

lesus  gie  eins  samtztages  in  eins  fürsten  haus  der  phariseo- 
rum  ezzen  daz  prat  vnd  si  behielten  in.  vnd  waz  do  ein  mensch  var 
im,  daz  het  di  wazzersucht.  vnd  lesus  sprach  zu  den  weisen  an 
der  ee  vnd  zu  iren  pischolfen:  ,,sol  man  am  samtztag  di  lewt  gesunt 

15  machen  ? "  si  swigen.  lesus  begraif  den  wazzer  süechtigen  vnd 
macht  in  gesunt  vnd  lies  in.  do  sprach  er  zu  in :  „welchs  oechssel 
oder  essell  uellet  in  den  prunne  vnd  zeuht  in  nicht  sotzehant  her 
wider  aus  dez  samtztages?"  vnd  si  machten  nicht  da  wider  gere- 
den.    er  sprach  auch  zu  den ,  di  geladen  warn ,  ein  gleichnüzze ,  wie 

20  si  den  obristen  sitz  erweiten :  „  so  du  geladen  werdest  zu  der  wiert- 
schaft,  so  sitz  nicht  an  di  obrist  stat,  daz  leicht  ein  tewrerr  dir 
icht  ^  sey  geladen  von  ym  vnd  daz  der  icht  choem,  der  dich  vnd  in 
[101"]  geladen  hat  vnd  Sprech  zu  dir:  gib  dem  di  stat,  vnd  du 
denn  mit  schäm  müezzt  haben  di   nidrest   stat.     wenn    du   werdest 

25  geladen,  so  ginch  vnd  sitz  an  di  nidrest  stat.  so  denn  chümt  der 
dich  geladen  hat  vnd  spricht  zu  dier :  vrewnt  ginch  her  auf  paz ,  so 
hast  du  sein  er  var  den,  di  do  sitzent.  wann  wer  sich  überhoecht, 
der  wiert  genidert;  vnd  wer  sich  nidert,  der  wirt  gehoecht." 

1)    Darüber  von  jüngerer  hand  di  par.  2)   Darüber  von  jüngerer  hand 

besuchet.     3)  Brief  an  die  Epheser  4,1-6.     ■!)  Evang.  14,  1  —  11.      5)  Hs.  ich. 


ALTDEUTSCHE   PERTKOPEN 


57 


LXI. 

Di  letzen  am  achtzelienteu  snutagr  —  saud  Paul '. 

Priieder!  ich  daiich  vuserm  gott  all  zeit  viii  ew  in  der  genade 
gotes ,  di  ew  geben  ist  in  Christo  lesu ;  wann  an  allen  dingen  seit 
ir  reich  wardeu  in  im,  in  allem  wart,  in  aller  chraft;  als  di  zewg- 
DÜsse  Christi  bestaett  ist  in  ew,  also  daz  ew  nichts  geprist  in  ohainn  5 
genaden  vnd  wartt  der  offuung  vnsers  herren  lesu  Christi ,  der  auch 
ew  bestffit  vutz  an  daz  ende  an  misstat  an  dem  tag  der  zuechunft 
vnsers  herren  lesu  Christi. 

Daz  ewangelij        sand  Matheus^. 

[102*]  Is  gingen  saducey  zu  lesu  vnd  vragten  in  einr  vrag  in   10 
veisuechund:  „maister,  welchs  ist  das  maist  pot  an  der  e?"    dem 
sprach  lesus  zue:  „hab  lieb  got  deinn  herren  von  alle  deim  rauet, 
von  alle    deim  hertzen  vnd  von  aller  deinr  sei;    daz  ist  daz  maist 
vnd    daz    erst   gepot.     daz   ander   ist  dem  geleich :    hab  lieb   deinn 
nächsten  als  dich  selbe,     an  den  zwain  gepoten  hangt  gar  di  e  vnd  15 
di  weissagen."     vnd    do    sich   gesamten  di  pharisey,    do  vragt  sew 
lesus  sprechund :  „waz  uerstet  ir  von  Christ  ?  wes  sun  ist  er  ?  "     si 
sprachen:    „Dauids."     er   antburt:    „in  wie  haizzt   in   dann  Dauid: 
herr  sitz  zu  meiner  zesem  haut,  vntz  ich  geleg  dein  veint  zu  deim 
fuezzschamel?  ob  in  Dauid  haizzt  herr,  w^ie  ist  er  denn  sein  sun?"  20 
vnd  mach  iem  uiement  geantwurten   ains  warts    vnd   getarsst  auch 
an  dem  tag  in  niement  nicht  getragen. 

LXII. 
Di  letzen  =5  am  newiitzehenten  suntag-  —  sand  Paul*. 

Prueder!  wert  uernewet  mit  dem  geist  ewers  gemüetes  vnd 
1102"]  legt  an  einn  newen  menschen,  der  nach  got  geschaffen  ist 
in  gerechtichait  vnd  in  heilichait  der  warhait.  darum  legt  ab  di 
lug  vnd  redt  di  warhait  ein  igleicher  mit  seim  nächsten;  wand  wir  5 
sein  gelid  an  einander,  zuernt  vnd  siint  nicht;  di  sunn  sol  nicht 
vnder  gen  über  ewern  zarn.  nicht  gebt  stat  dem  tiefel.  der  e  ge- 
stoleu  hat,  der  stel  nu  nicht;  aber  mer  sol  er  arbaitten  mit  seinn 
hauten  vnd  würchen  daz  guet  ist,  daz  er  hab  von  dew  er  gebe  dem 
nadturft  leidunden.  10 


1)  1.  Brief  an  die  Gorinther  1,  4  —  8.    2)  Evang.  22,  35  —  46.     3)  Hs.  letz. 
4)  Brief  an  die  Epheser  4,  23  —  28. 


58 


STEJSKAL 


Daz  ewangelij  —  saiid  JSIatheusK 

lesiis  gie  in  ein  sclief  vnd  fuer  über  vnd  chom  in  sein  stat. 
vnd  prachten  vur  in  einn  pettiiseu  ligund  an  aym  pett.  do  lesus 
sach  iren  gelauben ,    do  sprach  er  zu   dem  sieben :    „  chind ,    gelaub 

15  mir,  dir  werdent  dein  simt  Hergeben."  vnd  siimleicb  scbreiber 
sprachen  wider  sich  selben:  der  abitzt.  vnd  do  lesus  verstuend  ir 
gedaench,  do  sprach  er:  „warum  gedenkht  ir  libel?  welchz  [103"]  ist 
pezzer  ze  sprechen:  dir  werden  dein  sunt  uergeben  oder  stand  auf 
vnd  ginch?  daz  ir  awer  wizzt,  daz  dez  menschen  sun  hat  auf  erden 

20  den  gewalt  zu  lazzen  di  sunt,  sprach  er  zu  dem  pettrisen:  stand 
auf  vnd  ge  in  dein  haus."  vnd  er  stuend  auf  vnd  gie  in  sein  haus, 
do  daz  di  menig  sahen,  do  farchten  si  in  vnd  lobten  got,  der 
samtann  gewalt  geit  den  menschen. 

LXIII. 

Di  letzen  am  zwaintzkisteu  suiitag  —  Paulus  2. 

Prueder!  secht  wi  ir  sicher  get,  nicht  als  di  vnwitzigen,  sun- 
der als  di  weisen ;  loest  zeit ,  wann  di  tag  sind  pcez.  darum  wert 
nicht  vnwitzig,  sunder  verstet,  welchs  sey  der  will  gotes.  vnd 
5  nicht  wert  trunken  von  wein,  in  dem  di  vnchewsch  ist,  sunder 
wert  vol  dez  heiligen  geists.  vnd  redt  mit  ew  selb  in  psalm  vnd 
loben  vnd  geistleichen  ssengen  vnd  singt  vnd  psaliert  got  in  ewern 
hertzen  vnd  dankht  got  all  zeit  vm  all  in  dem  nam  vnserr  herren 
lesu  Christi  got  vnd  dem  vater  vnd  seit  [103'']  an  einander  in  der 

10  farcht  Christi. 

Daz  ewangelij  —  Matheus^. 

lesus  redt  mit  seinn  lungern  disew  gleichnuzze:  „daz  himel- 
reich  ist  geleich  einem  chünich,  der  ein  hachtzeit  macht  seim  sun. 
vnd  saut  sein  chuecht  zu  den,    di  geladen  warn    zu  der  hachtzeit; 

15  vnd  enwolten  nicht  chcBmen,  do  sant  er  awer  ander  chnecht  aus 
sprechund :  ,,sagt  den  di  geladen  sein,  ich  hab  mein  mal  gemacht; 
mein  stier  vnd  geflvigel  sind  getoett  vnd  ist  allss  berait;  choemt 
zu  der  wiertschaft."  si  versaumtens,  vnd  gie  ainr  in  sein  darf,  der 
ander  zu  seim  markht,    di  andern  vingen  sein  chnecht  vnd    toetten 

20  sew.  do  daz  der  chunich  uernam,  do  ward  er  zarnig  vnd  sant  aus 
di  ritterschaft  vnd  verlas  dew  mansleg  vnd  uerprant  ir  stat.  do 
gepat  er  seinn  chnechten  vnd  sprach:  „di  prautlaft  ist  berait  vnd  di 
do  warn  geladen,    di  warn   sein  nicht   wierdig;    get  zu  den  wegen 

1)  Evang.9,  1  —  8.  2)  Brief  an  die  Ephesero,  15  —  21.  3)  Evang. 

22,  1-^14. 


ALTDEUTSCHE   PERIKOPEN  59 

vnd  swen  ir  vint,  den  Inert  lier  in."  di  chnecht  gingen  aus  vnd  sam- 
ten [104*]  alle  di  si  funden,  poe/  vnd  guet;  vnd  wurden  erfüllet  di  25 
gesidel.  do  gie  der  chunich  in,  daz  er  gesa-ch  di  sitzunden,  vnd 
sach  do  ainn  menschen ,  der  was  nicht  gechlaidet  mit  hachtzeitlei- 
chem  gewant.  vnd  er  sprach  zu  im:  ,,vrewnt,  wie  pistu  lier  in  chce- 
men  vnd  liast  nicht  hochtzeitleich  gewant."  vnd  er  erstumpt.  do 
sprach  der  chünig  zu  den  dienajrn:  „mit  gepunden  tuezzen  vnd  hen-  30 
ten  werfft  in  in  di  aussrest  vinster,  do  wirt  wainn  vnd  grisgramen 
der  zend.     vil  sind  geladen,  awer  wenich  sein  der  erweiten." 

LXIV. 

Di  letzen  am  ains  vud  zwaintzkisteii  suntag-  —  saiid  Paul'. 

Prneder!  wert  chreftigt  im  herren  vnd  in  dem  gewalt  seinr 
tugent.  legt  ew  an  di  waffen  gotez,  daz  ir  mügt  gesten  wider  di 
nachsetzung  dez  tiefeis ;  wann  is  ist  nicht  zeringen  wider  daz  vleisch 
vnd  daz  pluet,  sunder  wider  di  fürsten  vnd  di  geweitiger,  wider  di  5 
ardner  der  weit  vnd  dierr  vinster,  [104'']  wider  di  geistleichen  schalk- 
hait  in  den  himeln.  darum  nemt  di  waflfen  gotes,  daz  ir  mugt 
widersten  an  dem  poeseu  tag  vnd  in  allen  dingen  uolchomen  sten. 
stet  geguertt  an  ewern  leichnaraen  in  warhait,  angelegt  di  platten 
der  rechtichait  vnd  geschuecht  an  ewern  füezzen  in  di  beraittung  10 
dez  ewangelij  dez  vrydes ;  nemt  in  allen  den  schilt  dez  gelauben ,  in 
dem  ir  mügt  alle  fewreiue  geschoz  dez  schalkhsestigisten  erleschen; 
vnd  den  heim  dez  bailes  nemt  vnd  daz  swert  dez  geists,  daz  ist 
daz  gotswart. 

Daz  ewangelij  —  sand  lohatmes^.  15 

Is  was  ein  chünigel  ze  Capharnaum,  dez  sun  waz  siech,  do 
der  hart,  daz  lesus  chom  von  ludea  her  zu  Galylee,  do  gie  er  zu 
im  vnd  pat  in,  daz  er  dar  chaim  vnd  seinn  sun  gesunt  machte; 
wann  der  wolt  alebenst  sterben.  lesus  sprach  zu  iem;  ,,nuer  ir 
secht  denn  zaichen  vnd  wunder,  ir  gelaubt  anders  nicht."  dez  ant-  20 
wurt  im  [105"]  der  chunich:  „herr,  chüm  e  mein  sun  sterwe."  do 
sprach  lesus:  ,,gincb,  dein  sun  der  lebt."  er  gelaubts,  als  im  lesus 
gesagt  het,  vnd  gie  haim.  do  er  nahent,  da  leuffen  im  engegen  sein 
diener  vnd  sagten  im:  „dein  sun  ist  genesen."  er  vragt  sew:  ,,zu 
welher  zeit  hat  er  sich  gepezzert?"  si  antwurteu  im:  „gestern  au  25 
der  sibenten  weil,  do  lie  in  daz  vieber."  do  erchant  der  vater, 
daz  is  di  zeit  waz,  do  zu  im  lesus  sprach:  „dein  sun  ist  genesen." 
vud  gelaubt  er  vnd  all  sein  haus. 

1)  Brief  an  die  Epheser  6 ,  10  —  17.        2)  Evang.  4  ,  46  — 53. 


60 


LXV. 

Di  letzen  am  zwai  vnd  zwaintzkisten '  suntag  —  sand  Paul  2. 

Priieder!  wir  gedingen  im  herren  lesu,  der  in  ew  angefangen 
hat  daz  guet  werch,  das  er  is  volpring  vntz  an  den  tag  Christi 
lesu;  als  mir  daz  gerecht  ist  enphinden  vm  ewch  all  darum,  daz 
5  ich  ew  hau  in  dem  hertzen  vnd  in  meinn  panten  vnd  in  dem  scberm 
vnd  hestaettung  dez  ewangelij,  vnd  gesellen  meinr  frewden  wil  [105"] 
ich  ew  all  sein,  got  der  ist  mir  zewg,  wie  ich  ewr  beger  in  der 
innerchait  Christi  lesu.  vnd  dez  pitt  ich,  daz  ewr  lieb  mer  vnd 
mer  genueg  in  chunst  vnd  in  allem  sinne,  daz  ir  bewaert  di  pez- 
10  zern,  daz  ir  seit  slechtmüetig  vnd  an  laidigung  an  dem  tag  Christi 
vol  der  frucht  der  gerechtichait  durch  lesum  Christum  in  glori  vnd 
lob  gotez. 

Daz  ewangrelij  —  sand  Matheus^. 

lesus  sprach  zu  seinn  lungern  disew  gleichnüzz:  „daz  himel- 

15  reich  ist  geleich  eim  chünich ,  der  wolt  raittung  haben  mit  seinn 
chnechten.  do  er  begunde  raitten,  do  pracht  man  yra  a^ynn,  der 
solt  zehen  tausent  phunt.  do  er  nicht  het,  daz  er  uergult,  do  hiez 
in  sein  herre  uerchauften  vnd  sein  haussfrauu  vnd  sein  sün  vnd 
alles  daz  er  het  vnd  hies  in^  gesten.     do  viel   der  chnecht  viir  in 

20  vnd  pat  in  vnd  sprach :  „wis  mir  gensedig ,  ich  gilt  dir  is  alles."  der 
herr  erparmt  sich  über  den  chnecht  vnd  lie  in  vnd  uergab  im  auch 
daz  gelt,  vnd  do  er  heraus  [106"]  chom  von  dem  herren,  do  vand 
er  ainn  seinr  mitchnecht,  der  solt  im  hundert  phening.  den  vie  er 
vnd  drosselt  in  vnd  sprach :    „  gilt  daz    du   mir   solt."     er   viel  für 

25  in  vnd  pat  in  vnd  sprach :  „wis  mir  genaedig ,  ich  gilt  dir  is  alles." 
do  enwolt  er  sein  nicht  tuen  vnd  warf  in  in  den  charicher ,  vntz  er 
im  vergulte.  do  daz  di  andern  sahen ,  do  wurden  si  traurig  vnd 
gingen  zu  dem  herren  vnd  sagten  ims  allez,  wie  is  ergangen  wa^r.^ 
do  lued  in  der  herr  vnd  sprach:  „schalkhafter  chnecht,   ich  lie  dir 

30  allez  das  gelt,  daz  du  mir  soldest,  wann  du  mich  sein  psett.  warum 
erparmstu  dich  nicht  über  deinn  mitchnecht,  als  ich  mich  erparmt 
über  dich?"  vnd  sein  herr  ward  zarnig  vnd  gab  in  den  weitzigern, 
vntz  er  wider  gsebe  daz  gelt  alles,  alsam  tuet  auch  ewr  himlischer 
vater,   ob  ewer  igleicher  nicht  uergeit  seim   prueder  von  alle  seim 

35  hertzen." 

1)  Hs.  zweliften.         2)  Brief  an  die  Philixiper  1,6  — 11.         3)  Evang.  18, 
23  -  35.       4)  Hs.  ein.       5)  Hs.  w'. 


ALTDEUTSCHE    VERIKOPEN  61 

LXVI. 
Di  letzeu  am  drei  vnd  zwaintzkiMten '  suiitag-  —  Paulus'^. 

Prüeder!  mein  uaclifolger  seit  vud  behalt  sew  [106''J  di  nicht 
also  geilt,  als  ir  habt  vnser  pilde.  wann  ir  vilgent,  di  ich  evv  dikh 
gesagt  hau  vnd  nu  sag  ich  ews  wainuud,  di  feint  der  chrewtz  Chri- 
sti; der  ende  ist  di  verderbnüzze,  der  got  auch  der  pauch  ist;  der  5 
glori  ist  in  diser  schendung,  dew  ierdischew  uerstent.  awer  vnser 
wandel  ist  in  dem  hinieln,  von  dew  wartt  wir  auch  vnsers  hailants 
dez  herren  Jesu  Christi,  der  wider  pracht  hat  den  leichuam  vnserr 
dieniüetichait,  geleich  gestalt  dem  leichnam  seinr  chlarhait  nach 
dem  werch ,  do  er  in  auch  alle  dinch  mag  vndertau  gemachen  Jesus  10 
Christus  vnser  herre. 

Daz  ewaugelij  —  saud  MatheusK 

Der  luden  pischolf  gingen  zerat  mit  einander,  daz  si  lesum 
viengen  an  der  rede,  vnd  sauten  im  sein  iunger  mit  Herodez  poten 
sprechund:  „maister,  wir  wizzen  wol,  daz  du  warhaft  pist  vnd  15 
lerest  den  weg  gotes  in  der  warhait  vud  fürchtest  niement;  wann 
du  siechst  nicht  an  di  person  der  menschen.  [107*]  sag  vns,  waz 
dunkht  dich  recht:  sol  mau  zius  geben  dem  chaiser  oder  nicht?" 
do  lesus  erchant  ir  poez  gedanch ,  do  sprach  er :  „wez  uersuecht  ir 
mich,  gleichsner?  zaigt  mir  daz  pra^kh  dez  zins."  vnd  si  prachten  20 
im  einn  phening.  do  sprach  lesus  zu  in :  „wez  ist  daz  pild  vnd  di 
Überschrift?"  si  sprahen:  „dez  chaisers."  do  antwurt  er  in:  „gebt 
dem  chaiser,  daz  dez  chaisers  sei,  vud  got,  daz  gotes  sey," 

LXVII. 

Di  letzeu  am  vier  vnd  zwaiutzkisteii  suutag  —  sand  P'dulK 

Prüeder !  wir  hcern  nicht  zepitten  vnd  zefaderu  vm  ew ,  daz  ir 
erfüllet  wert  der  erchantnüzze  dez  willen  gots  in  aller  weishait  vnd 
geistleicher  verstentichait ;  daz  ir  wirdichleich  get  vnd  got  in  allen 
dingen  gefallt;  daz  ir  frucht  pringt  in  allen  gueten  werchen  vnd  5 
daz  ir  wachst  in  gcetleicher  chunst  vnd  in  allen  tugenten  bestsett 
wert  nach  der  chraft  seinr  chlarhait  in  aller  gedult  vud  lanchmüe- 
tichait  mit  frewden;  daz  ir  dankht  [107'']  got  dem  vater,  der  vns 
wirdig  hat  gemacht  au  dem  tail  dez  gelükhs  in  dem  Hecht  der  hei- 
ligen, der  vns  hat  geloest  von  dem  gewalt  der  vinster  vnd  hat  vns  lu 

1)  Hs.  xnj ,  vorn  ein  x  ausradiert.      2)  Brief  an  die  PhilipparS,  17 — 4,  3. 
3)  Evany.  22,  15  —  21.        4)  Brief  an  die  Colosserl,  9  — 14. 


62  steJskal 

gefuert  in   daz  reich  des  suns  seiner  lieb,   in  dem  wir  haben  erla- 
sung vnd  antlaz  der  sunten. 

Daz  ewang'elij  dez  selbeii  suntags  —  Matheus^. 

Do  lesus  redt  mit  der  menig ,  do  gie  ein  fürsst  vnd  pat  in  an 

15  sprechnnd:  „herr,  mein  tachter  ist  mi  tad;  chum  dar  vnd  leg  dein 

hant  auf  sey,   so  wirt  si  lemtig."     lesus  der  gie  nach  im  vnd  sein 

iunger.     vnd    ein   weih,    di  daz  pluet  gehabt   het  zwelf  iar,    di  gie 

hinderwertez  zu  im  vnd  berüert  den  säum  seins  gewantes  vnd  sprach 

wider  sich  selb:    ob   ich  nner   rfter   sein    gewant,    ich  wird  gesunt. 

20  do  chert  sich  lesus  vm  vnd  do  er  sey  ersach,   do  sprach  er  zu  ir: 

„tachter,  wis  gewis,  dein  gelaub  hat  dich  gesunt  gemacht." 

Das  sein  di  letzen  -  vnd  ewangelij  von  den  heiligen. 

LXVIII. 
Di  letzen  zu  der  liechtmezz  —  Malachie^'. 

[108"]  Dew  spricht  der  herre:  nim  war,  ich  sent  meiuu  engel 
vnd  er  beraitt  den  weg  var  meim  autlütz.  vnd  zehaut  chumt  zu 
seim  tempel  der  herscher  der  herr,  den  ir  suecht  vnd  der  engel 
5  dez  gesch^efts,  den  ir  weit,  vnd  er  ist  choemen,  spricht  der  herre 
dez  volkhs.  vnd  wer  mag  gedenchen  des  tages  seinr  zuechunft  vnd 
wer  stet  in  zesehen?  wann  er  ist  als  ein  zesamm  plasund  fewr  vnd 
als  ein  chraut  der  verbser  vnd  er  wiert  setzund  zesamm  plasund 
vnd  raiuigund  daz  silber,  vnd  chert  di  sim  Leui  vnd  seicht  &ew 
als  daz  gold  vnd  daz  silber;  vnd  si  werdent  ophern  dem  herren  in 
10  gerechtichait.  vnd  is  wiert  dem  herreu  gefallen  daz  opher  luda  vnd 
Jerusalem  als  di  tag  der  weit  vnd  als  di  ewigen  iar,  spricht  der 
allmsechtig  herre. 

Daz  ewang'elij  —  Lucas''. 

Do  erfült  wurden  di  tag  Marie,  daz  si  gerainigt  werden  sold 
15  nach  der  e  Moysi,  do  prach  [108"]  ten  si  in  ze  Jerusalem,  daz  si 
in  do  stalten  var  got,  als  do  geschribeu  ist  an  der  e:  wand  ein 
igleicher,  der  von  der  mueter  dez  ersten  sey  geparn,  sol  heilig 
gehaissen  von  got;  vnd  daz  auch  si  prsechten,  als  geschribeu  wasr^ 
an  der  e,  zwo  gurteltauben  oder  zway  hüendel  der  tauben,  ia 
20  waz  auch  ein  mensch  ze  Jerusalem  ,  der  hies  Symeon ,  vnd  der  waz 
gerecht  vnd  farcht  got  vnd  wartt  dez  trastes  Israel  vnd  waz  mit 
im  der  heilig  geist.  vnd  eiiphie  di  antwurt  vom  heiligen  geist,  daz 
er  nicht  sturb ,    er  ssech  e  Christ,     vnd   chom   in  dem  geist  in  den 

1)  Evany.  9,  18—26.       2)  Hs.  letz.       'S)  3,  1—4.      4)  Evang.  2,  22—32. 
5)  Hs.  w\ 


ALTDEUTSCHE    PERIKOPEN  63 

tempel;  vnd  daz  si  do  in  fuerten  daz  chind  lesum  seine  frewnt,  daz 
si  vm  in  teten  nach  der  gewonhait  der  e,  do  nam  in  Symeon  au  25 
seinn  arm  vnd  lobt  got  vnd  sprach:  „  nu  la,  herr,  deinn  chnecht 
nacli  deinem  wart  in  vryd;  wann  mein  äugen  habeut  gesehen  dein 
hail ,  daz  du  gemacht  (109*|hast  zu  angesicht  aller  weit,  ein  offen 
Hecht  der  haiden  vnd  ein  glori  deins  volkhs  Israel." 

Lxrx. 

Di  letzen  /u  der  chiiuduug^        Ezechielis'. 

In  den  tagen  is  ist  geschehen  über  mich  di  haut  dez  herren 
vnd  laitt  mich  aus  in  gesiebten  in  dew  erd  Israel  vnd  lie  mich  auf 
einu  über  haben  perkh,  auf  dem  waz  sani  ein  paw  einr  stat,  di 
sich  gechert  biet  gegen  dem  asterlaut;  vnd  füert  mich  do  selb  hin  5 
iu  vnd  ich  chert  mich  zu  dem  tar,  daz  do  sach  gen  Orient,  vnd  is 
waz  beslozzen.  vnd  der  herr  sprach  zu  mir:  daz  tar  wiert  besloz- 
zen ;  is  wiert  nicht  auf  getau  vnd  chain  man  get  durch  is,  wann 
der  herr  got  Israel  ist  in  gegangen  durch  is;  vnd  wirt  beslozzen 
den  fürssten.  der  fürst  selb  sitzt  iu  im,  daz  er  esse  daz  prat  var  10 
dem  herreu;  durch  den  weg  dez  vartars  dez  tares  get  er  in  vnd 
durch  sein  weg  get  er  aus. 

Daz  ewaiigelij  zder  chüuduug  —  Lucam  ^. 

[109^]  Is  ist  gesaut  von  got  ein  eugel  Gabriel  in  di  stat  Galy- 
lee,  di  genant  ist  Nazareth ,  zu  einr  magt,  di  wer  gemahelt  eim  15 
manne,  dez  nam  waz  Yoseph  von  Dauids  haus;  vnd  di  magt  hiez 
Maria,  vnd  do  der  engel  waz  in  gegangen  zu  ir,  do  sprach  er: 
„gegrüezzt  seistu  volle  geuaden ,  der  herr  ist  mit  dir;  gesegent  pistu 
vnder  allen  weihen."  do  daz  di  magt  erhart,  do  ward  si  betruebt 
von  seinr  rede  vnd  gedacht ,  wietau  der  gruez  weer  ^  do  sprach  20 
der  eugel  zu  ir:  „fiircbt  dir  nicht,  Maria,  wann  du  hast  funden 
geuade  peym  herren.  nu  siech,  du  enphechst  vnd  gepierst  einn 
sun  vnd  du  haizzt  seinn  uam  lesu.  er  wirt  graz  vnd  wirt  genant 
dez  hoechsten  sun;  vnd  geit  dem  got  den  stuel  Dauids  seines  vater; 
vnd  reichseut  in  dem  haus  lacob  ewichleich  vnd  seins  reiches  wiert  25 
nicht  ende."  do  sprach  Maria  zu  dem  engel:  „wie  mag  daz  gesein, 
wann  ich  bechenn  chainn  man?"  do  antburt  der  engel  vnd  sprach: 
„  der  heilig  geist  chumt  iu  dich  vnd  dez  aller  hoechsten  tugent  wirt 
dich  vm  schatten;  vnd  daz  in  dir  geparn  wirt,  daz  wirt  genant 
lesus.     vnd  siech  Elysabeth  dein  muem ,  di  hat  enphangen  einn  suu  30 

1)  44,  1  —  3.         2)  Evang.  1,  16  —  38.        3)  Hs.  w*. 


64  STEJSKAL 

in  irem  alter  vnd  der  moneid  ist  der  sext  der ,  di  genaut  ist  vnper- 
haft;  wann  is  wirt  nicht  vnmngleich  pey  got  ein  igleich  wart." 

LXX. 

Di  letzeu  au  sand  Philipp  und  saud  lacobs  tag  au  der  weisbeit  puech  K 

Is  werdent  sten  di  gerechten  in  grazzer  staetichait  wider  die, 
di  sew  gesengstigt  habent  vnd  di  in  ab  geprochen  habeiit  ir  arbait. 
wenn  sy  is  sehent,  so  werdent  si  betruebt  mit  scliewtzleicher  farcht 
5  vnd  werdent  sich  wnudrund  der  snellchait  dez  vngedingten  hailes 
vnd  werdent  sprechund  [110'']  in  in  selb  rewig  vnd  chlagund  var 
angsten  des  geists:  daz  sind  die,  di  wier  etwenn  in  spot  haben  ge- 
habt vnd  in  gleichnnzz  dez  itwizz.  wir  vnsinnigen  achtseten  ir 
leben  toerhaft  vnd  ir  ende  an  ere.  nemt  war,  wie  si  sind  getzalt 
10  vnder  den  sünn  gotez  vnd  vnder  den  heiligen  ist  ir  tail! 

LXXI. 
Au  saud  loliauues  tag  zesuiubeuteu  di  letzen  —  Esayas'^. 

Dew  spricht  der  herre:  beert  ir  inssel  vnd  merkht  ir  ferrew 
nolkh!  der  herr  hat  mir  gerüefft  von  der  wamp,  von  dem  pauch 
meinr  mneter  vnd  han  gedacht  meins  namens,  vnd  hat  mich  gesatzt 
5  als  ein  scharffes  swert;  in  dem  schadt  seinr  hant  hat  er  mich  be- 
schirmet vnd  hat  mich  gesatzt  als  ein  erweit  geschos,  in  seim  cho- 
cher  hat  er  mich  nerpargen.  vnd  sprach  zn  mier:  mein  chnecbt 
pistu,  Israel;  wand  in  dir  wierd  ich  gewierdigt.  vnd  nu  spricht 
[111"]  der  herr,  dew  formnnd  mich  von  dem  panch  im  zu  eim  die- 
10  ner:  ich  han  dich  in  ein  liecht  der  diet,  daz  dn  seist  mein  hail 
vntz  an  daz  ende  der  erden,  di  chnnich  werdent  is  sehent  vnd  di 
fursten  werdent  auf  sten  vnd  werdent  an  petten  den  herren  deinn 
got  vnd  den  heiligen  Israel,  der  dich  erweit  hat. 

m 

Daz  ewangelij  dez  selbeu  tag-ez  —  sand  Lueam''. 

15  Do  di  zeit  Elisabet,  daz  si  gepern  sol,  de  waz  erfüllet  vnd  si 

gepar  einn  snn.  do  daz  ir  nachpaurn  vnd  ir  vrennt  ueruamen,  daz 
vnser  herr  sein  parmnng  biet  begangen,  dez  sagten  si  im  genade. 
vnd  am  achten  tag  do  chomen  si  zu  besneiden  daz  chind  vnd  hies- 
sen  in  nach  seim  vater  Zachariam.     vnd  sein  mueter  antwurt  spre- 

20  chund :  „vnr  uams  nicht,  er  sol  haizzen  lohaunes."  vnd  si  spra- 
chen zu  ir:  „nu  ist  niement  in  deim  gesiecht,  der  also  haizz." 
vnd  [111*"]  winkht  seim  vater,  wie  er  in  sold  nennen,  vnd  hiez  im 

1)  5,  1  —  5.        2)  49,  1—3.  5  —  1.        3)  Evang.  i,  57  — GS. 


AI.TDRL'TSCHK    PKKIKOPEN  65 

geben  einn  peinsel  viul  scliraib:  lohannes  ist  sein  naino.  vnd  wun- 
dert sew  dez  all.  sotzeliant  ward  auf  getan  sein  niund  vnd  sein 
zung  vnd  lobt  got.  daz  erayscliton  sein  nachpaiiien  vnd  erschullen  25 
alle  disew  Avart  in  der  iudischait  vnd  alle,  dew  daz  uernanien,  di 
betracbteii  in  ir  hertzen  spreclmnd:  „wen  wjent  ir,  daz  ditz  cbind 
werdV  werleicli  di  genade  dez  heiligen  geists  di  ist  mit  im."  vnd 
Zac.barias  sein  vater  ward  erfüllet  wit  dem  heiligen  geist  vnd  weis- 
sagt spreclinnd :  „gesegent  sey  got  Israel,  wand  er  bat  gebaim-  30 
suecht  vnd  bat  geniacbt  erledigung  seins  uolkhs." 

LXXII. 

Di  letzen  an  saud  Peters  tag  an  der  zwelf  poten  puech  *. 

In  den  tagen  is  sant  der  cbnnicb  Herodez  diener,  daz  er  puez- 
zjpt  etleicb  aus  der  cbircben.     vnd  er  tcett  lacobum ,  Johannes  prue- 
der,  mit  dem  svvert.     do  er  sach ,  daz  is  den  luden  gefiel,  do  [112*] 
legt  ir  zue  auch  Petrum  zefaheu.     is  warn  di  tag  derbes  prates.    do     5 
er  in  gehe,    do  sant  er  in   inn  charcher  vnd   gab  in  vierstuud  vier 
rittern  zehüeten ;   vnd    wolt  in    nach    astern  vür   fueren  dem  folkh. 
vnd  Petrus  ward  behalten  in  dem  charcher ;  vnd  gepet  geschach  an 
vnderlas  von   der  chircheu    zu    got  vm  in.     vnd  do  Herodes  in  nu 
gedacht  vür  zefüeren,  in  der  nacht  waz  Petrus  slaffund  vnder  zwain  10 
rittern  gefangner  mit  zwain  cheten  vnd  di  hüetter  var  der  tür  hüet- 
taten  dez  charcher.     vnd  nemt  war,    der    engel   des  herren  stueud 
im  pey  vnd  ein  Hecht  erschain   in  der  wonung  dez   charicher;   vnd 
slueg   di   seytten    Petri  vnd  wekht   in  sprechund :    stand  auf  snell ! 
vnd  is  viellen  di  cheten  von  seinen  heuten  vnd  is  sprach  der  engel   15 
zu:    „wird  gegiiertt  vnd    schüech    dich   mit    deinn  hosen."     vnd  er 
tets  also  vnd  er  sprach  zu  im:  „vm  gib  dich  mit  deim  [112'']  gewant 
vnd  volg  mir  nach."    er  gie  aus  vnd  volgt  im  nach  vnd  wezzt  nicht, 
wand  is  war  waz,  daz  do  geschach  durch  den  engel;  er  want  sich 
ein  gesiebte  sehen,     do  si  durch  gingen  di  erst  vnd  di  ander  huet,  20 
do  chomens  zu  dem  eysnein  tar,  daz  do  leit  zu  der  stat.     daz  ward 
in  auch  offen,  vnd  do  si  aus  geund  vürgingen  ain  gazzen,  zehant  do 
entwaich   der   engel    von   im.     vnd  Petrus   zu    im  selb  wider  chom, 
do  sprach  er:   „  nu  waiz    ich   werleich,   wann  der  herr   gesaut  hat 
seinn   engel  vnd    hat  mich  geloest  von    der  haut  Herodes    vnd   aus  25 
aller  warttung  des  iüdischen  volkhs." 

1)  Apostelgesch.  12 ,  1  —  11. 

ZEITSCHR.    F.    DEUTSCHE    PHILOLOGIE.      BD.    XII.  O 


66  STEJSKAL 

Daz  ewaug^elij  au  saud  Peters  tag-  —  Matheus^. 

lesus  chom  in  daz  laut  Cesarie  Philippi  vnd  vragt  sein  iun- 
ger  sprechund :  „  wen  haizzen  di  lewt  dez  menschen  sun  ? "   si  ant- 

30  wurtten  im  vnd  sprachen:  „siimleich  lohannem  den  tauffer,  etleich 
Helyanij  di  andern  leremiam ,  oder  einn  weis  [113"]  sagen."  do 
sprach  er  zu  in:  „wen  haizzt  aber  ir  mich?"  do  antwurfc  im  8j- 
mon  Petrus :  „  du  pist  Christ ,  dez  lemtigen  gotez  sun.''  dem  ant- 
wurt  lesus  vnd  sprach  zu  im :  „  du  pist  salig  Symon  Bariona ;  waun 

35  is  dir  weder  fleisch  noch  pluet  geoffent  hat,  sunder  mein  vater,  der 

ze  himel  ist.     vnd  ich  sag  auch  dir,   daz    du    pist  Petrus   vnd    auf 

disen  stain  paw  ich  mein  christenhait  vnd   di  helle  parten  gesigent 

.  dir  nicht  an;    vnd  gib  dir  di  slüzzel  dez  himels;  vnd  swaz  du  pin- 

test  auf  der  erden,   daz  wiert  auch  gepunten  zehimel  vnd  swaz  du 

40  loesest  auf  erden,  daz  wirt  auch  gelcest  zehimel." 

LXXIII. 

An  saud  Pauls  tag-  di  letzeu  schreibt  saud  Paul"^. 

Prueder!  ich  mach  ew  chund  daz  ewangelij,  daz  geewangeli- 
siert  ist  von  mir,  wann  is  ist  nicht  nach  dem  menschen;  noch  ich 
hau  is  genomen  von  den  menschen  [113'']  noch  gelernt,  sunder  durch 
5  di  Öffnung  lesu  Christi,  ir  habt  uernomen  meinn  wandel  etwann 
in  der  iüdischait,  wie  ich  über  di  mazz  lechtat  di  chirchen  gotez 
vnd  erstrait  sey ;  vnd  lert  in  der  iüdischait  über  vil  meinr  genazzeu 
in  meim  geshecht  vnd  waz  genuegleicher  ein  nachuolger  meinr 
vaeterleichen  aufssetz.     awer  do    is   im  gefiel,    der  mich   geschaiden 

10  hat  aus  dem  pauch  meinr  mueter  vnd  mich  lued  durch  sein  genad, 
daz  er  ofnset  seinn  sun  in  mir,  daz  ich  den  prediga^t  in  den  dieteu, 
zehant  do  uolgat  ich  weder  dem  vleisch  noch  dem  pluet;  noch  ich 
chom  gen  lerusaleni  zu  meinn  vargea3renden  poten,  sundei^  ich 
gie  in  Arabiam  vnd   cham  awer  wider  in  Damasco.     do  nach  nach 

15  drein  iaren  cham  ich  gen  Jerusalem  Petrum  zesehen  vnd  belaib  pey 
im  fünftzelien  tag.  aber  chainn  andern  poten  sach  ich  nicht  nur 
lacobum,  dez  herren  prueder.  awer  waz  [114*]  ich  ew  schreib, 
nemt  war,  var  got  ich  lewg  nicht. 

Das  ewangelij  —  sancl  Matheus^. 

20  Symon  Petrus   sprach   zu  lesum:    „wir  haben  allew  alle  vns- 

rew  güeter  lassen  vnd  haben  dir  nach  gefolget;    waz  geist  du  vns 

1)  Evang.16,  13  —  19.       2)  Brief  an  die  Galater  1,  11—20.       3)  Evang. 
19,  27  —  29. 


ALTDEUTSCHli:    PERIKOPEN  67 

darum?"  Jesus  sprach  zu  iu:  „werleicli  ich  sagew,  daz  ir  mir  habt 
gelbiget,  au  dem  iuugisteu  tag,  so  dez  meuscheu  suu  sitzt  auf  dem 
stuel  seiur  mageuclirefte ,  so  sitzt  aucli  ir  auf  den  zwelif  stüelen 
urtailn  di  zweit"  gesla?cht  von  Israel,  vud  swer  la^t  haus  oder  vater  25 
oder  mueter  oder  weib  oder  chiud  oder  a'kher  dunli  meiuu  willeu, 
der  uymt  is  hundertfaltigs  wider  vud  besitzt  daz  ewig  leben." 

LXXIV. 
Di  letzen  au  saiul  Maria  Mag-daleu  tag-  an  der  weisluiit  imecli '. 

In  lueim  petlein  duich  di  nacht  lum  ich  gesuehet,  den  mein 
sei  lieb  hat;  ich  hau  in  gesuecht  vud  hau  sein  nicht  funden.  ich 
steu  auf  vud  vnigen  di  stat  suechund,  den  lieb  hat  mein  sei.  mich 
funden  [117'']  di  wachter,  di  der  stat  hüetten.  habt  ir  icht  geseheu,  5 
den  do  lieb  hat  meiu  sei?  vnd  is  geschach,  do  ich  sew  durch  gan- 
gen het,  do  fand  ich,  den  do  lieb  hat  mein  sei.  ich  hielt  in  vnd 
lazz  sein  nicht,  vntz  daz  ich  in  in  laitt  in  daz  haus  meiner  mueter 
vud  in  di  slaf  chamer  meiner  gepera^rinn. 

Das  eivcmgeUj  —  smid  Lucas '^.  JO 

Is  pat  lesum  ein  phariseus,    daz  er  mit  im  a?sse;    vnd  er  gie 
iu  sein  haus,     vnd  ein  weib,    di  waz  in  der  stat  ein  süuterinn,    als 
si  erhart,    daz    Jesus  gesazzen  waz   in  dem  haus   dez  pharysei,    do 
pracht  si  ein  edlew  salben  vnd  stuend  hinder  in  pei   seinu  füezzen 
vnd  begunde   twahen   sein   fuezz   mit  ireu  zsehern  vud  tn'ikent  sew  15 
mit  irm  har  vnd  salbet  sew  mit  der  salben,     do  daz  der  phariseus 
sach,    der  in  het  geladen,   do  sprach  er  wider  sich  selben:    ob  der 
wser^  ein  weissag,  so  wesst  er  wol,  wer  oder  wie  ditz  weib  w;er^, 
di  in  do  an  rüert,   daz  is  ein  süuterinn  [115"]  ist.     dez  antwurt  im 
lesus  vud  sprach :  „Synion,  ich  hau  dir  etwaz  zesagen."     do  sprach  20 
er:  „maister,  sag  dar,"    „zwen  gelter  warn  schuldig  eini  wuecher; 
ainr  solt  im  fümf hundert  phunt,    der  ander  fünftzkew.     do  si  nicht 
beten,    do  mit   si  im  vergulten,   do  uergab  ers  ir  ietwedrem.     wer 
het  in  lieber?"   do  antwurt  Symon  vnd  sprach :  „ich  w»n  der,  dem 
mer  uergeben  ist."     er  sprach:    „du  hast  recht  ertailt."    vnd  chert  25 
sich  zu  dem  weib  sprechuud  zuSymonem:  „siechstu  daz  weib?  ich 
gie  iu  dein  haus;   du  dwuegt  nicht  mein  fuezz,   aber  si  twueg  sew 
mit  irn  zaBhern  vud  trükhent   sew  mit  irem  har;    du  ga^bd  mir  nie 
daz  psetz,  awer  si  liez  nicht,  si  chusst  mein  fuezz;  mein  haubt  salp- 
testu  nicht  mit  oel,  di  salbet  awer  is  mit  edler  salben;  wann  si  hat  30 

1)  Hohelied  3,1  —  4.        2)  Evang.  7,  30—50.        3)  Hs.  w*. 

r,  * 


68  STEJSKAL 

vil  lieb  gehabt,  flaruni  sag  icli  dir,  ir  wirt  uergebeu  vil  siiiiden." 
do  sprachen  di  mitessiier  in  in  selben :  wer  ist  der  auch  sunt  uer- 
geit?  [115'']  do  sprach  er  zu  dem  weih:  „dein  gelaub  hat  dich  hail 
gemacht ;  ge  mit  vryd  ! " 

LXXV. 
Daz  CAvaug-elij  an  riiser  vraMii  tag:  zu  der  schiduug-  —  Lucam*. 

lesus  gie  in  ein  casstell  vnd  ein  weib  enphie  in  in  ir  haus ; 
di  hies  Martha,  di  het  ein  swester,  di  genant  waz  Maria,  di  saz 
auch  pey  dez  herren  füezzen  vnd  hart  sein  wart.  Martha  di  vlais 
5  sich  vm  den  eutzigen  dienst,  di  stuend  vnd  sprach:  „lierr,  du 
euruechst,  daz  mich  mein  swester  Iset  alain  dienn ;  gepeut  ir,  daz  si 
mir  helff."  dez  antwurt  ir  lesus  vnd  sprach:  „Martha,  Martha,  du 
sargest  vnd  betruebest  dich  von  manich  dinch.  ains  ist  doch  dürf- 
tig. Maria  hat  erweit  den  pesten  tail ,  daz  auch  ir  nicht  benomen 
10  wirt." 

LXXVI. 

Daz  ewangelij  an  saiid  Michels  tag-  —  saiid  Matlieus^. 

Dew  iunger  gingen  zu  lesum  vnd  sprachen:  „wer  ist  der 
merer  in  dem  himelreich?"  do  rief  lesus  einen  chind  zu  im  vnd 
stelt  is  enmitten  [116*]  vnder  sew  vnd  sprach:  „werleich  ich  sag  ew, 
5  ir  uerchert  ew  denn  vnd  wert  als  daz  chind,  ir  chojmt  nicht  in 
daz  reich  gotez.  wer  sich  dienmüetigt  als  das  chind,  der  ist  der 
merer  in  dem  himelreich,  vnd  wer  enphrecht  einn  samleichen  in 
meim  namen ,  der  enphrecht  mich,  wer  awer  ergert  aynn  der  weni- 
gen,    di  an  mich  gelaubent,    daz   ist   pilleich,    daz  man  dem  hach 

10  einn  mülstain  an  sainn  hals  vnd  sench  in  in  di  tieff  des  meres.  we 
der  weit  var  ergernüzz!  is  muez  sein,  daz  chcem  ergernuzz;  we 
awer  dem  menschen,  von  dem  ergrunde  chümt!  ob  awer  dein  haut 
oder  dein  fuez  dich  ergert,  sneid  in  ab  vnd  wierf  in  von  dir;  dir 
ist  pezzer  an  haut  oder  au  fuez  zechomen  in  daz   ewig  leben  denn 

15  mit  zwain  heuten  oder  mit  zwain  füezzen  chomen  in  daz  ewig  fewer. 
vnd  ob  dein  aug  dich  ergert,  stich  is  aus  vnd  wierf  is  von  dir; 
dir  ist  pezzer,  daz  du^  aug  habst  [116'']  choemuud  in  daz  reich  gotes 
denn  mit  zwain  äugen  in  daz  hellisch  fewer.  secht,  daz  ir  icht 
uersmsecht  ainn    dierr  wenigen;    ich  sag  ew,    daz    ir  engel  zehimel 

20  sehent  zu  aller  zeit  an  daz  antlütz  meins  vater,  der  zehimel  ist." 

1)  Evang.  10,  38  —  42.        2)  Ecang.  18,  1  —  10.         3)  1.  ein  aug. 


ALTDEUTSCHE    PERIKOPEN  69 

LXXVII. 
Daz  ewaiigelij  au  aller  heiligen  abeiit  —  Lucas^. 

leöus  gie  ab  dem  perge  viid  stueiid  au  der  stat  des  ueldes  vnd 
sein  iunger  vnd  ein  micblew  meuig  der  lewt  von  aller  iudenscliaft, 
von  Teriisaleni  vnd  von  Maritiiuam  vnd  Tyro  vnd  Sydouem  ,  di  dar 
chomen  Avarn,  daz  si  in  harten  vnd  gehailet  wurden  von  im  irem  5 
Siechtum ;  vnd  di  gemüeten  von  dem  po3sen  geist,  dew  wurden  gele- 
digt.  vnd  alle  menig  begert  in  zerüereu ,  wand  genad  von  im  gie, 
daz  alle  di  gesunt  wurden,  die  in  beriierteu.  vnd  er  hueb  auf  sein 
äugen  hin  zu  seinn  lungern  vnd  sprach:  „ir  armen,  ir  seit  sa^lig, 
wann  daz  reich  gotes  daz  ist  ewr.  di  seligen,  di  nu  hungert,  di  10 
werdent  gesatt;  dew  sa^ligen,  di  nu  wainnt,  di  werdent  lachen.  [117"] 
ir  seit  s^elig,  wenn  ew  di  lewt  hazzent  vnd  scheltent  vnd  ew  besun- 
dern  vnd  eweru  nam  uerwerfifent  als  daz  übel  durch  dez  menschen 
suu  willen ;  ir  vrewt  ew  an  der  selben  weil ,  wann  ewr  lan  ist 
graz  zehimel." 

LXXVIII. 
Daz  ewaugelij  au  aller  lieilig-eu  tag-  —  3Iutheus'^. 

Do  lesus  sach  di  menig  choemen  zu  im,  do  gie  er  auf  den 
perkh  vnd  tet  auf  seinn  mund  vnd  lert  sew  vnd  sprach:  „sa?lich 
sind  di  dienmuetigen ,  wann  daz  reich  gotez  daz  ist  ir.  saelich  sind 
di  milten,  wann  si  besitzent  di  erde.  Scelich  sind  di  wainunden,  5 
wann  si  werdent  getroesst.  sgelich  sind,  di  do  hungert  vnd  tuersst 
nach  der  rechtichait,  di  werdent  gesatt,  sa^lig  sind  di  parmhertzi- 
gen,  wann  di  parmung  chumt  über  sew.  sselich  sind,  di  rains  hertzen 
sind ,  wann  si  sehent  got.  sseiich  sind  di  vrydsamen ,  wannd  si  wer- 
dent gotez  chind  genant,  di  sind  sa3lich,  di  ?ehtung  dultent  durch  10 
daz  [117*']  recht,  der  ist  daz  himelreich.  ir  seit  seelich,  so  si  ewr 
sechtent  vnd  ewr  fluechent  vnd  ew  übel  sprecheut  durch  mich,  so 
vrewt  ew ,  wand  ewr  lan  gras  ist  zehimel." 

LXXIX. 
An  sand  Laureuci  tag  daz  ewaug-elij  —  saud  lohanues^. 

lesus  sprach  zu  seinn  lungern:  „werleich,  wer  ich  sag  ew,  is 
ensterb  denn  daz  charn  des  sams,  daz  do  uellt  in  di  erden,  is 
beleibt  ayn;  stirbt  is  awer,  so  pringt  is  vil  vrucht.  wer  sein  sei 
lieb  hab,    der  hazze  sey  in  diser  weit;   vnd  der  sey  hie  hasst,    der     5 

1)  Evang.  6,  17  —  22.        2)  Evauy.  5,  1  —  12.        3)  Evang.  12,  24  —  26. 


70  STEJSKAL 

belialtt  sey  in  daz  ewig  leben,  swev  mir  dient,  der  nolget  mir; 
vnd  swo  ich  pin,  do  ist  auch  mein  diener.  swer  mir  dient,  der 
eret  meinn  vater,  der  datz  himel  ist." 

LXXX. 
An  Saud  Matlieus  tag  daz  ewaiigelij   —  Matlieus  \ 

Tesus  sach  einn  menschen  sitzen  an  dem  zol,  der  hies  Matheus, 
vnd  sprach  zu  im:  ,,volg  mir  nach."  vnd  er  stuend  auf  vnd  uolget 
im.  vnd  do  lesus  gesas  in  dem  haus,  do  chomen  manig  offen 
5  sünter  vnd  sazzen  zu  im  vnd  zu  scinn  iungern.  do  [118''']  daz  der 
luden  pischolf  sahen,  do  sprachen  si  zu  seinn  iungern:  „warum 
isst  vnd  trinkht  ewr  maister  mit  den  suntern?'"  daz  hart  lesus 
vnd  sprach:  „di  gesunten  bedürffen  nicht  artztes ,  sunder  di  siechen, 
get  vnd  vragt  waz  daz  ist:  ich  wil  parmung  vnd  nicht  opher.  ich 
10  pin  nicht  choemen  zehiden  di  rechten,  sunder  di  siinter." 

LXXXI. 
An  Saud  Andres  tag  daz  ewangelij    -  sand  lohanues^. 

Jesus  gie  pey  dem  mer  Galylee  vnd  sach  zwen  prüeder,  Symo- 
nem  der  genant  ist  Petrus  vnd  Andream  seinn  prueder,  werffen  di 
netzz  in  daz  mer ;  si  waren  vischer.  vnd  lesus  sprach  zu  in :  „  chojmt 
5  nach  mir,  ich  mach  ew  vischer  der  lewt."  sotzehant  liezzen  si 
dew  netz  vnd  neigten  im  nach,  vnd  gie  vürbaz  vnd  vand  zwen 
ander  prueder,  lacobum  Zebedey  sun  vnd  lohannem  sein  prueder 
mit  Zebedey  irem  vater  in  dem  scheffe  puezzund  ir  netz,  vnd  er 
rüefft  in ;  si  Hessen  netz  vnd  den  vater  vnd  gingen  nach  im. 

LXXXIL 
[118"]  Daz  ewangelij  von  der  cliirclnveich  —  Lucani-^. 

lesus  chom  in  ludeam  vnd  durch  gie  Yericho.  vnd  ein  man 
genant  Zacheus  ein  fürst  der  offen  sunter  vnd  V7az  reich,  vnd  der 
begert  zesehen  lesum,  wer  er  wser;  do  macht  er  nicht  von  der 
5  menig,  wann  er  des  leibes  chlain  waz.  vnd  lief  vür  vnd  staig  auf 
einen  paum ,  daz  er  in  gessech ,  wand  er  do  vur  solde  gen.  vnd  do 
er  chom  zu  der  stat ,  do  sach  lesus  auf  vnd  sprach  zu  im :  „  Zache, 
eyl  vnd  ginch  her  ab  drat,  wann  ich  muez  heut  sein  in  deim  haus." 
vnd  er  gie  eylund  her  nider  vnd  enphie  in  frceleich.     do  daz  di  leut 

1)  Evang.9,    9—13.  2)  Evatuf.  Mattheei  4,  18—22.  3)  Evang. 

19,  1-10. 


ALTDEUTSCHE   PKRIKOPEN  71 

sahen,  do  iiiüimelteu  si  spiecliimd,  daz  er  zu  eim  süiiter  wter^  gechert.  10 
do  stiiend  Zacheus  vnd  sprach  zu  lesum :  ,,  herr ,  mein  giiet  halbs 
gib  ich  den  armen  vnd  ob  ich  ienient  han  uervntrewt,  daz  gilt  ich 
viertaltichleich."  do  sprach  zu  im  Jesus:  „dem  haus  ist  heut  hail 
begegent,  do  von,  daz  du  pist  Abrahams  chind.  dez  [119''|  men- 
schen sun  ist  choemen  zu  suecheii  vnd  zu  behalten,  daz  do  ver-  15 
larn  waz." 

LXXXIII. 

Daz  ewaug-elij  von  iuuehfraweii  —  suud  fliatheum  ■^. 

lesus  sprach  zu  seinn  iungern  ditz  pispel:  „daz  himelreich  ist 
gleich  zehen  magten,  di  ir  lampen  uenient  vnd  gent  dem  preut- 
kan  vnd  der  jjratit  engegen.  der  warn  fünf  tunib  vnd  fünf  weise, 
di  fümf  tumb  di  namen  ir  lampen  mit  in.  di  weisen  namen  ire  5 
vas  vnd  daz  61  mit  den  lampen.  vnd  do  der  preutkan  entwacht, 
do  slieffen  si  all.  zder  mitter  nacht  chom  ein  ruef:  secht  der  preut- 
kan chumt,  get  im  engegen.  do  stuenden  di  magt  all  auf  vnd  zier- 
ten ir  lampen.  di  tumben  sprahen  zu  den  weisen:  ,,gebt  vns  ewers 
ffils,  wann  vuser  lampen  sind  erloschen."  dez  antwurten  di  weisen  10 
sprechund:  „daz  vns  vnd  ew  nicht  enprezzt,  get  zu  den  chauflewten 
vnd  chauft  is  ew.''  do  si  gingen  chauffen ,  do  chom  der  prewtkan; 
vnd  di  berait  warn,  di  gingen  mit  [119''1  im  in  zder  prautloft  vnd 
ward  di  tur  uersperrt.  zdem  lessten  chomen  auch  di  andern  magt 
vnd  sprachen:  „herr,  tue  vns  auf."  er  antwurt  sprechund :  ,,werleich  15 
sag  ich  ew,  ich  wais  ewr  nicht;  wacht  also,  wann  ir  enwizzt  nicht 
den  tag." 

LXXXIV. 
Awer  ahis  vou  den  iimchfraueu  —  Matheus^. 

lesus  sprach  zu  seinn  iungern:  „daz  himelreich  das  ist  geleich 
dem  uerpargen  schatzz  in  dem  akher;  welch  mensch  den  vindet,  der 
uerpirget  in  vnd  var  frewden  get  er  vnd  uerchauft  alles,  daz  er  hat, 
vnd  chauft  den  akher.  daz  himelreich  ist  geleich  eim  chaufmann,  5 
der  suecht  guetew  gymme ;  vnd  so  er  vindet  ein  edle  gymme ,  so 
get  er  vnd  uerchauft,  waz  er  hat,  vnd  chanfft  sey.  awer  ist  daz 
himelreich  geleich  eim  netz,  daz  gewarfteu  wirt  in  daz  mer,  daz  do 
vsecht  allerlay  visch;  vnd  so  is  wol  wiert,  so  ziehent  sis  aus  vnd 
sitzent  an  daz  gestat  vnd  lesent  di  gueten  visch  in  ir  vas,  di  poe-  10 
sen  werffent  si  aus.  also  wiert  [120*]  is  an  dem  ende  der  weit,  so 
gent  aus  di  engel  vnd  sundernt  di  pcesen  enmitten  aus  den  gueten 
vnd  sundernt  sew  in  daz  helle  fewr;  do  wirt  wainn  vnd  grysgramm 

1)  Hs.  w'.        2)  Evang.25,  1  —  13.        3)  Evang.  13 ,  44  —  52. 


72  STEJSKAL,    ALTDEUTSCHE    PEEIKOPEN 

der  zende.     habt  ir  daz  alles  uernomen?"    si  sprachen:  „ia,  herr." 
15  do   sprach  er   zu  in:    „darum   ein  igleicher  gelerter   schreibper   ist 
geleieh  dem  menschen,    der  ein   hauswiert  ist,    der   do   vur   pringt 
von  seinem  schätz  newe  vnd  altew." 

LXXXV. 

Daz  ewangelij  tou  eim  igleiclien  gotez  iung-er  —  lohanms^. 

lesus  sprach  zu  seinn  lungern :    „  daz  gepot  gib  ich  ew ,    daz 

ir  an  einander  lieb  habt,     ob   ew  di  weit  hazzet,    so  wizzt,   daz    si 

mich  e  gehazzt  hat.     ob  ir  von  der  weit  waert  gewesen ,  so  biet  di 

5  weit  lieb,  daz  ir  wser^;  auch  ir  seit  nicht  der  weit,  wann  ich  han 

ew  erweit  von   der  weit,     gedenkht   meinr  wart,   di  ich  ew  gesagt 

han :  der  chnecht  ist  nicht  merr  denn  der  herre.     ob  si  mein  geeecht 

habent,  so  sechtents  auch  ewr;  obs  meine  wart  behaltent,  [120*']  so 

behaltens  auch  di  ewern.     daz  tuent  si  ew  als  durch  meinn  willen; 

10  wann  si  erchanten  in  nicht,  der  mich  do  sant.     vnd  wser  ich  nicht 

choemen    vnd   biet  ins   nicht  gesagt,    so  hietens  nicht  di  sunt;    nu 

mugen  si  sich  nicht  entschuldigen  von  iren  sunten.     der  mich  hazzt, 

der  hazzt  ouch  meinn  vater.     ob  ich  di  werch  nicht  biet  begangen, 

di  niemt  ander   macht  getuen,    so  bieten  si    der  sünden  nicht;    nu 

15  habent  sis  gesehen  vnd  hazzent  mich  vnd  meinn  vater,  sunder  daz 

di  wart  erfüllet  werden,    di   an  ierr  e  geschriben  sind:    si  hazzent 

mich." 

Ein  seqencen  vom  heilig'en  g-eist. 

Chüm ,  heiliger  geist ,  geus  aus  di  himlischen  stral  deins  Hech- 
tes, chum  ein  vater  der  armen,  chüm  ein  gewer  der  gab,  chum  ein 
liecht  der  hertzen.  aller  pesster  troester,  ein  suezzer  gast  der  sei, 
5  ein  suezzes  taw  !  in  der  arbait  pistu  ein  rue ,  in  der  hitz  pistu  ein 
chüel,  in  dem  wainen  pistu  ein  vrewd.  o  aller  sseligistez  [121*] 
lieht,  nu  erfülle  di  inuerchait  der  deinen  gelaubigen  hertz;  wann 
an  dein  hilff  in  den  menschen  nichsnicht  ist  vnd  nichtez  sauber 
noch  rain  an  yn  ist.  wasch  daz  vnflstig  ist,  begews  daz  dürr  ist, 
10  mach  gesunt  daz  uerwunt  ist,  prauch  daz  ungeslacht  ist,  erhitz  daz 
do  ehalt  ist,  rieht  daz  uerierrt  ist;  gib  vns  der  tugent  Ion,  gib  vns 
ein  sffilige  hinfart,  gib  vns  di  ewig  vrewd.   amen. 

1)  Evang.15,  12.  18 —  25.        2)  Hs.  w'. 
ZNAIM,   FEBRUAR    1880.  KARL  STEJSKAL. 


73 


GAHMUEETS  WAPPEN. 

Haupt  bat  iu  seiner  Zeitschrift  f.  deutsch,  alterth.  11,  46  fgg.  bei 
gelegenbeit  des  nachweises,  dass  die  in  Wolframs  Parzival  490,  15 
und  498,  20  begegnenden  Ortsnamen  steirisclien  örtlichkeiten  entspre- 
chen, auch  die  Vermutung  ausgesproclien,  der  pantlier,  der  Parz.  101,  6 
als  Gahmurets  von  seinem  vater  ererbtes  wappen  angegeben  werde, 
möge  mit  dem  wappen  von  Steiermark,  einem  weissen  panther  in  grü- 
nem felde,  in  irgend  welchem  zusanimenliange  stehen,  hat  aber  zugleich 
vorsichtig  hinzugefügt,  dass  er  diese  beziehungen  zu  Steiermark  nicht 
zu  erklären  wisse;  denn  die  Ortsnamen  wie  das  wappen  seien  nicht 
etwa  wilkürlicher  zusatz  Wolframs,  sondern  müssen  bereits  dem  fran- 
zösischen gedichte  Guiots  angehört  haben. 

Nun  stamte  aber  Guiot,  nach  einer  noch  ungedruckten  Unter- 
suchung des  herrn  prof.  Zacher,  aus  einer  der  drei  nebeneinander  lie- 
genden grafschaften ,  Anjou,  Maine,  Touraine,  höchst  wahrscheinlich 
aus  Anjou  selbst,  und  hat  sein  gedieht  verfasst  für  seinen  damaligen 
landesherren ,  für  den  aus  dem  grafenhause  von  Anjou  entsprossenen 
könig  Heinrich  IL  Plantagenet  von  England  (1154 — 1189).  Und  fer- 
ner hat  Guiot,  ein  sehr  gelehrter,  viel  belesener  und  denkender  mann, 
den  vater  Parzivals,  Gahmuret,  sowie  seinen  bruder  Feirefiz  und  sei- 
nen söhn  Loherangrin  zu  der  altüberlieferten,  von  ihm  aber  höchst 
geschickt  neu  aufgestuzten  geschichte  mit  wol  bewuster  und  überlegter 
absieht  deshalb  hinzugefügt,  um  durch  die  genealogische  Verknüpfung 
mit  ihnen  das  fürsteuhaus  von  Anjou  zu  verherlichen;  und  diesem  zwecke 
gemäss  ist  auch  in  einer  für  seine  Zeitgenossen  eben  so  anziehenden 
als  wirksamen  weise  dasjenige  gestaltet,  was  er  von  ihnen  erzählt. 
Demnach  liegt  die  Vermutung  nahe,  dass  er  auch  durch  die  ausstat- 
tung  Gahmurets  mit  dem  augeblich  bereits  väterlich  ererbten  wappen 
des  panthers  eine  höfische  Schmeichelei  beabsichtigt  habe,  die  zwar 
unhistorisch  war,  weil  Anjou  die  französischen  lilien  im  wappen  führte,^ 
für  welche  er  aber  nichts  destoweniger  algemeines  Verständnis  und  bei- 
fällige aufnähme  erwarten  durfte.  Zur  begründung  dieser  Vermutung 
ist  erforderlich ,  dass  geschichtlich  nachgewiesen  werde ,  dass  der  pan- 
ther, mit  welchem  Guiot  den  Gahmuret  und  folglich  auch  dessen  söhn 
Parzival ,  den  hehren ,  iu  mystischer  Verklärung  gefeierten  urahn  des 
hauses   Anjou   ausgestattet   hatte,    wie   er   gegenwärtig    das    englische 

1)  Ob  vielleicht  das  haus  Gatinais,  welches  nach  dem  aussterben  des  alten 
grafengeschlechtes  (1060)  die  grafschaft  Anjou  erlaugte,  in  seinem  familienwappen 
den  panther  geführt  habe,  vermag  ich  freilich  nicht  zu  sagen. 


74  HOETZSCHANSKY 

Wappen  schmückt,  so  auch  schon  zu  Heinrichs  II  zeit  demselben 
angehört  habe.  Und  dieser  beweis  lässt  sich  mit  voller  Sicherheit 
erbringen. 

Sir  Burke,  grossbritannischer  king  of  arms  für  Ulster,  in  sei- 
nem „The  general  Armory  of  England,  Scottland,  Ireland  and  Wales. 
London  1878"  gibt  unter  der  Überschrift:  „The  Arms  of  the  different 
monarchs  since  the  conquest "  s.  6  folgende  nachrichten : 

„William  I  (the  conqueror)  Gules,  two  lious  passants  guar- 
dants  or.  Much  controversy  has  arisen  regarding  leopards  or  lions, 
but  the  latter  would  appear  the  more  correct. 

William  II  (Rufus)  the  same  arms. 

Henry  I  Arms  similar  to  those  of  his  predecessor. 

Henry  II  Gules  two  lions  passants  guardants  or,  previously 
to  the  kings  mariage  with  Eleanor,  when  he  adopted  a  third  lion 
for  Aquitaine.  On  the  Great  Seal  no  Arms  appear,  the  concave  side 
of  the  shieldiug  only  exhibited." 

Zu  Wilhelm  I  und  Heinrich  II  gibt  er  die  abbildung  des  Wap- 
pens. Auch  ohne  dieselbe  würde  man  aus  der  erklärung,  die  er  in 
der  vorrede  für  das  wort  guardant  gibt,  ersehen,  dass  lion  guar- 
dant  eben  nichts  anderes  ist,  als  was  die  heraldik  von  jeher  leopard 
oder  panther  genant  hat;  diese  erklärung  lautet:  „When  a  lion  or 
other  beast  of  prey  Stands  upright  with  only  one  ear  and  one  eye  seen, 
with  the  head  in  prolile,  he  is  termed  rampant,  when  Walking  for- 
ward,  with  one  eye  and  ear  seen,  passant.  If  in  any  of  these  posi- 
tions  the  animal  look  füll  face,  so  that  both  eyes  and  ears  may  be 
seen,  the  word  guardant  is  annexed  to  passaut,  rampant."  Die  abbil- 
dungen  bei  Burke  zeigen  in  beiden  fällen  die  thiere  als  passants, 
schreitend,  und  lassen  beide  äugen  und  obren  sehen,  entsprechen 
demnach  genau  den  an  das  heraldische  bild  des  leopard en  von  der 
heraldik  gestelten  anforderungen ,  wie  sie  dargelegt  werden  von  Ph.  J. 
Speuer,  historia  insignium  illustrium,  Frankfurt  1717,  pars  specialis, 
Seite  11:  „Differentia  leonura  et  leopardorum  in  re  heraldica  illa 
notata  quodhorum  ad  versa  pinguntur  ora  utroque  extante  oculo, 
illorum  non  nisi  unus  oculus  conspicitur;"  und  Berndt,  allgemeine 
Wappenwissenschaft.  Bonn  1849.  Theil  II  s.  192:  „Ein  thier  heisst 
schreitend,  passant,  wenn  es  ein  Vorderbein  aufhebt;  da  der  leo- 
pard fast  stets  schreitend,  den  köpf  nach  vorn  gewendet  dargestelt 
wird,  so  wird  das  bei  ihm  nicht  angesagt;  dagegen  der  löwe  in  sol- 
cher Stellung  gepardelt,  leoparde  genant  wird.  Von  der  Stellung,  in 
welcher  man  ein  thier  zum  streite  geschickt  nent,  ist  die  sehr  ver- 
schieden,  in  der  man  es  nent  kletternd,   rampant  usw.     üa  dies  die 


GAHMUBETS  WAPPEN  75 

gewöhnlichste  Stellung  des  löweu  ist,  wird  sie  bei  diesem  nicht  auge- 
sagt, dagegen  der  leopaid  in  dieser  Stellung  gelöwet,  lionne  genant 
wird,  wozu  noch  gebeert,  dass  er  den  köpf  nach  vorn  wendet,  so 
diiös  man  seine  beiden  äugen  siebt." 

üass  man  aber  in  England  zur  zeit  der  ersten  Plantagenets  auch 
sehr  wol  wüste,  dass  das  wappen  leoparden,  nicht  löwen  aufweise, 
bezeugt  Mathaeus  Paris,  wenn  er  bei  gelegenbeit  der  heirat  Kaiser 
Fridricbs  II  und  der  Schwester  Heinricbs  III  eines  kaiserlichen  gescheu- 
kes  von  drei  lebenden  leoparden  mit  folgenden  Avorten  erwähnt  (Histo- 
ria  maior  ed.  Wats.  Londini  1640  s.  416.):  „  Nuptiis  igitur  diebus  qua- 
tuor  continuis  magnitice  celebratis,  episcopus  Exouieusis  et  caeteri  qui 
cum  imperatrice  adveuerant,  ab  imperatore  licentia  impetrata  ad  An- 
gliam  cum  gaudio  suut  reversi.  Misit  ergo  Imperator  regi  Auglorum 
tres  leopardos  in  signum  regalis  clypei  in  quo  tres  leopardi 
figurautur  transeuntes,  cum  aliis  donariis  preciosis  quibus  regiones 
non  abuudant  occidentis." 

Aus  diesem  hier  nacligewieseneu  Sachverhalte  gewinnen  auch  die 
Schlusszeilen  in  Uhlands  ballade  „die  Jagd  von  Winchester  "  über  deren 
sinn  die  erklärer  nur  ungewisse  Vermutungen  aufgestelt  haben,  ibre 
ebens*!)  einfache  als  sichere  erklärung.  Uhland  hat  diese  ballade  gedich- 
tet im  november  1810,  während  er  in  Paris  dem  eifrigen  und  eindrin- 
genden Studium  altfranzösischer  epen  oblag.  Den  stoff  dazu  hat  er 
geschöpft  aus  Kobert  Waces  Komau  de  Eon,  hat  ihn  aber  nach  eige- 
nem freiem  dichterischem  ermessen  der  art  gekürzt  und  umgestaltet, 
dass  er  ihm  gerecht  Avurde  für  eine  dem  Charakter  des  Volksliedes  sich 
annähernde  ballade.  Wace  (dessen  betreffende  stelle  volständig  abgedruckt 
ist  in:  Paul  Eichholtz,  Quellenstudien  zu  Uhlands  Balladen.  Berlin 
1879,  s.  32  — 34)  erzählt:  König  Wilhelm  [II.  der  Kothe,  1087  —  1100] 
gieng  auf  die  birschjagd  in  dem  neuen  forste  von  Winchester,  und  ver- 
teilte dazu  pfeile  unter  die  jagdgenossen.  Im  walde  zerstreuten  sich 
die  Jäger  bald,  und  dem  ritter  Tirel  widerfuhr  das  misgeschick,  dass 
er  mit  dem  pfeile,  den  der  könig  ihm  gegeben  hatte,  einen  hirsch 
fehlte,  dagegen  den  könig  selbst  tötlich  traf.  Des  königs  bruder  Hein- 
rich [I.  Beauclerc  1100  —  1137]  hatte  noch  ausserhalb  des  waldes  zu- 
rückbleiben müssen,  um  die  gebrochene  sehne  seines  bogens  in  einem 
hofe  durch  eine  neue  ersetzen  zu  lassen;  und  während  dies  geschah 
hatte  eine  alte  frau  dem  ihn  begleitenden  knappen  geweissagt,  dass 
Heinrich  binnen  kurzem  könig  sein  werde.  Als  Heinrich  darauf  eben- 
fals  nach  dem  walde  kam,  eilten  ihm  die  jagdgenossen  entgegen  mit 
der  kimde  von  des  königs  tode.     König  Wilhelm   ward   in  Winchester 


76  HORTZSCHANSKY  ,    GAHMURETS    WAPPEN 

begraben ;   ritter  Tirel  aber  entwich  nach  Frankreich ,   wo  er   in  Chau- 
mont  noch  lange  lebte. 

Uhland  hat ,  um  die  poetische  wirkling  zu  verstärken  und  zu  ver- 
tiefen ,  und  um  die  ballade  dem  Charakter  des  Volksliedes  möglichst 
anzunähern ,  den  prosaischen  und  für  den  verlauf  der  handlung  gleich- 
giltigen  zug,  dass  dem  prinzen  Heinrich  die  bogensehne  gerissen  ist, 
ganz  getilgt ,  und  statt  dessen  die  echt  poetische  motivierung  erfunden, 
prinz  Heinrich  habe  mit  dem  vom  köuige  ihm  zugeteilten  pfeile  nicht 
gemeines  wild  der  niederen,  sondern  nur  königliches  der  hohen  jagd 
erlegen  wollen.  Deshalb  hat  er  den  lezten  drei  strophen  seiner  ballade 
ganz  abweichend  von  dem  berichte  seiner  quelle  folgende  fassung 
gegeben : 

Prinz  Heinrich  ritt  im  Wald  umher, 

Viel  Eeh'  und  Hasen  er  fand: 

„Wohl  traf  ich  gern  ein  edler  Wild 

Mit  dem  Pfeil  von  Königs  Hand." 

Da  reiten  schon  in  ernstem  Zug 
'  Die  hohen  Lords  heran; 

Sie  melden  ihm  des  Königs  Tod, 
Sie  tragen  die  Krön'  ihm  an. 

„Auf  dieser  trauervollen  Jagd 
Euch  reiche  Beute  ward : 
Ihr  habt  erjagt,  gewaltger  Herr, 
Den  edeln  Leopard." 

Den  lezten  beiden  Zeilen  gibt  Eichholtz  (s.  35)  die  deutung:  „Die 
vergleichung  Wilhelms  mit  einem  leoparden  erklärt  sich  wol  am  ein- 
fachsten aus  seinem  beinamen  „derEothe"  (li  Reis  Eos,  Wace  14490)." 
Eichtig  zwar  bemerkt  Heinrich  Düntzer  hiergegen  (Uhlands  bailaden 
und  romanzen.  Leipzig  1879  s.  191):  „Der  leopard  deutet  nicht,  wie 
Eichholtz  meinte,  auf  könig  Wilhelm,  sondern  auf  die  königswürde " ; 
er  verabsäumt  jedoch,  nachzuweisen,  dass  der  hauptfehler  in  Eich- 
holtzens  erklärung  ein  logischer  ist,  weil  ja  doch  nicht  prinz  Hein- 
rich, sondern  ritter  Tirel,  oder  wie  Uhland  ihn  nent  Titan,  den  könig 
getötet  hat.  Und  wenn  dann  Düntzer  weiter  als  eigene  erklärung  noch 
hinzufügt:  „dass  als  edelstes  tier  hier  nicht  der  löwe,  sondern  der  leo- 
pard ,  das  schönste  aller  raubtiere ,  genant  wird ,  hat  wol  besonders  der 
reim  veranlasst;  doch  ist  die  wähl  des  leoparden  als  eines  seltener 
genanten  tieres  auch  des  vollem  tones  wegen  sehr  glücklich";  so  ver- 
fehlt er  das  wirklich  richtige  doch  kaum  weniger  als  der  von  ihm 
getadelte  Eichholtz,   weil   aus   seiner  erklärung  ja  gar  nicht  abgenom- 


SRKHER  ,    I.AIRNBRICHTE    BET    WOLFRAM  77 

inon  wpvdpn  kann,  wio  so  (l(Min  loopard  oder  lüwe  sinl)il(l  der  königs- 
würde  sein  müssp. 

Vielmehr  will  Uliland  ganz  oinfaeb  im  stilo  dor  volksmässigen 
ballade,  in  schliclitoster  ausdrueksweise  und  mit  den  woni«^steii  wovten 
sagen :  prinz  Heinrich  hat  es  versclimäht  mit  dem  königlichen  pfeile 
niederes  wild  zu  schiessen,  hat  vielmehr  den  königlichen  pfeil  auch 
für  königliches  wild  der  hohen  jagd  aufgespart.  Ein  solches  hat  er 
/war  niclit  selbst  mit  diesem  pfeile  geschossen,  dennoch  aber  ist  es 
ilini  durch  fügung  des  Schicksals  zu  teil  geworden  als  Jagdbeute,  und 
zwar  grade  das  höchste  königliche  wild,  der  leopard,  das  Wappentier 
des  englischen  königswappens,  und  mit  diesem  natürlich  auch  die  königs- 
würde  selbst. 

Da  nun  des  leoparden  weder  gedacht  ist  in  der  erzähluug  bei 
Wace,  noch  bei  Ordericus  Vitalis,  noch  auch  bei  Matthaeus  Paris,  so 
muss  Uhland  selbst  diesen  zug  aus  eigener  erfindung  seiner  ballade 
eingefügt  haben;  es  muss  ihm  demnach  aus  Matthaeus  Paris  oder  aus 
irgend  einer  anderen  quelle  bekant  gewesen  sein ,  dass  bereits  damals 
der  leopard  das  Wappentier  des  englischen  königswappens  war. 

HALLE.  HORTZSCHANSKY. 


DIE   LAIENBEICHTE   BEI   WOLFRAM. 

Als  rutes  tver    (457,  3)    des  jungen  Parzival    forscht  Trevrizent, 
ivaz  (Parzival)  kumhers  unde  sünden  hat   (467,  21);    und  nachdem  er 
dies    erfahren   und  Parzival   zur   reue  und  busse   bewogen  hat,   löst  er 
ihn,  obwol  selbt  ein  laie  (462,  11)  von  seinen  sünden: 
501,  15  fg.:  Parzival  die  sivcere 

truoc  durch  süeziu  mcere, 

wand  in  der  tvirf  von  sünden  schief. 
und  502,  25  fg.:  .  .  gi^)  mir  din  sünde  her: 

vor  gote  ich  hin  din  wandeis  tver. 

und  leist  als  ich.  dir  hän  gesagt. 
Ebenso   beichtet  im  Willehalm  Vivianz    einem   laien,    nämlich    seinem 
oheim,  dem  markgrafeu  Willehalm  (65,  24  fg.  und  69,  11). 

Indem  wir  im  nachfolgenden  die  frage  erörtern ,  welche  bewant- 
nis  es  zur  zeit  Wolframs  mit  der  laienbeichte  hatte ,  richten  wir  unsere 
bemerkungen  gegen  San-Marte,  der  in  der  Germania  (YHI  s.  421  fg.) 
unter  der  Überschrift:  ,,Vergleichung  von  Wolframs  Parzival  mit  Albrechts 
Titurel  in  theologischer  beziehung "  auch  über  „  beichte  und  Sündenver- 
gebung" spricht,  wobei  ihm  mehrere  Unrichtigkeiten  unterfliessen. 


78  SEEBER 

San-Marte  scbreibt  an  der  citierten  stelle  (s.  441):  Petrus  Lom- 
bardus  „äussert  sieb:  vor  allem  müsse  man  gott  seine  Sünden  beken- 
nen und  dann  dem  priester,  wenn  gelegenbeit  dazu  da  sei,  aber  der 
priester  habe  uicbt  die  gewalt,  selbst  zu  lösen  und  zu  bin- 
den, sondern  zu  erklären,  dass  gewisse  menschen  gelöst  oder 
gebunden  seien." 

Dieses  citat  hat  San-Marte  nicht  mit  angäbe  der  stelle  gebracht, 
und  natürlich ;  denn  im  ganzen  Lombardus  findet  es  sich  nicht ,  son- 
dern sein  gegeuteil,  und  zwar  erklärt  der  Lombarde  (sent.  1.  IV  dist. 
17.  D)  zuerst:  „qnod  non  sufficit  soli  Deo  confiteri,  si  tempus  adsit, 
si  tamen  possit";  dann  bemerkt  er  (ibid.  dist.  17,  a.  3.  E)  wörtlich  fol- 
gendes: „Sane  hoc  potest  dici,  qnod  sacerdotis  exameu  requirendum 
est  studiose:  quia  sacerdotibns  concessit  Dens  potestatem  ligandi 
atque  solvendi.  Et  ideo,  quibus  ipsi  dimittunt,  et  Dens  dimit- 
tit."  cet. 

San-Marte  fährt  fort:  ,,Da  hiernach  (!)  die  teilnähme  des  prie- 
sters  nicht  notwendig  war,  so  nahm  man  keinen  anstand,  auch  laien 
zu  beichten.  Auf  diesem  dogmatischen  Standpunkt  steht  Wolfram,  den 
er  mit  Walther  von  der  Vogelweide  {?),  Freidank  (?)  und  Guiot  von 
Provius  (?)  teilt,  dass  die  eigentliche  vergel)ung  der  sündenschuld  nur 
allein  von  gott,  nicht  von  papst  oder  priester  ausgehen  könne,  wie 
er  dies  beim  zerbrechen  des  Schwertes  Parzivals  im  kämpfe 
mit  Feirefiz  ausdrücklich  ausspricht."  —  Wir  sind  nicht  in 
der  läge,  diesen  „ ausdiücklichen  ausspruch"  Wolframs  finden  zu  können. 
Die  angezogene  stelle  744,  14  fg.  würde  nur  beweisen,  dass  San-Marte 
sündenschuld  und  strafe  verwechsle. 

San-Marte  sagt  weiter:  „Thomas  von  Aquin  und  ferner  Duns 
Scotus  und  Bonaventura  .  .  .  verwarfen  die  laienbeichte  als  völ- 
lig unwirksam."  —  Ich  bin  in  der  läge,  wider  das  gegeuteil  zu 
beweisen  ,  natürlich  mit  Stellenangabe : 

Thomas  von  Aquin  lehrt  (Summa  theol.  supp.  9.  8.  a  2.  o): 
„in  necessitate  etiam  laicus  vicem  sacerdotis  supplet,  ut  ei  confessio 
fieri  possit."  und  (ibid.  ad  1) :  „  confessio  ex  defectu  sacerdotis  laico 
facta  sacramentale  est  quodammodo,  quamvis  non  sacramentum  per- 
fectum,  quia  deest  ei  id  quod  est  ex  parte  sacerdotis";  und  extra  casum 
necessitatis  talibus  datum  est,  peccatum  veniale  remitti,  sicut  per  tun- 
sionem  pectoris  et  aquam  benedictam. 

Petrus  Lombardus  lehrt  dasselbe  an  der  schon  citierten  stelle 
(sext.  1.  IV  dist.  17.  a  3.  E.). 

Ebenso  Bonaventura  (in  4.  dist.  17.  9.  3.  dub.  1.  in  a.  1.  9.   1.). 
„         Duns  Scotus  (in  4.  dist.  17.  a.  3.). 


LATENREICHTE    BEI    WOLFRAM  79 

Ebenso  Laufranc  (de  celebr.  corf.). 

Albertus  Magnus  (in   4.  dist.  17.  a.  58.). 
„        Alexander    Hallensis   (suuini.  )).  IV.  9.  19.   niembr.  1. 
a.  1.)  usw. 

Eine  menge  beispiele  von  solcben  laieubeicliten  bat  Martene  (de 
antiqu.  eccl.  ritib.  tom.  1.  1.  1.  c.  G.  a.  6)  zusammeugestelt.  Übrigeus 
baben  sich  im  vollce  manche  scherzhafte  anekdoten  über  dieselbe  erhal- 
ten: z.  b.  im  Pusterthale  in  Tyrol.  So  wenn  eine  bäuerin  in  eingebil- 
deter gefahr  ihrem  maune  gewisse  delikate  dinge  beichtet  („ich  habe 
den  Jörgl  nicht  ungern  gesehen!"),  worauf  dann  der  Zuspruch  des  ehe- 
inanns  lautet:  „Säss'  ich  jezt  nicht  an  gottes  statt  hier,  würd'  ich  dich 
liberschlagen !"  u.  ähnl. 

Fragen  wir  nun ,  was  nach  den  oben  angeführten  theologen ,  also 
nach  der  katholischen  tlieologie  des  mittelalters ,  von  der  laienbeichte 
galt,  so  können  wir  folgende  punkte  hervorheben: 

a)  Mehrere,  und  unter  diesen  Bonaventura  (sermo  8  in  dieb.  Rogai), 
behaupteten :  dass  in  casu  necessitatis  — ■  bei  abwesenheit  eines 
priesters,  aber  bei  gegenwart  eines  laieu ,  sogar  die  pf licht 
bestehe,  diesem  laien  zu  beichten; 

b)  diese  beichte  sei  jedoch  kein  Sakrament,  imd  der  laie  könne  nicht 
eigentlich  absolviren ; 

c)  vielmehr  erteile  in  diesem  falle  Christus,  der  unsichtbare  hohe- 
priester,  —  „si  tamen  dignus  venia  ex  sacerdotis  desiderio, 
qni  crimen  confitetur  socio"  (Petr.  Lomb.)  — ,  die  lossprechung; 

d)  jedoch  so,  dass  der  der  gefahr  entronnene  gehalten  ist,  diesel- 
ben Sünden  später  auch  noch  dem  priester  zu  beichten; 

e)  in  bezug  auf  lässliche  Sünden  wirke  die  laienbeichte,  wie  ein 
andres  sakramentale. 

Für  die  jeztzeit  behaupten  die  theologen,  dass  es  nun  nicht 
mehr  erlaubt  sei,  einem  laien  zu  beichten,  weil  eben  die  gründe  fort- 
gefallen, die  eine  laienbeichte  für  die  damalige  zeit  zulässig  erscheiuen 
Hessen,  (cfr.  Hurter,  Tlieol.  dogm.  comp.  t.  III.  s.  404.  Oeniponte  1878.) 

Wenden  wir  nun  diese  punkte  auf  die  stellen  im  Parzival  und 
Willehalm  an:  so  gibt  San-Marte,  was  den  leztern  betritt,  selbst  zu, 
dass  es  sich  hier  um  eine  notbeichte  handelte;  überdies  hatte  Vivianz, 
wie  der  dichter  betont  (Willeh.  67^  5)  nur  ganz  geringe  fehler  an  sich. 

Aber  wie  steht  es  mit  Parzival  und  Trevrizent? 

Heisst  es  hier  499,  20  nicht  ausdrücklich :  „du  freist  swuo  groze 
Sünde"?  Gewiss!  —  Wir  würden  freilich  glauben,"  dass  diese  zwei 
Sünden  (Ithers  uud  seiner  mutter  tod)  Parzival  persönlich  nicht  allzu- 
sehr zu   imputiren   wären   —  aus  vielen  gründen  — ;    aber  Trevrizent 


80  SEEBER,    LAIENBEICHTE    BEI    WOLFRAM 

nent  sie  einmal  „grosse  sünden"  iu  irgend  einem  sinn:  und  so  wollen 
wir  dabei  stehen  bleiben. 

In  diesem  falle  muss  (nach  der  Lehre  der  theologen)  ein  casus 
necessitatis  vorhanden  sein.     Ist  dem  so? 

Dieser  liegt  wirklich  vor.  Denn  nach  der  ganzen  Ökonomie  des 
gedieh tes  miiste  Parzival  von  Trevrizent  bekehrt  und  gereinigt 
scheiden:  Priester  war  keiner  da :  darum  beichtete  er  Trevrizent ,  dem 
einsiedler. 

Aber  erhält  er  nicht  von  diesem  eine  wirkliche  lossprechung? 
San-Marte  sieht  selbst  ein,  dass  von  einer  solchen  im  gedieht  nicht 
die  rede  sei. 

Was  bedeuten  dann  aber  die  verse: 

502,  25  fg.:  .  .  gij^  wir  dm  sünde  her, 

vor  gotß  ich  hin  dm  wandds  wer.  ? 

Wer  die  Unterredung  Trevrizents  mit  Parzival  verfolgt,  wird  erken- 
nen ,  dass  sich  alle  ermahnungen  des  einsiedlers  darum  drehen ,   Parzi- 
val zur  reue  und  zur  busse  (insofern  diese  genugtuung  ist)  zu  bewegen: 
499,  27:  nim  huoz  für  missewende. 

Parzival  tut  nun  wirklich  busse  (501,  15  fg.),  er  fastet  15  tage 
lang  bei  kräutern  und  wurzeln ;  und  da  es  nun  zum  scheiden  komt, 
spricht  Trevrizent  obige  worte  (502,  25  fg.). 

Erinnern  wir  uns,  dass  Trevrizent  für  seine  (458, 12)  und  des  Anfor- 
tas  (480,  10  fg.)  Sünden  busse  tut,  so  werden  wir  jene  verse  (502,  25) 
ganz  ähnlich  fassen,  und  somit  annehmen,  dass  Trevrizent  von  nun  an 
auch  für  die  Sünden  Parzivals  vor  gott  sein  wandeis  wer  durch  die 
busse  sein  wolle;  freilich  müsse  dieser  selbst  auch  noch  genugtuung 
leisten :  und  leist,  als  ich  dir  hän  gesagt. 

Daraus  ist  ersichtlich,  dass  Wolfram  auch  hierin  mehr,  als  ein 
oberflächlicher  blick  vermuten  dürfte,  auf  dem  Standpunkte  der  mittel- 
alterlichen theologie  steht,  und  dass  die  behanptungen  San- Martes,  mit 
denen  er  den  dichter  zum  „evangelischen  ritter"  schlagen  will,  zwar 
sehr  zuversichtlich,  und  ja  auch  begreiflich  sind,  aber  jedes  grundes 
entbehren.^ 

INNSBRUCK,  10.  MÄRZ  1880.  JOSEF  SEEBER. 

1)  So  schätzbar  diese  belehruiig  auch  ist,  lässt  sich  docli  beweisen,  dass 
der  gute  Wolfram  an  dem,  was  er  hier  gesagt  hat,  völlig  unschuldig  ist,  sondern 
dass  er  hier  wie  überall  nur  seinem  gewährsmanne  Guiot  getreulich  gefolgt  hat; 
und  andrerseits,  dass  der  sehr  gelehrte  und  in  theologicis  m-oI  bewanderte  Guiot 
nicht  nach  den  aufstellungen  späterer  scholastischer  dogmatiker  beurteilt  wer- 
den darf.  J-  Z. 


LÜBBEN,   FETISCH.   HULFT  8l 

F  E  T  I S  C  H. 

Nach  Weigaiiil  ist  dieses  wort  (aus  franz.  f^tich)  durch  die  17G0 
erschieuene  schrift  vuii  des  Brosses:  „du  culte  des  dieux  fetiches"  in 
Umlauf  gekommen. 

Das  wort  komt  indes  schon  1(503  in  der  schrift  von  Leviuus  Mul- 
sins (Sehiftiihrt  in  das  gokireiclie  königreich  Guineam.  Frkf.  a/M.  1603) 
vor,  wo  es  s.  23  heisst: 

Wann  die  kinder  ein  monat  oder  zwey  alt  werden ,  so  hencken 
sie  ihnen  ein  netz  vmb  den  leib,  welches  gemacht  ist,  wie  ein  kinds- 
hembdleiu ,  von  basten  oder  rinden  der  bäume;  dasselbe  netz  beheucken 
sie  allenthalben  mit  ihren  fetissos,  wie  mit  güldenen  crucifixlein  usw. 
Die  corallen  aber  oder  fetissos,  so  sie  dem  kindt  anhencken,  achten 
sie  sehr  köstlich  vnd  gut  seyn,  eins,  sagen  sie,  sey  gut  für  das  bre- 
chen, das  ander  für  das  fallen  usw.  Vnd  dergleichen  fetissos  haben 
sie  gar  viel,  deren  ein  jegliches  seinen  eygenen  nameu  vnd  besondere 
tugend  oder  krafft  hat. 

S.  31.  An  ihren  füssen  haben  sie  viel  Strohwische  von  röhren,  die 
sie  nennen  fetissos,  von  ihrer  abgötterey. 

S.  41.  (Ceremonien  beym  weintrinken.)  Im  ersten  zug  darff  er 
den  cabas  nicht  gar  ausstrincken ,  sondern  muss  noch  etwas  drin  lassen, 
das  schüttet  er  auss  auff  die  erden ,  vnd  saget :  iou ,  als  wollte  er  es 
ihrem  fetissos  zu  trincken  geben ,  vnd  so  sie  etwann  etliche  fetissos 
an  ihren  armen  oder  füssen  haben ,  dieselbigen  bespreutzen  sie  mit  dem 
ersten  trunck,  den  sie  tun  usw. 

S.  69:  Wann  sie  anfangen  zu  essen,  so  geben  sie  ihrem  fetisso, 
nemlich  den  strohwischlein,  so  sie  an  ihre  beyne  gebunden  haben,  den 
ersten  bissen  usw. 

S.  70:  er  (der  könig)  gehet  zu  einem  bäume,  den  er  für  seinen 
fetisso  hält  vnd  thut  daselbst  ein  opfter,  bringende  dem  fetisso  daselbst 
zu  essen  vnd  zu  trincken ,  darnach  schickt  er  den  fetissero ,  seinen  Zau- 
berer, hin  usw. 

[Das  wort  stamt  aus  dem  portugiesischen  feitiyäo ,  Zauberei ,  wel- 
ches sich  aus  lat.  factitius  ableitet.  J.  Z.] 


H  ü  L  F  T. 

In  einer  Urkunde  von  1104  juui  5,  ausgestelt  von  kaiser  Hein- 
rich IV  ZU  Mainz ,  betreffend  den  rheinzoll  zu  Koblenz  (Hans.  urk.  von 
Höhlbaum  I,  nr.  5),  heisst  es  unter  anderem:  .  .  de  regno  Baldewini 
venientes  debent  dare  pellem  arietis  ad  opertorium  sellae,  quod  theuto- 
nice  dicitur  hulft. 


ZEITSCHR.    F.    DEUTSCHE    PHILOLOGIE.      BD.    XII. 


82  LÜBBEN,    JUDENSPIESS.     LIESPPÜND 

[Goth.  hulistr,  /.dlv/^ipa ;  abd.  hulß,  hulf,  hülst  glossiert  durch 
supraseUa,  Jiulcia,  ulcia ,  hulcitum;  mhd.  hülst,  hulft,  hülle,  decke; 
im  NibeluDgeuliede  1640,  1  von  der  decke  des  Schildes,  den  die  mark- 
gräfin  dem  Hagen  schenkte : 

Ein  hulft  von  liehtem  pfelle       oh  siner  varwe  lac. 

Belege  für  das  vorkommen  des  Wortes  im  alt-  und  mittelbochd. 
sind  gesammelt  beiGraff  4,  880.    Müller  1,  680\    Lexer  1,  1382.    J.  Z.J 


JUDENSPIESS. 

M.  Heyne  sagt  unter  diesem  artikel  im  Deutschen  wörterbuche 
(4^,  2357),  dass  das  bild  „mit  dem  judenspiess  laufen,  d.h.  unerlaub- 
ten oder  unmilssigen  geldwucher  treiben"  niemals  von  eigentlichen 
Juden  gebraucht  werde ,  sondern  nur  von  Christen  mit  jüdisch  -  wuche- 
rischer gesinnung.  Mit  dem  ausdruck  judenspiess  wird  indes,  wenig- 
stens in  späterer  zeit,  algemein  der  geldwucher  bezeichnet,  besonders 
wie  er  von  den  Juden  selbst  betrieben  wird.  Es  gibt  ein  büchlein, 
das  den  titel  führt:  Der  verdammliche  Judenspiess ,  Oder  Kechtniässiges 
und  Historisches  Bedenken  von  der  Juden  verdammlichen  Geldwucher 
usw.  durch  Christlieb  Wucherfeind,  1688,  240  s.  8.  In  diesem  heisst 
es  unter  anderen ,  vorr.  s.  XI :  Weil  der  meiste  haufife  (der  Juden)  mit 
der  Christen  schweiss  und  blut  sich  bereichert  .  .  so  ist  es  zu  diesen 
zelten  wol  nötig,  dass  man  das  verdammliche  Judenspiess  aus  dem 
gründe  an  das  tages  Hecht  bringe.  (Bemerkenswert  ist  an  dieser  stelle, 
dass  das  wort  nach  niederdeutscher  weise  als  neutrum  gebraucht  wird.)  ■ 
S.  113:  Dieser  Ursachen  halber  sind  die  Juden  aucli  am  allermeisten 
bey  den  Christen  verhasset,  weil  sie  mit  ihrem  verdammlichen  Juden- 
spiess den  Christen  gleichsam  das  mark  aus  den  knochen  brechen. 
S.  115:  sehr  viele  gottlose  Christen,  welche  mit  dem  verbottenen  Juden- 
spiess lauffen. 

Woher  die  redensart  eigentlich  stamt,    lässt  sich  leider  aus  dem 
buche  nicht  entnehmen. 


LIESPFUND. 

Darüber  sagt  Weigand  1,  951:  „ein  gewicht  von  14 — 16  pfund, 
Kichtiger  lispfund.  1721  lisspfund.  Aus  niederl.  (im  käsehandel)  das 
lijspond ,  dän.  und  schwedisch  (mit  i  =  i)  lispund,  dessen  Its  dunke- 
les  Ursprungs  ist." 

Es  wäre  zu  wünschen,  dass  jedes  wort  so  klares  Ursprunges  wäre 
wie  dieses.  Z*s  ist  nichts  anderes  als  eine  contraction  von  lives  (oder 
auch  livcsch,  wie  rigcs  und  rigesch) ,  liefländisch.  In  hansischen,  lief- 
ländischen  und  anderen  Urkunden,  besonders  ostseeischen,  geschieht 
dieser  gewichtsart  häufig  erwähnung ,  lat.  talentum  livonicum ,  und  wird 
nicht  bloss  heim  käsehandel ,  sondern  auch  beim  handel  mit  anderen 
waaren  gebraucht,  die  in  grösseren  quantitäten  verkauft  werden.  Es 
ist  ein  gutes  niederdeutsches  wort,  und  die  Schreibung  lispfund,  wenn  i 
kurz  sein  soll ,  ist  nicht  der  Schreibung  liespfund  vorzuziehen ,  sondern 
umgekehrt. 

OLDENBURG,  A.    LÜBBEN. 


83 


LITTERATTTR. 

1)  Die  prosa  isclic  Edda  hu  auszu<;-e  nebst  Vö  1  su  uga- saga  uud  Nor- 
nagests- tliiitt  r.  Mit  aus  führ  liclic  ni  glossar  herausgegeben  von 
Ernst  Wilkeii.  Thcil  I:  Text.  Paderborn,  Schöningh,  1877.  8.  CVIII  und 
264  SS.  M.  G.  —  A.  u.  d.  T.:  Eibliothek  der  ältesten  deut.selieu  lit- 
t  e  r  a  t  n  r  -  d  0  n  k  m  ä  1  e  r.     XI.  band. 

2)  Untersuchungen  zur  Snorra  Edda.  Als  Einleitung  „zur  prosai- 
schen Edda  im  auszuge"  von  Ernst  Wilkeii.  Paderborn,  Schöningli,  1878. 
8.     296  s.     M.  6. 

Später,  als  es  mein  wnnseh  und  meine  absieht  war,  gelange  ich  zu  einer 
bespreclumg  von  Wilkens  an  der  spitze  dieses  aufsatzes  verzeichneten  büchern.  Die 
Verzögerung  findet  ihren  grund  uud  hoffentlich  auch  ihre  entschuldigung  in  der 
durch  eine  ausgedehnte  neue  tätigkeit  gebotenen  beschränkung.  Ich  hebe  dies  her- 
vor, weil  mir  im  algemeinen  die  kritische  besprechung  eines  Werkes  zu  lange  nach 
seinem  erscheinen  nicht  wünschenswert  vorkomt.  Sie  verfehlt  dadurch  teilweise 
wenigstens  ihren  zweck.  Wenn  ich  trotzdem  in  dem  vorliegenden  falle  deiu  eben 
ausgesprochenen  satze  zuwiderhandle,  so  veranlasst  mich  dazu  ein  zwiefacher  grund, 
ein  sachlicher  und  ein  persönlicher.  Einmal  ist  der  gegenständ ,  mit  dem  sich  Wil- 
kens bücher  beschäftigen,  von  so  hervorragender  bedcutnng,  dass  eine  eingehende 
Prüfung  und  beleuchtung  der  vielen  in  ihnen  enthaltenen  neuen  ansichten  zur  gebie- 
terischen ptiicht  wird.  Man  darf  erwarten ,  dass  die  ausgäbe  wenigstens ,  zu  der 
als  wilkommene  ergänzung  ein  ausführliches  glossar  in  aussieht  steht,  vielfach  von 
anfängern  wird  benuzt  werden,  und  es  ist  nur  natürlich,  dass  unter  diesen  manche 
die  behauptungen  der  einleitung  auf  treu  und  glauben  hinnehmen  werden.  Nach 
meiner  innigen  Überzeugung  aber  und  gewis  auch  nach  der  -der  grossen  mehrzalil 
der  fachgenossen  ist  gerade  diese  einleitung  so  durchaus  und  in  allen  wesentlichen 
punkten  verfehlt,  dass  es  gilt,  der  Verwirrung,  Avelche  durch  sie  gestiftet  werden 
k(3nte,  vorzubeugen,  oder,  wofern  dies  bereits  zu  spät  sein  solte,  durch  energischen 
einspruch  zu  ihrer  beseitigung  beizutragen.  Bis  jezt  hat  nur  Edzardi  (Germ.  24, 
352  fgg. :  vgl.  auch  Litt.  Centralbl.  1878,  sp.  1448  fgg.)  damit  ernst  gemacht.  Denn 
eine  selbstanzeige  (vgl.  Gott,  gelehrt,  anzz.  1878,  8.  86  fgg. ,  1217  fgg.)  ist  natür- 
lich nicht  die  geeignete  gelegeuheit  für  eine  vorurteilsfreie  kritik ,  die  auch  nach 
den  ausführungen  Edzardi s  noch  keineswegs  überflüssig  scheint.  Dies  der  sachliche 
grund.  Der  persönliche  wird  für  jeden  leser  der  einleitung  zur  ausgäbe  kaum 
einer  erörterung  bedürfen.  Der  grössere  teil  dieser  einleitung,  der  sich  mit  der 
V(jlsuuga  saga  beschäftigt  (s.  VI  —  LXXXV) ,  gestaltet  sich  zu  einer  polemik  gegen 
meine  Beitr.  III ,  199  fgg.  veröffentlichten  Untersuchungen  über  diese  saga.  Ich 
glaube  nun  allerdings  keineswegs,  dass  alle  einzelheiten  der  genanten  abhandlung 
aufrecht  zu  erhalten  sind,  vielmehr  hat  mich  fortgesezte  beschäftigung  mit  den 
einschlägigen  fragen  in  manchem  punkte  zu  einer  von  der  früheren  abweichenden 
ansieht  geführt.  Um  gleich  hier  eines  zu  erwähnen,  so  ist  das  Verhältnis  der  VqIs. 
saga  zur  pidreks  saga,  wie  ich  schon  anderwärts  augedeutet  habe  (Jenaer  Litztg. 
1878,  s.  540  anm.),  falsch  von  mir  beurteilt  worden;  ich  stimme  in  dieser  hinsieht 
jezt  den  einweuduugen  Storms  Nye  Studier  over  Thidreks  saga  s,  17  fgg.  und  Edzar- 
dis  Germ.  23,  75  anm.  bei.  Wol  aber  muss  ich  auch  jezt  noch  die  hauptresultate 
meiner  Untersuchung  für  richtig  halten  und  glaube  ich  namentlich  erwiesen  zu 
haben,    was  zu  erweisen   mein    erster  zweck   war,    dass  gerade   die  samlung  nor- 

6* 


84  SYMONS  , 

rteiier  heldenlieder  aus  dem  Völsungensagenkreise  mit  eingestreuter  prosa,  die 
eineu  teil  der  sogenanten  Siemnndar-Edda  bildet,  von  dem  Verfasser  der  Vol- 
sunga  saga  als  quelle  benuzt  worden  ist.  Wilken  freilich  ist  anderer  ansieht  und 
richtet  gegen  diesen  teil  meiner  Untersuchungen  in  erster  linie  seine  kritischen 
pfeile.  Obgleich  ich  nun  des  glaubcns  bin ,  dass  Wilkens  neue  theorie ,  der  zu  liebe 
er  die  von  mir  vertretene  verwirft,  auf  geringen  beifall  der  fachgenossen  wird  rech- 
nen dürfen,  halte  ich  es  doch  für  angezeigt,  in  kürze  die  gründe  darzulegen,  die 
mich  bestimmen,  an  meiner  ansieht  festzuhalten  und  die  seinige  zu  verwerfen, 
zugleich  aber  auch  die  punkte  nicht  zu  verschweigen,  in  denen  ich  selber  zu  ande- 
rer Überzeugung  gelangt  bin.  Bedauern  muss  ich,  dass  Wilkens  kritik  zuweilen 
eiuen  gereizten  und  schulmeisternden  ton  anschlägt,  zu  dem  ich  meines  wissens 
keine  veranlassung  gegeben  habe. 

Von  den  beiden  büchern  Wilkens  bildet  das  an  zweiter  stelle  aufgeführte  die 
ergänzung  des  ersten.  Dieses  bietet  die  für  den  deutschen  leser  wichtigsten  teile 
der  Snorra  Edda:  Gylfaginning,  Bragartedur  und  die  mythologischen  und  sagen- 
geschichtlichen teile  der  Skäldskaparmäl ,  sowie  V^lsunga  saga  und  Nornagests  pättr. 
Die  einleitung  handelt  nach  einigen  orientierenden  werten  über  die  hss.  und  aus- 
gaben der  SE  ausführlich  über  die  Vols.  s.  und  den  Np:  den  schluss  derselben 
bildet  ein  ,, Literarhistorischer  überblick"  (s.  CHI  —  CVIII).  Die  einleitung  zur  SE 
liegt  in  selbständiger  fassung  in  den  ,, Untersuchungen"  vor.  Diese  Untersuchun- 
gen beschäftigen  sich  allerdings  nicht  blos  mit  den  in  die  ausgäbe  aufgenommenen 
teilen  der  SE ,  sondern  mit  dem  ganzen  werke,  holen  überhaujjt  sehr  Aveit  aus  und 
ziehen  teils  in  weit  abschweifenden  excursen ,  teils  in  sehr  gehäuften  und  gedehn- 
ten anmerkuugen,  eine  menge  von  fragen  in  die  erörterung  hinein,  die  nur  in 
sehr  entfernter  Verbindung  mit  dem  gegenstände  stehen.  Dadurch  wird  das  buch 
sehr  formlos,  die  benutzung  ausserordentlich  erschwert  —  glücklicherweise  hilft  in 
dieser  hinsieht  das  sorgfältig  gearbeitete  register  (s.  290  fgg.)  etwas  —  und  die 
lectüre  wenig  angenehm.  Zu  lezterem  umstände  trägt  der  stil  des  Verfassers  das 
seinige  bei:  er  lässt  an  klarheit  und  einfachheit  recht  viel  zu  wünschen  übrig,  die 
sätze  schwellen  öfter  zu  wahren  rattenkönigen  an,  welche  sich  dann  wol  in  ihren 
eigenen  schwänzen  verwickeln.  So  finden  wir  I,  s.  XXVI,  z.  20  —  XXVII,  z.  3  eine 
reihe  von  Vordersätzen ,  zu  denen  der  nachsatz  in  der  feder  geblieben  ist. 

Ich  betrachte  zunächst  Vols.  s.  und  Norn.  ]>.  Eine  neue  handliche  ausgäbe 
beider  sagas  war  sehr  erwünscht,  da  Bugges  Norröne  skrifter  af  saguhistorisk  ind- 
hold  leider  schwer  zu  beschaffen  sind,  der  text  in  Fas.  I  aber  nicht  mehr  genügt. 
Da  erklärende  anmerkungen ,  deren  namentlich  die  keineswegs  leichte  Vgls.  saga 
wol  bedarf,  nach  dem  plane  der  saralung  ausgeschlossen  waren,  konte  es  sich  nur 
um  einen  guten  text  mit  den  nötigen  Varianten  handeln.  Es  empfahl  sich  deswegen 
ein  einfacher  abdruck  des  Buggeschen  textes.  Für  die  Vs.  hat  der  herausgeber 
sich  denn  auch  damit  begnügt.  Sein  text  dieser  saga  weicht  von  dem  Bugges  fast 
nur  ab  in  einigen  kleinigkeiten  der  Orthographie  und  längebezeichnung,  denen  ich 
meist  beistimme;  auch  Bugges  conjecturen,  die  dieser  unter  dem  texte,  in  den 
anmm.  hinter  dem  texte,  sowie  auf  dem  Umschlag  in  den  ,,tillaig  og  rettelser"  gege- 
ben hat,  haben  in  den  häutigsten  fällen  aufnähme  gefunden.  Die  Varianten  bieten 
die  lesart  des  Codex,  wo  im  text  von  dieser  abgewichen  ist,  etwaige  nicht  auf- 
genommene, aber  beachtenswerte  conjecturen  Björners,  Rafns  und  Bugges,  endlich 
vereinzelt  lesarten  der  papierhss. ,  denen  man  ja ,  wie  Wilken  s.  VIII  fg.  ganz  rich- 
tig ausführt,  den  wert  plausibler  conjecturen  nicht  in  allen  fällen  bestreiten  kann. 
Ich  knüpfe  hieran  zunächst  einige  bemerkungen  zu  Wilkens  text  der  Vs.,  wobei  ich 


ÜBKE  PROS.  EDDA  ED.  WILKEN  85 

mir  gleichzeitig  zur  bequcmlichkeit  des  bemitzers ,  die  s.  263  fg.  nicht  erwähnten 
druckt'ehler  (aber  nur,  soweit  sie  den  tcxt  der  saga  berühren)  zu  bessern  gestatte. 
150,  1  shofint)!]  1.  sköfiinii.  5  leitinnni]  1.  leitinui.  32  frccndam]  1.  fnen- 
diim.  152,  15  bariiMokk]  Wilken  hat  diese  lesart  im  texte  beibehalten,  die  nach 
Bugges  erläuterung  in  den  AnruEerkniuger  auch  keiner  änderung  bedarf.  In  der 
einleitung  aber  (s.  XI ,  anm.  9)  wird  versucht ,  aus  dem  hötstokk  der  Vols.  rim.  142 
ein  blöfstükk  zu  gewinnen.  Diese  conjectur  ist  verwerflich.  Denn  abgesehen  davon, 
dass  Wilken  hier  und  öfter  den  riniur  eine  bedeutung  beilegt,  die  ilinen  nicht 
zukömt,  wäre  ein  ,,oijferbaum"  *  hier  wirkungslos.  Der  barnsfokkr  dagegen,  der 
befruchtende  bäum  als  symbol  der  fortpHanzung  des  heldengeschlechts ,  steht  im 
schönsten  Zusammenhang  mit  der  ganzen  sage.  Vgl.  ausser  Bugges  anin.  zu  unse- 
rer stelle  auch  MüllenhofP  Zs.  für  deutsch,  alt.  23,  119.  —  In  c.  111  sind  153,  2  —  5 
falsch  geordnet,  wie  Bugge  erkante.  Man  lese:  sä  maär  var  berfoMr  ok  hufäi 
kn'jtt  Unhröknm  at  beini  ok  hqtt  sidan  ä  hqfäi,  hann  var  harr"  ritjqk  ok  cUilüjr 
ok  einüi/nn;  sä  maär  hafäi  sverd  i  hetidi,  ok  gengr  at  barnstokkinnin ;  kamt  bregctr 
sveräimt  usw.  —  153,  32  hätte  das  von  Bugge  vorgeschlagene  fjeri  statt  gerir  in 
den  text  gesezt  werden  sollen.  —  154,  18  nä  heür  Vqlsungr  kunungr  ferdinni  ok 
koma  ä  nefndum  degi]  die  conjectur  ok  vill  koma  ist  unnötig :  solche  ungenauig- 
keiten  der  construction  kennen  alle  älteren  sprachen.  —  159,  18  ist  Bugges  hüb- 
sche besserung  ofrlidi  für  das  überlieferte  öfridi  meiner  ansieht  nach  trotz  der 
bemerkungeu  Wilkens  s.  X  fg.  unbedingt  aufzunehmen.  Sigmund  und  Sintjötli 
trennen  sich  von  einander  unter  der  Verabredung,  dass  jeder  von  ihnen  es  mit 
sieben  oder  weniger  leuten  aufnehmen  solle,  ohne  den  andern  zu  hülfe  zu  rufen; 
sobald  er  aber  auf  mehr  als  sieben  leute  auf  einmal  stosse ,  solle  er  rufen  [en  sä 
läti  x'dfsrqdd,  er  fyrir  ofrlidi  tjrdi).  ofrlid  bedeutet  hier  also  eine  Übermacht  in 
relativem  sinne,  eine  zahl  von  mehr  als  sieben  feinden.  Sigmund  trifft  sehr  bald 
leute  und  ruft  den  söhn,  der  sie  alle  tötet.  Wie  viele  leute  Sigmund  trifft,  müs- 
sen wir  erraten ,  da  das  Zahlzeichen  in  der  Hs.  verwisclit  ist.  Bugge  meint  acht, 
und  dies  wäre  ja  der  Verabredung  gemäss.  Mit  recht  macht  aber  Wilken  auf  den 
späteren  vorwarf  Sinfjötlis  aufmerksam  (160,  1),  dem  zufolge  Sigmund  gegen  die 
Verabredung  nur  auf  sieben  leute  gestossen  sei  und  doch  um  hülfe  gerufen  habe. 
Müllenhoff  Zs.  für  deutsch,  alt.  23,  131  glaubt  sogar,  es  seien  noch  weniger  als 
sieben  gewesen.  Gewiss  ist,  dass  es  Sigmund  nur  auf  eine  Versuchung  Sinfjötlis 
ankomt,  und  dadurch  erledigt  sich  der  einwand  Wilkens  gegen  Bugges  conjectur, 
der  es  befremdend  findet ,  dass  Sigmund  dem  Sinfjötli  zumuten  solte ,  es  allein  mit 
sieben  aufzunehmen,  während  er  selbst  in  einem  solchen  falle  schon  hülfe  verlange. 
—  163,  16  riduvi]  1.  ridu.  —  164,  1  fegrum]  1.  fqgrum.  —  164,  14  wird  Gnipa- 
lundi  mit  kurzer  erster  silbe  herzustellen  sein.  Nach  den  von  Sievers  für  den  kvi- 
duhättr  gefundenen  gesetzen  muss  jedesfalls  Helg.  Hund.  I,  31^.  85 ^  41*'.  51®  Hild. 
so  gelesen  werden  (vgl.  Beitr.  6,  314).  —  164,  25  fgg.  ist  natürlich  statt  des  feh- 
lerhaften Granmarr  der  Hs. ,  das  Wilken  beibehält,  überall  Gadmundr  zu  lesen, 
wie  die  quelle  des  capitels,  das  erste  lied  von  Helgi  dem  Hundingstöter,  bietet.  — 
167,  26  fgg.  kann  [EijUmi]  pgkkiz  sjä,   at  peir  [Sigmimidr  ok  Lgugci]   mnnio  eigi 

1)  Überdies  ist  wol  blöttrc  belegt,  auch  dies  nur  ein  einziges  mal  (Vigf.  71*), 
hlötatokkr  aber  gar  nicht. 

2)  So  (grauhaarig)  und  nicht  hdr  (hoeh) ,  wie  Fas. ,  Bugge  und  Wilken  haben, 
lese  ich  wegen  des  folgenden  elUligr.  Ebenso  möchte  ich,  unserer  stelle  entsprechend, 
in  cap.  42  (2)0,  13  W.)  nicht  mit  Bugge  hdr,  sondern  hdrr  ergänzen. 


hafa  eitt  erendi]  In  der  anm.  wird  vermutet  munu  eiga  eitt  erendi.  Durch  diese 
äiiderung  würde  aber  der  sinn  zerstört.  Es  soll  nicht  heissen :  „König  Eylimi 
glaubte  einzusehen,  dass  sie  beide  dasselbe  im  sinne  hätten."  Das  weiss  er  ja 
längst.  Vielmehr  heisst  es  ironisch:  ,,E.  glaubte  einzusehen,  dass  Sigmund  und 
Lyngvi  nicht  beide  den  von  ihnen  verfolgten  zweck  erreichen  könten,  m.  a.  w.  dass 
sie  nicht  beide  zugleich  die  Hjördis  würden  heiraten  können."  erendi  ist  hier  nicht 
die  „botschaft,"  sondern  „der  zweck  der  botschaft,"  wie  in  der  eddischen  formal 
hafa  erindi  sein  erfidi  prymskv.  9.  10,  vgl.  Helg.  Higrv.  5,  und  dem  prosaischen 
ausdruck  fara  eyrendlaust  ,,to  go  in  vain"  (Vigfüsson  136*).  —  168,  7  keim] 
1.  heim.  —  Ob  169,  13—15  mit  recht  eine  Ijoflahättr-halbstrophe  hergestelt  ist, 
ist  doch  sehr  die  frage.  Das  ganze  gespräch  zwischen  Hjönlis  und  dem  sterben- 
den Sigmund  ist  unverkenbar  die  paraphrase  eines  liedes  (Beitr.  III,  299  f.  Müllen- 
hoff  a.  a.  0.  137) ,  aber  dass  der  sagaschreiber  aus  einer  und  derselben  rede  Sig- 
munds die  eine  halbstrophe  wörtlich  citiert,  die  andere  aber  in  prosa  umschrieben 
haben  soll,  ist  wenig  glaublich.  —  171,  27  f.  muss  für  das  erste  varäveittu  not- 
wendig der  Gonj.  vardveitti  gelesen  werden.  —  171,33  hcstaveinyi]  \.  hestasveinn. — 
172,  22  f  Beginn  »varar:  sä  heitir  Fäfnir,  er  her  liggr  skamt  heäan  ä  hrott ,  pat 
heitir  GnitaJieiär]  Bugge  fragt:  ,,er  her  rigtigt?"  Eher  glaube  ich,  dass  pat 
unrichtig  und  in  par  er  zu  bessern  ist.  — ■  175,  9  ok  ek  mega  vinna']  1.  mega  med 
V.  —  176,  10  astscBlli]  1.  ästscelli.  —  177,  3  röärtC]  1.  roärii.  —  179,  10  sitt]  1.  sit.  — 
27  af  hverju  undri  ertu  alinn]  1.  ertu  pä  alinn,  vgl.  aber  auch  Fäfu.  3=.  —  182,  7 
und  183,  18  sind  mit  Bugge  nach  E  zu  bessern:  zu  ersterer  stelle  hat  W.  in  den 
anmm.  darauf  hingewiesen,  zu  lezterer  nicht.  Dort  hat  der  codex  der  Vs.  at  par 
svaf  madr  ok  lä  med  qllum  herväpvium ,  während  R  richtiger  bietet  la  maär  ok 
svaf.  —  191,  4  färr]  1.  fär.  —  31  mansins']  1.  mannsins.  —  Auf  s.  194  sind  die 
zahlen,  die  nach  den  anmm.  verweisen,  in  Verwirrung  geraten.  Zu  z.  30  velmentr 
5)  füge  in  der  anm.  hinzu  5)  vel  mentr  B.  —  197,  9  ok  hafdi  ofr  fjär]  W.  ver- 
mutet of.  Vgl.  aber  Vigfüsson  464",  wo  unsere  stelle  übersehen  ist.  —  In  den 
beiden  Strophen  199,  1  fgg.  sind  folgende  änderungen  metrischer  art  erforderlich: 
2  streich  en;  4  himni]  1.  himin,  verschleift  auf  der  Senkung ;  12.  14  fyrir]  1.  fyr 
(vgl.  Sievers,  Beitr.  5,  479  fgg.  6,  317  fg.).  —  In  der  202,  4  fgg.  angeführten 
Strophe  wird  in  der  ersten  zeile  Sigurdr  im  Zusammenhang  des  liedes  nicht  gestan- 
den haben;  in  der  zweiten  ist  wol  en  zu  tilgen.  —  205,  21  Brynkildr  svarar: 
eigi  sä  ek  svä  Gunnar,  at  minn  hugr  hlceja  vid  hänum  usw.]  Bugges  änderung  se 
statt  sä  ist  notwendig,  nicht  blos,  wie  Wilken  meint,  wegen  des  folgenden  conj. 
praes. ,  sondern  mehr  noch  des  sinnes  wegen,  wie  er  aus  Sig.  sk.  10  erhellt,  se  ist 
futurum.  —  205,  24  sem  äst  se]  1.  sem  hans  äst  se.  —  In  der  strophe  auf  s.  206, 
die  übrigens  den  regeln  genügt,  nmss  in  z.  5  für  svä  at  die  ältere  form  svät  ein- 
gesezt  werden.  Vgl.  Beitr.  5,  477  fgg.  6,  317.  —  210,  27  fgg.  hätte  Bugges  inter- 
punction  beibehalten  werden  sollen.  Auf  derselben  seite  ist  in  anm.  5  statt  ridi  B 
zu  lesen  ridir  B.  —  212,  23  set]  1.  sat.  —  213,  15  skjqldu]  1.  skjqldu  —  214,  1 
vildii]  1.  vildu.  —  Schwierig  ist  die  stelle  214,  4  fg.  sä  drykkr  var  blandinn  med 
jardar  magni  ok  stc  ok  dreyra  sönar.  Der  Codex  liest  dreyra  sonar  hennar.  Die 
stelle  umschreibt  Gudr.  II,  22^  —  «  (=  Hyndl.  38),  und  Bugge  erklärte  den  text  der 
saga  als  misverständnis  von  dem  ok  sönar  (sonö  R)  dreyra  der  vorläge.  Dieser 
auffassung  hat  sich  Wilken ,  wie  auch  ich  (Beitr.  3,  239) ,  angeschlossen.  Der  ver- 
langte sinn  scheint  jeden  zweifei  darüber  auszuschliesson.  Nun  hat  jedoch  neuer- 
dings Sievers  Beitr.  6 ,  315  darauf  hingewiesen ,  dass  an  beiden  stellen  der  lieder- 
samlung  der  vcrs  ein  verschlcifbares  wort  verlangt^  und  meint  deswegen,  dass  die 


ÜBER    PHOS.    EDDA    ED.    WILKEN  87 

angäbe  der  Vs.  ,,  keineswegs ,  wie  man  gewöhnlich  anninit,  zu  verwerfen  ist."  Mei- 
ner ansieht  nach  darf  uns  die  metrische  Schwierigkeit  in  den  beiden  stellen  der 
liedersaniluug  nicht  dazu  verführen,  die  lesart  der  A^s.  zu  adoptieren,  die  unsinn 
ist  und  bleibt.  Eher  wäre  Gudr.  II,  22 s  und  Hyndl.  38*  ok  zu  tilgen,  oder  man 
muss  annehmen ,  dass  die  otlcnbar  alte  forme!  den  anforderungcn  der  jüngeren 
motrik  erfolgreichen  widerstand  geboten  hat.  Allerdings  soll  nicht  geleugnet  wer- 
den, dass  auch  sönnrclreyra  nur  dann  befriedigen  köntc,  wenn  man  es  erklären 
dürfte  als  ,,sonnenstrom "  (vgl.  Grundtvig,  Edda^  214*').  denn  die  gewöhnliche 
erklärung  „sanguis  piacularis"  (Egilsson  lex.  poet.  762"),  „blood  of  atonement" 
(Vigfüsson  dict.  580")  kann  in  der  Verbindung  mit  erde  und  meer  nicht  richtig 
sein.*  Änderungen  in  sunnu,  solar  usw.  liegen  sehr  nahe,  sind  aber  überaus 
bedenklich.  Der  text  der  Edda  kann  richtig  sein,  darf  jedesfalls  nicht  vorschnell 
verurteilt  werden.  —  217,  25  meämi]  1.  meäan  und  28  hröäur]  1.  broäur.  —  219,  24 
Sncevttr]  1.  Sncevarr.  —  221,  31  henta]  1.  liaräa.  —  222,  anm.  9  elnnC]  1.  emiQ.  — 
225,  3  svärar']  1.  svarar.  —  225,  11  min  vili]  1.  ininn  vili  und  stelle  in  den  anmer- 
kungen  anm.  12  und  13  um.  —  227,  7  u.  ö.  wird  Hamdir  geschrieben.  Weshalb 
die  Orthographie  des  namens  mit  ä  verlassen  ist,  die  durch  die  etymologie  gefor- 
dert wird  (vgl.  auch  Bugge  in  dieser  Zs.  7,  394.  99),  ist  nicht  gesagt.  Wünschens- 
wert wäre  es  auch  gewesen,  überall  Bandver  zu  schreiben  als  namen  von  jQrmun- 
reks  unglücklichem  söhne.  Der  Cod.  der  Vs.  hat  die  folgenden  formen:  nom. 
RanducR  (W.  227,  10),  Randverr  (227,  19),  gen.  Bandvers  (227,  28),  acc.  Bundve 
(228,  7).  R  bietet  Bandver,  acc.  Bandve  (Bugge  311,  12.  15).  Von  den  perga- 
menthss.  der  SE  gibt  1  eß  (SE  AM  II,  575)  zweimal  den  nom.  Bandver,  sowie  je 
einmal  den  acc.  und  dat.  Bandve;  r  scheint  einmal  den  nom.  Bandverr  und  ein- 
mal Bandver,  den  acc.  Bandve  zu  haben,  doch  ist  absolutes  zutrauen  zu  den  bis- 
herigen ausgaben  der  SE  nicht  möglich.  Im  grossen  und  ganzen  empfiehlt  die 
Überlieferung  jedesfalls  die  Schreibung  Bandver:  keinesfalls  aber  dürfen,  wie  es 
bei  Wilken  der  fall  ist,  ein  nom.  Bandverr  und  ein  acc.  Bandve  gleichmässig  in 
einen  normalisierten  text  eingang  finden.  — 

Einige  stärkere  abweichungen  von  Bugges  text  hat  Wilken  sich  in  den  citier- 
ten  eddischen  stropheu  gestattet,  namentlich  der  Sigrdrifumäl.  Ich  übergehe  sie 
hier ,  da  sie  der  saga  nicht  eigentümlich  sind.  Sigrdr.  19 '  heilum]  1.  heülum.  — 
Von  den  nur  in  der  saga  überlieferten  Strophen  ist  bereits  die  rede  gewesen. 

Auch  für  den  Nornagestsliättr  wäre  ein  einfacher  abdruck  von  Bugges  text 
sehr  empfehlenswert  gewesen.  Bugge  hat  seiner  ausgäbe  den  Cod.  AM  62  (S)  zu 
gründe  gelegt ,  dessen  texte  er  mit  recht  den  Vorzug  einräumt  vor  dem  der  Flatey- 
jarbök  (P)."^  Ich  wüste  nicht,  dass  die  ansieht  von  Bugge  Widerspruch  erfahren 
hätte,  obgleich  sie  mehr  behauptet  als  bewiesen  ist  (s.  Norr.  Fornkv.  XLI).  Die 
Sache  liegt  aber  in  der  tat  so  einfach,  dass  Bugge  mit  recht  einen  beweis  für 
überflüssig  halten  konte.  Wilken  ist  jedoch  anderer  ansieht.  Er  gesteht  zu,  dass 
S  und  F  auf  „dieselbe  vorläge  zurückweisen,"  und  dass  S  „gewöhnlich  im  rechte 
zu  sein  scheint."  (s.  LXXXVI),  Der  einzig  mögliche  methodische  schluss ,  solte 
man  meinen,    wäre  demnach,    dass  S  der  gemeinsamen  vorläge  näher   steht  als  F 

1)  Dasselbe  bedenken  habe  ich  auch  gegen  die  deutung  von  Edzardi  Germ.  23, 
339 ,  der  an  Sdn,  eins  der  gefässe  des  dichtermethes  denkt. 

2)  A,  die  der  ausgäbe  des  pättr  in  den  Fas.  I,  313  fgg.  zu  gründe  liegende  hs., 
ist  abschrift  Ton  F :  ihre  lesarten  haben  also  höchstens  den  wert  von  conjecturen 
(Wilken  LXXXV). 


und  deragemäss  einer  ausgäbe  zu  gründe  gelegt  werden  mu.ss.  Nicht  so  Wilken. 
Er  hat  es  trotzdem  vorgezogen,  ,,in  F  (A  u.  w.)  die  altberechtigte  vulgata  der 
Überlieferung  anzuerkeanen,  S  dagegen  nur  in  einzelnen,  wenn  auch  nicht  ganz 
seltenen  fällen  zur  correctur  heranzuziehen."  (S.  LXXXVIII).  Hören  wir  seine 
gründe.  Es  sind  ihrer  zwei.  Der  erste  stüzt  sich  auf  die  Überlieferung  der  lieder- 
citate,  die  ja  gewiss  die  sicherste  grundlage  für  eine  handschriftenuntersuchung 
bilden.  In  ihnen  stimt  in  einer  anzahl  von  fällen  S  zu  E,  während  F  abweicht. 
Jeder  wird  zunächst  diesen  umstand  zu  gunsten  von  S  in  die  wagschale  fallen  las- 
sen :  Wilken  aber  sieht  hierin  keine  bewahrung  des  ursprünglichen ,  sondern  ,,  ein 
nachträgliches  ausgleichungsverfahren,"  da  die  abweichungen  des  Np  sich  durch  den 
einfluss  mündlicher  tradition  erklären.  Ich  halte  es  für  angezeigt,  die  ganze  frage 
über  die  Überlieferung  der  liederstrophen  in  Np  etwas  genauer  ins  äuge  zu  fassen. 
Bekantlich  citiert  der  Verfasser  ausschliesslich  strophen  der  Eeginsmal  (str.  13  —  26 
Hild.)  und  die  ganze  Helreid  Brynhildar  mit  ausnähme  der  halbstrophe  6. 

In  einer  sehr  grossen  anzahl  von  fällen  weicht  der  gemeinsame  text  in  SF 
von  dem  des  Eegius  ab.  Während  Bugge  fast  überall  den  lezteren  für  den  echte- 
ren und  ursprünglicheren  hält  (Norr.  Fornkv.  XLIII) ,  kann  Wilken  s.  LXXXIX  fg. 
sich  dieser  auffassung  nur  hinsichtlich  der  Eegm.  anschliessen ,  glaubt  aber,  dass 
in  Helr.  Brynh.  der  text  von  Np  in  mehreren  fällen  den  vorzug  verdiene.  Es  tra- 
gen indes  die  abweichungen  in  Eegm.  und  Helr.  durchaus  den  gleichen  Charakter: 
der  text  des  Np  ist  durchweg  planer,  verständlicher,  einfacher,  weniger  gekünstelt, 
er  vermeidet  die  kenningar,  ebnet  die  skaldische  auseinanderreissung  der  werte. 
Aber  ist  er  darum  auch  älter?  Bugge  hat  mit  recht  darauf  hingewiesen,  dass  der 
Verfasser  der  saga  seine  Überlieferung  der  eddischen  strophen  teilweise  wenigstens 
aus  der  volkstradition  geschöpft  hat,  und  Wilken  teilt  diesen  Standpunkt.'  Der 
text  des  Nfi  repräsentiert  für  uns  also,  wenigstens  teilweise,  die  gestalt,  die  die 
lieder  im  munde  des  volks  angenommen  hatten.  Gerade  wer,  wie  Wilken  es,  frei- 
lich in  übertriebener  weise,  tut  (vgl.  Gott.  gel.  anz.  Mai  1877,  st.  21.  Untersuchun- 
gen cap.  VII),  eine  feste  grenze  zwischen  eddischer  und  skaldischer  dichtung  leug- 
net, wird  es  begreiflich  finden,  dass  der  volksmund  sich  bestrebte,  das  skaldische 
und  ihm  unverständliche  aus  den  sog.  Eddaliedern  nach  kräften  zu  entfernen.  Oder 
wird  es  jemand  bezweifeln  wollen,  dass  auf  Island  der  skaldenkunst  ebensogut  eine 
volkstümliche  poesie  zur   seite  ging,    wie   der  mhd.  höfischen  lyrik   eine  volkslyrik 

1)  Allerdings  hat  der  Verfasser  des  NJ)  auch  unsere  liedersanilimg  in  schriftlicher 
aufzeichnung  benuzt,  oder  doch  wenigstens  den  teil  derselben,  der  als  Siguröar  saga 
(vgl.  NJ)  Bugge  65 ,  5)  wol  früher  selbständig  bestand.  Auf  diesen  von  Wilken  gänz- 
lich verkanten  umstand  komme  ich  weiter  unten  zu  sprechen.  Einzelne  fehler  in  der 
Überlieferung  der  liedercitate  beruhen  denn  auch  auf  lese  -  oder  Schreibfehlern.  Ausser 
dem  von  Bugge  ausgeführten  hafri  {Jiäfar  E)  unnar  Regm.  16  ^  ist  namentlich  bewei- 
send Helr.  Br.  8^  «'  GodpjoSn  R,  das  die  vorläge  von  SF  verlas  zu  d  goß  pordu.  So 
hat  S,  während  F  ganz  wilkürlich  yygjar  brdSttr  hergestelt  hat.  Wüken  scheint  aber 
wirklich  die  lesart  von  F  für  richtig  zu  halten,  die  von  S  dagegen  „für  eine  verfehlte 
anlehnung  an  R."  (s.  LXXXVII).  Weswegen  hat  dann  der  Schreiber  von  S  nicht  gleich 
die  richtige  lesart  von  R  aufgenommen.*  und  was  berechtigt  uns  anzunehmen,  Hjälm- 
gunnar  sei  der  brudcr  einer  riesln  gewesen?  —  Als  überlieferungsfehler  betrachte  ich 
auch  Regm.  20  ^  af  hrotta  mcida  hrapi  SF]  at  hrottameibi  hrafns  R;  Regm.  25  ^  kennaz 
SF]  kmnna'R;  25^  af  minneF  ,  af  minnum  S]  atmorniR;  Helr.  12 ^  hvarki  S  ,  Auor/ci  F] 
hvdrtki  R;  12»  enn  at  SF]  okkart  R.     Vielleicht  auch   Helr.  1«.  5=^. 


ÜBER  PROS.  EDDA  ED.  WILKEN  89 

oder  der  lueistersingerei  das  Volkslied?     Wie   die    einfachere    kuiist  des    volks   die 

gekünstelte  skaldendichtung  nicht  ohne  glüek  zu  ebnen   gesucht  hat,  werden  einige 
beispicie  veranschaulichen : 


R 

SF 

1.  14  •'•  « 

'  prymr  um  qll  Iqnd 

frcegr  um  Iqnd  qll 

erlqg  -  simu 

af  (med  F)  loß  i 

iinu 

16  5.  C 

'  seglvigg  eru 

eru  segl  ydr 

sveita  stokkin 

sjövi  stokkin 

16' 

vägmarar 

väpnaäir 

17  -^ 

ä  satream 

ä  sjä  komnir 

25* 

ösyiit 

övist 

2   5  fgg. 

pil  he  fr,  vär  gulls! 
ef  [pik]  vita  lystir 

pii  liefr  vqrgum 

mild  af  liq}idum 

meini  blandat 

manns  blöd  pvegit 

(mqrgnm  til  matar 

F) 

Helr. 


manns  hlöd  gefvt. 
Helr.  str.  6  ist  in  ihrem  ersten  teile  ganz  geändert:  in  dieser  volksmässigen  Umge- 
staltung darf  man  aber  keineswegs  mit  Wilken  s.  LXXXIX  anra.  10  das  echte 
suchen.  Ebenso  verhält  es  sich  mit  andern  stellen ,  in  denen  Wilken  das  ursprüng- 
lichere auf  Seiten  des  Np  sieht.  Str.  1  ^  hat  allerdings  Hildebrand  värra  ranna  SF 
{vers  annarrar  R)  aufgenommen ,  aber  gewis  mit  unrecht.  Der  Vorwurf,  dass  Bryn- 
hild  noch  auf  dem  weg  zur  Hei  dem  gatten  einer  andern  nachläuft,  darf  nicht 
fehlen.  Wäre  die  lesart  von  SF  die  alte,  so  würde  2,  1  fgg.  sie  nur  müssig  wider- 
holen. —  2^  halte  ich  das  vd  alundi  (oder  vä  ä  landi?)  in  N{)  für  einen  über- 
lieferungsfehler. R  hat  af  Vallandi,  allerdings  eine  ,,crux  interpretum ,"  die  man 
aber,  kritischer  als  Np,  nicht  einer  wilkürliclien  besserung  oder  einem  blossen 
Schreibfehler  zu  liebe  aufgeben  solte.  Vgl.  übrigens  MüllenhofF  Zs.  für  deutsch, 
alt.  23 ,  166.  —  Und  ebenso  erledigen  sich  die  übrigen  einwände  Wilkens  s.  XC 
aus  der  angegebnen  betrachtungsweise.  * 

Durchweg  weichen  SP  gemeinsam  von  R  ab.  In  einigen  fällen  stimmen  SR 
gegen  F:  im  ganzen  27 mal,  13 mal  in  Regm.  und  14 mal  in  Helr.  Es  verlohnt 
sich  der  mühe,  diese  fälle  genauer  zu  betrachten.  Wo  der  fehler  in  F  auf  der 
band  liegt,  erspare  ich  mir  jede  weitere  bemerkung. '^ 

Regm.  132  konr  Sigmimdar  SR]  sonr  F.  Str.  14 ^  haben  SRP  Yngoa  konr. 
Gewiss  ist  dieses  poetische  wort,  das  bald  veraltete  (vgl.  Vigfüsson  dict.  350^), 
auch  hier  das  ursprüngliche. 

13  ö  en  madr  gamall  SR]  en  ek  madr  gamall  F.  ek  zerstört  den  vers  und 
ist  mehr  denn  überflüssig. 

13  '•  •*  (ok)  er  vier  fangs  vän  at  frekiim  ülfi  SR]  af  fr.  ü.  F. 

15^  en  hefiid  fqäur  SR]  hefna  F.     Der  vers  verlangt  ein  einsilbiges  wort. 

1)  Die  bemerkungen  Edzardis  Germ.  23,  413  fgg.  zu  Helr.  Brynh.  habe  ich  hier, 
wo  es  sich  nur  um  die  Überlieferung  des  NJ)  handelt,  unberücksichtigt  gelassen.  Mit 
der  erklärung  von  nf  T'allandi  s.  417   kann  ich  mich  nicht  befreunden. 

2)  Sievers  gesetze  für  den  kviöuhättr,  die  er  in  seinen  „Beiträgen  zur  Skal- 
denmetrik" (Beitr.  5,  449  fgg.  6,  265  fgg.)  entwickelt  hat,  haben  sich  mir  hei  sorg- 
fältiger nachprüfuug  für  die  jüngeren  lieder  der  Edda  in  allem  wesentlichen  als  unbe- 
streitbar ergeben.  Ich  glaube  deswegen  das  recht  zu  haben,  sie  als  kritisches  hilfs- 
mittel zu  benutzen.  Auch  führe  ich  überall  stillschweigend  die  metrisch  erforderlichen 
kürzeren  formen  ein. 


90  SYMONS 

.16*  liaf  SR]  liafi  F,  unmöglich. 

18^  Unikar  hetu  mik  SR  und  Cod.  der  VqIs.  s.]  hetö  (i.  e.  hetum)  mik  F. 
Das  ursprüngliche  war  hetumk. 

21^^  täi  SR]  ä  rä  i  F. 

23  3  skinundi  SR]  sitjandi  F. 

23  ö  er  SR]  sem  F,  die  jüngere  ausdrucksweise. 

25^  /war  at  aptni  {apni  R)  /cewr  SR]  hoat  er  a.  k.  F. 

26'^  bitrum  hjqrvi  SR]  breidum  hjqrvi  F,  was  Wilken  aufnimt.  Gewis  sind 
beide  epitheta  möglich ,  aber  ebenso  gewiss  ist  das  erstere  origineller  und  deswegen 
ursprünglicher.  Auch  mhd.  heisst  der  kämpf,  der  streich,  das  schwert  bitter  (Lexer 
1 ,  287) ;  so  braucht  das  wort  auch  die  ältere  epische  spräche  der  germanischen 
Völker:  Beow.  2704  fg.  u.  ö.     Für  das  an.  vgl.  noch  Egilsson  lex.  poet.  55^ 

26  ß  säs  fold  rydi  SR]  ridur  F. 

Helr.  Brynh.  2^  ef  [pik]  vita  hjstir  SR]  ef  Jnn  vitja  F.  Vgl.  5*.  7  6.  Die 
lesart  von  F  erklärt  sich  durch  Verwirrung  mit  1 ''.  2^. 

3'-  ^  hvars  menn  edli  okkart  kimna  R,  pars  edli  menn  okkat  kunnu  S] 
peims  edli  mitt  um  kunna  F.  Von  allem  andern  abgesehen  wird  durch  die  lesart 
von  F  die  lezte  zeile  um  eine  silbe  zu  kurz. 

4^  pii  hefr  Gjtika  SR]  Gjüka  fehlt  F. 

1  ^  ef  [pik]  vita  lystir  SR]  ef  pess  vita  lystir  F.  pik  ist  freilich  ebenso 
wenig  ursprünglich  yvie  pess,  aber  dennoch  relativ  das  echtere.  Vgl.  5*  (auch  in  F), 
2«.  Helg.  Hu.  II,  8*.  413.     Atlm.  57  i  und  Sievers  Beitr.  6,  332. 

8 '  vard  SR]  var  F,  falsch. 

10  ■'•  ^  panns  mer  fcerdi  gull  |  paz  und  Fäfni  lä  SR]  panns  foerdi  vier  |  Fäf- 
nis  dynu  F.  Wilken  s.  LXXXVII  hält  die  lesart  von  F  für  ursprünglich,  und  gewiss 
könte  man  hier  noch  am  ehesten  geneigt  sein,  ihm  beizustimmen.  Dennoch  wird 
man  diesen  fall  nur  im  Zusammenhang  mit  den  übrigen  textabweichungen  beurtei- 
len müssen.  Übrigens  lag  die  kenning  Fäfnis  dyna  ==  gxül  nahe  genug:  vgl.  Egils- 
son IM**.  1 

12  5  knätti  SR]  mätti  F. 

13  3-  *  at  ek  Sigurdi  \  sveefak  ä  armi  SR]  at  ek  Signrdi  \  svcefa  ä  armi  F. 
Das  ursprüngliche  ist:  at  Sigurdi  \  svcefak  ä  armi. 

13^-  *^  hat  F  drei  geringfügige  abweichungen  von  SR,  die  sämtlich  Verschlech- 
terungen sind. 

14  2  alls  til  lengi  SR]  aus  of  lengi  F. 

14  3-  •*  konur  ok  karlar  \  kvikvir  {kvikir  um  SF)  fcedask  SR.  Hier  liest  F 
fordask ,  das  den  gegensatz  der  beiden  halbstrophen  zerstört.  Vgl.  Edzardi  Germ. 
23,  416,  der  die  nicht  leichte  strophe  zuerst  richtig  gedeutet  hat. 

An  einer  stelle  Regm.  20*  bietet  F  die  von  den  neueren  herausgebern  auf- 
genommene form  dyggva  {dyggja  SR).  Die  abweichung  ist  blos  orthographisch: 
überdies  sind  beide  formen  richtig  und  aus  *clyggvja  entstanden  (Bugge  Norr. 
Fornkv.  217). 

Nur  an  einer  einzigen  stelle  —  wenn  mau,  wie  billig,  von  der  blos  ortho- 
graphischen abweichung  Regm.  26  «  hugirm  S  {hugin  FR)  absieht  —  stimmen  FR 
zusammen  gegen  S :  Regm.  17  ^  brqndum  FR  =  hqmrum  S. 

1)  Das  ursprüngliche  dürfte  sein: 

panns  fcerSumk  gull 
paz  tmd  FäJ'iii  lä. 


ÜBER    PHOS.    EDDA   ED.    WILKEN  91 

Endlich  gibt  es  einige  fülle,  in  welchen  alle  drei  hss.  auseinandergehen.  In 
diesen  hat  überall  S  das  relativ  ursprünglichere.     Folgende  sind  die  wichtigsten : 

Holr.  23  hvarfüst  R]  ^  hvarßynt  S,  hverfliint  P.  Bugge  hat  in  seinen  teit 
von  Np  die  lesart  von  F  aufgenommen.  Allerdings  scheint  nur  hverflyndr  belegt 
(Cl-Vigf.  300"),  aber  gegen  die  hildnwg  hvarflyndr  ist  nichts  einzuwenden.  Gewiss 
steht  S  auch  hier  der  gemeinsamen  vorläge  näher  als  F. 

2''  Die  halbstrophe  ist,  wie  bereits  oben  bemerkt  wurde,  in  NJ)  nach  münd- 
licher tradition  ganz  geändert.  In  F  ist  die  entstellung  jedoch  weiter  gegangen; 
die  lesart  von  z.  7  nu^ryum  til  matar  F  {ineini  hlandat  S ,  viild  af  hqndtim  R)  ist 
schon  metrisch  verwerflich ,    da  die  zweite  und  dritte  silbe  nicht  verschleifbar  sind. 

3''  hvars  inemt  edli  R]  pars  eäli  menn  S,  peims  edli  mitt.  Die  foitschrei- 
tende  Verschlechterung  ist  nicht  zu  verkennen. 

8^  Odu  {wpo)  R]  auda  S,  audur  F.  Wilken  hat  die  form  von  F  in  den 
text  aufgenommen,  die  gar  keine  gewähr  hat.  R  bietet  Sgrdr.  B.  229,  8  hwpo, 
der  codex  der  VqIs.  s.  cap.  20  (B.  125,  17)  fehlerhaft  Agnarr  eda  Audabrödir.  An 
lezterer  stelle  nimt  Wilken  (184,  1)  gleichfalls  die  genitivforin  Audar  auf. - 

10  "*  pai'  had  [liami]  einn  pegii  R.  S  stelt  um  peyn  einn,  woraus  F  peg 
(=  pegar)  einn  gemacht  hat,  das  metrisch  anstössig  und  dem  sinne  nach  kaum 
möglich  ist. 

14**  S0klcst(uj ,  gygjarkyn  R]  nü  rqg  gygr  S,  rm  gygr  F.  Die  lesart  von  F 
mag  immerhin  dem  liede  einen  ,, einfachen  und  gefälligen"  abschluss  geben  (Wil- 
ken s.  XC):  dennoch  ist  sie  unmöglich,  denn  nach  zahlreichen  analogien  (vgl.  Sie- 
vers beitr.  6,  327)  ist  das  in  .s0/i;/i;s^;*  steckende J>it  zu  streichen,  und  dadurch  würde 
der  vers  dreisilbig. 

Unsere  Untersuchung  der  Überlieferung  der  eddischen  atrophen  in  Nf  hat 
somit  den  unbedingten  Vorzug  von  S  ergeben.^ 

Der  zweite  grund,  der  Wilken  dazu  bewogen  hat,  seiner  ausgäbe  F  zu  gründe 
zu  legen ,  entspringt  glcichfals  einer  irrigen  auffassung.  S  soll  in  cap.  1  ziemlich 
stark  gekürzt  haben.  Allein  viel  glaublicher  ist,  dass  F  erweitert  hat.  Die  Fla- 
teyjarbök  erweitert  überhaupt  mit  verliebe:  so  in  der  Hallfredarsaga  (vgl.  Forn- 
sögur  edd.  Vigfüsson  und  Möbius  X)  und  sonst.  Dass  sie  es  auch  im  vorliegenden 
falle  tat,  lässt  sich  leicht  nachweisen.  Während  nach  S  der  noch  ungetaufte  Nor- 
nengast  sich  ohne  wissen  des  erzchristlichen  königs  einschleicht,  und  dieser  erst 
durch  die  nächtliche  erscheinung  des  elben  veranlasst  wird ,  sich  am  folgenden 
morgen  nach  dem  namen,  der  herkunft  und  dem  glauben  des  fremden  zu  erkun- 
digen, zerlegt  F  diesen  sehr  naturgemässen  Vorgang  in  drei  teile:  ankunft  des  Nor- 
nengastes   am  späten   abend   und  vorläufige   freundliche    aufnähme   von   selten  des 

1)  Mir  ist  nicht  recht  deutlich,  warum  alle  herausgeber  der  Edda  hvarfüst 
schreiben:  offenbar  ist  doch  hvarf-fust  das  richtige.  In  NJ)  ist  daraus  hvarf-lynt 
geworden,  wie  Regm.  21^  aus  hroörfusa  E,  hroörfulla  SF., 

2)  Über  8^  «'  GoÖpjoöu  E]  d  gob  porSii  S,  gygjar  brobur  F  vgl.  oben  s.  88  anm. 
Diese  stelle  ist  namentlich  beweisend. 

3)  Bekantlich  ist  Hyndluljöö  ausschliesslich  in  F  überliefert.  Nur  str.  33  findet 
sich  auch  angeführt  in  SE  I,  44  in  UWr.  Diese  eine  strophe  genügt,  um  auch  für 
dieses  lied  die  Vermutung  zu  rechtfertigen,  dass  der  text  von  F  stellenweise  willkürlich 
geändert  ist.  33  ^  bietet  F  skilberen'Sr,  SE  seibberendr  {cn  sci'bb  W,  in  TJ  fehlen  z.  5.  6): 
leztere  lesart  ist  natürlich  richtig. 


92  SYMONS 

königs,  erscheinung  des  geistes  in  der  Dacht,  und  infolge  dessen  weitere  erkun- 
digimgen  des  königs  am  nächsten  morgen  nach  der  herkunft  und  confession  des 
gastes.  Der  nachtgeist  spielt  hier  dieselbe  rolle ,  die  sonst  in  isl.  erzählungen 
dem  ti'aume  zuerteilt  wird :  er  weist  auf  eine  drohende  gefahr ,  überhaupt  ein  kom- 
mendes ereignis  hin.  Weit  kunstvoller  und  Aveit  mehr  im  geiste  des  altertums  ist 
es,  wenn  die  künde  vom  bevorstehenden  unheil  ohne  Vorbereitung  an  den  schläfer 
herantritt.  Wilken  bemerkt,  dass  der  leser  sich  ,,in  der  erzählung  des  nachtelben," 
wie  S  sie  bietet,  ,,wol  nicht  gleich  zurechtfinden  wird."  Möglich,  aber  eben  des- 
wegen hat  der  redactor  von  P  diesem  Übelstande  abzuhelfen  gesucht.  Für  eine 
kürzung  wäre  kein  triftiges  motiv  denkbar.  Überdies  spricht  auch  ein  äusserlicher 
grund  für  erweiterung  in  F.  Der  nachtelbe  tritt  vor  jedes  bett  und  ,,at  lyktum 
kom  hann  til  scengr  eins  manns,  er  par  Id  ütarlifja"  {olc  um  siäir  kern,)'  hunn  at 
einum  manni,  er  Id  ütarliga  S).  Diese  darstellung  ist  sehr  verständlich,  sobald 
von  dem  neuen  ankömling  noch  nicht  die  rede  gewesen  ist,  wie  in  S,  aber  schwer- 
lich, wenn  dieser  mit  grossem  wortreichtum  bereits  eingeführt  ist,  wie  in 
F.  *  —  Im  übrigen  sind  die  abweichungen  beider  handschriften  zwar  ziemlich 
bedeutend,  ebne  jedoch  den  kern  der  sache  wesentlich  zu  berühren.  Im  grossen 
und  ganzen  ist  F  wortreicher,  zeigt  ein  gewisses  streben  nach  oft  überflüssiger 
deutlichkeit ,  ändert  vielfach  die  Wortstellung,  bevorzugt  das  plusqpf.  vor  dem  imp, 
von  S  und  die  indirecte  rede  statt  des  lebendigeren  dialogs.  Dass  der  text  von  S 
durchweg  der  bessere  ist ,  rauss  Wilken  selber  anerkennen ,  sodass  ich  mich  des 
beweises  dafür  überhoben  rechnen  darf.  Schliesslich,  was  für  Wilkens  Standpunkt 
freilich  ohne  bedeutuug  ist,  für  mich  aber  von  um  so  grösserer,  auch  die  prosa 
von  R  erscheint  au  einzelnen  stellen  in  S  treuer  widergegeben  als  in  F.  Dies 
mögen  wenige  beispiele  erhärten:  Bugge  55,  8  en.  Hiqrdis  giptiz  pd  Alfi  K]  pegar 
Alfi  S,  Hdlfi  F;  55,  19  frä  forellri  sinu  ES]  frd  forelldrum  sinum  F;  57,  9  ok 
tök  i  sunclr  lagäinn  sem  vatnit  RS]  sem  vatnit  fehlt  F;  6d,  1  ok  svd  segir  i  Gii- 
ärünarkviäu  inni  foriiu  R]  en  i  Gudrünarraäu  segir  svd  S,  en  igäurnar  sqgäu 
svd  F  (natürlich  ein  lesefehler).  - 

Im  vorstehenden  hoffe  ich  den  beweis  hinlänglich  erbracht  zu  haben ,  dass 
einer  ausgäbe  des  Nornagestspättr  unbedingt  S  zu  gründe  gelegt  werden  muss. 
Wilkens  ausgäbe  muss  ich  aus  diesem  gründe  für  verfehlt  halten:  ein  einfacher 
abdruck  von  Bugges  text  hätte  weitaus  den  Vorzug  verdient.  Tadeln  muss  ich  auch, 
dass  Wilken  nicht  überall  zu  den  liedercitaten  die  lesart  von  R  vollständig  anführt, 
sondern  sich  oft  mit  einem  ,, anders  L.  E.,"  ,,die  abweichungen  der  L.  E.  vgl. 'bei 
Hild."  oder  auch  ganz  ohne  andeutung  begnügt. 

Ich  wende  mich  jezt  zu  der  einleitung,  soweit  sie  VqIs.  s.  und  Norn.  p. 
betrift.  Dass  ich  diese  im  ganzen  wie  in  den  meisten  einzelheiten  für  mislungen 
halten  muss,  habe  ich  bereits  angedeutet  und  werde  im  folgenden  die  gründe  die- 
ses Urteils  darlegen. 

Ij  Wie  ich  iiauhträglicli  sehe,  hat  auf  diesen  Widerspruch  schon  Edzardi  Germ. 
24,  354  aufmerksam  gemacht. 

2)  Regm.  18*  lesen  alle  vier  codd.  (li  S  V  und  der  codex  der  VqIs.  s.)  hafSi. 
Alle  ausgaben,  mit  ausnähme  von  Hiklebrauds,  ändern  Itaföak.  Ist  diese  änderung  rich- 
tig, so  wäre  dadurch  die  im  Iczten  gründe  gemeinsame  vorläge  für  alle  vier  stränge  der 
Überlieferung  nachgewiesen.  Ich  glaube  aber,  dass  die  handschriftliche  lesart  mit  Hil- 
debrand behalten  werden  muss,   wie  andernorts  gezeigt  werden  soll. 


ÜBER  fROS.  EDDA  ED.  WILKEN  93 

Der  keriiimnkt  von  Wilkens  einleitung  ist  natürlich  das  Verhältnis  der  an. 
quellen  für  die  Völsungeiisage  unter  einiinder.  Ausser  Vs.  und  Nji  kounnen  also 
in  betracht  in  erster  linie  die  Eddalieder,  die  prosa  der  saniluug  und  der  kurze 
auszug  in  SE  1 ,  352  fgg. ,  in  zweiter  linie  auch  die  pidrekssaga,  namentlich  in  den 
mit  Vs.  übereinstimmenden  stücken.  Die  Eddalieder  scheidet  Wilken  genau  von 
der  prosa  der  samlung.  Au  und  für  sich  ist  dies  richtig  und  notwendig.  Ebenso 
notwendig  ist  aber  eine  kritische  sonderung  der  Eddaprosa,  die,  wie  sich  bei  einer 
unter.suchung  herausstellen  wird,  sehr  verschiedenen  wert  besizt:  bald  sind  es 
Zusätze  oder  deutungcn  des  samlers,  bald  auseinandergefallene  halbvorgcssene  stro- 
pheu  ,  und  jene  Zusätze  sind  bald  das  werk  des  samlers,  bald  von  ihm  anderswoher 
entlehnt. '  Übrigens  wird  ein  grosser  teil  der  j)rosa  der  samlung  vom  Verfasser 
dt-r  Sigurdarsaga ,  Avorüber  unten  mehr,  herrühren,  aber  natürlich  erhebt  sich  für 
ihn  alsbald  dieselbe  frage,  wie  für  den  samler  der  sogenanten  Eddalieder. 

Die  Untersuchungen  über  das  gegenseitige  Verhältnis  der  genanten  quellen 
hat  Wilken  am  Schlüsse  der  einleitung  (s  CHI  fgg.)  zusammengefasst.  Seine  resul- 
tate  sind  etwa  die  folgenden:  An  der  .schwelle  der  norrtenen  litterarischen  entwick- 
lung  der  Völsungensage  steht  eine  rein  prosaische  Sigurdarsaga,  deren  (zunächst 
allerdings  nur  in  mündlicher  Überlieferung  nachweisbare)  existeuz  vom  anfang  des 
]  1.  Jahrhunderts  an  gesichert  erscheint.  Auf  ihr  beruhen  ,,als  m»dir  oder  minder 
freie  Variationen "  die  Eddalieder.  Diese  prosaische  ursaga  ist  uns  nicht  in  zusam- 
menhängender aufzeichnung  ei-halten,  doch  liegt  sie  den  übereinstimmenden  par- 
tien  der  jüngeren  prosaquellen  zu  gründe,  der  Vs  ,  der  Skäldskpm. ,  des  N{),  der 
Eddaprosa,  ja  teilweise  sogar  der  ps. ;  am  treuesten  soll  die  skizze  der  Skäldskpm. 
diese  urform  der  saga  bewahrt  haben.  Volständig  aber  besitzen  wir  die  Sigurdar- 
saga in  einer  jüngeren  recension,  und  dies  ist  eben  die  Volsuugasaga,  die  ihrer- 
seits wider  die  Eddalieder  benuzt  hat,  allerdings  nicht  nach  unserer  sandung,  son- 
dern nach  mündlicher  tradition  (s.  LXX  fgg.).  Zwischen  den  verschiedenen  quellen 
walten  aber  noch  folgende  Verhältnisse.  Die  Gylfaginuing ,  die  Wilken  in  ihrer 
ursprünglichen  gestalt  ins  12.  Jahrhundert  sezt  (Unterss.  s.  1G2  fgg.),  hat  in  ihrem 
prolog  eine  recension  der  Vs.  benuzt,  sodass  deren  älteste  litterarische  fixierung 
damals  bereits  geschehen  sein  muste.  Im  anfange  des  13.  Jahrhunderts  erfolgte 
dann  eine  ,,  ziemlich  durchgTeifende  Umgestaltung"  der  Vs. ,  inj  ganzen  der  uns 
erhaltenen  recension  entsprechend  (s.  CVl).  Diese  wird  Snorri,  wenn  er  der  Ver- 
fasser der  Skälda  war,  für  seinen  sagenauszug  benuzt  haben. '^  Dagegen  verrät 
weder  er  noch  der  Verfasser  von  Np  irgend  eine  keutnis  der  ps.  So  komt  Wilken 
dazu,  Np  mit  R.  Keyser  um  oder  bald  nach  1250  auzusetzen,  die  samlung  der 
Eddalieder  aber  noch  etwas  weiter  in  die  zweite  hälfte  des  13.  Jahrhunderts  hinab- 
zurücken ,    da  diese   in  Gudr.  III    uud   der    einleitung   zu  Gudr.  II  eiufluss  der  ps. 

1)  Eine  solche  Untersuchung,  wie  Edzardi  sie  wünscht  (Germ.  23,  103  aum.  2), 
habe  ich  widerholt  angestelt,  gestehe  aber,  dass  die  ergebuisse  mir  zu  unsiclier  waren, 
um  sie  drucken  zu  lassen.  Indes  denke  ich  bald  eine  solche  Untersuchung  in  anderem 
zusammenhange  vorlegen  zu  können. 

2)  Merkwürdigerweise  soll  aber  auch  die  Vs.  „spurweise"  die  Skdlda  benuzt 
haben  (s.  XXVIIl  fg.  CVI  anm.  5).  Und,  während  hier  Snorri  eine  recension  der  Vs. 
benuzt  haben  soll,  die  der  erhaltenen  oflenbar  so  ähnlieh  gesehen  haben  muss,  wie  der 
eine  tropfen  wassers  dem  andern,  wird  s.  XXIX  mit  gröster  bestimtheit  behauptet,  dass 
nur  eine  altere  recension  der  Vs. ,  nicht  unsere,  in  der  Sk.  verwaut  sein  kann.  Eine 
solche  consequenz   verstehe  ich  nicht. 


94  SYMONS 

zeigen  soll.  Demnacli  müssen  die  Übereinstimmungen  zwischen  der  prosa  des  sam- 
lers  und  Nf>,  soweit  sie  nicht  auf  gemeinsamer  benutzung  jener  alten  Sigurdarsaga 
beruhen ,  so  erklärt  werden ,  dass  der  samler  NJj  kante.  Dagegen  hat  Np  noch 
keine  spur  einer  liedersamlung.  Zu  dieser  wurde  erst  geschritten .  als  die  ,,  pro- 
saische wie  poetische  Produktion  auf  grundlage  der  alten  Sig.  saga  dem  erlöschen 
bereits  sehr  nahe  war"  (s.  CVII).  So  korat  bei  Wilken  die  liedersamlung  am 
Schlüsse  der  ganzen  Überlieferung  zu  stehen,  wie  die  mündlit-he  Sigurdarsaga  an 
ihrem  anfang.  Das  Verhältnis  der  eddischen  Völsungenlioder  zur  Sigurdarsaga  soll 
ein  analogou  finden  in  der  von  Storra  vertretenen  Stellung  der  Kampeviser  zur 
pidrekssaga ,  während  das  Verhältnis  des  Nornagestspättr  zur  V^lsungasaga  sich 
widerspiegeln  soll  in  dem  der  Blömstrvallasaga  zur  pidrekssaga  (s.  CVIII). 

Dass  diese  resultate  fast  in  allen  punkton  von  den  bisherigen  annahmen 
abweichen ,  leuchtet  ohne  weiteres  ein.  Sie  stellen  das  bisher  von  allen  forschern 
festgehaltene  Verhältnis  der  prosaquellen  zu  den  Eddaliedern  geradezu  auf  den  köpf. 
Wie  im  einzelnen  auch  die  ansichten  auseinandergiengeu,  folgendes,  darf  man  wo  1 
sagen,  galt  als  unbestrittener  aiisgangspunkt  für  alle  Untersuchungen: 

1.  Die  Verfasser  von  Vs.  und  NJ)  benuzten  für  ihre  erzählangen  entweder 
dieselbe  samlung  von  alten  heldenliedern  mit  eingestreuten  prosastücken,  die  uns 
in  R  vorliegt,  oder  doch  eine  derselben  sehr  nahe  verwante.  Die  liedersamlung 
ist  also  älter  als  beide  erzählungen. 

2.  Die  Eddalieder,  zum  teil  vielfach  umgearbeitet,  wurzeln  in  mündlicher 
tradition ,  sind  aber  keine  poetischen  Variationen  einer  prosaischen  erzählung. 

Andere  punkte  waren  allerdings  controvers:  so  der  umfang  der  benutzung 
der  liedersamlung  in  der  Vs.  uud  Np. ,  das  Verhältnis  der  liedersamlung  zur  SE, 
der  Vs.  zur  ps.  ,  wol  auch  des  Np  zur  Vs.  Wilken  hat  die  festen  grundlagen  der 
bisherigen  forsehnng  ohne  genügende,  hie  und  da  ohne  alle  motivierung  zu  zer- 
stören gesucht.  Eine  neue  basis  gewint  er  erst  durch  eine  menge  von  unüberlegten 
einfallen,  Widersprüchen  und  falschen  praemissen:  er  hat  seinen  oberbau  aufgeführt, 
bevor  er  eine  neue  und  bessere  grundlage  gelegt  hatte.  Da  ist  es  nicht  Avunder- 
bar,  dass  das  ganze  künstliche  gebäude  von  funkelnagelneuen  Vermutungen  in  der 
luft  schwebt,  und  dass  eine  ernste  betrachtung  des  tatsächlichen  es  zusanmienstür- 
zen  macht. 

Zunächst  das  Verhältnis  der  Vs.  zu  den  Eddaliedern  und  zur  liedersamlung; 
natürlich  ist  beides  nicht  identisch.  Dass  die  mehrzahl  der  heldenlieder  der  Edda 
in  der  Vs.  benuzt  ist,  unterliegt  keincnr  zweifei  und  wird  selbstverständlich  auch 
von  Wilken  nicht  bestritten  (s.  XXIII).  Dem  sagaschreiber  standen  ferner  die  frü- 
her in  R  befindlichen,  jezt  durch  die  lückc  verlorenen  lieder  zu  geböte.  Diese  bil- 
den die  grundlage  für  cap.  23  —  29  der  saga,  wie  Beitr.  III,  253  fgg.  nachgewiesen 
ist.  Ich  muss  hier  auf  die  besprechung  von  eiuzelheiten  verzichten,  halte  es  auch 
für  weniger  erheblich,  ob  der  sagaschreiber  ausser  den  algemein  anerkanten  noch 
andere  in  unserer  samlung  enthaltene  lieder  gekant  hat,  wie  ich  Beitr.  III,  217  fgg. 
es  für  Helg.  Hund.  II,  Gudr.  I,  Helr.  Brynh. ,  Oddr.  zu  zeigen  versucht  habe. 
Dazu  vgl.  Wilken  s.  XXIV.  Wenn  in  der  tat  die  Vs.  unsere  samlung  nachweislich 
benuzt  hat,  was  ich  sogleich  eingehender  begründen  werde,  komt  auf  den  umfang 
der  benutzung  weniger  an.  Wenn  ferner  die  tatsache  feststeht  und  nicht  geleug- 
net wird ,  auch  von  Wilken  nicht ,  dass  die  saga  die  einst  in  R  enthalteneu  lieder 
noch  gekant  und  ihrer  darstellung  iu  c.  23  —  29  zu  gründe  gelegt  hat,  wird  es 
weniger  von  gewicht  sein,  genau  zu  bestimmen,  den  Verlust  wie  vieler  lieder  wir 
zu  beklagen  haben.     Ich  habe   freilich  gemeint,    aus   der  prosawidergabe  der  saga 


ÜBER    PROS.    EDDA    ED.    WTtLKEN  95 

noch  fünf  bis  sechs  toils  ältere  teils  jiiiif^-ere  lieder  erkennen  zu  können,  die  Sigurds 
Iiesuch  hei  Heimir  und  verlobun«-  mit  Bryuhild,  Gudruns  träume  und  deren  deu- 
tung  durch  Brynhild,  Sigurds  ankunft  an  Gjukis  hof  und  Vermählung  mit  Gudrun, 
Sigurds  ritt  durch  die  waberlohe,  den  zank  der  königinnen  und  lirynliilds  harui 
besangen.  Allein  ich  habe  dies  resultat  meiner  Untersuchung  keineswegs  als  sicher 
und  unbestreitbar  hingestelt.  Es  ist  überaus  leicht,  wie  es  Wilken  s.  XLII  fgg.  tut, 
das  resultat  als  ganzes  nicht  anzugreifen,  aber  es  in  der  weise  zu  modificieren, 
dass  statt  jener  fünf  bis  sechs  lieder  nur  vier  „deutlich  genug  angezeigt"  sein 
sollen,  ,,um  sie  als  wahrscheinlich  gelten  zu  lassen."  Allein  man  soke  dies  nur 
mit  sehr  bestirnten  gründen  tun.     Diese  führt  Wilken  nicht  au. 

Im  anschluss  an  S.  Bugge  Norr.  Fornkv.  XXXIX  habe  ich  gegen  W.  Grimm, 
!'.  E.  Müller,  E.  Keyser  u.  a.  auch  cap.  23  und  24  ,  die  Sigurds  aufenthalt  bei  Heimir 
und  Verlobung  mit  Brynhild  erzählen  ,  als  para]ihrase  eines  liedes  zu  erweisen  gesucht. 
Die  gründe  für  diese  annähme  sind  einmal  der  umstand,  dass  auch  ({ripisspä  ein 
früher  in  unserer  samlung  unmittelbar  auf  die  Sigrdrifumal  folgendes  lied  gekant 
haben  muss,  das  Sigurds  besuch  bei  Heimir  besang,  und  zweitens  die  unter  dem 
prosagewande  noch  hervorschauende  poetische  quelle.  Lezterer  grund  hat  mich 
auch  bestirnt,  für  den  grösseren  teil  von  c.  25  (B.  139,  11  fgg.)  ein  lied  als  vor- 
läge zu  vermuten.  Den  ersteren  fertigt  Wilken  mit  der  bemerkung  ab,  dass  er 
für  seine  auffassung  nicht  ins  gewicht  fält  (s.  XLH  anm.  100) ,  den  zweiten  mit 
der  sehr  ähnlichen,  dass  er  darauf  nicht  viel  gewicht  legen  kann  (s.  XLVI).  Auf 
die  gründe,  die  Wilken  seinerseits  gegen  mich  anführt,  wird  er  wol  kaum  selber 
., gewicht  legen"  wollen.  Die  vermeintlichen  anklänge  an  eddischen  ausdruck, 
meint  Wilken,  kehrten  auch  in  andern  liedern  wider.  Natürlich;  wäre  dies  nicht 
der  fall,  so  hätten  sie  sich  schwerlich  als  eddisch  nachweisen  lassen.  Was  in 
cap.  24  (B.  137,  3  fgg.)  von  den  habichten  und  dem  pferde  Grani  erzählt  wird,  dass 
sie  mismutig  das  haupt  hangen  lassen ,  wird  allerdings  bei  weitem  passender  in 
Gudr.  II,  5  allein  von  Sigurds  ross  berichtet,  das  ohne  die  gewohnte  bürde  heim- 
kehrt. Der  schluss  Wilkens  jedoch ,  dass  dieser  zug  vom  sagaschreiber  an  unge- 
schicktem orte  vorweggenommen  sein  soll,  ist  um  so  weniger  berechtigt,  als  dieser 
ihn  sich,  wie  ja  Wilken  selbst  anführt,  in  der  paraphrase  des  zweiten  Gudrunlie- 
des (B.  162,  23)  nicht  hat  entgehen  lassen.  Dass  aber  der  dichter  eines  jüngeren 
liedes ,  und  offenbar  hat  das  für  c.  23  fg.  vorauszusetzende  lied  zu  den  allerjüng- 
sten  gehört,  aus  einem  älteren  entlehnte,  ist  in  der  Überlieferung  der  Eddalieder 
gewiss  nichts  unerhörtes.  Das  ganze  erste  Gudrunlied  ist  gewissermassen  ein  pla- 
giat.  1  Ganz  ebenso  ist  es  zu  beurteilen,  wenn  in  c.  24  (B.  13G,  17)  von  Brynhild 
erzählt  wird,  was  Gudr.  II,  14  fg.  gleichfals  passender  von  Gudrun  aussagt,  dass 
sie  die  taten  des  Sigurd  in  Stickereien  darstelt.  Auch  diesen  zug  bringt  die  saga 
an  geeigneter  stelle  (cap.  32;  B.  163,  6  fgg.).  Berichtet  sie  hier  das  gleiche  von 
Brynhild,  so  folgt  sie  einem  jüngeren  liede,  das  die  walkyrie  ähnlich  vermensch- 
licht hat  wie  Oddr.  16.  Durch  diese  einfache,  naturgemässe  annähme  wird  die  aus- 
führung  Wilkens  s.  XLIII  fg.  gegenstandslos. 2     Was  sodann  cap.  25  betrift,  so  hält 

1)  Vgl.  Jessen,  Eddaliednr  s.  52  fg.  Edzardi  Germ.  23,  182  fgg.,  aber  auch 
Beitr.  III,   261  fg. 

2)  Wilken  vermutet  dort,  dass  die  gesfalt  der  Brynhild  von  jeher  in  der  sage 
nicht  ganz  fest  aufgefasst  worden  sei :  sie  sei  zwar  als  die  veranlassung  des  ganzen 
Zwistes  angesehen,  aber  einerseits  erst  durch  Steigerung  zur  walkyrie  entwickelt,  ande- 
rerseits „durch  annäherung  an  das  weibliche  ideal  (Gudrun)  gemildert,  schliesslich  auch 


96  sYmons 

Wilken  s.  XIjII  zwar  ein  älteres  lied  von  Gudruns  träumen  für  wahrscheinlich ,  ist 
aber  s.  XLV  „weit  entfernt,  hier  die  einfache  auflösung  eines  Edda-liedes  zu 
ei-blicken."  Was  nun  des  Verfassers  wirkliche  ansieht  ist,  lässt  sich  natürlich 
schwer  erkennen.  Der  träum,  den  Gudrun  der  Bryuhild  mitteilt,  deutet  unverken- 
bar  auf  Sigurds  ermordung  auf  der  jagd,  wie  die  nordische  sage  sie  sonst  nicht 
kent.  Wilken  hält  diese  darstelluug  für  die  ursprüngliche  (vgl.  auch  s.  LVII  fgg.). 
Gerade  von  diesem  Standpunkte  aus  ist  gar  kein  grund ,  an  einer  liedesvorlage  zu 
zweifeln.  Dass  von  dieser  ältesten  fassung  eines  der  merkwürdigsten  ereignisse  der 
sage  kein  einziges  lied  eine  spur  bewahrt,  denn  die  deutung  von  Brot  5  s.  LVII  fgg. 
ist  sehr  gezwungen,  prosaische  volksüberlieferuug  sie  aber  rein  gehütet  haben  soll, 
ist  kaum  denkbar.  Freilich  kann  ich  mich  nun  auch  in  der  auffassung  der  ver- 
schiedeneu Überlieferungen  von  Sigurds  ermordung  Wilken  nicht  anschliessen.  Indem 
ich  die  ganze  frage  einer  späteren  besprechung  vorbehalte,  kann  ich  hier  nur 
andeuteud  bemerken,  dass  ich  nach  wie  vor  (Beitr.  III,  284)  und  in  Übereinstim- 
mung mit  Rassmann  I,  207  und  Edzardi  Germ.  23,  335  die  ermordung  im  bette 
für  das  ältere  halten  muss.  Die  älteren  lioder  kennen  ausschliesslich  diese  darstel- 
lung ,  ebenso  die  SE :  die  ermordung  im  freien  kennen  nur  das  lange  Sigurdslied 
und  Gudr.  II.  Eine  Vermischung  der  älteren  und  jüngeren  darstellung  kent  die 
ps.  cap.  348.  Auch  ist  das  zeugnis  des  prosastückes  frä  dauda  Sigurdar  (Hild.  214), 
wie  unverständig  seine  fassung  auch  ist,  doch  nicht  gering  zu  achten.  Wilkens 
Vermutung,  dass  „die  ermordung  im  walde  in  einer  pause  der  jagd,  während 
Sigurd  im  halbschlafe  ausruhte,"  wie  Hans  Sachs  sie  merkwürdigerweise  darstelt 
(HS 2  314  fg.),  das  ursprünglichste  sei,  ist  allerdings  beachtenswert  und  anspre- 
chend. Es  trat  dann  eine  Spaltung  ein,  indem  man  in  der  dichterischen  gestal- 
tnng  bald  auf  den  schlaf,  bald  auf  die  jagd  den  poetischen  nachdruck  legte.  Aber 
die  frage,  welche  von  diesen  beiden  auffassuugen  im  norden  die  ursprünglichere 
ist,  wird  dadurch  nicht  entschieden.  Dass  es  die  der  ermordung  im  bette  ist, 
dafür  spricht  die  Übereinstimmung  aller  älteren  quellen. >  Die  lieder  aber,  die  die 
ermordung  im  freien  kennen ,  zeigen  zum  teil  auch  sonst  erneuten  einfluss  der 
deutschen  sage;  das  lied  von  Gudruns  träumen,  dem  der  sagaschreiber  in  cap.  25 
folgt,  zeigt  diesen  auch  im  zweiten  zu  Nib.  13  fgg.  so  merkwürdig  stimmenden 
träume.     Weshalb   man  diese  spätere   einwirkung  der  deutscheu  sage   auf  die  nor- 

(als  ufben  Gudrun  entbehrlich)  ganz  aufgegeben ,"  wie  im  Volksbuch  vom  gehörnten 
Sigfrid.  Mit  grösserem  rechte  behaupte  ich  das  gegeuteil.  Wenn  irgend  eine  gestalt 
in  der  ältesten  fassung  der  sage,  so  tritt  gewiss  Brynhild  in  ganz  festen,  markigen 
umrissen  vor  uns  auf.  Sie  ist  eine  im  edelsten  sinne  tragische  figur,  ganz  so,  wie  in 
der  älteren  Völsungensage  Signy.  Um  jedoch  ihre  ursprügliche  auffassung  in  der  sage 
richtig  zu  würdigen,  niuss  man  sie  sorgfältig  von  ihrer  doppelgängerin  Sigrdrifa  son- 
dern, der,  wie  wol  demnächst  einmal  gezeigt  werden  Avird,  von  der  alten  sage  eine 
ganz  bestimte  rolle  zugedacht  war.  Eine  ursprüngliche  Identität  von  Brynhild  -  Sigr- 
drifa kann  ich  nur  insoweit  vertreten,  als  leztere  eine  Spaltung  ersterer  ist.  Dass  in 
der  deutschen  sageugestalt  Brynhild  verblasst  und  endlich  vergessen  ist ,  ist  eine  so 
natürliche  folge  der  veränderten  Ökonomie  der  sage,  dass  dieser  umstand  für  die  recon- 
struierung  der  ursprünglichen  sagenauffussuiig  gänzlich  ohne  bcdeutung  ist. 

1)  Die  lezten  worte  des  sterbenden  Sigurd  in  cap.  30  der  VqIs.  s.  (B.  158,  17  fgg.) 
setzen  eine  ermordung  auf  der  jagd  voraus,  wie  richtig  von  Wilken  bemerkt  ist  (s.  XLV 
anm.  lOG).  allein  diese  Worte  sind,  wie  ich  jezt  ebenfals  annehme,  der  piörekssaga 
entnommen. 


ÜKER  PROS.  EDDA  ED.  WILKEN  97 

rcene  lieldendichtiing ,  die  auch  W.  Grimm  glaublich  fand  HS  ^  4  fgg. ,  neuerdings 
so  entschieden  in  abrede  gcstelt  hat  (vgl.  R.  von  Muth,  Einl.  in  das  Nib.  s.  51), 
begreife  ich  niclit.  Sie  ist  an  sich  natürlich  und  wäre  vorauszusetzen,  auch  wenn 
nicht  lieder  wie  Atlm.,  Atlkv. ,  Gudr.  III,  wol  auch  Gudr.  II  sie  ausdrücklich  bestä- 
tigten. Man  könte  sich  sogar  zu  der  frage  gereizt  fühlen,  ob  diesen  liedern  nicht 
teilweise  geradezu  ud.  quellen  vorgelegen  haben.  ^ 

Nachdem  Wilken  die  benutzung  der  Eddalieder  in  unserer  saga  ihrem  umfange 
nach  besprochen  hat ,  behandelt  er  auf  s.  LXX  fgg.  die  frage  nach  der  art  und 
weise  der  benutzung.  Er  beantwortet  die  frage,  ob  der  sagaschreiber  schriftliche 
liedervurlagen  gehabt  hat,  und  zwar  in  wesentlich  negativem  sinne.  Allein  auch 
hier  tritt  jenes  schein  öfter  berührte  unsichere  schwanken  hervor.  ,,Ohne  daher  die 
lienutzung  schriftlicher  aufzcichnungen  ganz  zu  bestreiten,"  heisst  es  s.  LXX  fg., 
,, scheint  doch  das  gegenteil  bez.  der  meisten  lieder  für  wahrscheinlicher."  (sie!) 
Wilken  bemerkt  ganz  richtig,  dass  die  ganze  frage  für  denjenigen,  der  eine  kent- 
uis  der  ganzen  samlung  als  selbstverständlich  ansieht,  nicht  existiert.  Für  selbst- 
verständlich halte  ich  eine  solche  kentnis  nun  allerdings  nicht ;  wol  aber  glaube  ich 
nachgewiesen  zu  haben,  einmal,  dass  die  saga  die  meisten  lieder,  noch  vorhandene 
wie  durch  die  lücke  verlorene,  ferner  die  meisten  prosastücke  unserer  samlung 
gekant  hat,  und  zweitens  dass  sie  kein  lied  gekant  haben  kann,  das  nicht  in  E 
steht  oder  einst  gestanden  haben  wird,  und  zwar  dass  sie  die  benuzten  lieder  und 
prosastücke  in  derselben  reihenfolge  gekant  hat:  ich  glaube  es  dadurch  in  hohem 
grade  wahrscheinlich  gemacht  zu  haben,  dass  die  samlung,  die  dem  sagaschreiber 
vorlag,  keine  andere  gewesen  ist  als  unsere  sogenante  Saemundar-Edda.^  Allein, 
selbst  wenn  dieser  nachweis  nicht  gelungen  wäre,  ,,dass  die  saga  eine  samlung 
benuzt  hat ,  in  der  manche  der  gedichte  und  erzählungen  über  die  Völsunge  und 
die  mit  ihnen  verknüpften  heldengeschlechter,  die  sich  in  R  finden  oder  früher  fan- 
den, in  einer  form  aufgezeichnet  waren,  die  auf  dieselbe  schriftliche  quelle  wie  R 
hinweist"  (Bugge  NF  s.  XLI) ,  dies  galt  bisher  für  eine  nicht  bestrittene  tatsache. 
Wilken  glaubt  nun  allerdings  im  vorhergehenden  abschnitte  seiner  einleitung  nach- 
gewiesen zu  haben ,  dass  die  Vs.  die  prosa  der  samlung  nicht  benuzt  hat.  Zunächst 
wird  es  demnach  nötig  sein,  zu  zeigen,  dass  dieser  nachweis  verfehlt  ist.  ^  Leider 
liat  W.  den  punkt  nicht  im  zusammenhange  untersucht  und  durch  die  hiueinziehuug 
der  SE  die  Übersicht  erschwert.  Ich  entziehe  mich  aus  diesem  gründe  der  Ord- 
nung des  buches  und  glaube  mich  überhaupt  gerade  hier  kurz  fassen  zu  können, 
da  die  Sachlage   sehr  klar  ist,    und  ich  zum  teil   einfach   auf  die  früheren   unter- 

1)  Ohne  hier  auf  diese  frage  näher  einzugehen,  die  ich  für  die  von  mir  vorbe- 
reitete ausgäbe  der  Edda  verspare,  verweise  ich  vorläufig  auf  EdzarJi  Germ.  23,  86. — 
Wenn  auch  Bugge  in  dieser  Zs.  7,  389  die  ermordung  SigurJs  im  bette  „die  gewiss 
spätere  sagenform"  nent,  wird  er  gewiss  dafür  seine  guten  gründe  gehabt  haben:  er 
führt  sie  aber  nicht  an. 

2)  Nicht  aber  die  erhaltene  hs.  E. 

3)  W.  billigt  s.  XXXIII  fg.  meine  Vermutung,  dass  der  Hundingssohn  Hjorvarör, 
den  Sigurd  e.  17  tötet,  aus  der  prosa  von  Helg.  Hund.  II  vor  str.  13  (Hild.  165,  13  fg.) 
gewonnen  ist,  oder,  richtiger  ausgedrückt,  dass  die  verschiedenen  Überlieferungen  der 
namen  der  Hundingssöhne  in  H.H.  I,  14  und  der  prosa  von  H.  H.  II  vom  saga- 
schreiber verschmolzen  sind.  (Beitr.  111,  218).  Wie  mir  scheint,  begeht  Wilken  damit 
eine  fatale  inconsequenz,  denn  er  räumt  dadurch  kentnis  der  Eddaprosa  ein,  die  er 
sonst  so  lebhaft  bestreitet. 

ZEITSCUR.    F.    DEUTSCHE    PHILOLOGIE.     BD.    XII.  • 


98  SYMONS 

suchungen  von  Bugge  N.  F.  s.  XXXIV  —  XLI  und  von  mir  Beitr.  III,  s.  215 — 253 
zu  verweisen  brauche.  Dass  beide  relationen ,  die  der  Vs.  und  der  Eddaprosa,  nicht 
unabhängig  von  einander  entstanden  sein  können,  d.h.  also  nicht  aus  gemeinsamer 
quelle  geschöpft  haben,  bedarf  kaum  noch  einer  abermaligen  begründuug.  Die 
saga  hat  die  in  der  samlung  erhaltenen  lieder  von  den  Völsungen  und  Niflungen 
in  derselben  reihenfolge^  gekant,  sie  hat  alle  irgendwie  benutzbaren  benuzt,  sie 
hat  ferner  kein  einziges  verwant ,  das  nicht  in  R  steht  oder  früher  gestanden  hat  -. 
da  ist  es  doch  gewiss  die  nächstliegende  annähme ,  dass  die  vielen  wörtliclien 
Übereinstimmungen  mit  der  prosa  der  samlung  ebenfals  auf  benutzung  der  prosa 
in  der  saga  beruhen.  Inwieweit  diese  Übereinstimmung  schlagend  ist,  kann  jeder 
mit  hilfe  der  Beitr.  III,  220  fgg.  gegebenen  tabelle  leicht  prüfen.  Es  lassen  sich 
aber  auch  ganz  bestirnte  gründe  dafür  vorbringen ,  dass  die  Vs.  aus  der  prosa  der 
samlung  geschöpft  hat.  Die  am  besten  beweisende  stelle  ist  die  erzählung  von  der 
Vorgeschichte  des  hortes  cap.  14  (B.  112,  11 — 114,  21),  welche  in  der  samlung 
der  einleitenden  prosa  zu  Reginsmäl  usw.  (Hild.  186,  1  — 189,  5)  entspricht.  Der 
samler  (oder  der  Verfasser  der  Sigurdarsaga)  hat  hier  in  gröster  kürze  und  ziemlich 
unbeholfen  die  hauptzüge  zusammengefasst :  Regln  erzählt  dem  Sigurd,  wie  die  äsen 
den  Otr  töten,  Hreldmar  sohnesbusse  verlangt,  und  nun  Loki,  zum  zwecke  ihrer 
beschaflfung  ausgesant,  den  zwerg  Andvari  in  hechtgestalt  fängt.  Str.  1.  2  bringen 
das  gespräch  zwischen  Andvari  und  Loki ;  str.  3.  4  sind  fälschlich  in  das  lied  hinein- 
geraten, vielleicht  aus  demselben  liede,  das  ursprünglich  auch  die  strophen  Päfn. 
12 — 15  enthielt.  Ob  sie  dem  sagaschreiber  .schon  in  ihrem  jetzigen  zusammen- 
hange vorlagen  ,  ist  unsicher:  jedesfals  hat  er  sie  nicht  benuzt.  Wol  aber  das  vor- 
hergehende. Auch  in  der  saga  erzählt  Regln  dem  Sigurd:  der  sagaschreiber  ver- 
gisst  es  aber  zuweilen  und  ruft  sich  dann  gewissermassen  durch  ein  segir  Reginn 
(B.  113,  1.  114,  20)  selber  zur  Ordnung.  Er  hat  von  Hreidmar  und  dessen  söhnen 
schon  im  vorhergehenden  capitel  gesprochen;  dennoch  lässt  er  Regln  seine  erzäh- 
lung noch  einmal  beginnen  mit  einer  darlegung  seiner  familien Verhältnisse.  Regln 
erzählt  von  Otr,  wie  er  den  tag  über  in  ottergestalt  im  wasser  lebt,  fische  fängt 
und  spät  am  abend  dem  vater  heimbringt.  Dann  auch  von  Pafnir.  Damit  ist  die 
exposition  gegeben.  Nun  geht  Regln  zur  erzählung  von  den  ereignissen  über,  die 
die  einleitende  prosa  zu  den  Reginsmäl  berichtet,  und  richtet  sich  jezt  genau  nach 
seiner  vorläge.  Dabei  werden  ausdrücke  widerholt,  die  schon  vorweggenommen 
waren; "2  diese  widerholung  erkläi't  sich  ausschliesslich  aus  der  benutzung  der  genan- 
ten quelle,  deren  unvolkommene  darstellung  gemildert  und  durcli  erAveiterung  ver- 
ständlich   gemacht  werden   muste.     Auch    die  art  und   weise ,    wie  113 ,  10  fg.  von 

1)  Wilken  meint  s.  LH,  der  verfas.ser  der  Vs.  habe  sich  die  ihm  bekanten  lie- 
der in  ,,  einer  ähnlichen  quasi  -  chronologischen  folge"  als  quellenmaterial  vorgelegt, 
wie  wir  sie  in  der  samlung  geordnet  finden.     Erklären  lässt  sich  ja  schliesslich  alles. 

2)  Vgl.  B.  113,  4  fgg.  mit  112,  17  fg.;  B.  113,  7  fg.  mit  112,  20  fg.  Vgl. 
auch  Beitr.  III,  226  fg.,  zum  teil  gegen  Bugge  NF.  s.  XXXVII.  —  Gruudtvig  (Edda'^ 
227")  hat  sehr  richtig  bemerkt,  dass  die  prosa  des  sanilers  den  Audvarafors  viel  zu 
früh  nent :  nicht  Otr  lebt  in  ihm ,  sondern  der  zwerg ,  und  die  worte  /  ßeirn  forsi  .... 
mntar  gehören  erst  nach  z.  17  Audvarafors.  Es  liegt  hier  aber  keine  textverdcrbnis  vor, 
sondern  ein  irtum  des  samlers.  Der  Verfasser  der  Vs.  begeht  im  anschluss  an  seine 
quelle  ganz  denselben  fehler.  Dagegen  ist  die  darstellung  der  SE  I,  352  richtig  und 
verständig.  Das  Verhältnis  der  quellen  würde  schon  durch  diese  eine  stelle  deut- 
lich sein. 


ÜBER  PROS.  EDDA  ED.  WILKEN 


99 


Hrcidmar  gesprochen  wird,  als  wäre  nicht  der  söhn,  sondern  eine  ganz  unbeteiligte 
person  der  redende,  findet  ihre  erklärung  in  der  unbeholfenen  darstellung  der  ein- 
loitenden  prosa  zu  Roginsmäl  z.  13  fg.  Ich  stelle  die  beiden  erzählungeu  einander 
gegenüber,  weil  nur  so  das  gegenseitige  Verhältnis  ganz  klar  worden  kann,  und 
zeichne  das  übereinstimmende  durcli  cursiven  druck  aus. 


VqIs.  s.  c.  14.  (B.  112,  11  fgg.  W.  173. 
4  fgg.) 

])at  er  up])haf  sggu  pessar,  at  Hreid- 
marr  hct  fadir  minn,  mikill  ok  audigr: 
son  haus  het  Fafnir,  en  annarr  het  Otr, 
ok  var  ok  lünn  [iridi,  ok  var  ek  niinstr 
fyrir  mer  um  atgervi  ok  yfirh'it;  kunna 
ek  af  järni  gera  ok  af  sill'ri  ok  gulli, 
ok  (af)  hverjum  lilut  gorda  ok  nokkvat 
n3'tt.  Otr  brödir  minn  hafdi  adra  idn 
ok  nattüru;  bann  var  veidimadr  mikill 
ok  umfranim  adra  menn  ok  var  i  otrs 
liki  um  daga  ok  var  jafnan  i  anni  ok 
bar  upp  fiska  med  munni  ser;  veidifgng- 
in  foerdi  hann  fedr  sinum ,  ok  var  honnm 
pat  mikill  st)'rkr;  mJQk  hefir  hann  otrs 
liki  ä  ser,  kom  sid  heim  oik  dt  hluncl- 
ancli  ok  einn  saman,  pvlat  hann  mätti 
eigi  sjä,  at  pyrri.  Fafnir  var  miklu 
mostr  ok  grimmastr  ok  vildi  sitt  eitt 
kalla  lata  allt  pat  er  var.  Einn  dvergr 
het  Anävari  —  segir  Beginn  — ;  hann 
rar  jafnan  i  forsinum,  er  Anävurafors 
heitir,  i  geddu  liki  ok  feklc  ser  par  vuä- 
ar,  ßviat  ßar  var  fjqldi  fiska  i  ßeim 
forsi.  Otr  broäir  minn  för  jafnan  i 
penna  fors  ok  bar  upp  fiska  i  munni 
sör  ok  lagdi  einn  senn  ä  land.  Octinn, 
Loki,  Hamir  foru  leiäar  sinnar  ok  kömu 
til  Andvarafors.  Otr  hafdi  ßä  tekit 
einn  lax  ok  dt  hhindandi  at  drbakk- 
anum.  Loki  tök  einn  steinn  ok  laust 
otrinn  til  hana.  Aesir  pottust  mjqk 
hepnir  af  veidi  sinni  ok  flögio  hdg  af 
otrinum. 

pat  kveld  kömu  peir  til  Hreidmars 
ok  sijndu  homim  veidina ;  pä  tüku  ver  pd 
hqndum  ok  Iqgdum  d  pd  gjald  ok  fjqr- 
lausn,  at  peir  fyldi  helginn  af  gulli  ok 
hyldi  hann  ütan  med  randu  gtilli.  pd 
sendu  peir  Loka  at  afla  gtdlsins;  hann 
kom  til  Rdnar  ok  fekk  net  hcnnar,  för 
pä   til   Andvarafors   oh  kastaäi   netinu 


Einl.  prosa  zu  Reginsmäl  (Hild.  s.  186). 
[Sigurdr  gekk  til  stöds  Hjalpreks  ok 
kaus  ser  af  best  einn,  er  Grani  var  kal- 
ladr  sidan.  Vgl.  Vols.  s.  cap.  XIII. 
(B.  111,  1  fgg.).  pä  var  kominn  Beginn 
til  Hjalpreks,  sonr  Hreidmars,  hann  var 
hverjum  manni  hagari  ok  dvergr  of  voxt. 
Hann  var  vitr,  grimmr  ok  fjolkunnigr. 
R.eginn  veitti  Sigurdi  fostr  ok  kenslu  ok 
elskadi  hann  mJQk:  hann  sagdi  Sigurdi 
frä  forellri  sinu  ok  peira  atburdum ,  at 
(vgl.  Vols.  s.  c.  XHI.  B.  110.  23  fgg.)]. 


Odinn  ok  Hccnir  ok  Loki  hqfdti  komit 
til  Andvarafors ;  i  peim  forsi  var  fjqldi 
fiska.  Einn  dvergr  het  Andvari,  hann 
var  Iqngum  i  forsinum  i  geddu  liki  ok 
fekk  ser  par  matar.  Otr  het  brödir 
värr,  kvaä  Beginn,  er  opt  för  i  for- 
sinn  i  otrs  liki; 

hann  hafdi  tekit 
einn  lax  ok  sat  u  drhakkanum  ok  dt 
blundandi.  Loki  laust  hann  med  steini 
til  bann;  pöttusk  Aesir  mjqk  hepnir  ve- 
rit  hafa  ok  fiögn  belg  af  otrinum. 

pat  sama  kveld  söttii  peir  gisting  til 
Hreidmars  ok  syndu  veidi  sina;  pd 
töku  ver  pd  hqtidum  ok  Iqgäum  peim 
fjqrlansn,  at  fylla  otrbelginn  med  gulli 
ok  hylja  ütan  ok  med  ruudii  gulli.  pä 
sendu  peir  Loka  at  afla  gidlsins;  hann 
kom  til  Bänar  ok  fekk  net  hcnnar  ok 
för  pd  til  Andvarafors  ok  kastadi  netinu 
7* 


100 


fijrir  yedduna,  en  hon  hljop  i  tietit;  pä 
mailti  Loki: 

hvat  er  put  fiskn 
usw. 

Ich  muss  die  vergleichuiig  noch  etwas 
weiter  fortsetzen.  Nach  citieruug  von 
str.  1.  2  heisst  es  B.  114,  4fgg. : 

Loki  ser  gull  pat  er  Andvari  ütti;  en 
er  hann  hafcti  framm  reitt  iiidlit,  pä 
liafäi  hann  [eptir]  einn  hrhu/ ,  ok  tök 
Loki  hann  af  honuni.  L>vcrgriiin  gekk 
i  steininn  ok  meelti 


fyr  gedduna ,   en   hön  hljop  i  nctit;  ßü 
mcelti  Loki: 

hvat  er  pat  fiska 
usw. 


prosa  vor  Eeginsm.  str.  5  (Hild.  187) : 
Loki  sä  aUt  gull  pat  er  Andvari  ätii ; 
en  er  hann  hafdi  fraiureitt  gullit,  pä 
hafäi  hann  eptir  einn  hring ,  ok  tök 
Loki  pann  af  hänum.  Drergrinn  gekk 
inn  i  steininn  ok  mcelti 
In  E  spricht  der  zwerg  eine  sehr  dunkle  strophe  (Regui.  5)  von  zwei  brü- 
dern,  denen  „das  gold,  welches  Gustr  bcsass"  zum  tode,  und  acht  edelingen, 
denen  es  zum  zanke  gereichen  werde.  Die  strophe  gehört  jedesfals  nicht  hierher, 
oder  sie  ist  eine  ganz  junge  Interpolation:  sie  ist  im  kviduhättr,  drei  zeilen  (1.  3. 
4.),  und,  wenn  man  nicht  Vs.  7  fear  liest,  sogar  vier  sind  metrisch  dreisilbig, ^  der 
inhalt  ist  kaum  verständlich,  wenn  man  nicht  mit  Grundtvig  (Edda'^  227*^)  in  ätta 
z.  6  eine  tiefgehende  Verderbnis  annehmen  will.  Doch  wird  die  strophe  in  ihrem 
jetzigen  Zusammenhang  dem  sagaschreiber  bereits  vorgelegen  haben.  Bei  ihm  sagt 
der  zwerg  (B.  114,  6  fgg.)  ut  hverjnm  skijldi  at  hana  veräa ,  er  pann  gullhring 
cetti  ok  svä  alt  giillit.  Sieht  dies  nicht  ganz  aus  wie  eine  summarische  widergabe 
eben  jener  str.  5,  die  der  sagaschreiber  gewiss  so  wenig  verstand  wie  wir,  deren 
hauptgedanken  er  aber  nicht  entbehren  konte?  Wilken  bestreitet  s.  XXVIl  anm.  52, 
vgl.  s.  XXX,  die  von  mir  Beitr.  III,  227  beiläufig  geäusserte  Vermutung,  dass  der 
Verfasser  der  Vs.  mit  den  worten  er  pann  gullhring  cetti  ok  svä  alt  gnllit  absicht- 
lich die  Zweideutigkeit  von  Eegm.  5,  1  pat  skal  gull  habe  beseitigen  wollen.  Er 
fühlte,  dass  der  fluch  sich  ursprünglich  an  den  ring  knüpfte  (die  Wünschelrute  von 
Nib.  1064.  HS 2  393),  und  das  gidl  des  liedes  erlaubte  ihm,  an  beides,  den  hört 
und  den  ring,  zu  denken.  Die  wichtige  eigenschaft  des  rings,  das  gold  zu  ver- 
mehren, die  SEI,  354  noch  so  gut  kent,^  hat  die  unklare  prosa  des  samlers 
vergessen ,  und  die  nachlässigkeit  seiner  quelle  hat  der  sagaschreiber  nur  notdürf- 
tig gebessert.  Die  nun  folgende  erzählung  von  der  erstattung  der  sohnesbusse 
stimt  in  beiden  cpiellen  wider  nahezu  wörtlich  überein :  in  einzelnen  ausdrücken  hat 
R  das  ältere. 


VqIs.  s.  (ß.  114,  8  fgg.): 
Aesirnir  reiddu  Hreictmari  feit  ok 
trääu  upp  otrhelginn  ok  settu  ä  fcetr; 
pä,  skyldu  Aesiriiir  hlaäa  tipp  hjä  gul- 
lina  ok  hylja  ütan;  en  er  pat  var  gert, 
J)ä  gekk  Hreidmarr  framm  ok  sä  eiti 
granahär  ok  bad  hylja.  pä  drö  Oäinn 
hringinn  af  ser  Andvuranaut  ok  huldi 
härit.     pä  kvad  Loki 

Guirs  Jjer  nü  reitt  (Eegm.  G) 


Prosa  vor  Eegm.  6  (Hild.  188): 
Aesir  reiddu  Hreiämari  feit,  ok  trädu 
upp  otrhelginn  ok  reistu  ä  ftetr;  pä 
skyldu  Aesirnir  hlada  upp  gullinu  ok 
hylja;  en  er  pat  var  gert,  gekk  Hreid- 
marr fravi  ok  sä.  eitt  granahär  ok  bad 
hylja.  pä  drö  Odinn  fram  hringinn 
Andvaranaut  ok  huldi  härit. 

GulFs  per  nü   [reitt]  (kvaS  Loki) 
usw. 


usw. 

1)  In  z.  4   niüste  bana  versclileift  werden. 

2)  Eben  deswegen  sind  die  werte  der  SE   in  Loküs   fluoli  at  ml  haitgr  ok  pat  gull 
skyldi  vcrda  pess  bani  er  dtti  bei    der  besseren   kentnis  Snorris   (oder   seines  Vorgängers) 


ÜBER    PROS.    EliDA    ED.    WILKEN  101 

Die  samlung  sczt.  da.s  g^esiiriich  zwisclRii  Loki  und  Hreuliiuirr  in  den  stro- 
l)lion  8.  9  fort,  berichtet  dann  iu  einem  prosastücke  die  vergebliche  bitte  von  Faf- 
nir  und  Ifegin  um  bruderbusse  und  die  crmordung  Hreidmars,  bringt  in  zwei  wei- 
teren Strophen  das  dringend  verdächtige  gespräch  des  sterbenden  Hreidmarr  mit 
den  töclitcrn  (vgl.  Bugge  s.  413)  und  fährt  fort  (prosa  vor  12):  ])ä  dö  Hreidmarr, 
en  Fdf'nir  tök  fjidlit  (dlt.  pä  beiddisk  Beginn  at  liaf'a  fqdurnrf  sinn,  en  Fäfnir 
galt  pnr  nci  vid.  pä  leitadi  Beginn  räda  ind  LyngJieidi  sijstiir  sina ,  hvernig  hann 
sJqihli  heimta  fodnrarf  sinn.  Die  Schwester  gibt  in  str.  12  einen  rat,  der  keinen 
weitern  erfolg  hat,  und  der  samler  schliesst:  pessa  hluti  sagäi  Beginn  Sigurdi.  — 
Man  sieht,  der  samler  liat  ganz  vergessen,  dass  Regln  der  redende  ist:  erst  ganz 
am  Schlüsse  hat  er  es  bemerkt  und  doshalb  die  lezten  Avorte  hinzugefügt.  Der 
sagaschreiber  hat  statt  dessen  allein  (B.  114,  20  fg.):  siäan  drap  Fäfnir  fqdiir 
sinn  ■ —  segir  Beginn  —  olc  myrdi  hann,  olc  nääa  ek  engii  nf  fenii.  Dies  ist  gewiss 
sehr  summarisch,  aber  doch  genügend,  um  die  samlung  als  quelle  zu  erweisen. 
Die  saga  hat  sich  einen  augenblick  durch  die  dritte  person  ,  in  die  der  samler  ver- 
fallen war,  irreführen  lassen,  und  schreibt:  siäan  drap  Fäfnir  fqäur  sinn,  merkt 
aber  dann  ihre  inconseqnenz,  ruft  sicJi  durch  ein  segir  Beginn  zur  Ordnung  und 
fährt  fort  ok  nääa  ek  ongu  af  fenu.^  Was  den  sagaschreiber  zur  kürzung  bewogen 
hat,  ist  schwer  zu  sagen.  Dass  aber  seine  darstellung  gekürzt  ist,  gibt  auch  Wil- 
ken  s.  XXVII  zu.  Jedesfals  hatte  er  nicht  die  verptlichtuug,  alles  was  er  in  seiner 
quelle  vorfand,  auch  zu  verarbeiten,  und,  wenn  er  auch  nicht  sehr  kritisch  war, 
so  mag  ihm  doch  das  auftreten  der  beiden  töchter,  die  Grundtvig  vergeblich  zu 
verteidigen  bemüht  ist,  ebenso  widersinnig  vorgekommen  sein,  wie  ich  wenigstens 
gestehen  muss,  dass  es  mir  vorkömt.  Dass  auch  SE  jene  töchter  nicht  kent,  ist 
bezeichnend:  die  frage,  ob  Vs.  den  älteren  teil  der  erzählung  der  SE  gekant  hat, 
wird  noch  zu  berühren  sein. 

Ich  habe  an  einem  längeren  stücke  den  nachweis  zu  führen  gesucht ,  dass 
die  Vs.  die  Eddaprosa  als  quelle  benuzt  hat,  und  glaube,  mich  mit  diesem  begnügen 
zu  dürfen.  Will  man  ein  weiteres  deutliches  beispiel ,  so  vergleiche  man  die  prosa 
zwischen  Fäfn.  und  Sigrdrifm.  mit  der  darstellung  der  saga  cap.  19  u.  20  (B.  124, 
12 —  125,  6).  Hat  der  sagaschreiber  nun  die  lieder  und  prosastücke,  welche  unsere 
samlung  enthält,  gekant,  sie  benuzt,  soweit  sie  benutzbar  waren,  hat  er  ferner 
keine  lieder  benuzt,  die  unsere  samlung  nicht  enthält  oder  früher  enthielt,  ist  endlich 
die  reihenfolge  der  benutzung  die  gleiche  (Beitr.  III,  220  fgg  ),  so  ist  es  doch  wol 
mehr  als  walirsoheinlich ,  dass  er  eben  unsere  samlung  benuzt  hat.  Damit  ist  nun 
freilich  der  einfluss  der  lebendigen  Volksüberlieferung  nicht  ausgeschlossen ,  und, 
was  diesen  punkt  betrift,  muss  ich  jezt  allerdings  gestehen,  dass  ich  in  meiner 
fi'üheren  Untersuchung  manches  dem  sagaschreiber  als  wilkürliche  erweiterung  und 
erfindung  aufgebürdet  habe,  was  ich  jezt  nicht  mehr  als  uusagenmässig  betrachte.^ 

durchaus  nicht   auf  gleiche  iiiiie    zu    stelhn   mit  dca  ähnlich   lautenden    des  sagaschrei- 
bers,  wie  es  Wilken  tut  s.  XXX. 

1)  Ich  war  auf  diese  ja  sehr  naheliegende  bemerkuufj  unabhängig  von  Edzardi 
Germ.  24,   357  fg.   gekommen,  freue  mich  aber  der  Übereinstimmung. 

2)  G.  Storm  Nye  Studier  s.  18  (Aarb.  f.  nord.  oldk.  1877,  s.  ."514)  erhebt  die.sen 
Vorwurf  mit  recht  gegen  mich.  Ich  muss  es  mir  versagen,  im  rahmen  dieser  anzeige 
näher  auf  diesen  punkt  einzugehen,  werde  dies  aber  in  eiuem  eigenen  aufsatze  tun. 
Hier  aber  muss  mir  die  bemerkung  wenigstens  vom  herzen,  dass  der  teil  meiner  Unter- 
suchungen,   der    sich    mit    dm    ersten    zwölf  capiteln    der    saga    beschäftigt    (Beitr.  III, 


102  SYMONS 

Weitere  schriftliche  quellen  als  unsere  saiuluug,  die  pictrekssaga  und  vielleicht  der 
ursprüngliche  teil  der  erzählung  der  SE  lassen  sich  aber  nicht  nachweisen,  und  es 
nötigt  uns  auch  nichts  zu  dieser  annähme. 

Mit  dem  nachweise,  dass  dem  sagaschreiber  die  Eddaprosa  vorlag,  steht  und 
fält  natürlich  Wilkens  behauptung,  dass  er  die  Eddalieder  nicht  oder  doch  nicht 
vorzugsweise  in  schriftlicher  aufzeichnung  beuuzt  hat.  Was  jener  weiter  zur  stütze 
seiner  ansieht  vorbringt,  ist  nicht  gerade  von  bedeutung.  Der  Wechsel  von  para- 
phrase  und  citat^  ist  nicht  im  mindesten  auffallend,  die  stellenweise  citierten  Stro- 
phen (es  sind,  abgesehen  von  Sigrdr.  5 — 13.  15  —  21  in  cap.  20,  nur  11  ganze  und 
3  halbstrophen)  erklären  sich  zur  genüge  aus  den  lausavisur  des  isl.  sagastils.  Sie 
dienen  meistens  lediglich  zur  ausschmückung,  hie  und  da  auch  als  belege  {svä  er 
kredit  144,  29;  svä  sem  JcvecUt  er  148,  27;  svä  segir  i  Siguräarlcviäti  154,  14; 
sem  skäldit  kvad  156,  18;  sem  kvedit  er  164,  4.  186,  18;  sem  her  segir  164,  15). 
Überdies  wird  ja  häufig  die  strophe  erst  in  prosa  umschrieben  und  dann  citiert 
(so  bei  Bugge  nr.  22.  23  vgl.  144,  24  fgg.  24  vgl.  148,  25  fgg.  26  vgl.  156,  17  fg. 
28  vgl.  164,  13  fgg.).  In  der  Gylfaginning  ist  es  nicht  anders:  allerdings  wird 
hier  dem  Verfasser  der  älteren  redaction  noch  keine  sckriftliche  quelle  vorgelegen 
haben,  sondern  erst  dem  bearbeiter  von  rW  (vgl.  jezt  E.  Mogk  Beitr.  6,  517.  520 
u.  ö.).  --  Wilken  führt  eine  anzalil  fälle  an  (s.  LXX  anm.  164),  in  denen  die  feh- 
ler oder  abweichungen  der  saga  von  den  Eddaliedern  sich  am  einfachsten  durch 
benutzung  aus  dem  gedächtnis  erklären  sollen.  Sehen  wir  etwas  genauer  zu.  In 
der  paraphrase  des  ersten  liedes  von  Helgi  dem  Hundingstöter  cap.  9  finden  sich 
eine  reihe  von  abweichungen.  Das  fortwährende  Gramnarr  für  Gudmundr  (102,  21. 
103 ,  5.  12.  17.  22)  erklärt  sich  doch  am  einfachsten  aus  der  falschen  ergänzung 
eines  G.  der  vorläge.  Die  irrigen  lokalangabeu  ör  Nnrvasundum  101,  22  {i  Orva- 
sund  H.  H.  I,  25''),  ä  Lägatiesi  J03,  4  {ä  nesi  Sägu  40,  2),  viä  ey  pä  er  Sok 
lieitir  103 ,  24  und  'par  sem  heitir  fyrir  Grindum  103 ,  23    (i  Sogn  51  =*,  t  grindum 

51^)  lassen  sich  auf  beide  weisen  erklären,  aber  105,  7  «  prasnesi  (psnesi  Cd.) 
für  das  richtigere  d  pörsnesi  H.  H.  I,  41»  deutet  wider  auf  eine  falsche  auflösung 
einer  abkürzung  der  vorläge.  Die  von  mir  Beitr.  III,  238  fg.  angeführten  abwei- 
chungen in  der  widergabe  von  Gudr.  II  sind  teilweise  wol  absichtlich  (so  d  Fjöni. 
163,  10;  Valdamarr  163,  23  usw.),  teilweise  deutliche  textverlesungen,  wie  z.  b. 
sönar  dreyra  Gudr.  11,  22"  als  sonar  dreyra  verstanden  wurde  (vgl.  oben  s.  86  fg). 
Was  ferner  die  widergabe  von  Gudr.  hv.  16  — 18  in  cap.  41  (B.  185,  9  fgg.)  an 
geht,  so  hat  der  sagaschreiber  hier  ohne  zweifei  einen  nicht  ganz  gelungenen  ver- 
such gemacht ,  die  albernheit  des  liedes  zu  tilgen.  Deshalb  nent  er  erst  den  tod 
des  Sigurd  inn  mesti  liarmr  185,  11,  dann  den  der  Svanhild  särast  minna  liarma 
16,  fügt  aber  hinzu  eptir  Sigurd.  Er  sah  die  Unmöglichkeit  der  vier  absoluten 
Superlative  ein,  milderte  sie,  aber  die  treue  gegen  seine  quelle  verbot  eine  durch- 
greifende besserung.  Dass  übrigens  gerade  dieses  lied  ihm  schriftlich  vorgelegen 
hat,  bewiese  schon  der  offenbare  lesefehler  sonr  185,  21  statt  snqr  Gudr.  hv.  19 »^ 
(vgl.  auch  185,  4  fg.  und  Bugges  anm.  s.  199).  Damit  ist  die  reihe  der  wahrschein- 
lichen  lesefehler  nicht  erschöpft:    ich    verweise    auf  Bugges   anm.   zu  173,  4    und 

287  fgg.),  vieles  enthält,  wa.s  ich  heute  nicht  mehr  für  richtig  halte.     Die  bemerkuiigen 
Wilkens  über   diesen    teil    der  saga  s.  XV  —  XXII    sind    allerdings    recht  dürftig.     Ein- 
gehend und  geistvoll,  wenn  auch  wenig  rücksichtsvoll  gegen  andere  arbeiten,  hat  neuer- 
dings MüllenhofF  ihn  behandelt  Zs.  für  deutsch,  alt.  23,  113  fgg. 
1)  Sieh  Wilken  s.  LXX.  LXXXIII.  XCV  fgg. 


ÜBER  PROS.  EDDA  ED.  WILKEN  103 

Beitr.  III ,  242.  245.  251  fg.  —  Ich  muss  auch  ganz  entschieden  die  behauptung 
Wilkens  bestreiten,  dass  es  die  nächstliegende  annähme  sei,  eine  meniorialbenntzung 
vorauszusetzen.  ,,Dass  es  die  grenzen  der  niöglichkoit  überstiegen  habe,  zehn  lie- 
der"  —  es  sind  nach  massigster  berechnung,  die  verlorenen  natürlich  eingerech- 
net, fünfzehn  —  „von  dem  umfange  der  eddischen  im  ganzen  und  grossen  annä- 
hernd getreu  dem  gedächtnisse  eingeprägt  zu  haben,  wird  wol  niemand  behaupten 
können"  (s.  LXXII).  Die  möglichkcit  wird  kein  verständiger  in  abrede  stellen, 
aber  die  walirscheinlichkeit  allerdings.  Man  versuche  nur  einmal  ein  FJddalied  aus- 
wendig zu  lernen,  und  man  wird  an  sieh  selber  die  beobachtung  machen,  wie 
schwer  es  ist.  Man  wird  nicht  einwenden  wollen ,  dass  wir  keine  Isländer '  sind, 
wie  der  sagaschreiber.  Wir  sind  auch  keine  Griechen  oder  Eömer,  und  doch,  wie 
leicht  haften  Homer  und  Horaz  im  gedächtnis.  Der  wenig  fest  gefügte  und  daher 
dem  gedächtnis  keinen  anhält  bietende  Zusammenhang,  vor  allem  aber  der  mangel 
jedes  musikalischen  elements  in  den  Eddaliedern  sind  wol  die  gründe  dieser  tat- 
sache.  Unsere  saga  wäre  'ohne  benutzung  schriftlicher  quellen  geradezu  undenk- 
bar. Man  nehme  beispielsweise  die  cap.  33  —  38,  die  auf  einer  verquickung  der 
beiden  Atlilieder  beruhen:  eine  solche  contaminierende  arbeitsweise  blos  nach  dem 
gedächtnis  kann  nicht  im  ernste  behauptet  werden.  Oder  man  beachte  wie  in 
cap.  31  zuerst  (159,  16  — 160,  4)  Brot  15  — 19  paraphrasiert  wird,  dann  (160,  5  — 
162,  2)  Sig.  III,  34  —  71,  wobei  der  sagaschreiber  die  durch  159,  16-160,  4 
unterbrochene  widergabe  dieses  liedes  fortsezt  (caj).  30.  vgl.  Beitr.  III,  234  fgg.): 
auch  diese  art  des  arbeitens  ist  nur  zu  erklären  unter  der  Voraussetzung  einer 
geschriebenen  vorläge.  Von  welcher  seite  wir  demnach  an  die  Vs.  hinantreten ,  als 
sicheres  resultat  stelt  sich  heraus  die  ausarbeitnng  der  saga  nach  vorzugsweise 
schriftlichen  quellen  von  wesentlich  derselben  art  wie  die  uns  erhaltenen  Vülsun- 
genlieder  und  dazu  gehörigen  prosastücke.  Und  überaus  grosse  Wahrscheinlichkeit 
hat  der  schluss ,  dass  diese  samlung,  die  dem  sagaschreiber  vorgelegen  hat,  keine 
andere  war  als  die  uns  erhaltene. 

Über  das  Verhältnis  der  saga  zur  SE  kann  ich  kurz  sein.  Beitr.  III,  210  fg. 
habe  ich  anzudeuten  gesucht,  dass  in  der  gedrängten  skizze  der  Völsungensage  in 
der  Snorra  Edda  (ed.  AM  I,  352  —  370)  zwei  teile  wol  zu  unterscheiden  sind:  erstens 
der  in  Ux^  überlieferte  erste  teil  (cap.  39.  40*),  zweitens  die  folgende  erzählung, 
die  sich  blos  in  x  findet  (cap.  40''  —  42).  Jener,  welcher  sich  bis  zum  tode  Hreid- 
mars  erstreckt,  ist  frei  und  unabhängig;  dieser  hat  die  prosa  der  liedersamlung 
und  wol  auch  Vs.  benuzt.  Da  nun  dem  zwecke  der  Skalda  nach,  die  die  kenningar 
für  gold  erläutern  Avill,  nicht  die  gesamte  sage  von  den  Völsungen  und  Niflungen, 

1)  Gegen  Beitr.  III,  5il4  und  Wilken  s.  LXXIII  glaube  ich  jezt,  dass  die  saga 
auf  Island  geschrieben  ist,  nicht  in  Norwegen.  Vgl.  G.  Storni,  Aarb.  1877,  s.  314  und 
anm.  1. 

2)  Mit  X  bezeichne  ich  der  kürze  halber  die  durch  rW  repräsentierte  hanilschrif- 
tengruppe ,  mit  U  nicht  blos  den  allerdings  kürzenden  Upsalaer  codex ,  sondern  den 
noch  nicht  überarbeiteten  text ,  wie  wir  ihn  für  die  Skälda  ebenso  voraussetzen  müssen, 
wie  er  für  die  Gylfaginning  von  Mülleuhoff  Zs.  filr  deutsch,  alt.  16,  148  fgg.  behaup- 
tet und  jezt  in  der  sorgfältigen  Untersuchung  von  E.  Mogk  Beitr.  6,  477  fgg.  meiner 
ansieht  nach  nachgewiesen  worden  ist.  —  Auf  die  kritik  der  SE  komme  ich  im  zwei- 
ten teil  dieser  besprechung  zurück.  —  Der  hier  in  betraclit  kommende  abschnitt  findet 
sich  nicht  in  W,  auch  nicht  der  erste  in  U  enthaltene  teil. 


104  SYMONS 

sondern  nur  die  sage  vom  horte  im  plane  des  Verfassers  liegen  konte/  glaubte  ich 
blos  in  der  erzählung,  soweit  U  sie  bietet  (ich  bezeichne  sie  mit  I),  das  ursprüng- 
liche, in  dem  weiteren  nur  in  x  befindlichen  abschnitte  (II)  dagegen  eine  Interpo- 
lation des  Überarbeiters  zu  erkennen.  Ich  halte  auch  jezt  noch  diese  ansieht  für 
wolbegründet,  obgleich  Wilken  sie  s.  XV  und  Unters,  s.  141  fgg.  zurückweist.  Es 
hat  sich  Wilken  hier  durch  die  allerdings  herkömliche  Unterschätzung  der  redac- 
tion  U  beeinflussen  lassen.  Indem  ich  die  handschriftenfrage  weiter  unten  bespre- 
chen werde,  soll  hier  nur  die  berechtigung  und  nötigung  nachgewiesen  werden, 
II  für  eine  jüngere,  unter  einfluss  der  samlung  und  vielleicht  der  Vs.  stehende 
Interpolation  zu  erklären.  Der  teil  I  (cap.  39  und  40'')  ist  eine  selbständige  erzäh- 
lung von  der  otterbusse,  bei  weitem  die  beste,  die  wir  besitzen.  Sie  hat  noch 
zwei  wichtige  züge,  die  in  der  jüngeren  prosaquelle  verwischt  oder  ganz  verloren 
sind:  die  trennung  des  wassers,  in  dem  sich  Otr  aufhält,  vom  Andvarafors  und  die 
Wünschelkraft  des  rings.  Für  den  ersten  absatz  von  cap.  40  in  x  (SEI,  356 ''~i^) 
bietet  U  nur  das  folgende:  nü  tok  Hreiämarr  gullit  at  sonargiqldum ,  en  Fäfnir 
oh  Begimn  beiddusk  af  nqkkurs  i  hröärgiqld.  peir  dräpu  fqdur  sinn.  Fäfnir 
lagdisk  d  feit  ok  vard  at  ormi,  en  Reginn  für  ä  brott  (SE  II,  360).  Ohne  läug- 
nen  zu  wollen,  dass  die  uns  erhaltene  hs.  hier  gekürzt  hat, 2  glaube  ich  doch, 
dass  im  wesentlichen  auch  die  ursprüngliche  redaction  der  Skälda  nicht  viel  aus- 
führlicher war,  und  dass  der  erste  absatz  von  cap.  40  in  x  überarbeitet  ist.  Der 
anfang  der  Überarbeitung  ist  noch  deutlich  genug  erkenbar  durch  die  frage  hvat  er 
fleira  at  segja  frä  gullinu?  356^  Hreiämarr  im,ni  peim  enskis  pennings  af  gullinu 
scheint  der  älteren  stelle  354 '  Luki  kvaä  kann  eigi  skyldu  liafa  einn  penning  eptir 
nachgebildet.  Ursprünglich  scheint  auch  der  zug,  dass  Fäfnir  und  Eegin  beide 
den  vater  töten  {peir  dräpti  fqdur  sinn  U  =  pat  vard  üräd  peira  hrcedra ,  at  peir 
dräpu  fqdur  sinn  til  gullsins  x).  Wenn  es  dann  aber  nachher  in  x  heisst  (356*"): 
Fäfnir  svarar  svd,  at  litil  vän  var,  at  kann  mundi  midla  gullit  vid  brödur  sinn, 
er  kann  drap  fqdur  sinn  til  gullsins,  wonach  also  Fäfnir  allein  den  vatermord 
begangen  hat,  so  ist  dieser  Widerspruch,  wie  Edzardi  Germ.  24,  360  bereits  tref- 
fend bemerkt  hat ,  daraus  zu  erklären ,  dass  der  Überarbeiter  hier  bereits  die  Edda- 
prosa benuzt  hat,  die  natürlich  den  mord  auf  Fäfnir  allein  schieben  muste,  da 
Regln  der  erzähler  ist.  Bemerkenswert  ist  noch ,  dass  in  U  Odin  den  fluch  spricht, 
in  X  wie  in  der  Eddaprosa  und  Vs.  Loki.  Die  strophe  Eegm.  6  deutet  den  Sprecher 
nicht  an,  denn  das  q.  l.  in  K  ist  keinesfals  ursprünglich.  Odin  gibt  den  ring, 
bedeckt  das  barthaar:  solte  nicht  auch  ihm  ursprünglich  der  fluch  zukommen?  Die 
erzählung  von  der  otterbusse  in  SE  war  gewiss  die  nächste  quelle  des  sam- 
lers:  hierin  stimme  ich  Wilken  s.  XXIX  fg.  bei.  Nach  dem  vorher  erörterten  war 
sie  also  jedesfals  mittelbar  die  quelle  der  Vs.;  es  wäre  indes  möglich,  dass  die  Vs. 
für  ihr  cap.  14  auch  direkt  aus  der  SE  geschöpft  hat.  Einzelne  Übereinstimmun- 
gen des  textes^  sind  für  diese   annähme  weniger  von  bedeutung  als  die  bemerkung 

1)  Die  kenning  otrgJQld  (nauögJQld  Asanna,  rögniälmr)  soll  erklärt  werden,  wei- 
ter nichts.     Vgl.  SE  1,  356.     II,  360. 

2)  Beachtenswert  ist  aber ,  dass  U  in  cap.  39  hie  und  da  ausführlicher  ist  als 
x:  ok  haföi  kann  ßegar  bana  SE  II,  359^  (auch  H) ;  kann  var  svd  margkunnigr  at  Kann 
var  stundwm  ßskr  i  vatni  359-3  =  hann  var  ßskr  i  vatni  x;  at  hann  skal  til  ganga 
ok  sjd  360"  =  at  hann  skal  sjd  x  An  andern  stellen  hat  aber  U  allerdings  auch 
gekürzt. 

3)  Wie  z.  b.  Vs.  114,  6  fgg.  at  hverjum  skyldi  at  bana  verÖa,  er  ßann  gullhring 
fctti  ok  svd  alt  gullit  vgl.  mit  SE  I,   3f)4,   9  fg.  at  sd  baugr  skyldi  vera  hvcrjuin  hqfudsbani 


ÜBER  PROP.  EDDA  ED.  WILKEN  105 

der  Vs.  114,  26  fg.  [liillit  er  sidan  Icallat  otrsfjjqld,  olc  her  äccmi  af  teMn.  Bugge 
liält  sie  für  einen  jüngeren  znsatz,  sie  kann  aber  auch  vom  sagasclireiber  herrüh- 
ren im  anschluss  au  SE  I,  356 1.     IT,  360".     So  auch  Wilken  s.  XXX  anm.  61. 

Ganz  anders  steht  es  mit  II.  Dieser  teil,  der  in  U  fehlt,  hat  zunächst  niclit 
blos  die  Eddalieder ,  sondern  die  samlung  entschieden'  benuzt.  Für  die  lassung  von 
cap.  40"  in  x  ist  dies  bereits  gezeigt.  Die  erzählung  von  der  tötung  F;ifnirs  gibt 
sich  deutlich  kund  als  ein  auszug  der  einleitenden  prosa  zu  Fäfnir.  Ich  setze  die 
stelle  her. 

Einl.  zu  F:ii"n.  (Hild.  s.  193):  SE  I,  358. 

Sifiurär  ok  Reginn  förn  upp  ä  Gnita-  Eptir  pat  förii  peir  Sicjurär  olc  Beg- 

heiäi  ok  hittu  [)ar  slöd  Fäfnis,  fa  er  inn  ä  Gnitalieiäi;  pd  gröf  Sigardr  grqf 
bann  skreid  til  outns.  par  goräi  Sig-  ä  veg  Fäfnis  ok  settisk  par  i.  Fm  er 
tirdr  grqf  inikla  ä  veginum  ok  gckk  Fäfnir  skreid  til  vatns ,  ok  kann  kom 
Sigurdr  par  i.  En  er  Fäfnir  skreid  yfir  grqfna,  pä  lagdi  Sigurdr  sverdinu 
af  guUiuu,  blos  bann  citri,  ok  braut  i  gqgnum  liann,  [ok  var  pat  bans  bani.J 
pat  fyr  ofan  b^fud  SigurSi.  En  er  Fäf- 
nir skreid  yfr  grqfna ,  pa  lagdi  Sigurdr 
hami  med  scerdi  til  hjarta. 

Der  Überarbeiter  der  Skälda  hat  deutlich  die  beiden  mit  en  er  Fäfnir  skreM 
beginnenden  sätze  z.  6.  9  zu  einem  zusammengezogen  *  und  hat  überdies  aus  dem 
pä  er  hann  skreid  til  vatns  z.  3  das  til  vatns  entlehnt.  Es  wird  dies  beispiel 
genügen.  Bugge  N.  F.  s.  XXX  findet  es  mit  recht  auffallend ,  dass  die  erwachende 
walkyre  sich  SEI,  360  Hilde  nent,  nicht,  wie  in  R,  Sigrdrifa.  Die  identificierung 
von  Brynhild  und  Sigrdrifa  ist  möglicherweise  im  anschluss  an  die  "Vs.  vorgenom- 
men. Wenn  es  aber  in  der  SE  heisst :  pä  vaknadi  hon  ok  nefndisk  Hildr  (vgl. 
Helr.  Brynh.63);  hon  er  kqllud  Brynhildr  ok  var  valkyrja ,  so  sehe  ich  hierin 
eine  bisher  nicht  beachtete,  aber  wahrscheinliche  bestätigung  von  Svend  Grundt- 
vigs  geistvoller  Vermutung,  dass  Helr.  Brynh.  7^10  fälschlich  aus  Sgrdr.  in  dies 
lied  hineingeraten  seien  (Edda'-'  230'';  Bugge  N.  F.  s.  416). '^  Nur  füge  ich  hinzu, 
dass  auch  str.  6  in  volständigerer  und  besserer  gestalt  einmal  zu  Sgrdr.  gehört  hat; 
so  wird  der  Überarbeiter  von  x  das  lied  in  der  von  ihm  benuzten  recension  der 
samlung  gekaut  und  daher  den  namen  Hildr  in  seinem  auszug  hinzugefügt  haben. 
Dadurch  gewänne  auch  die  identificierung  von  Brynhild  und  Sigrdrifa  in  Vs.  und 
SE  einen  anhält.  Die  Vermehrung  von  Gjukis  familie  durch  eine  sonst  unbekante 
tochter  Gudny  SE  I,  360  vermag  ich  allerdings  aus  der  benutzung  der  samlung 
nicht  zu  erklären.  Dass  eins  der  verlorenen  lieder  den  namen  bot,  ist  unwahr- 
scheinlich, da  weder  Vs.  noch  Gripisspä  ihn  kennen.  Ist  sie  eine  Variante  der 
Gulh-Qud  Gudr.  I,  12  fgg.?  vgl.  HS'^  359.  Für  die  erzählung  von  Gudruns  Selbst- 
mordversuch, den  Schicksalen  der  Svanhild  und  der  söhne  Jonakrs  (SE  I,  366  fgg.) 
ist  ausser  den  liedern ,  die  diesen  teil  der  sage  behandeln,  die  prosa- einleitung  zu 
Gudr.  hvQt   benuzt,    wie   ich  gegen   die   von  Bugge  N.  F.  s  XXXI  ausgesprochene 

er  dtti  (==  at  sä  baugr  skyldl  veröa  at  bana  hverjum  er  cetti  U).    Die  version  der  Vs.  solieint 
eine  Verschmelzung  des  satzes  dtr  SE  mit  Regm.  5  zu  bezwecken  (s.  oben  s.  100). 

1)  Durch  abirren,  also  unabsichtlich,  meint  Edzardi  Germ.  24,  358  anm.  1.  Sehr 
richtig  bemerkt  dieser  an  derselben  stelle,  dass  auch  das  aufwachsen  Sigurds  an  Hjalp- 
reks  hof  in  SE  auf  benutzung  der  Eddaprosa  deutet,  da  dieses  nur  einen  sinn  habe 
im  Zusammenhang  mit  der  vaterrache ,  von  der  SE  nichts  erwähnt. 

2)  Wilken  s.  LXXXIX  anm,  10  leugnet  sie. 


106  STMONS 

ansieht  annehmen  rauss.  Aber  schon  die  besondere  ausführlichkeit  beweist ,  dass 
hier  dem  Überarbeiter  noch  andere  quellen  vorlagen;  der  lezte  kämpf  der  brüder 
mit  den  mannen  jQrmuureks  ist  nach  der  Eagnarsdräpa  behandelt  (vgl.  auch  Bugge 
in  dieser  ztschr.  7,  384). 

Weniger  zuversichtlich  als  benutzung  der  samlung  behaupte  ich  für  den  teil  II 
der  SE  auch  kentnis  der  Vs.  Diese  habe  ich  Beitr.  III,  211  zu  erweisen  gesucht 
durch  vergleichung  der  erzählung  von  Gunnars  ende  in  beiden  quellen  (SE  1 ,  364, 
wozu  ich  aber  die  noch  genauer  stimmende  fassung  von  le./J  SEII,  574  hätte 
halten  sollen, ^  und  Vs  cap.  37,  B.  178,  5  fgg.)  Indes  Hesse  sich  die  darstellung  der 
SE  zur  not  auch  ausschliesslich  aus  benutzung  von  Atlm.  63  erklären,  wenngleich 
wesentliche  züge  sich  auch  in  Akv.  32.  Oddr.  29.  Drap  Nifl.  (Hild.  239,  15  fg.) 
finden.  Aus  diesen  vier  berichten  hat  die  Vs.  ihre  erzählung  zusamraengesezt.  ^ 
Wahrscheinlich ,  aber  nicht  unbedingt  nötig  ist  es ,  dass  SE  wider  aus  ihr  geschöpft 
hat.  —  Auf  einzelne  Übereinstimmungen  in  kleinigkeiten,  wo  SE  näher  zu  Vs. 
steht,  als  zu  R  möchte  ich  weniger  gewicht  legen.  Auch  will  ich  über  den  teil 
der  erzählung  der  SE,  der  mit  der  grossen  lücke  in  R  zusammentritt,  hinweg- 
gehen ,  da  ich  den  sorgfältigen  und  erschöpfenden  Zusammenstellungen  von  Edzardi 
Germ.  24,  359  nichts  hinzuzufügen  hätte.  Da  R  hier  nicht  zu  vergleichen  ist,  las- 
sen sich  die  dort  angeführten  Übereinstimmungen  von  Vs.  und  SE  (sowie  Grip.  und 
Sig.  III,  1  —  4)  zunächst  nur  auf  gemeinsame  benutzung  des  verlorenen  teils  der 
samlung  zurückführen. 

Dagegen  —  auch  darauf  hat  bereits  Edzardi  hingewiesen  —  scheint  SE  I,  366 
die  erzählung  der  Vs.  von  Atlis  tod,  die  aus  einer  Vermischung  von  Akv.  und  Atlm. 
entstanden  ist,  gekant  zu  haben.  Wie  in  der  Vs.,  lässt  auch  der  Überarbeiter  den 
Atli  töten  von  Gudrun  und  dem  söhn  Högnis  nach  Atlm. ,  dann  aber  die  halle  ver- 
brennen ,  nach  Akv.  Die  Versöhnung  und  bestattung  hat  er  aber  verständiger  weise 
fortgelassen.  Beweisend  ist  auch  dies  zusammentrelFen  nicht.  Auch  die  identifi- 
cierung  von  Brynhild  und  Sigrdrifa  kann  ganz  wol ,  wie  im  Np ,  ein  selbständiger  griff 
des  bearbeiters  sein,  obgleich  man  natürlich  auch  hier  geneigt  ist,  an  den  Vorgang 
der  Vs.  zu  denken  (vgl.  Beitr.  III,  255  —  62).  Dagegen  ist  von  grosser  bedeutung 
die  eiufülirung  der  Äslaug  (SE  I,  370  eptir  Sigurd  svein  lifdi  döttir  er  Aslaiig  het, 
er  fcedd  rar  cd  Ileimii^  i  Hlymdqlum ,  ok  eru  padan  eettir  komnar  störar).  Wie 
schon  Beitr.  III,  211  behauptet  worden  ist,  deutet  diese  stelle  unverkenbar  auf 
kentnis  der  Vs.  in  Verbindung  mit  der  Ragnarssaga  in  der  form ,  wie  unser  codex 
sie  bietet.  Wilken  scheint  dies  s.  XV  zu  bestreiten:  ich  sage  ,, scheint,"  denn  der 
satz,  in  dem  er  sich  über  unsere  frage  auslässt,  ist  wider  so  gewunden  und  unklar, 
dass  ich  ihn  nicht  ganz  verstehe.  Unters.  142  findet  Wilken  die  nachträgliche 
erwähnung  der  Aslaug  in  r  zwar  unpassend,  meint  aber,  dass  diese  unzuträglich- 
keit verschwinde  durch  die  vergleichung  von  le/^,  wo  es  schon  am  Schlüsse  von 
c.  41  heisst:    ej)tir  Sigurd  svein  lifdi  eptir  döttir  er  Aslaug  het;   hon  var  uppfcedd 

1)  Vgl.  namentlich  das  in  r  fehlende  en  svä  lek  kann  hqrpuna  in  l&ß  mit 
Vs.  178,  11. 

2)  Vgl.  Beitr.  III,  244.  Auf  die  nicht  sachlichen  einwendungen  Wilkens  s.  LXV  fg. 
gegen  die  dort  gegebene  darstellung  einzugehen,  sehe  ich  mich  nicht  veranlasst.  Das- 
selbe unsichere  schwanken  zwischen  allerhand  möglichkeiten  ohne  irgend  einen  leiten- 
den gedanken,  das  Wilkens  eiuleituug  allerwärts  kenzeichnet,  vertritt  auch  hier  die 
stelle  einer  geordneten  Widerlegung.  Ein  gereizter  und  herrischer  ton  kann  diesem 
mangel  natürlich  nicht  abhelfen. 


ÜBER  PROS.  EDDA  KD.  WILKEN  107 

at  Heimis  i  Hlymdqliim  oli  erii  pacfan  Jwnmar  attir  slörar  (SE  II,  573).  Ich 
bestreite  nicht,  dass  leß  der  gemeinsamen  vorläge  näher  steht  als  r  (Edzardi  Germ. 
21,  446.  Wilken ,  Unters,  s.  48  fgg.) ,  auch  hier  das  richtige  haben  mag,  obgleich 
die  unmittelbar  folgende  erwähnung  der  Vqlsnnga  drekJca  in  1  eß  nicht  weniger 
unpassend  eingefügt  ist  als  an  der  späteren  stelle  in  r,  und  jene  Hs.  die  unzu- 
träglichkoit  verschlimmert  hat  durch  weglassung  der  halbstro])he  Bragis.  Auf  die 
Stellung  des  satzes  komt  es  aber  überhaupt  weniger  an.  Im  ersten  teil  meiner 
Unterss.  über  die  Vs.  habe  ich  nachzuweisen  gesucht  (Beitr.  III,  200 — 15),  dass 
Vs.  und  Ragnarss.  ein  ursprüngliches  ganze  bilden ,  und  dass  die  anknüpfung  von 
Eagnars  geschlecht  vermittelst  der  Aslaug  an  die  Völsunge  eine  erfindung  des  Ver- 
fassers dieser  Y^lsunga-Ragnarssaga  ist.  ,,In  der  künstlichen  hofgenealogie,  die 
den  nachkommen  des  Harald  härfagri  ihre  nicht  übergrosse  legitimität  versüssen 
solte,  bildet  diese  erdichtung  gowissermassen  die  zweite  stufe."  (a.  a.  o.  s.  213). 
Die  Zusammengehörigkeit  der  Vs.-Ragn.  s. ,  die  auch  Storni,  Ragnar  Lodbrok  s.  109 
und  Edzardi  Germ.  24,  356*  behaupten,  hat  Wilken  s.  XII  fgg.  besprochen.  Er 
hält  eine  sonderexistenz  der  Vs.  s.  ohne  Ragn.  s.  für  wahrscheinlich,  da  auf  eine 
solche  als  Sigurdarsaga  angespielt  werde  im  Nj)  c.  5  ex.  (B.  65 ,  5)  und  wol  auch 
im  Hättatal  c.  111  (SE  I,  646).  Während  die  erwähnung  der  Sigurdars.  an  lezterer 
stelle  zu  nichts  verwendbar  ist,"^  wird  für  erstere  noch  gezeigt  werden,  dass  nicht 
Vs.  gemeint  ist,  sondern  der  ursprünglich  selbständige  teil  der  liedersamlung,  der 
die  Schicksale  Sigurds  erzählt.  Dass  aber  die  litterarische  fiction  der  Aslaug  als 
tochter  des  Sigurd  und  der  Brynhild  von  unserem  sagaschreiber  herrührt ,  ist  Aveder 
von  Wilken^  noch  meines  wissens  bisher  von  sonst  jemand  geleugnet.''  Ich  sehe 
in  der  Aslaugsage  eine  alte  (auch  in  Deutschland  bekante?  vgl.  Grimms  KHM 
no.  94  und  Ili,  170  fgg.)  in  Norwegen  localisierte  sage,  die  der  sagaschreiber  für 
seinen  genealogischen  zweck  mit  Sigurd  in  Verbindung  gebracht  hat.  Den  näch- 
sten anlass  dazu  bot  ihm  die  ältere  Aslaug,  die  gattin  Ragnars,  und  die  Verbrei- 
tung des  namens  Sigurd  in  der  norwegischen  königsfamilie.  So  lauge  diese  ansieht 
nicht  entkräftet  ist  —  und  es  kann  nicht  in  meiner  absieht  liegen ,  die  gründe, 
die  mich  zu  ihr  geführt  haben,  hier  zu  widerholen  —  wird  es  wol  die  nächstliegende 
annähme  bleiben  ,  dass  der  Überarbeiter  der  Skälda  seine  kentnis  von  Aslaug  und 
ihren  nachkommen  {ok  eru  paäan  cettir  komnar  störar)  der  VQlsunga-Ragnarssaga 
verdankt.  Und  damit  zusammengehalten  gewinnen  auch  die  ferneren  oben  bespro- 
cheneu Übereinstimmungen  zwischen  Vs.  und  Skälda  cap.  40''  —  42,  obgleich  au  sich 
nicht  gerade  schlagend,  eine  erhöhte  bedeutung  und  machen  es  wahrscheinlich, 
dass  der  Überarbeiter  der  SE  ausser  der  liedersamlung  für  seine  darstellung  der 
Völsungensage  auch  die  Vs.  benuzt  hat. 

S.  LXXVII— LXXX  handelt  Wilken  über  das  Verhältnis  der  Vs.  zur  pidreks- 
saga.  Ich  habe  bereits  bemerkt  (oben  s.  83  fg.),  dass  ich  meine  beurteilung  dieses 
Verhältnisses  Beitr.  III,  263  fgg.  als  unrichtig  erkant  habe  und  zurücknehme,  und 
dass  ich  jezt  mit  Storm  Nye  Studier  s.  18  fg.  (Aarb.  1877,  s.  314  fg.)  und  Edzardi 
Germ.  23,  75  anm.    die   schon   früher  von  Bugge  ausgesprochene  ansieht   vertrete, 

1)  Lezterer  führt  eine  anzahl  von  berührungen  in  stil  und  Sprachgebrauch  zwi- 
schen beiden  sagas  an,  auf  die  ich   verweise. 

2)  Ebensowenig  die  stelle  Fms.  V,  210.     Vgl.  noch  Wilken  s.  LXXXl  fg. 

3)  Vgl.  Unters,  s.  142  anm.  11. 

4)  Ich  darf  mich  der  hofnung  hingeben,  dass  auch  Gustav  Storm  diese  ansieht 
jezt  teilt  (entgegen  der  Eagnar  Lodbrok  s.  100  ausgesprochenen). 


1 08  SYMONS 

wonach  die  beiden  sagas  gemeinsamen  stücke  ursprünglich  der  ps.  angehören  und 
aus  dieser  in  Vs.  entlehnt  sind.  Wilken  trent  cap.  22  (=  ps.  c.  185)  in  seiner 
beurteil iing  von  den  anderen  gemeinsamen  stellen.  Jenes  betrachtet  er  mit  P.  E. 
Müller  SB  II,  66  als  eine  jüngere  Interpolation ,  während  er  diese  für  unwilkürliche 
Übereinstimmungen  zu  halten  scheint,  die  in  der  Vs.  nach  „nordischer  volksorinne- 
rung"  kürzer,  in  der  ps.  nach  ,, deutschen  gewährsmännern  weitläuftiger  und 
genauer"  widergegeben  sind.  Im  grossen  und  ganzen  erscheint  ihm  aber  die  Vs. 
als  die  ältere  saga.  und  Wilken  sucht  durch  eine  sehr  gezwungene  deutung  der 
Worte  en  sumt  med  hveäslcap  die  bekanten  angaben  des  prologs  zur  ps.  auf  unsere 
Vs.  zu  beziehen.  Es  liegt  wol  auf  der  band,  dass  die  übereinstimmenden  partien 
in  Vs.  und  ps.  gleich  zu  beurteilen  sind.  Gehört  c.  22  der  Vs.  ursprünglich  der 
ps.  an,  was  ich  nicht  mehr  bezweifle,  so  müssen  wir  für  die  anderen  stellen 
(B.  158,  17  fgg.  162,  11  fgg.  169,  9  fgg-)  dasselbe  annehmen.  Da  aber  diese 
stellen  niclit  aus  dem  Zusammenhang  entfernt  wei  den  können ,  wii-d  auch  c.  22 
nicht  von  einem  interpolator,  sondern  vom  sagaschreiber  eingefügt  sein.  Mit  ande- 
ren werten ,  wir  müssen  an  dem  von  Bugge  N.  F.  s.  XXXV  über  das  Verhältnis 
beider  sagas  bemerkten  festhalten.  —  Wie  bereits  oben  s.  93  gezeigt  wurde,  sind 
überhaupt  Wilkens  ansichten  über  die  ps.  sehr  eigentümlich.  Sie  soll  in  der  lie- 
dersamlung  benuzt  sein  (vgl.  auch  Gott.  gel.  anzz.  1878,  s.  86),  ja  sogar  in  einem 
der  lieder  selber,  Gudrünarkvida  III.'  Dabei  wird  die  möglichkeit,  die  notwen- 
digkeit  darf  man  wol  sagen,  einer  jüngeren  eiuwanderung  deutscher  sage  in  den 
norden  ganz  übersehen,  wie  sie  nicht  nur  Gudr.  UI,  sondern  namentlich  auch  die 
Atlilieder  voraussetzen  (oben  s.  96  fg.). 

Kürzer  als  die  über  die  Vs.  ist  Wilkens  Untersuchung  über  den  Np  (s.  LXXXV 
-  CHI).  Leider  kann  ich  mich  mit  ihren  resultaten  ebensowenig  einverstanden 
erklären  wie  mit  den  soeben  besprochenen  über  die  Vs.  Dieselbe  falsche  grund- 
anschauung  beherscht  auch  diese  Untersuchung.  Während  ich  über  die  benutzung  der 
Eddalieder  in  Nf)  mich  bereits  oben  ausgesprochen  habe  (s.  88  fgg.),  soll  hier  das 
Verhältnis  zur  samlung  und  zur  Vs.,  die  Wilken  in  §§  15—17  bespricht,  noch  kurz 
ins  äuge  gefasst  werden.  Wilken  behauptet  auch  hier,  dass  nicht,  wie  bisher  wol 
jeder  annahm,  Np  die  samlung,  sondern  umgekehrt  die  samlung  den  Np  benuzt 
hat  (vgl.  s.  CVII) ,  insofern  nämlich  die  Übereinstimmungen  in  beiden  quellen  nicht 
aus  gemeinsamer  benutzung  der  vermuteten  Sigurdarsaga  zu  erklären  sind  (vgl. 
s.  CIV).  Ferner  soll  aber  der  Np  die  uns  erhaltene  redactiou  der  Vs.  (wahrschein- 
lich schon  verbunden  mit  der  Kagn.  s.)  gekant  haben ,  auf  welche  der  Verfasser 
c.  5  ex.  hinweise  mit  den  worten  sein  segir  i  sqyu  Siguräar  (B.  65,  5).  Erwägt 
man  nun ,  dass  nach  Wilkens  ansieht  die  Vs.  nur  eine  jüngere  recension  der  alten 
Sigurdarsaga  ist,    so  hätte  der  Verfasser  des  Np    die   ältere  und  jüngere  recension 

1)  Ich  will  dabei  ganz  übersehen,  dass  s.  CVII  in  niclit  sehr  methodischer  weise 
lieder  und  samlung  der  lieder  zusammengeworfen  werden.  Gewiss  ist  Guör.  III  der 
jüngsten  lieder  eines  (vgl.  Jessen,  Eddalieder  s.  59,  Edzardi  Germ.  23,  340  fg.  Anders, 
aber  gewiss  unrichtig,  MüUenhotf  Zs.  für  deutsch,  alt.  10,  172  fg.  und  Martin  DHB  II, 
xiv),  aber  es  wird  keinem  menschen  einfallen,  es  bis  in  die  zweite  hälfte  des  13.  jhs. 
hinabzurücken.  Schon  die  nameusform  pjoörekr  (vgl.  E.  Koch,  die  Nibelungensage ^ 
s.  51  l'g.  Edzardi  Germ.  23,  86)  und  ebenso  die  form  Rerkja,  den  piörekr  und  Erka 
der  ps.  gegenüber,  würden  es  verbieten,  an  einen  einfluss  der  piörekssaga  zu  denken. 
Üb  Konrad  Maurer  in  dieser  Zs.  2,  444  die  Guör.  III  mit  recht  ins  11.  jh.  sezt,  wage 
ich  noch  nicht  zu  entscheiden. 


ÜBER  PROS.  EDDA  ED.  WILKEN  109 

derselben  saga  iiebeneiiuuiJer  benuzt.  Allerdinj^s  wird  es  nirgendwo  reibt  klar, 
ob  Wilken  sich  diese  allen  Schwierigkeiten  abhelfende  Sigurctarsaga  als  nur  in 
niündlicbor  Überlieferung  lebend  ^  oder  in  schriftlicher  aufzeichnung  neben  der  Vs. 
bestehend  vorstelt.  Ferner:  nach  Wilkens  darstellung  hat  die  samlung  neben  der 
Vs.  den  Njj  benuzt  (s.  CVIl.  anm.  10),  andererseits  aber  soll  N[)  die  Vs.  benuzt 
haben  (s.  XIV.  XCVIII) ,  und  alle  drei  quellen  haben  wider  gemeinsam  die  alte 
Sigurdarsaga  benuzt  (s.  VIY).  Das  wäre  ja  an  und  für  sich  alles  möglich:  welche 
unnatürlichen  coniplicationeu  werden  aber  hier  dem  leser  zugemutet! 

Dass  zunächst  die  alte  ansieht,  dass  die  samlung  dem  N[)  vorgelegen  hat, 
die  einzig  richtige  und  mögliche  ist,  wird  nach  dem  für  das  ähnliche  Verhältnis 
zwischen  samlung  und  Vs.  bemerkten  kaum  noch  einer  umständlichen  erörterung 
bedürfen.  Auch  hier  wäre  schon  die  erzähliing  Gcsts  von  Eegin  und  Sigurd  bewei- 
send. Diese,  die  hier  dem  Nornengast  in  den  mund  gelegt  wird,  ist  natürlich 
demgemäss  eingerichtet,  und  übergeht  den  bex-icht  von  der  otterbussc  begreiflicher- 
weise gänzlich.  Ich  will  den  inhalt  von  cap.  3  —  5  und  8 ,  denn  nur  diese  vier 
kommen  in  betracht,  in  gedrängter  kürze  auf  die  Übereinstimmungen  mit  der  sam- 
lung hin  prüfen.  Der  anfang  von  c.  III  (B.  55,  1  15)  entspricht  im  algemeinen 
der  prosa  frä  dauda  Sinfiqtla  nach  einer  algemein  gehaltenen,  durch  die  einklei- 
dung  bedingten  einleitung.  Dass  der  Verfasser  dies  prosastück  ganz  gekaut  hat, 
und  nicht  blos  den  getreu  nachgeschriebenen  schluss,  wird  wahrscheinlich  durch 
55,  10—12,  die  E  175,  1  fgg.  (Hild.)  entsprechen.  Daran  schliesst  sich  unmittel- 
bar (55,  15 — 56,  1)  eine  im  ganzen  getreue  widergabe  der  verwendbaren  werte 
aus  der  prosaischen  einleitung  zu  Eegm.  (Hild.  186,  2  —  6).  Dort  heisst  es  dann 
hann  [Reginn]  sagäi  Sigurdi,  frä  ....  ßeim  atbiiräum,  at  Oäinn  olc  Hcenir  usw., 
und  es  folgt  die  erzählung  von  der  otterbusse.  Diese  zu  berichten  lag  nicht  im 
plane  desNp,  der  also  lakonisch  schliesst  ok  svä  atbnräiom  undarligum.  56,  1 — 4 
sind  auf  Gest  bezüglicher  zusatz.  Cap.  IV  gibt  in  den  ersten  Zeilen  (B.  56,  5  fg.) 
R  189,  1  fgg.  (prosa  vor  Eegm.  13)  wider,  citiert  Eegm.  13.  14  und  erzählt  57,  5—12 
das  schmieden  des  schwerts,  fast  wörtlich  nach  der  prosa  vor  str.  15,'^  die  citiert 
wird.  Die  Vorbereitungen  zur  vaterrache  werden  57,  21  —  59,  12  weit  ausführlicher 
berichtet  als  in  der  samlung.  Doch  sind  vielleicht  einzelne  früJiere  andeutungen 
verwertet  (frä  daud.  Sinf.  Helg.  Hund.  I,  14  und  II  prosa  vor  13).  Über  die  namen 
der  von  Sigurd  erschlagenen  Huudingssöhne  in  N{i  vgl.  Wilken  XC  fg.  anm.''  .\i\ 
benutzung  anderer  quellen  als  der  samlung  ist  nicht  zu  denken:  die  erfindung  des 
Nf>  ist  sehr  übel.  Eegm.  16-25  werden  citiert;  die  dazwischeustchende  prosa 
60,  19  61,  4  ist  etwas  wortreicher  als  die  der  samlung  zwischen  str.  18  und  19. 
Die  Schlachtbeschreibung  63,  7  65,  1  (dazwischen  Eegm.  26)  ist  recht  ausführ- 
lich, aber  nach  den  andeutungen  von  E  192,  1  —  5  frei  und  keineswegs  geschickt 
ausgeführt.  Mit  der  darstellung  der  Vs.  cap.  17  zeigt  sie  gar  keine  Übereinstim- 
mung: weshalb  N|),  hätte  er  die  Vs.  gekaut,  es  vermieden  haben  solte,  ,,die  schon 
etwas  stereotyp    gehaltene   Schilderung  der  Vs.  noch   einmal  zu  copieren"    (Wilken 

1)  Überhaupt  lässt  sich  von  einer  mündlichen  saga  nicht  reden:  das  eigentüm- 
liche der  saga,  im  gegen.satz  zur   sage  (sQgn)   ist  ja  gerade  die  schriftliche  aufzeichnung. 

2)  Der  satz  über  den  üegishelm  ist  allerdings  nicht  verwertet  (Hild.  190,  4  fgg.). 
Wilken  s.  XCII,  anm.  18. 

3)  Die  ganze  Verbindung  Sigurds  mit  den  Hundingssöhnen  scheint  mir  eine  jün- 
gere verAvirrung  unter  einfluss  der  Helgisage,  wie  ich  Beitr.  IV',  188  fg.  zu  zeigen  ver- 
sucht habe.     Vgl.  auch  MüUenhotf,  Zs.  für  deutsch,   alt.  23,   138  fg. 


110  STMONS 

XCIII)  ist  niclit  abzusehen.  Dann  wird  05.  1 — 5  in  aller  Iciirze  hingewiesen  auf 
die  tötung  des  drachen  und  des  zwergs ,  die  erwerhung  des  hortes  und  den  bosucli 
bei  Brynliild ,  die  also  auch  hier  mit  Sigrdrifa  zusammengeworfen  wird.  Für 
die  weitere  sage  verweist  der  Verfasser  auf  die  darstellung  der  gleich  näher 
zu  erörternden  Siguräarsaga.  —  Cap.  VI  und  VII  behandeln  abenteuer ,  die 
hier  nicht  zu  untersuchen  sind.i  —  In  cap.  VIII  wird  dann  Sigurds  tod  erzählt: 
die  Version  der  tütung  im  bette  gilt  für  die  algeraeiu  angenommene,  auf  die 
abweichenden  relationen  wird  68,  19-69,  4  hingewiesen  in  nahezu  wörtlicher 
anlehnung  an  die  prosa  frä  dauda  Sigurdar  nach  Brot  af  Sig.  Für  die  wei- 
tere darstellung  des  todes  der  Bryuhild  sind  sicher  benuzt  die  prosaische  uach- 
schrift  zu  Gudr.  I  (69,  5  —  7)  und  die  pros.  einleitung  zu  Helr.  Brj^nh.  68,  8 — 10.  16). 
Die  erzählung  des  Nj)  ist  aber  ausführlicher  (69,  15  —  70,  8),  vgl.  Wilken  XCIV. 
Nun  folgt  die  Helreid  ganz  (70,  9  —  74,  21),  worauf  nach  einer  abschliessenden 
bemerkung  Olafs  der  Verfasser  in  cap.  VIII,  B.  75,  1  zur  erzählung  von  der  beab- 
sichtigten Romfahrt  der  Eagnarssöhne  übergeht.  —  Sieher  hat  der  sagaschreiber 
demnach  folgende  stücke  der  samlung  gekant:  die  prosa  frä  dauda  Sinfjötla  (den 
schluss  von  Hild.  176,  24  an),  die  einleitende  prosa  zu  Regm.  und  die  prosaischen 
stücke  vor  str.  13,  str.  15,  str.  16,  str.  19  und  str.  26  dieses  gedichts,  sowie  Regm. 
selbst  von  str.  13  an  in  derselben  Ordnung  wie  R;  ferner  die  prosaische  uachschrift 
zu  Brot  (Hild.  214,  6  fgg.) ,  die  prosaische  nachschrift  zu  Gudr.  I  (Hild.  220,  6  fgg.), 
die  prosaische  einleitung  zu  Helr.  Brynh.  (Hild.  236,  1  fgg.)  und  dieses  gedieht 
ganz.  Dass  er  auch  den  aufang  des  Sinfjotlalok  gekant  hat,  ist  mir  wahrschein- 
lich (vgl.  NJ)55,  10  fgg.  =  R  175,  1  fg.,  und  58,  4  —  6),  aber  nicht  gewiss.  Er 
kennt  die  Helgisage  (55,  11.  58,  8 —  13):  ob  aber  die  erhaltenen  Helgilieder,  ist 
wider  ungewiss.  Er  ist  ferner  wol  unterrichtet  über  den  teil  der  sage,  der  zwi- 
schen Sigurds  vaterrache  und  seiner  ermordung  mitten  inne  liegt.  Er  erwähnt  die 
tötung  Fafnirs  und  Regins,  die  erwerhung  des  hortes,  die  erweckung  der  Sigrdrifa - 
Brynliild  auf  Hindarfjall ,  die  Vermählung  mit  Gudrun  (65,  1  —  7),  lehnt  aber  die 
erzählung  dieser  begebenheiten  ab ,  offenbar  weil  Nornagest  an  ihnen  sich  nicht 
wol  beteiligt  haben  konte,  und  verweist  für  ihre  darstellung  auf  die  sagn  Sujnräar. 
Was  meint  der  sagaschreiber  nun  mit  jener  Sigurdarsaga?  Diese  frage  ist 
zunächst  zu  beantworten.  Bugge  hatte  in  den  anmerkungen  zu  Nf)  die  Volsunga- 
saga  darunter  verstanden,  wenn  auch  nicht  gerade  in  der  erhaltenen  redaction: 
dagegen  bezieht  er  sie  N.  F.  s.  XLIII  auf  die  samlung,  welche  wir  Ssemundar- 
Edda  zu  nennen  pflegen.  ^  Wilken  s.  XCVIII  (vgl.  s.  XIV)  hält  an  Bugges  erster 
deutung  fest  (s.  auch  P.  E.  Müller  SB  2.  113,  der  sich  jedoch  viel  weniger  bestirnt 
über  eine  benutzung  der  Vs.  auslässt ,  als  Wilken  behauptet) :  er  erweitert  sie 
sogar,  indem  er  auch  nicht  einmal  an  eine  andere  recension  der  Vs.  als  die  uns 
erhaltene  glaubt  denken  zu  müssen,  also  auch  bereits  verbunden  mit  der  Ragnars- 
saga.  Neuerdings  hat  auch  Müllenhoff  Zs.  f.  deutsch,  alt.  23,  113  sich  in  dersel- 
ben weise  ausgesjirochen :  seiner  ansieht  nach  gibt  N{)  nur  eine  nachlese  zur  Vs. 
Müllenhoff  stelt  diese  auffassung  als  selbstverständlich  hin :  mir  aber  scheint  sie 
nichts  weniger    als  selbstverständlich,    nicht  einmal  wahrscheinlich   oder  auch  nur 

1)  Für  Sigurds  kämpf  gegen  die  Gandall'ssöhne  verweise  ich  auf  Beitr.  HI,  276 
anm.  1   und  die  dort  augtführte  ILtteriitur.     Vgl.  auch  Wilken  XCIII. 

2)  Bugges  Worte  lauten:  ,,IIervcd  har  han  rimelig  en  nedskreven  frenistilling  af 
Sigurds  liv  for  öie;  man  da  der  ellers  intet  spor  er  til ,  at  hau  har  kjendt  Volsunga- 
saga,  synes  det  rimeligere ,  at  herved  mene.s  de  meddelelser  i  banden  og  ubunden  form 
om  Sigurd,  som  indeholdes  i  den  samliug ,  vi  kalde  Süeniundar-Edda." 


ÜBER  PROS.  EDDA  ED.  WII.KEN  111 

naheliegend  zu  sein.  Per  sagascliveüjev  hat  für  die  teile  der  sage,  von  denen  er 
uns  berichtet,  unleugbar  die  Vs  nicht  benuzt,  sondern  die  Eddaprosa.  Schon 
dadurch  wird  es  glaublich,  dass  er  auf  deren  weitere  darstellung  mit  der  Sigurflar- 
saga  verweist.  Wilken  meint  freilich  s.  XIV,  anm.  15,  dass  die  eddischen  lieder 
mit  verbindender  pros;i  nicht  als  eiue  saga  Sigiirdar  gelten  können.  So  gefasst, 
allerdings  kaum.  Viel  weniger  aber  kann  es  die  Volsungasaga,  wie  sie  uns  vor- 
liegt, die  von  43  capiteln  nur  cap.  13  —  30  (resp.  31),  also  nicht  einmal  die  hälfte, 
dem  öigurd  widmet.  Wilken  muss  denn  auch  annehmen ,  dass  unsere  Volsunga- 
saga in  älterer  gestalt,  ausser  dass  sie  nicht  mit  der  Ragnarssaga  verbunden  war, 
auch  ohne  die  acht  ersten  capitel  existiert  hat;'  in  der  jüngeren  redaction,  die 
dem  Nf»  vorgelegen  haben  soll ,  soll  dann  die  saga  neben  dem  neuen  auch  noch 
den  alten  namen  Sigurdarsaga  weitergeführt  haben.  Man  müste  aber  viel  weiter 
gehen  und  auch  annehmen,  dass  diese  ältere  saga  auch  ohne  cap.  9.  10  und  nament- 
lich ohne  die  ganze  schlusspartie  c.  32  —  43  existiert  hätte.  Nur  auf  eine  solche 
würde  der  narae  Sigurdarsaga  anwendbar  ge-wesen  sein,  nicht  aber  auf  unsere  Vs., 
auch  nicht  in  der  von  Wilken  vermuteten  älteren  gestalt. 

Um  die  berufung  des  NJ)  auf  eine  Sigurdarsaga  zu  erklären,  muss  ich  mich 
einer  ansieht  Edzardis  anschliessen,  die  dieser  bereits  widerliolt  und,  wie  mir 
scheint,  mit  gutem  gründe  geäussert  hat  (Germ.  23,  18G  ig.  24,  350.  3(!2  fg.). 
Edzardi  glaubt,  dass  die  Sigurdslieder  in  R  einen  abschnitt  für  sich  bilden,  der 
Hild.  176,  24  anhebt  und  ursprünglich  bis  zur  prosa  von  Helr.  Brynh.  reichte. 
Eine  fortsetzung  dieses  abschnitts  bildet  die  weitere  prosa  bis  vor  Gudr.  III.  Die- 
ser abschnitt,  die  Sigurdarsaga,  bestand  wahrscheinlich  schon  vor  unserer  samlung 
und  ward  dieser  als  ganzes  eingefügt,  jedoch  so,  dass  der  Vorrat  an  liedstrophen 
vom  samler  beträchtlich  erweitert  worden  ist.  Aber  es  können  bereits  vor  der  ein- 
fügung  in  die  samlung  die  Strophen  die  prosa  weit  überwogen  haben,  wie  die 
Hälfssaga  und  Hervararsaga  zeigen.  Andererseits  macht  es  Edzardi  glaublich,  dass 
der  Verfasser  der  Sigurd.  s.  mit  den  Worten  svä  sein  secfir  i  Sigurdarkvidu  inni 
sTcqmmw  (Hild.  220,  9  fg.)  ursprünglich  nur  auf  Sig.  sk.  42  fgg.  hingewiesen  und 
nur  diese  citiert  haben  wird.  Erst  der  samler  ergänzte  den  anfang  des  liedes,  wie 
ähnlich  die  SE  ursprünglich  nur  den  anfang  des  Grottasöngr,  die  Hkr.  nur  den 
anfang  der  Häkonarmäl  hat  eitleren  wollen  (vgl.  Möbius  Edda  s.  IX) ,  die  dann  ein 
späterer  abschreiber  vervolständigt  hat.  Diese  ansieht  Edzardis  ist  allerdings  vor- 
läufig nur  eine  hypothese,  aber  eine  wolbegründete  und  ansprechende  hypothese. 
Ein  diplomatisch  getreuer  abdruck  des  betreffenden  abschnitts  von  R,  dem  wir  wol 
bald  entgegensehen  dürfen,  wird  notwendig  sein,  bevor  in  dieser  frage  das  lezte 
wort  gesprochen  Averden   kann.''^     Unleugbar  aber   gewint  Edzardis  Vermutung  eine 

1)  Über  die  ursprüngliche  Verbindung  von  Vs.  und  Rs.  vgl.  oben  s.  107.  Über 
die  von  mir  bestrittene,  von  Wilken  im  anschhiss  an  Möbius  wider  vermutete  ältere 
vecension ,  die  den  rimur  vorgelegen  haben  soll,  habe  ich  dem  Eeitr.  IIl,  202  fgg. 
bemerkten  nichts  hinzuzufügen,  da  Wilken  keine  wesentlich  neuen  gründe  vorbringt. 

2)  Doch  beachte  man  vorläufig  folgendes.  Die  prosa  in  R  Hild.  176,  24  — 
236,  9  bietet  eine  zusammenhängende,  fortschreitende  erzählung ,  von  Signrtls  geburt 
bis  Brynhilds  tod.  Dass  der  samler,  namentlich  in  der  prosa  der  Regm.,  interpoliert 
hat,  ist  glaublich.  Die  einleitende  prosa  zu  Fdfn.  ist  in  R  ebensowenig  von  der  schluss- 
prosa  der  Regm.  getrent,  wie  Sgrdr.  und  Fäfn.  Während  Sgrdr.  überhaupt  keine  Über- 
schrift hat,  hat  R  einen  titel  fra  daupa  f  unmittelbar  vor  VMn.  str.  1.  Ebenso  folgt 
die  prosa  zu  Guör.  I    ohne    trennungszeiehen    auf  die    schlussprosa  von   Drot,    und  erst 


112  SYMONS,    ÜBER   PROS.    EDDA    ED.    WILKEN 

kräftige  stütze  und  zugleich  eine  erliöhte  bedeutuiig  durch  das  citat  des  N[».  Die 
sicher  benuzten  stücke  der  samlung  gehören  alle  zu  jenem  wahrscheinlich  früher 
für  sich  bestehenden  teile,  der  die  Sigurdssage  behandelt.  Ebenso  diejenigen  par- 
tien ,  deren  erzählung  der  Verfasser  mit  einem  hinweis  auf  die  Sigurdarsaga  über- 
geht. So  werden  wir  zunächst  mit  Bugge  die  citierte  saga  Sigurdar  auf  den  teil 
der  samlung ,  der  Sigurds  Schicksale  in  gebundener  und  ungebundener  form  erzählt, 
beziehen  müssen,  den  namen  aber  dadurch  erklären,  dass  dieser  teil  ursprünglich 
als  Sigurdarsaga  für  sich  bestand.  In  der  Hs.  der  samlung,  die  der  Verfasser 
bennzte,  war  vielleicht  dieser  abschnitt  noch  als  besonderer  teil  gekenzeichnet  durch 
den  namen  Sigurdarsaga.  Denn ,  dass  er  diese  noch  in  ihrer  selbständigen  gestalt 
benuzt  hat,  ist  unwahrscheinlich:  einmal  scheint  doch  auch  der  anfang  des  Sinf- 
j(jtlalok  ihm  bekant  gewesen  zu  sein ,  und  ferner  wird  die  Sigurdarsaga  kaum  alle 
Strophen  der  Eegm.  13  fgg.  bereits  in  der  reiheufolge  des  samlers  enthalten  haben. 

Ob  der  Verfasser  nun  auch  die  Vs.  gekant  hat ,  ist  ziemlich  gleichgültig ,  da 
sie  keinesfals  von  ihm  benuzt  ist.  Dass  Nf)  c.  4  (B.  58,  19),  wie  die  prosa  frä  daud. 
Sinf.,  SE  I,  26:  522,  Frakkland  als  Sigmunds  reich  nent,  die  Vs.  dagegen  liüna- 
Itmcl  (vgl.  Beitr.  III,  292  fg.  und  vor  allem  jezt  Müllenholf  a.  a.  o.  23,  165  fg.) 
spricht  nicht  gerade  dagegen,  und  das  gleiche  wäre  über  die  von  P.  E.  Müller, 
Wilken  und  Edzardi  angeführten  differenzen  zu  sagen.  Dass  Np  wie  Vs.  Sigrdrifa  - 
Brj'nhild  zusammenwirft,  spricht  nicht  dafür :  deren  identität  war  wol  die  algemeine 
jüngere  auffassung.  Ebensowenig  kann  die  erzählung  in  cap.  8  eine  kentnis  der 
Eagnarssaga  beweisen  oder  nur  glaublich  machen:  die  dort  erzählte  unterbrochene 
Eomfahrt  der  Lodbroksöhne  stinit  im  grossen  und  ganzen  den  tatsacheu  nach 
überein  mit  Eagnarss.  cap.  13  (Fas.  I,  276  fg.),  die  form  aber  ist  durchaus 
abweichend. 

Auf  die  eiukleidung  des  Np  (Wilken  s.  XCIX  — CHI)  will  ich  hier  nicht  ein- 
gehen. 

Im  vorstehenden  hoffe  ich  angedeutet  zu  haben ,  wie  im  gegensatz  zu  Wil- 
kens  Umsturztheorien  das  gegenseitige  Verhältnis  der  Eddalieder,  der  samlung,  der 
Skälda  I  und  II,  der  Vs. ,  des  Np  und  der  ps.  zu  beurteilen  ist.  Jene  von  Wil- 
ken als  Urquelle  für  die  ganze  uorrcene  Überlieferung  der  Volsungensage  vermutete 
Sigurdarsaga  ist  uns  dabei  unter  den  bänden  in  nichts  zerflossen.  Zwar  eine  Sigur- 
darsaga nehme  auch  ich  an,  aber  eine  wirkliche  saga  von  Sigurd,  die,  ursprünglich 
für  sich  bestehend,  als  besonderer  abschnitt  in  unsere  samlung  übergegangen  ist. 
Im  übrigen  galt  es  in  den  meisten  fällen ,  wolbegründete  ältere  ansichten  zu  stützen 
und  gegen  vorschnelle  Verwerfung  zu  sichern,  sowie  andererseits  früher  geäusserte 
ansichten,  von  deren  Unrichtigkeit  ich  mich  überzeugt  habe,  zu  verbessern  und 
richtigere  an  ihre  stelle  zu  setzen. 

Es  wird  jezt  kaum  noch  der  ausdrücklichen  bemerkung  bedürfen,  dass  ich 
auch  Wilkens  auffassung  der  Eddalieder  als  ,,mehr  oder  minder  freie  Variationen 
einer  prosaischen  Sigurdarsaga"  (s.  CHI.  vgl.  Unters,  s.  274  fgg.)  entschieden  ver- 
werfe. Die  bcsprechung  von  Wilkens  Untersuchungen  zur  Snorra  Edda  wird  mir 
gelegenheit  bieten,  auch  dieser  frage  näher  zu  treten.  Da  ich  aber  auch  über  die- 
ses buch  Wilkens  manches  zu  sagen  habe  und  doch  die  vielleicht  schon  zu  ausführ- 
lich geratene   recension  nicht  noch  mehr  anschwellen  möchte,    breche  ich  zunächst 

vor  Guör.  1 ,  1  hat  E,  guSrunar  qvipa.  Am  Schlüsse  dieses  licdes  heisst  es  svd  sein  segir 
i  SiyurdarkviÖu  inni  skqmmu,  und  danu  folgt  in  R  die  Überschrift  qviSa  SigurÖar.  — 
Ltider  ist  gerade   liier  die  liicke  in   R  ausserordentlich  störend. 


SEILER,  ÜBER   SCHERER,    DEUTSCHE  LITT. -GESCH.  113 

hier  ab.  Aus  demselben  gründe  nniss  ich  es  mir  auch  versagen,  auf  einzelhei- 
ten  in  den  Vorbemerkungen  oinzugelien ,  wozu  sich  fast  auf  jeder  seite  veranlas- 
sung böte. 

Lieb  wäre  es  mir,  wenn  ich  den  lierausgeber,  dessen  fleiss  und  mühe  ich 
alle  anerkennung  zolle,  von  der  Unrichtigkeit  seiner  neuen  ansichten  über  die  VqI- 
sungasaga  und  den  Nornagestspättr  überzeugt  hätte.  Eine  eingehende  besprechung 
eines  werkes,  auf  welches  viel  arbeit  verwant  worden  ist,  mit  dem  geständnis 
schliessen  zu  müssen,  dass  es  die  forschung  nicht  gefördert,  sondern  auf  abwege 
gebraclit  hat,  ist  unerquicklich.  Ich  freue  mich  deswegen,  schon  hier  die  Unter- 
suchungen nutzbringender  und  begründeter  finden  zu  können ,  wenn  freilich  auch 
in  diesem  buche  vieles  zu  entschiedenem  Widerspruche  herausfordert.  Über  sie 
gedenke  ich,  in  einem  zweiten  artikel  in  dieser  Zeitschrift  mich  auszusprechen. 

GRONINGEN,    IM   NOVEMBER    1879.  B.    SYMONS. 


Geschichte  der  deutschen  literatur  von  d r.  Willielm  Scherer ,  profes- 
sor  der  deutschen  literaturgeschichte  an  der  Universität  Berlin. 
Er.stes  heft.  Berlin,  Weidmann.  1880.  —  Berechnet  auf  ca.  40  bogen,  in  etwa 
8  lieferungen  ä  1  mark. 

Wider  eine  neue  litteratiirgeschichte ,  als  hätteu  wir  deren  noch  nicht  genug 
und  übergenug!  —  Das  ist  wol  der  erste  gedanke,  der  jeden  bei  lesung  des  obigen 
titeis  befält.  Und  nur  alzu  berechtigt  ist  dieser  gedanke.  Vergleichen  wir  das 
kürzlich  erschienene  erste  heft  des  ,,  Jahresberichtes  über  die  erscheinungen  auf  dem 
gebiete  der  germanischen  philologie,  herausgegeben  von  der  geselschaft  für  deut- 
sche Philologie  in  Berlin"  1879,  so  finden  wir  unter  der  Überschrift  „literatur- 
geschichte" als  im  vergangenen  jähre  teils  ganz  neu,  teils  in  neuer  aufläge  her- 
ausgekommen verzeichnet  nicht  weniger  als  13  volständige  litteraturgeschichten, 
darunter  eine  englische  und  eine  italiäuische  und  zwei  sogar  mit  Illustrationen, 
und  11  abrisse,  grundrisse,  umrisse,  einführungen ,  überblicke,  leitfäden  u.  dgl. 
Wahrlich,  wenn  irgendwo,  so  scheint  hier  ein  ohe,  jam  satis  est!  am  platze. 

Allein  ein  grosser  teil  dieser  Schriften  ist  nur  compilation  aus  den  grösseren 
grundlegenden  werken.  Gervinus,  Koberstein,  Kurz  werden  in  immer  neuer  gestalt 
immer  wider  aufgetischt;  daher  komt  es  denn,  dass  sich  durch  alle  solche  bücher 
gewisse  Unrichtigkeiten  und  fehler  wie  eine  ewige  krankheit  fortschleppen  (vgl.  den 
Jahresbericht  unter  nr.  IIG).  Ferner  haben  diejenigen  unter  den  Verfassern  solcher 
bücher,  welche  wirkliche  eigene  studien  gemacht  haben,  diese  doch  fast  regelmäs- 
sig auf  eine  der  beiden  grossen  hälften  unserer  litteraturgeschichte  beschränkt, 
entweder  auf  das  mittelalter  oder  auf  die  neuzeit,  gewöhnlich  auch  da  nur  auf  klei- 
nere Unterabschnitte.  In  den  teilen,  wo  sie  nicht  zu  hause  sind,  entbehren  ihre 
bücher  dann  der  Selbständigkeit  und  bewegen  sich  in  den  alten  ausgefahrenen 
gleisen. 

In  der  neuen  litteraturgeschichte,  deren  erstes  heft  uns  vorliegt,  sind  diese 
beiden  letalen  mängel  von  vornherein  ausgeschlossen.  Scherer  vereinigt  die  popu- 
läre ader  des  ästhetisierenden  litteraturfreundes  und  -forschers  mit  der  gründlichen 
sachkentnis  und  der  strengen  methode  des  germanistischen  fachmanues  Lachraann- 
scher  schule.  Während  er  als  solcher  im  engeren  kreise  der  ,,  deutschen'-  philo- 
logen  hochgeschäzt  dasteht,  ist  er  auch  einem  grösseren  publikura  bekant  durch 
seine   aufsätze   in  der  tages  -  und  monatlitteratur.     Dass  er  somit  überall  aus  den 

ZEITSCHR.   F.    DEUTSCHE   PHILOLOGIE.     BD.  XII.  8 


114  SEILER 

primären  quellen  direct  schöpft  und  sich  nicht  etwa  mit  secundären  abgeleiteten 
begnügt,  ist  selbstverständlich.  Ferner  ist  er,  während  er  wol  von  hause  aus  und 
in  den  meisten  seiner  schritten  die  altdeutsche  litteratur  und  spräche  zum  gegen- 
stände seiner  forschung  gemacht  hat ,  doch  auch  in  der  neuern  seit  der  reformation 
nicht  blos  wo!  bewandert,  sondern  auch  selbständig  forschend,  wie  unter  andern 
seine  zerstreuten  aufsätzo  zur  Goethelitteratur  und  sein  buch  über  die  anfange  des 
prosaromans  in  Deutschland  (QF.  XXI)  erweisen.  Auf  eine  in  allen  teilen  selb- 
ständige, auf  der  höhe  der  heutigen  Wissenschaft  stehende,  duvchuus  eigenartige 
darstellung,  auf  etwas  wirklich  neues  darf  man  also  von  vornherein  rechnen,  wenn 
man  das  buch  zur  band  nimt. 

Es  repräsentiert  aber  aucli  in  einer  andern  beziehung  einen  weiteren  schritt 
auf  einer  noch  nicht  alzulange  betretenen  segensreichen  bahn.  —  Das  buch  ist 
keine  gelehrte  litteraturgeschichte ,  wie  die  Wackernagelsche  oder  Kobersteinsche. 
Eine  „ankündigung"  auf  dem  hinteren  umschlage  bezeichnet  ,, künstlerisch  freie 
anordnung"  und  „ beschränkung  auf  das  wesentliche"  als  die  grundsäulen  seiner 
darstellung.  Dem  entspricht  die  elegante  äussere  ausstattung,  die  deutschen  let- 
tern,  und  vor  allem  die  volständige  abwesenheit  jeglicher  gelehrter  zutat;  es 
schreitet  nicht  einher  in  der  schweren  hoplitenrüstung  texterstickender  anmerkun- 
gen;  nicht  einen  einzigen  litterarischen  hinweis,  nicht  einmal  eine  zahl  (ausser 
einigen  geschichtlichen  daten)  findet  man  in  dem  ganzen  hefte;  das  heisst,  das 
buch  wendet  sich  nicht  an  gelehrte,  nur  an  gebildete,  es  ist  populär.  Die  Popu- 
larisierung der  Wissenschaft  —  ein  zug,  der  wesentlich  zur  Signatur  unserer  zeit 
gehört  —  ist  von  vielen  Seiten  beklagt  worden  und  hat  allerdings  weniger  für  das 
Volk  als  für  die  Wissenschaft  und  ihre  jünger  eine  rückschlagende,  wol  auch  gefähr- 
dende Wirkung  —  von  dem  populären  schreiben  ist  nur  ein  schritt  zum  populären, 
d.  h.  oberflächlichen  denken  — ;  die  grossen  begründer  der  germanischen  philologie 
enthielten  sich  ihrer  völlig.  „Lachmanns  schritten  tragen  grossenteils  einen  Cha- 
rakter, den  man  wol  am  richtigsten  einen  esoterischen  nennen  kann.  Selbst 
wer  schon  recht  leidliche  vorkentnisse  zu  ihrem  Studium  mitbringt,  wird  ohne  die 
beihülfe  mündlicher  Unterweisung  nur  durch  angestrengte  und  beharrliche  arbeit  zu 
ihrem  vollen  Verständnisse  gelangen."  (Zacher  in  den  neuen  Jahrbüchern  für  phil. 
und  paed.  78,  s.  171.)  ,, Lachmann  liebt  es,  von  seinen  entdeckungen  oft  nur  die 
segelspitze  zu  zeigen ,  und  zumal ,  wer  am  ufer  steht ,  muss  genau  acht  geben  und 
scharf  sehen."  (Wilhelm  Grimm ,  Gott.  gel.  anz.  1827,  stück  204.)  Auch  die  unmit- 
telbaren schüler  Lachmanns  hatten  mehr  oder  weniger  diese  art,  und  die  deutsche 
Philologie  bekam  durch  diese  völlige  Ignorierung  des  publicums  etwas  disciplinier- 
tes  und  straffes ,  was  wesentlich  mit  zu  ihrer  raschen  und  grossartigen  entwicklung 
beitrug.  Andrerseits  hatte  aber  diese  esoterische  haltung  der  schule  die  natürliche 
folge,  dass  sowol  die  resultate  als  auch  die  methode  der  forschung  auf  verhältnis- 
mässig kleine  kreise  beschränkt  blieben.  Da  begann  die  einwirkung  auf  ein  grösse- 
res publicum  von  andrer  seite ,  von  mäunern ,  welche  mit  anerkennenswertem  eifer 
aber  mit  weniger  ausgebildeter  technik  und  infolgedessen  grösserer  zugänglichkeit 
für  äusseren  schein  und  spielende  hypothesen  zu  werke  gingen  und  die  resultate 
ihrer  bemühungen  in  popularisierenden  handausgaben  mit  erklärenden  anmerkun- 
gen  elementarer  art  dem  publicum  handlich  und  fasslich  zu  machen  suchten.  Da 
ihnen  bei  diesem  streben  die  von  Franz  Pfeiifer  begründete  Germania,  welche  durch 
recensionen  und  eine  jährliche  bibliographie  die  menge  derer  anzog,  welche  sich 
nur  oberflächlich  mit  den  jeweiligen  neuen  resultaten  der  Wissenschaft  bekant 
machen  wollen,    hilfreiche  band  leistete,    so  kam    es  bald    dahin,    dass   die  Lach- 


ÜBER    SCHKRER,    DEUTSCHE    LITT. -GESCH.  115 

maniisclie  schule  in  den  äugen  des  publicums  an  ansehu  mehr  und  mehr  eiubüsste, 
dass  ihre  Vertreter  als  Sonderlinge  zu  erscheinen  anfiengen,  die  in  einseitiger  Ver- 
bissenheit auf  die  worte  des  meisters  schwören ,  dass  insonderheit  in  der  Nibelun- 
genfrage —  wenn  man  eine  frage,  die  im  wesentlichen  gelöst  ist,  noch  als  solche 
bezeichnen  darf  —  Lachmanns  wolbegründete  resultate  als  beseitigt  ausgegeben 
und  ungesehen  wurden  und  eitles  phantasiespiel  sich  an  ihre  stelle  zu  setzen  drohte. 
Das  organ  der  Lachmannschen  schule,  Haupts  Zeitschrift  für  deutsches  altertum, 
beschränkte  sich  auf  fachwissenschaftliche  aufsätze  und  Untersuchungen  allerdings 
wertvollster  art,  entbehrte  aber  der  kritik  und  besprechuiig  neu  erscheinender 
bücher,  das  heisst:  es  arbeitete  nur  mit  dem  pflüge,  nicht  mit  dem  Schwerte,  ver- 
mochte also  die  gegner  nicht  abzuwehren.  In  folge  dieser  Sachlage  sah  sich  denn 
auch  die  Lachmannsche  schule  veranlasst,  ihre  aristokratische  Zurückhaltung  auf- 
zugeben und  eine  mehr  exoterische  Wirksamkeit  zu  beginnen.  Zunächst  begründete 
J.  Zacher  „die  germanistische  handbibliothek "  und  die  ,, Zeitschrift  für  deutsche 
Philologie,"  beide  an  die  weiteren  kreise  insonderheit  der  deutschen  lehrerschaft 
sicli  wendend,  womit  die  alleinherschaft  der  Germania  und  der  „Classiker  des 
deutschen  mittelalters  "  gebrochen  war.  Dasselbe  ziel,  heranziehung  der  gebildeten 
kreise  an  die  interessen  und  arbeiten  der  germanistischen  Wissenschaft,  hat  nun 
auch  W.  Scherer  schon  seit  einer  reihe  von  jähren  in  vortragen  und  in  artikeln, 
welche  besonders  in  den  preussischen  Jahrbüchern  erschienen ,  verfolgt.  Seine 
„deutsche  litteraturgeschichte "  tut  auf  dieser  bahn  einen  gewaltigen  schritt  vor- 
wärts. Wir  können  dies  nur  wilkommen  heissen;  denn  so  schädlich  bei  dem  auf- 
bau  unserer  Wissenschaft  das  streben  nach  gemeinfasslichkeit,  das  appellieren  an  die 
teilnähme  des  publikuras  gewesen  wäre,  weil  dadurch  die  erste  und  notwendigste 
aufgäbe,  die  möglichst  sichere,  schnelle  und  gründliche  erforschung  der  tatsachen, 
nur  hätte  verdunkelt  werden  können  ,  so  notwendig  erscheint  dieses  streben  jezt, 
wo  eine  recht  statliche  fülle  festbegründeter  resultate  gewonnen,  wo  —  um  mich 
bildlich  auszudrücken  —  der  hört  aus  dem  berge  getragen  ist.  Jezt  gilt  es  auch, 
diesen  bort  in  klingende  gangbare  münze  auszuprägen.  „Aus  dem  schuft  der  Jahr- 
hunderte in  den  staub  der  bibliotheken ,  das  ist  ein  schritt  aus  einer  Vergessenheit 
in  die  andre.  Dem  ziele  führt  er  nicht  merklich  näher.  Dieses  ziel  ist  das  herz 
der  nation.''     (Simrock.) 

Das  Scherersche  buch  ist  recht  dazu  angetan,  die  bezeichnete  aufgäbe  zu 
fördern ;  es  wird  sich  weite  kreise  erobern  und  insonderheit  eine  empfindliche  lücke 
unserer  schulbibliotheken  ausfüllen  —  denn  welche  litteraturgeschichte  solte  man 
eigentlich  bisher  dem  belehrung  und  anregung  suchenden  primaner  in  die  band 
geben?  — ;  es  wird  auch  in  den  familienbibliotheken  dem  daselbst  annoch  her- 
schenden  Vilmar  bedenkliche  concurrenz  machen;  denn  es  ist  eine  interessante 
lectüre.  Koberstein  begint:  „Die  litteratur  der  Deutschen  überhaupt  umfasst  die 
gesamtheit  usw.,"  Vilmar:  „Die  geschichte  der  deutschen  litteratur,  welche  auf 
diesen  blättern  dargestelt  werden  soll  usw.,"  Scherer:  „Um  die  zeit,  in  welcher 
Alexander  der  grosse  Indien  für  die  griechische  Wissenschaft  aufschloss,  segelte  ein 
griechischer  gelehrter,  Pytheas  von  Marseille,  aus  seiner  Vaterstadt  usw."  Wel- 
cher von  den  drei  anfangen  ladet  nun  am  meisten  zum  weiterlesen  ein  ?  Und  ex 
ungue  leonem!  derselbe  frische  hauch  durchzieht  das  ganze  heft.  So  lässt  sich 
Scherer  z.  b.  auch  nicht  den  vielgelesenen  ronian  ,,Eckehard"  von  Scheffel  ent- 
gehu;  und  welchen  leser  möchte  es  wol  nicht  interessieren,  zu  vernehmen,  dass 
der  Waltharius  nicht  —  wie  Scheffel  dichtet  —  in  der  romantischen  einsamkeit  des 
hohen  Säntis    unter  lawinengedonner   und   bärengebrumm   entstanden  ist,    sondern 

8* 


116  SEILER 

ganz    nüchtern    und  prosaisch  auf  der   Schulbank   als   ein   vom   lehrer   corrigiertes 
exercitium? 

Die  fünf  vorliegenden  bogen  des  ersten  heftes  enthalten  drei  capitel  volstän- 
dig,  von  dem  vierten  den  anfang.  Capitel  I  ,,Die  alten  Germanen"  erzählt  zunächst 
kurz  von  Pytheas ,  Caesars ,  Tacitus  forschungen ,  berichtet  dann  von  dem  arischen 
urvolke  ,  dem  stände  seiner  cultur,  seiner  „Weltanschauung."  Denn  —  das  sei  hier 
gleich  bemerkt  —  Scherer  beschränkt  sich  nicht  auf  eine  blosse  geschichte  der 
litteratur,  er  will  ein  bild  der  gesamten  geistigen  entwickelung  der  uation  geben. 
Hier  zeigt  sich  widerum  seine  art  der  psychologischen  betrachtung,  sei  es  nun 
eines  einzelnen  menschen,  oder  einer  zeit,  oder  eines  ganzen  volkes,  wie  ich  sie 
in  dieser  ztschr.  VIII,  356  fg.  charakterisiert  habe.  Es  folgt  ein  kurzer  abschnitt 
über  die  germanische  religion,  dann  die  rcste  der  ält(?sten  dichtung :  chor  -  und 
hymnenpoesie ,  rätsei,  Sprüche.  Das  II.  capitel:  ,,  Goten  und  Franken"  schildert 
die  zeit  des  germanischen  heldengesanges.  Der  Verfasser  nimt  nämlich  abweichend 
von  der  algemein  üblichen  einteilung  unserer  litteraturgeschichte  drei  blüteperio- 
den  deutscher  poesie  an ,  die  erste  ist  die  periode  des  altgermanischen  heldengesan- 
ges, der  von  den  Goten  begonnen,  von  den  merovingischen  Franken  zur  höchsten 
entwicklung  geführt  wurde.  Allerdings  ist  aus  dieser  periode  nur  ein  einziges 
bruchstück  eines  einzigen  liedes  (des  Hildebrandsliedes)  erhalten ,  ,,  aber  —  sagt 
Scherer  —  verlorene  gedichte  sind  ebenso  wichtig  wie  erhaltene,  wenn  man  ihre 
existenz  beweisen  und  ihre  nachwirkungeu  feststeilen  kann,"  eine  anschauung,  über 
die  sich  streiten  lässt;  indess  komt  auf  die  bezeichnung  „blüteperiode"  an  sich 
wenig  genug  an.  Die  hauptsache  ist ,  dass  Scherer  nachdrücklich  darauf  hinweist, 
wie  das  sogenante  volksepos  des  12.  und  13.  Jahrhunderts  (Nibelungen,  Kudrün, 
Hug-  und  Wolfdietrich  usw.)  dem  gehalte  nach  aus  jenen  epischen  liedern ,  die 
um  600  gesungen  wurden ,  hervorgegangen  ist.  In  demselben  capitel  wird  noch 
Ulfilas  behandelt  und  die  geistigen  zustände  im  Merowiugerreiche  charakterisiert.  — 
Capitel  III  „  das  erneute  kaisertum "  enthält  Karl  den  grossen  und  seine  zeit, 
Heliand  und  Otfrid ,  dann  einen  abschnitt  über  ,,  die  mittelalterliche  renaissance" 
sowol  unter  Karl  als  unter  denOttonen,  welcher  die  versuche  die  alte  Eömerherr- 
lichkeit  wider  herzustellen  auf  politischem ,  künstlerischem  und  litterarischem  gebiete 
durchgeht  und  dabei  insonderheit  die  bestrebungen  der  Set.  Galler  und  die  werke 
der  Eosvitha  würdigt ;  den  beschluss  des  capitels  macht  die  spielmannspoesie  der 
damaligen  zeit  mit  einer  hübschen  Charakteristik  dieses  ganzen  genres ,  zu  welcher 
auch  diejenigen  züge  und  anekdoten  aus  den  historikern  herangezogen  werden, 
welche  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  den  spielleuten  ihren  Ursprung  verdanken.  — 
Capitel  IV  ,,das  rittertum  und  die  kirche"  skizziert  das  wesen  des  sich  entwickeln- 
den rittertumes  und  führt  es  auf  die  eigenart  der  romanisch- germanischen  Nor- 
mannen zurück,  bespricht  alsdann  die  lateinische  litteratur  des  11.  und  12.  Jahr- 
hunderts und  geht  auf  ,,frau  weit"  über;  hier  bricht  das  heft  ab;  im  folgenden 
wird  dann  wahrscheinlich  der  parallelismus  zwischen  weltfreudiger  und  weltfeind- 
licher richtung  weitergeführt  und  gezeigt  werden,  wie  beide  miteinander  ringen 
und  sich  gegenseitig  ergänzen. 

Aus  dieser  kurzen  Inhaltsangabe  ersieht  man  die  volle  Selbständigkeit  und 
eigenart  des  Verfassers.  Er  weicht  durchaus  von  den  gangbaren  littcraturgeschich- 
ten  ab  in  zweierlei  beziehung:  erstens  in  dem  was  er  verschweigt,  zweitens  in  dem 
was  er  mit  besonderer  ausführlichkeit  behandelt.  —  In  der  ,,ankündigung"  spricht 
er  seinen  grundsatz  aus ,  „  das  mass  der  darstellung  nach  dem  werte  der  gegen- 
stände" einrichten  und  nicht  möglichst  viele  schriftstellernamen  häufen    zu  wollen; 


ÜBER    SCHERER,    DEUTSCHE    LITT. -GESCH.  117 

dem  entsprechend  fehlt  eine  menge  dessen,  was  man  sonst  zu  finden  gewohnt  ist. 
So  haben  wir  mit  genugtuung  bemerkt,  dass  das  seit  J.  Grimm  in  den  litteratur- 
geschichten  spuliende,  anscheinend  nicht  zu  bannende  ]ihantom  einer  urgermanischen 
„tiersage,"  welche  der  götter-  und  heldensagc  parallel  laufen  soll,  hier  endgiltig 
ignoriert  ist.  Ferner  verschont  der  Verfasser  mit  recht  das  publicum  mit  dem 
ganzen  schwall  der  geistlichen  litteratur  des  XI.  und  XII.  Jahrhunderts;  von  den 
stücken  D.  XXX  —  XLVI  ist  nicht  eines  erwähnt,  auch  nicht  Ezzos  gesang  von  den 
wundern  Christi,  der  es  noch  am  meisten  verdient  hätte  und  den  der  Verfasser 
selbst  verhältnismässig  sehr  hoch  schäzt  (Geschichte  der  deutschen  dichtung  im 
elften  und  zwölften  Jahrhundert  QF.  XII,  s.  29  fg.);  auch  genesis,  exodus  usw.  feh- 
len! Auch  abgesehen  von  der  rücksicht  auf  das  interesse  des  publicums  gebot  die 
Ökonomie  des  buches  dem  Verfasser,  solchen  schweren  ballast  über  bord  zu  werfen; 
wer  auf  640  seiten  eine  deutsche  litteraturgeschichte  geben  will,  und  dabei  mehr 
in  die  tiefe  als  in  die  breite  strebt,  darf  sich  damit  nicht  befassen. 

Statt  dessen   findet   man  nun   vieles   ausführlicher  besprochen,    was   in   den 
gangbaren  litteraturgeschichten ,    selbst  Wackernagel  und   Koberstein  nicht   ausge- 
nommen ,    sehr  zu  derer  schaden  kaum  mit  flüchtigen  erwähnungen  abgefunden  ist. 
Im  ersten  capitel  treten  uns  in  dieser  hinsieht  die  friesischen    rechtsbücher 
und  die  prachtvollen  hochpoetischen  stellen  aus  denselben  entgegen,    die  sicherlich 
kein  empfängliches  gemüt  unentzündet  lassen.     Besonders  aber  wendet  der  Verfas- 
ser   sein    augeumerk    auf   die    lateinische    litteratur,    welche    bisher   sehr    zu 
unrecht   das   Stiefkind  der  litterarhistoriker  gespielt  hat.     Erwähnt   doch   Wacker- 
nagel die  Eosvitha  von  Gandersheim  nur  in  einer  anmerkung  (2.  aufl.  s.  95,  19), 
wo  er  sagt,    .sie  sei  ,,mehr  nur  eine  notiz  als  eine  tatsache  "    selbst  für  die  latei- 
nische schauspieldichtung.     Freilich  hat  sie  auf  die  litteratur  weiter  keinen  grossen 
einfluss  ausgeübt,    aber  sie  ist  eine  höchst  charakteristische  erscheinung,    ein  wah- 
res zeichen  ihrer  zeit  und  kann  daher,    wenn   man   das  geistige   leben  des  X.  und 
XI.  Jahrhunderts  schildern  will,    nicht  umgangen  werden.     Das  will   aber  Scherer; 
so  findet  denn   auch  die  Gandersheimer  nonue,    ,,der   erste   dramatiker   der  nach- 
römischen weit,"    die  ihr   gebührende  Würdigung.  —     Ebenso  das  weitaus  interes- 
santeste litteraturproduct  des  XI.  Jahrhunderts,    der  Ruodlieb,    der  übrigens  — 
wie  ich  zu   beweisen  hoffe  —  nicht  von   Froumund   ist,    welchen  namen  Sche- 
rer mit  recht  gar  nicht  genant  hat.     Bei  Wackernagel   und  Koberstein  findet   er 
sich  als   ,,  bruchstück "   sehr   kurz   abgetan.     Scherer   hat   erkant,    was  der  ,, kost- 
bare torso"  (Voigt)  wert  ist  und  betrachtet  ihn  deshalb  eingehend,  rühmt  die  künst- 
lerische composition ,  die  realistische  darstellung ,  die  fülle  von  lebensbildern ,  welche 
das  gedieht  vor  dem  leser  ausbreitet ,  zugleich  die  grössere  milde  und  einen  gewis- 
sen sitlich -humanen  zug  in  dem  gedichte.     Zwei  bemerkungen  seien  mir  bei  die- 
ser gclegenheit  gestattet.     Erstens   ist  mir  der    von  Grimm    (Lateinische  gedichte 
des  X.  und  XI.  Jahrhunderts  s.  220)  für  möglich  gehaltene ,  von  Scherer  weiter  ent- 
wickelte Zusammenhang   zwischen   dem  beiden   des  lateinischen  gedichts    einerseits 
und  dem   im  Eckenliedo  erwähnten   könig  Euotliep,    den  Scherer  gradezu    für  aus 
dem  lateinischen  gedichte    durch  spielleute    dahin  übertragen  ansieht,    mindestens 
sehr  zweifelhaft.     Wenn  zweitens  Scherer   den  begriff  des  ,, stolzen"  auftretens  im 
Euodlieb   aus   dem   öfter  vorkommenden    stultus  ableitet  —   wie  es  den  anschein 
hat,  weil  er  stolz  durch  anführungsstriche  als  citat  bezeichnet  —  so  ist  zu  entgeg- 
nen, dass  stultus  an  den  betreffenden  stellen  des  Ruodlieb  IV,  121,  123.     V,  50 
nur  töricht,   übermütig,   nicht   statlich  bedeutet.  —     Drittens  endlich  finden 
meines  wisseus  in  dieser  litteraturgeschichte  zuerst  die  lateinisch  singenden  vagie- 


118  SEILER 

renden  cleriker  diejenige  berücksichtigung ,  welche  ihnen  znkomt,  weil  nicht 
nur  ihre  lyrik  an  gewandheit  nnd  Schönheit  des  ausdrucks  die  minuigliche,  ritter- 
liche erreicht,  an  kraft  der  diction,  Wahrheit  und  natürlichkeit  der  empfindung  sie 
weit  überragt,  sondern  auch  ihre  epik  und  dramatik  aller  achtung  wert  ist  (vgl. 
s.  76  fgg.). 

Überhaupt  bespricht  Scherer  das,  was  wirklich  wichtig  ist,  genau  und  geht 
auch  auf  einzelnes  ein  und  überall  ist  ihm  die  Charakteristik,  die  psychologische 
motivierung  hauptsache;  so  behandelt  er  das  Hildebrandslied,  den  Verfasser  des 
Heliand,  dessen  rühm  er  auf  das  richtige  mass  hefabsezt,  indem  er  bemerkt,  dass 
die  anwendung  dessen,  was  uns  am  Heliand  entzückt,  des  altepischen  costüms,  nicht 
das  verdienst  des  dichters  ist,  ferner  Otfrid,  Eabanus  Maurus ,  endlich  Bonifacius, 
dessen  Charakterisierung  als  eines  mannes  von  beschränktem  geist  und  geringer  bil- 
dung,  als  eines  zuchtmeisters  im  namen  päpstlicher  Orthodoxie  wir  allen  denjenigen 
empfehlen,  die  diesen  Zerstörer  der  deutschen  kirchenfreiheit  in  den  himmel  erhe- 
ben, oder  gar  als  den  beglücker  Deutschlands  einem  Arminius  an  die  Seite  stellen, 
wie  dies  herr  Joseph  Venn  tut  in  seinen  ,,250  dispositiouen  zu  deutschen  auf- 
sätzen,"  einem  buche,  das  nur  seiner  grossen  Oberflächlichkeit  und  eselsbrücken- 
haftigkeit  seine  weite  Verbreitung,  besonders  unter  der  Schuljugend,  verdankt.  — 
Die  politischen  bestrebungen  Karls  und  der  Ottonen  werden  mit  den  litterarischen 
aus  einer  gemeinsamen  wurzel  abgeleitet :  Sehnsucht  nach  der  grosse  und  Schön- 
heit der  antiken  weit.  Auch  die  Volksseele  und  ihre  äusserungen  werden  in  die- 
ser weise  aufgefasst.  Wie  fein  ist  die  bemerkung  s.  12,  dass  das  germanische 
accentgesetz ,  wonach  einzig  und  allein  die  Stammsilbe  betont  wird  —  ein  gesetz, 
welches  die  forraelemente  des  wortes  der  sicheren  Zerstörung  preisgegeben  hat  und 
damit  verhängnisvoll  für  den  leib  der  spräche  geworden  ist  -  zusammenhängt  mit 
,,  einem  frühzeitigen  dränge  germanischer  art,"  das  charakteristische  mehr  als  das 
schöne ,  den  gehalt  mehr  als  die  form  zu  schätzen ;  denn  die  cousonanten  seien  das 
knochengerüste  der  spräche ;  die  vokale  geben  blute  und  färbe ,  für  diese  sei  der 
altgermanische  sinn  nicht  offen. 

Davon  ist  nun  freilich  das,  was  der  Verfasser  auf  s.  40  über  die  spräche 
Otfrids  sagt,  das  grade  gegenteil.  Hier  heisst  es:  ,,die  spräche  war  sehr  vokal- 
reich und  melodisch,  an  Weichheit  und  sanftem  klänge  dem  italienischen  vergleich- 
bar," dann  folgen  die  ausdrücke  ,, schwelgen  in  vokalen,"  ,,freude  an  der  färbe" 
(man  vergleiche  den  eben  citierten  ausspruch  von  s.  12.  13:  ,,für  blute  und  färbe 
ist  der  altgermanische  sinn  nicht  offen"),  ,, unbedingtes  streben  nach  wollaut." 
Der  Widerspruch  liegt  auf  der  band.  Der  altgermanische  sinn  müste  sich  demnach 
bei  Otfrid  und  seinen  Zeitgenossen  in  sein  grades  gegenteil  verwandelt  haben, 
was  schwer  glaublich.  Wir  lassen  die  erste  bemerkung  gern  gelten;  die  zweite 
halten  wir  für  zu  subjectiv  gefärbt;  nicht  freude  an  der  färbe,  nicht  streben  nach 
wollaut  war  es,  welches  die  klangreiche  spräche  Otfrids  schuf;  der  blosse  blasse 
Zufall  oder  vielmehr  die  notwendigkeit  der  sprachentwickelung  brachte  sie  zu  wege. 
Die  vokale  waren  eben  noch  volltönend,  weil  das  accentgesetz  seine  zerstörende 
einwirkung  auf  die  flexionssilben  erst  begonnen  hatte,  und  dass  die  otfridischen 
assimilationen  wie  ivolkono  für  ivolkano  eine  Steigerung  des  wolklangos  bewirkt 
hätten,  möchte  schwerlich  zu  behaupten  sein.  Noch  weniger  kann  ich  es  verste- 
hen, wenn  Scherer  gar  aus  diesem  angenommenen  streben  nach  vokalischem  wol- 
laut die  gesamte  consonantischc  lautverschiebung  zu  erklären  vermeint. 
Man  habe  —  das  ist  seine  argumentation  —  so  sehr  auf  die  vokale  und  ihren  melo- 
dischen vollklang  geachtet ,    dass  man   darüber  die  cousonanten  vergessen  und  ver- 


ÜBER    SCHEREB,    DEUTSCHE    LITT. -GESCH.  119 

nachlässigt  habe;  die  lautverschiebung  sei  eine  ,,aufiösung"  des  consonautismus. 
Ich  muss  gestehen,  dass  mir  diese  coinhination  von  allen,  welche  ich  in  dem  hefte 
augetroffen  habe,  am  wenigsten  zugesagt  hat.  Man  braucht  nur  einige  wenige 
Sätze  niederdeutsch  neben  eine  probe  hochdeutschen ,  am  besten  alemannischen 
dialectes  zu  halten ;  da  wird  einem  jeden  sofort  ins  ohr  fallen ,  wie  der  nieder- 
deutsche consonantismus  weit  weicher  ist,  als  der  hochdeutsche  mit  dem  Über- 
gewicht seiner  tenues  und  Spiranten;  ,,dat  water"  klingt  doch  weicher  als  das 
scharf  zischende  „da:;  wa??er"  und  nun  erst  die  rauhen  alemannischen  ch!  Und 
in  Aleraannien  hatte  doch,  wie  Scherer  selbst  s.  39  unten  angibt,  die  lautverschie- 
bung  ihren  Ursprung,  hier  bildete  sie  sich  am  reinsten  durch;  in  ihrer  dortigen 
gestalt  ist  sie  also  zu  erklären.  Es  ist  nicht  denkbar,  dass  eine  solche  algemeine 
Verschärfung  und  fortschiebung  des  consonantismus  aus  blosser  Vernachlässigung 
hervorgegangen  sei;  eher  wäre  zu  glauben,  dass  physische  gründe,  die  gebirgsluft, 
das  klima  den  keim  zu  dieser  Umwandlung  gelegt  haben ,  oder  dass  das  unruhigere 
streben  und  drängen  der  hochdeutschen  stamme  gegenüber  der  grösseren  ruhe  und 
Stabilität  der  sächsischen  und  überhaupt  niederdeutschen  bevölkerung  auch  auf  die 
spräche  in  dieser  weise  rückgewirkt  habe.     Doch  das  sind  hypothesen! 

Ich  bediente  mich  eben  des  ausdrucks:  subjectiv.  Ich  muss  ihn  hier  veralge- 
meinernd  widerholen:  Scherer  ist  überhaupt  ein  durchaus  subjectiv  er  schrift- 
steiler; das  gilt  sowol  vom  Inhalte  als  von  der  form.  Die  tatsachen,  welche  er 
anführt,  sind  alle  objectiv  richtig  und  überall  den  neusten  forschungen  gemäss; 
die  kleine  ungenauigkeit  s.  41:  ,,zu  Strassburg  am  14.  februar  842  legten  Karl  der 
Kahle  und  sein  beer  einen  eid  in  französischer  spräche  ab,  Ludwig  der  Deutsche 
und  die  seinigen  in  deutscher  spräche"  ist  kaum  des  rügens  wert:  nur  die  beere 
legten  quique  propria  lingua  den  eid  ab,  die  führer  schwuren  jeder  in  der 
spräche  des  andern  heeres ,  LodJmtvieus  romana ,  Karolus  vero  teuclisca  lingua ; 
aber  die  art  wie  er  die  tatsachen  gruppiert,  combiniert  und  motiviert,  ist  sub- 
jectiv; die  person  des  Schriftstellers  mit  ihren  ideen  tritt  hier  überall  hervor. 
Ich  meine  so.  Eine  gemäldegallerie  kann  auf  zwiefache  weise  der  betrachtung  des 
publicums  geboten  werden.  Entweder ,  die  geniälde  werden  nach  einem  bestimten 
prinzipe  aufgehängt  —  etwa  nach  der  Chronologie,  oder  nach  malern  und  maler- 
schulen, oder  nach  den  gegenständen  der  darstellung  — ,  dies  wird  dem  beschauer 
mitgeteilt  und  nun  wird  er  hineingelassen  und  ohne  weitere  führung  seinem  eige- 
nen urteile  und  geschmacke  anheimgegeben.  Oder,  ein  kundiger  führer  wird  dem 
eintretenden  mitgegeben  und  dieser  zeigt  ihm  nun  die  hervoi'ragenden  bilder,  weist 
ihn  auf  ihre  technik,  ihre  Schönheiten,  ihre  mängel  hin,  zieht  ihn  von  einem  zum 
andern ,  führt  ihn  oft  plötzlich  quer  durch  die  ganze  gallerie  an  die  entgegengesezte 
wand,  um  auf  gewisse  ähnlichkeiten ,  die  sich  in  einer  ganz  andern  cpoche  bei 
einer  ganz  andern  schule  finden,  aufmerksam  zu  macheu,  kurzum  er  leitet  die 
betrachtung  des  beschauers  und  bestimt  sein  urteil  durch  fortwährende  conversation. 
Alle  vergleiche  hinken,  aber  in  etwas  wird  dieser  Scherers  art  verdeutlichen. 

Gewisse  richtungen  dieser  subjectiven,  combinierenden  und  comparativen 
betrachtungsweise ,  welche  schon  aus  den  früheren  schritten  des  Verfassers  bekant 
waren,  treten  uns  in  dieser  widerum  entgegen.  —  So  besonders  die  hochschätzung 
des  fraueneinflusses  auf  die  gesittung  und  damit  auf  die  litteratur.  Diese  ist  an 
sich  ja  auch  volkommen  berechtigt  und  der  weibliche  einfluss  auf  die  mittelalter- 
liche litteratur  ist  bisher  entschieden  zu  wenig  gewürdigt  worden ,  weil  man  eines 
solchen  von  der  altclassischen  litteratur  her,  an  welcher  die  litteraturgeschichte 
gross  gezogen  ist,   ungewohnt  war.     Mehr  in  das  gebiet  des  subjectivisnms  gehört 


120  SEILER 

es,  wenn  der  Verfasser  bestirnte  männische  und  frauenhafte  epochen  uuter- 
sclieidet,  welche  in  der  geschichte  unserer  litteratur  alternirend  auf  einander  fol- 
gen sollen,  ein  gedanke,  den  er  hier  nur  auf  s.  11  andeutet  und  bei  besprechung 
des  Euodlieb  wider  aufnimt,  den  er  aber  finiher  einmal  (QP.  XII,  1  fgg.)  eingehend 
ausgeführt  hat.  Ganz  subjectiv  aber  und  wol  auch  nicht  grade  wahrscheinlich  ist 
es,  wenn  er  diesen  Wechsel  selbst  auf  die  urgraue  vorzeit  des  germanischen  Volkes 
überträgt,  auf  die  zeit,  in  welcher  die  germanischen  eigennamen  entstanden.  Die 
beiden  gruppen  der  frauennamen  nämlich,  diejenige,  welche  das  „liebliche  und 
anmutige,  das  woltätige  und  erfreuende  zu  bezeichnen  sucht"  und  diejenige,  welche 
,,die  frau  des  kampfes  froh,  waffen  führend,  fackelschwingend,  zum  siege  stür- 
mend" zeigt,  sollen  zwei  verschiedene  frauenideale  anzeigen,  welche  ,, nicht  wol 
in  derselben  zeit  und  auf  demselben  boden  gewachsen  sein"  können,  und  zwar  soll 
die  erste  gruppe  auf  eine  uralte  epoche  von  ,, reiner  Weiblichkeit"  schliessen  las- 
sen (s.  22).  Demnach  wären  also  die  kriegerischen  frauennamen  zu  einer  ganz 
andern  zeit  entstanden  als  die  sanften ,  milden.  Indess  sind  doch  in  der  natur  der 
frau  beide  selten  unauflöslich  miteinander  vereinigt;  sie  ist  auch  heutzutage  noch 
sowol  freodovebbe  als  Brünhilt,  wenn  auch  in  civilisierten  formen;  die  natur  des 
menschen  ändert  sich  nicht;  es  wird  in  der  vorzeit  ebenso  gewesen  sein;  warum 
sollen  nicht  beide  selten  nebeneinander  in  den  nameu  ausgeprägt  worden  sein? 

Dieselbe  uralte  Wandlung  sittlicher  ansichten  sucht  Scherer  aus  dem  mythus 
zu  erweisen.  1)  Arische  Sonnengott  =  männer-,  2)  ,, liebe  sonne"  =  frauen-, 
3)  Sindguud-Brünhild  =  männerepoche.  Denn  Sindgund  —  meint  Scherer  — 
ist  die  sonne  selbst.  Schwerlich!  Denn  dann  wäre  auch  Frija  mit  Volla,  der 
schmuckmagd,  identisch  und  wir  hätten,  dächt  ich,  der  mythologischen  identifica- 
tionen  seit  Müller  -  Muth  genug.  Eher  scheint  Sindgund  das  die  sonne  begleitende 
Wandelgestirn,  den  morgen-  und  abendstern,  zu  bezeichnen. 

Auch  die  übrigen  mythologischen  hypothesen,  namentlich  die  hypothese  von 
Wodan  s.  8 ,  der  ursprünglich  ein  rheinfränkischer  gott  und  symbol  der  höheren 
cultur,  welche  die  rheinischen  stamme  von  den  keltischen  nachbarn  empfingen, 
von  dort  aus  ganz  Germanien  im  sturmessiegeszuge  sich  unterworfen  und  damit 
sich  selbst  immer  mehr  vergeistigt  habe,  sind  hypothetisch  im  Superlativ.  Über- 
haupt lässt  sich  über  deutsche  mythologie  grade  jezt,  wo  ihre  grundlagen  durch 
die  neusten  norwegischen  forschungen  bedenklich  erschüttert  worden  sind,  schlecht 
reden;  ist  die  ganze  götterdämmerung  und  die  darauf  folgende  erneuerung  wirk- 
lich altheimisch  und  altheidnisch?  ist  Baldrs  tod  nicht  eine  nachbildung  von 
Christi  tod? 

Mit  dem  Wechsel  der  frauen-  und  männerepochen  hängt  die  neigung  Sche- 
rers, verschiedene  oft  sehr  entlegene  culturepochen  zu  einander  in  beziehung  und 
parallele  zu  setzen ,  zusammen  ,  auch  etwas ,  was  er  bereits  früher  vielfach  durch- 
geführt hatte.  Er  denkt  —  wie  er  selbst  QP.  XII,  9  gesteht  —  sehr  gross  von 
der  wissenschaftlichen  bedeutung  der  analogie.  Diessmal  sind  es  die  jähre  600 
1200  1800,  welche  er  s.  19  in  parallele  sezt  und  dem  entsprechend  das  10.  und 
16.  Jahrhundert  als  Jahrhunderte  des  tiefsten  Verfalls  der  dichterischen  bildung. 
Den  gang  der  deutschen  litteraturgeschichte  bringt  Scherer  somit  auf  folgendes 
,, merkwürdig  einfaches  Schema:  drei  grosse  wellen,  berg  und  tal  in  regelmässiger 
abfolge." 

Dieselbe  neigung  zu  vergleichenden  parallelen  zeigt  sich  auch  im  kleinen. 
So  z.  b.  sind  die  sätze  am  Schlüsse  des  dritten  capitels,  welche  das  10.  und  11.  Jahr- 
hundert parallclisieren ,    oder  der  satz:    ,,wie  Shakespeare  novcUen,    so    bearbeitet 


ÜBER    SCHERER,    DEUTSCHE    LITT.  -  GESCH.  121 

Rosvitha  legenden"  für  die  Scherersclie  art  zu  denken  und  zu  schreiben  bezeich- 
nend. Ja,  diese  neigung  führt  ihn  dazu,  dass  er  öfters —  ein  zweiter  Momrasen  — 
die  allermodernsten  begriffe  auf  das  mittehilter  überträgt.  So  charaliterisiert  er 
die  stücke  der  Rosvitha  folgeudermassen :  Gallicanus  ist  eine  historische  tragö- 
die,  Dulcitius  streift  an  die  posse ,  Abraham  scheint  das  bürgerliche  rührstück 
vorzubereiten,  Callimachus  gibt  ein  beispiel  einer  liebestragödie  mit  den  sonder- 
barsten anklängen  an  Shakesjieares  Romeo  und  Julia.  Die  fahrenden  spielleute 
sind  ihm  ,,  die  waudernden  Journalisten"  des  mittelalters ,  ihre  tätigkeit  gleicht  — 
einem  illustrierten  witzblatte,  indem  ihre  eigene  person  die  Illustration  zu  dem 
texte  liefert.  Das  Ludwigslied  ist  ein  —  „  leitartikel ,  ein  wolgefüUtes  weih- 
rauchsfass." 

Wir  sind  hiermit  an  die  stelle  gekommen,  wo  sich  Inhalt  und  form  berüh- 
ren; auch  das,  was  man  den  stil  zu  nennen  pflegt,  ist  von  der  subjectivität  des 
autors  durchtränkt.  Das  zeigt  sich  schon  in  dem  verhältnismässig  sehr  häufigen 
gebrauch  des  personalpronomeus  der  ersten  person ,  ferner  in  wendungeu ,  welche 
bestirnt  sind,  das  kategorische  zum  hypothetischen  herab zustinnnen  wie:  ,,über  die 
richtigkeit  des  einen  oder  andern  zuges  kann  gestritten  werden"  (9)  —  ,,das  ist 
freilich  nur  ein  versuch  zu  deuten"  (11)  —  ,,wie  ich  glaube"  (25)  —  ,,wir  glauben 
zu  erkennen  "  (28)  —  ,,wenn  ich  einer  Vermutung  ausdruck  geben  darf"  (38)  und 
ähnlichen.  Sodann  hat  die  ganze  satzbildung  und  ausdrucksweise  etwas  eigentüm- 
lich stimulirendes.  Rednerische  figuren,  namentlich  anaphora  und  antithese,  tra- 
gen dazu  bei,  aber  dennoch  ist  die  diction  im  algemeinen  frei  von  dem  eigent- 
licben  pathos  des  redners;  poetische  vergleiche  wie  der  prachtvolle  s.  23  der  Ger- 
manen vor  der  völkerAvanderung  mit  einer  brausenden  see  und  auf  erweckung  der 
begeisterung  berechnete  toaste ,  wie  etwa  der  schlusspassus  des  ersten  capitels  sind 
selten;  lange  schwungvolle  perioden  liegen  auch  nicht  in  Scherers  art.  Vielmehr 
sind  die  sätze  durchgängig  kurz  und  lose  aneinandergereiht ,  die  Übergänge  stets 
geschickt,  die  gedanken  oft  wie  spielend  aneinandergereiht.  So  gleicht  der  stil  — 
und  damit  glaube  ich  sein  wesen  am  besten  bezeichnen  zu  können  —  demjenigen 
tone,  welcher  in  geistvoller  conversation  üblich  ist;  wer  den  reiz  einer  solchen 
zu  würdigen  weiss,  der  wird  es  verstehen,  wie  gern  man  den  Schererschen  aus- 
führungcn  folgt,  grade  weil  sie  sich  nicht  in  docirendem  tone  aufdrängen. 

Zum  schluss  noch  eine  äusscrlichkeit.  Der  göttliche  dulder  hat  doch  wahr- 
lich zu  lande  und  wasser  genug  auszustehen  gehabt,  so  dass  man  ihn  nach  einigen 
Jahrtausenden  wenigstens  verschonen  dürfte.  Nun  muss  er  es  sich  aber  dennoch 
selbst  in  diesem  buche  noch  gefallen  lassen,  in  jener  schauderhaften  entstelluug 
seines  tref liehen  namens ,  welche  weder  griechisch  noch  lateinisch  ist,  auf  s.  28  (auf 
s.  76  können  wir  sie  als  Schreibung  des  archipoeta  eher  passieren  lassen)  citiert 
zu  werden.  Hier  hoffen  wir,  dass  bei  einer  zweiten  aufläge,  welche  ohne  zweifei 
über  kurz  oder  lang  nötig  wird ,  —  um  parlamentarisch  zu  reden  —  wandel 
geschafft  werde. 

Fassen  wir  unser  urteil  zusammen.  Das  buch  entspricht  in  der  tat  einem 
vorhandenen  bedürfnis.  Denn  es  ist  erstens  von  einem  gründlichen  und  selbstän- 
digen kenner  der  sache  und  zweitens  in  anziehender  und  anregender  weise  geschrie- 
ben —  zwei  Vorzüge,  die  sich  nicht  grade  häufig  zu  vereinigen  pflegen.  Wenn 
dem  leser  auch  einige  unerwiesene  und  unerweisbare  combinationen  vorgetragen 
werden,  so  ist  das  kein  unglück;  denn  wesentlich  falsch  wird  dadurch  das  bild, 
welches  er  von  den  geschilderten  zuständen  bekomt ,  nicht;  sie  erscheinen  ihm  doch 
so,    wie   sie    nach  dem  neusten   stände   der   forschung  gewesen  sein  müssen.     Wir 


122  GEBING 

glauben  somit  dem  buche  eine  ziemlich  weite  Verbreitung  und  erfolgreiche  concur- 
renz  prognostizieren  zu  können  und  wünschen  dieselbe  im  Interesse  unserer  deut- 
schen nation ;  denn  das  endziel  des  Verfassers  ist,  „die  Überzeugung  zu  wecken, 
dass  das  heil  der  deutschen  cultur  nur  dort  zu  finden  ist,  wo  es  unsere  grossen 
classiker  zu  finden  glaubten." 

TBARBACH    A.    T>.    MOSEL,    APRIL    1880.  F.    SEILER. 


Beöwulf.     Mit  ausführlichem  glossar  herausgegeben  von  Moritz  Heyne. 

Vierte  aufläge.     Paderborn  1879.     VUI,287ss.     8.     (A.  u.  d.  t.:    Bibliothek 
der  ältesten  deutschen  litteraturdenkmäler.     III.  band.)     5  m. 

Es  unterliegt  keinem  zweifei ,  dass  von  allen  bisher  erschienenen  Beowulf- 
ausgaben  die  von  Heyne  die  beste  und  brauchbarste  ist,  und  somit  wird  es  gewiss 
von  allen  selten  freudig  begrüsst  worden  sein,  dass  er  sich  trotz  mannigfacher 
bedenken  dazu  entschlossen  hat,  eine  neue  aufläge  zu  veranstalten.  Diese  muss 
unbedingt  als  eine  wesentlich  verbesserte  bezeichnet  werden,  wenn  auch  eine  kleine 
zahl  von  fehlem  und  unvolkoramenheiten  sich  nachweisen  lassen ,  die  bei  grösserer 
Sorgfalt  hätten  vermieden  werden  können.  Sie  fanden  sich  ungesucht,  als  ich  im 
verflossenen  Winterhalbjahr  in  meiner  societät  die  ersten  zwölf  abschnitte  des  gedich- 
tes  interpretierte ,  und  sollen  hier  mitgeteilt  Averden ,  nicht  aus  lust  am  tadeln, 
sondern  um  den  verdienten  herausgeber  darauf  aufmerksam  zu  machen,  wo  etwa 
bei  der  fünften  aufläge  noch  die  bessernde  band  anzulegen  wäre. 

Wenn  ich  zunächst  daran  gehe,  anzugeben,  wodurch  sich  die  vierte  ausgäbe 
von  den  früheren  unterscheidet,  so  will  ich  den  umstand,  dass  im  texte  das  zei- 
chen V  durch  ZV  ersezt  ist ,  nicht  besonders  hervorheben :  es  ist  das  eine  äusserlich- 
keit,  der  ich  wenig  bedeutung  beilege.  Von  weit  grösserer  Wichtigkeit  ist  es,  dass 
die  neueren  Beowulfforschungen  in  ausgiebiger  weise  verwertet  worden  sind.  So 
ist  z.  b.  überall  auf  die  neue  collation  der  liandschrift  durcli  Kölbing  rücksicht 
genommen ,  die  freilich  für  die  berichtigung  des  textes  ziemlich  ergebnislos  gewe- 
sen ist.  Sodann  haben  die  in  verschiedenen  Zeitschriften  veröffentlichten  textkriti- 
schen aufsätze  verdiente  berücksichtigung  gefunden;  und  zwar  sind  es  namentlich 
die  glänzenden  emendationen  von  Sophus  Bugge,  die  in  der  tidskrift  for  philo- 
logi  og  pasdagogik  (VIII,  40-72.  287—305)  und  in  dieser  ztscbr.  (IV,  192  —  224) 
publiciert  wui-den,  welche  auf  die  textgestaltung  den  wesentlichsten  einfluss  aus- 
geübt haben.  Während  Heyne  noch  in  der  dritten  aufläge  die  vorschlage  von 
Bugge  meist  vornehm  ignorierte,  ist  er  ihnen  in  der  vierten  fast  immer  gefolgt: 
so  schreibt  er  jezt  mit  Bugge  v.  19  eafera  statt  eaferan  und  schliesst  v.  18 '^  in 
klammern  ein,  während  er  in  der  dritten  aufläge  noch  gegen  Grundtvig  und  Grein 
polemisiert,  die  dasselbe  vorgeschlagen  hatten;  v.  84,  wo  Bugges  Scharfblick  zuerst 
das  richtige  erkante,  ist  Heyne  ebcnfals  dem  genialen  Norweger  gefolgt;  v.  369 
fasst  er  jezt  mit  Bugge  ge-ähtlmi,^  als  gen.  sg.  eines  sw.  m.  oder  f.  in  der  bedeu- 
tung „hochschätzung";  v.  770  steht  jezt  nach  Bugges  Vorschlag  ealii-scerwen 
(nom.  sg.  eines  st.  f.);  vgl.  ferner  v.  835  —  36,  wo  die  interpunction  nach  Bugge 
geändert  ist;  v.  977,  wo  jezt  mit  Bugge  ni/d-gripe  gelesen  wird;  v.  1366,  avo  nach 
Bugges  Vorgang  das  handschriftlich  nicht  überlieferte  man  wider  gestrichen  ist; 
v.  2447,    wo  Heyne  sich  ebenfals  durch  Bugges  ausführungen  bestimmen  Hess,    die 

1)  Über  die  quantität  der  Wurzelsilbe  s.  u. 


ÜBER   BEOWULF    ED.    HEYNE  123 

lesart  des  codex  {lorece)  widerherzustcUen ;  v.  3105  {neän  mit  Bugge  statt  ne  on) 
usw.  —  Auch  iu  der  ansetzung  der  Wortbedeutungen  im  glossar  ist  Heyne  mehr- 
fach Bugge  gefolgt,  was  in  der  ausgäbe  vielleicht  ausdrücklich  hätte  erwähnt  wer- 
den können:  so  wird  (cfen-grom  jezt  mit  recht  als  „nachtfeind"  erklärt  (früher 
cefen-gröm,  custos  vespertinus) ;  o'r-gdd  als  „von  lange  her  gut"  (früher  „gut  an 
ehren");  dced-hata  als  „der  durch  seine  taten  verfolgende"  (früher  d(vd-hdta, 
tatengebieter);  ealand  wird  nicht  mehr  durch  „insel"  übersczt,  sondern  durch 
„wasserreiches  land";  statt  ealet  „weilen  auf  dem  wasser"  finden  wir  jezt  eolet 
„meer";  feorhlagu  gibt  Heyne  jezt  durch  „das  vom  Schicksal  bestirnte  leben" 
(früher  „niederlage  des  lebens,  tod");  helrüna  durch  „zauberer"  (früher  „vertrau- 
ter ratgeber  der  höUe");  0)i-h6hsnian  durch  „hemmen"  (früher  ,.  vertreiben ") 
u.  a.  ra. 

Ich  hätte  nun  freilich  gewünscht,  dass  Heyne  noch  öfter  den  neueren  for- 
schem gefolgt  wäre.  So  halte  ich  v.  31  Eiegers  änderung  des  handschriftlich 
überlieferten  leöf  in  Uf  (iu  dieser  ztschr.  III,  881)  für  unumgänglich  notwendig; 
aus  dem  verbum  weöld  ein  subst.  geiveald  zu  ergänzen,  wie  Heyne  vorschlägt,  ist 
denn  doch  eine  etwas  starke  Zumutung.  Dass  die  „dichterischen  und  seltneren  aus- 
drücke für  fürst  ohne  eine  nähere  bestimmuug  (durch  adjectiv,  possessiv  oder  gene- 
tiv)  im  ags.  kaum  vorkommen,"  wie  Heyne  behauptet,  ist  unrichtig:  vgl.  z.  b. 
Andr.  1662  ßät  iväs  ßam  loeorode  iveor  tö  geßoligenne,  pät  hie  se  leödfruma 
leng  ne  tvolde  ivihte  gewunian;  Elene  191  ät ßam  se  leödfruma  fuhvihte  onfeng ; 
Metra  I,  2ß  ßeäJi  iväs  magorinca  möd  mid  Crecum,  gif  hi  leödfruman  Icestan 
dorsten;  Beöw.  2131  ßät  iväs  Hrödgäre  hreöiva  tornost  ßära  ße  leödfruman  lange 
hegeäte  usw.  —  Dass  isig  (v.  33)  noch  immer  durch  ,,erzgläuzend"  erklärt  wird, 
lässt  sich  in  keiner  weise  rechtfertigen :  das  erz  heisst  ags.  är,  eer  und  das  davon 
abgleitete  adjectiv  ceren ;  dass  gotischem  ai  jemals  im  ags.  i  entspräche,  ist  mei- 
nes Wissens  bisher  nicht  nachgewiesen,  und  wie  wolte  man  die  erhaltung  des 
ursprünglichen  s  in  isig  (got.  *aizeigs)  erklären?  Leo  selbst  hat  später  nicht  mehr 
an  seine  von  Heyne  adoptierte  deutung  geglaubt:  im  ags.  glossar  s.  260  ist  isig 
mit  recht  zu  is  gestelt.  —  seomian  (v.  161)  übersezt  Heyne  durch  ,,  in  fesseln 
legen,  fangen";  diese  bedeutung  findet  jedoch  durch  keine  parallelstelle  eine  stütze 
(auch  nicht  durch  Exod.  209,  wo  Leo,  ags.  glossar  138,  das  verbum  fälschlich  in 
demselben  sinne  fasst);  es  ist  vielmehr  mit  Grein  seomian  auch  hier  in  seiner 
gewöhnlichen  bedeutung  „weilen,  harren"  zu  nehmen.  Dann  muss  man  natürlich 
nach  geogoäe  stark  interpungieren  und  nach  syrede  nur  ein  komma  setzen ;  die 
Übersetzung  Greins :  „er  lag  unheilbrütend"  ist  dem  sinne  nach  durchaus  richtig. — 
V.  303  —  305  sind  von  Bugge  (in  dieser  ztschr.  IV,  195  fg.)  im  wesentlichen  richtig 
erklärt  und  Heyne  hätte  an  dem  ,,ferkel,"  welches  bereits  Grundtvig  beanstandete, 
nicht  festhalten  sollen,  hleorberan  liess  Bugge  unberührt,  weil  er  das  wort  nicht 
sicher  zu  deuten  wüste.  Heynes  Übersetzung  „wangenträger"  ist  nicht  zu  brauchen, 
es  wäre  das  eine  wunderliche  bezeichnung  für  den  ,,teil  des  helmes,  der  die  wange 
schüzt";  auch  solte  es  schwer  fallen,  ein  analogen  zu  finden.  Das  richtige  lässt 
sich,  wie  ich  meine,  durch  eine  einfache  änderung  herstellen:  man  lese  hleör-ber- 
gan  —  es  ist  oifenbar  derselbe  teil  des  helmes  gemeint,  der  Exod.  175  cinberg 
genant  wird.  Die  namen  der  schutzwatten  sind  häufig  mit  dem  werte  beorh,  beorge 
gebildet,  vgl.  heulsbeorh,  liealsbeorge  (mhd. /tttZsöerc,  halsberge),  Haupts  ztschr.  IX, 
423.521;  breöstbeorliLeo,  ags.  glossar  232;  bänbeorh  ehda;  heafodbeorh  Beövf.  1031. 
e  für  eo  findet  sich  auch  sonst  im  Beöwulf:  Heregär  467,  etonisc  2617,  ferh  2707, 
gehäo  3096 ,  medu  2634  u.  ö. ,  metod  (nur  1078  meotod) ,  iverod  652  u.  ö.  —  V.  414 


124  GERING 

schreibt  Heyne  hädor,  das  eiu  st.  in.  sein  und  „lieiterkeit"  bedeuten  soll.  Dies 
wort  ist  aber  meines  wissens  sonst  nirgends  belegt;  es  gibt  auch  keinen  guten 
sinn:  wer  wird  denn  sagen,  dass  sich  die  abendliche  sonne  hinter  der  heiterkeit 
des  himniels  verbirgt?  Greins  Schreibung  haäor  (für  heaäor)  scheint  mir  daher 
durchaus  den  vorzug  zu  verdienen.  —  Die  Heynische  deutung  der  verse  445  —  451 
halte  ich  für  unrichtig;  ich  bekenne  mich  vielmehr  zu  der  auffassung  von  Eieger 
(in  dieser  ztschr.  III,  386).  V.  445 — 46  nä  pii  minne  ßearft  hafalan  hydan  sagt 
offenbar  dasselbe  aus  wie  v.  450  —  51  nö  pa  ymb  mines  ne  ßearft  lices  feorme  leng 
surgian;  beide  stellen  deuten  auf  die  piiicht  Hrudgärs,  den  gefallenen  zu  bestat- 
ten. —  Dass  was  (v.  643)  prädicatsverbum  zu  drei  Sätzen  sein  soll,  scheint  mir 
Grundtvig  mit  recht  beanstandet  zu  haben.  Der  gedanke,  in  ßeöd  ein  verbura  zu 
suchen,  war  glücklich,  aber /eöf,  was  Grundtvig  vorschlug ,  ist  eine  unform;  daher 
möchte  iah.  ßeät  schreiben  und  das  komma  nach  sfclum  tilgen;  ,, fröhlich  erscholl 
des  heldenvolkes  lärm."  —  Auch  v.  707  hat  Grundtvig  wol  das  richtige  getroffen, 
indem  er  hiene  als  ein  wort  fasste  und  dahinter  ne  ergänzte;  da  nämlich  im  vor- 
hergehenden und  im  nachfolgenden  von  Beöwulf  die  rede  ist,  scheint  es  am  natür- 
lichsten ,  auch  den  Zwischensatz  auf  ihn  zu  beziehen.  —  heardran  hole  (v.  720) 
ist,  wie  das  nachfolgende  healßegnas  beweist,  unzweifelhaft  acc.  pl. ,  wie  auch 
Grein  annimt,  und  es  ist  mir  durchaus  unerfindlich,  warum  Heyne  es  als  acc.  sg. 
ansezt. 

Ich  erlaube  mir,  bei  dieser  gelegenhelt  auf  zwei  weitere  stellen  aufmerksam 
zu  machen,  die,  wie  ich  glaube,  von  Heyne  falsch  erklärt  sind.  Secg  und  lagu- 
cräftig  man  (v.  208/9)  auf  einen  lotsen  zu  beziehen,  geht  nicht  an,  da  die  tätig- 
keit  des  lotsen  doch  nicht  eher  beginnen  konte  als  das  schiff  bestiegen  ist,  und 
dies  geschieht  erst  v.  211.  Vielmehr  ist  Beowulf  gemeint:  der  hold  führte  sie,  der 
seekundige  mann,  zu  den  landesgrenzen ,  d;  h.  zum  ufer  des  meeres,  wo  das  schiif 
bereit  lag.  Noch  besser  ist  es  vielleicht,  mit  Gi'undtvig  die  werte  secg  loisade, 
lagacräftig  man  in  klammern  zu  schliesseu  und  landgemyrcu  von  söhte  abhängig 
zu  denken.  —  sigon  ätsomne  (v.  307)  übersezt  Heyne:  „sie  giengen  zusammen  tal- 
wärts." Vom  strande  des  meeres  steigt  man  aber  aufwärts  (noch  kurz  vorher 
sind  steile  ufer  erwähnt,  beorgas  steäpe ,  v.  222):  die  Übersetzung  beruht  auf  der 
falschen  annähme ,  dass  sigan  nur  die  Bewegung  von  oben  nach  unten  bezeichnen 
könne,  was  ein  blick  in  Greins  Sprachschatz  richtig  stellen  konte.  Auch  mhd. 
sigen  bedeutet  häufig  nur  „sich  vorwärts  bewegen,''  ebenso  altn.  siga:  beide  wer- 
den oft  von  dem  vorrücken  geschlossener  truppenabteilungen  gebraucht. 

Die  „metrischen  bemerkungen"  hat  Heyne  in  der  neuen  ausgäbe  fortgelassen, 
jedoch,  wie  er  in  der  vorrede  ausdrücklich  hervorhebt,  „nicht,  weil  er  ihre  rich- 
tigkeit  bezweifelt."  Er  hält  also  an  der  vierhebungstheorie  fest  und  man  darf  bil- 
liger weise  darauf  gcspant  sein ,  wie  er  dieselbe  in  der  angekündigten  monographie 
verteidigen  wird.  Seine  abneigung  gegen  die  neue  ketzerische  lehre  ist  denn  auch 
wol  der  grund  gewesen,  dass  er  die  änderungen,  welche  Bugge  und  ßieger  aus 
metrischen  gründen  vornahmen,  fast  sämtlich  nicht  acceptiert  hat.*  So  hat  er  sich 
nicht  davon  überzeugen  lassen,  dass  zwei  gleiche  reimstäbe  in  der  zweiten  halb- 
zeile  unzulässig  sind:  er  schreibt  also  v.  395  nach  wie  vor  güä - geataivum ,  wo 
doch  Riegers  änderung  in  güd - getaiviim  (in  dieser  ztschr.  III ,  386)  den  fehler  in 
der  einfachsten  weise  beseitigt;    v.  1152  behält  er  hroden  bei,    das  Bugge   (tidskr. 

1)  Soviel  ich  sehe,  sind  nur  v.  1542  und  2095  nach  dem  vorschlage  von  Rieger 
(in  dieser  ztschr.  VII,  31)  geändert. 


DBER    BEOWüLF   ed.    HEYNE  125 

YIII,  64.  295)  mit  recht  in  roden  gebessert  hatte;  ebenso  v.  2917  (jehnfegdou,  wo 
Grein  (in  der  bibl.)  und  Bugge  (tidskr.  VIII,  64)  genmjdon  vorschlugen;  v.  574 
stveoräe ,  wo  Rieger  (in  dieser  ztschr.  VII,  9)  das  synonym  mece  einsetzen  wolte. 
Vgl.  ferner  v.  2616,  wo  nach  den  von  Rieger  gefundenen  gesctzen  hyrnan  hrmyäe 
zu  schreiben  war  (ztschr.  VII,  21);  v.  759  wo  (löda  durch  ein  mit  m  anlautendes 
adjectiv  (mödeija)  ersezt  werden  muste  (ztschr.  VIT,  24);  v.  1538.  wo  Rieger  (a.  a.  o.) 
gewiss  richtig  statt  eaxle  feaxe  conjiciert;  v.  1175,  wo  nach  Rieger  (a.  a.  o.  s.  29) 
die  ergänzuug  friäu  nach  den  metrischen  gesetzen  unzulässig  ist.  usw.  —  Gegen 
die  neugefundenen  regeln  der  Verstellung  ist  ebenfals  mehrfach  gesündigt:  vgl. 
947.  1396.  1480.  2158.  2482.  2862.  2870  (Rieger  a.  a.  o.  s.  34  fg.). 

Ein  Verzeichnis  der  wahrgenommenen  druckfeliler  und  sonstigen  kleinen 
versehen  möge  den  schluss  bilden.  Unter  den  ersteren  befinden  sich  mehrere  die 
schon  die  dritte  aufläge  entstelten:  v.  27  steht  in  beiden  ausgaben  tväre  statt 
wccre,  V.  723  hine  statt  hire ,  v.  726  flor  statt  flör,  v.  791  pikje  statt  däge ,  s.  134'', 
z.  10  v.  u.  nora.  statt  nom.  acc. ,  s.  143''  z.  2  v.  u.  onfundc  statt  onfunde  hüan, 
s.  256 ''  fehlt  bei  symhel,  synil  auch  in  der  neuen  ausgäbe  die  angäbe  des  genus; 
s.  265*  z.  13  V.  0.  steht  instr.  statt  praet.,  s.  27ü''  z.  17.  v.  o.  acc.  statt  nom.  acc. 
Von  neu  hinzugekommenen  druckfehlern  habe  ich  die  folgenden  bemerkt:  v.  429 
steht  iviyendra  statt  wtgendra,  s.  84,  z.  11  v.  o.  ist  vor  folcstede  zu  ergänzen  76; 
s.  86,  z.  23  V.  u.  steht  est  statt  es;  s.  87,  z.  2  v.  o.  imbred  statt  timhred ;  s.  87, 
z.  18  V.  u.  419  statt  420;  s.  88,  z,  3  v.  u.  ine  statt  ine;  s.  144^  z.  2  v.  o.  hnan 
statt  hüan;  s.  186'',  z.  22  v.  n.  ylayyivus  statt  glagyvuR.  Nicht  unter  die  kategorie 
der  druckfehler  gehört  es,  wenn  s.  v.  ehtan  noch  auf  ge-(shtla  vorwiesen  wird, 
obwol  dieses  wort  nicht  mehr,  wie  in  der  dritten  aufläge,  dui'ch  ,, Verfolger,"  son- 
dern durch  ,, lobende  besprechung,  hochschätzung"  übersezt  wird.  Statt  gefehtla 
ist  übrigens  geähtla  zu  schreiben  und  ebenso  statt  gecrhtan  geähtan  (das  richtige 
hat  bereits  Bugge  in  dieser  ztschr.  IV,  219,  während  Leo  im  glossar  s.  222  die  bei- 
den Wortsippen ,  die  sich  durch  die  Quantität  des  wurzelvocals  unterscheiden ,  mit 
unrecht  zusammenwirft).  —  scop  ist  in  der  neuen  ausgäbe  richtig  mit  kurzem 
vocal  angesezt,  dagegen  falsch  breme:  dass  die  Wurzelsilbe  lang  ist,  beweist  das 
denominativ  hrhnan,  welches  im  anderen  falle  bremian  oder  hremman  lauten  müste. 
Bugge  schreibt  richtig  brei7ie  (tidskr.  VIII,  41),  ebenso  Leo,  ags.  glossar  s.  367; 
die  von  lezterem  aufgestelte  etymologie  ist  freilich  niclit  zu  brauchen.  —  Den  auf- 
satz  von  Sievers  über  die  altags.  declination  (Paul -Braune  I,  486  —  504)  hat  Heyne 
nicht  berücksichtigt;  sonst  hätte  er  wol  im  glossar  nicht  präg,  sondern  ßräg 
geschrieben,  auch  nicht  trod,  ßrijä,  sondern  irodii,  pryäu.  —  lierian  setzen  Sweet 
und  Zupitza  richtig  mit  kurzem  e  an.  Grein  und  Heyne  falsch  mit  langem;  das 
wort  ist  identisch  mit  got.  hazjan  —  wäre  der  wurzelvocal  lang,  so  müste  der  inf. 
heran  lauten.  —  ealdorcearu  ist  in  der  dritten  und  vierten  ausgäbe  als  sw.  fem. 
aufgeführt,  während  doch  cearu  selbst  richtig  als  st.  fem.  bezeichnet  wird;  reced 
wird  im  ags.  als  masc.  und  neutr.  gebraucht,  Heyne  sezt  es  nur  als  neutr.  an, 
obwol  V.  412  der  attributive  Superlativ  selesta  die  masculinische  Verwendung  bezeugt ; 
dasselbe  schwanken  herscht  bei  dem  werte  segn ,  welches  bei  Heyne  nur  als  st.  neutr. 
figuriert,  während  v.  47  der  acc.  gyldenne  es  als  masc.  kenzeichnet.  —  wuldor  ist 
unrichtig  als  st.  masc.  angesezt,  bei  Grein  und  Zupitza  richtig  als  neutrum. 

HALLE,   APRIL    1880.  HUGO    GERING. 


126  KINZEL 

Die  Wolfram-Literatur  seit  Lachiiiann  mit  kritischen  Anmerkungen. 

Eine    Einfülirung    in   das   studium  Wolframs   von  Dr.  Cr.  Boetticher. 

Berlin,  Weber.   1880.     VI  und  62  s.     8. 

Fast  gleichzeitig  sind  zwei  kleine  Schriften  erschienen ,  welche  eine  Übersicht 
über  die  litteratur  unserer  beiden  grösten  mittelalterlichen  dichter,  Walthers  und 
Wolframs,  gewähren.  Schon  an  sich  ist  dies  ein  dankenswertes  unternehmen,  für 
denjenigen,  welcher  auf  dem  felde  des  mittelhochdeutschen  zu  arbeiten  anfängt 
und  bemüht  ist  sich  über  die  bisherigen  leistungen  zu  orientieren,  aber  auch  für 
den  selbständigen  forsclier,  welcher  sich  oft  schnell  in  den  zahlreichen  Schriften 
zurechtfinden  möchte ,  um  den  überblick  über  die  gefundenen  resultate  nicht  zu 
verlieren.  Dass  dazu  blosse  büchertitel  nicht  genügen  können,  liegt  auf  der  hand: 
sie  zusammenzuschreiben  wäre  bei  uusern  bibliographischen  hilfsmitteln  keine 
Schwierigkeit.  Man  erwartet  vielmehr  nicht  nur  eine  systematische  Ordnung ,  son- 
dern auch  eine  klare  objective  darstellung  dessen,  was  die  erwähnte  schritt  für  die 
erforschung  geleistet  hat,  welche  Stellung  sie  zu  den  hauptfragen  einnimt  und  wie- 
weit sie  einen  fortschritt  für  die  erkentnis  bezeichnet.  Erst  hiernach  mag  der  Ver- 
fasser den  massstab  seiner  kritik  anlegen  und  seine  abweichende  ansieht  sachlich 
darlegen;  keineswegs  aber  ist  es  erträglich,  wenn  sich  derselbe  wie  Willibald  Leo 
in  seinem  schriftchen  über  Walther  ^  gemüssigt  sieht,  meist  ohne  auf  den  inhalt 
einzugehen,  in  abgeschmackter  weise  oft  mit  hochtrabenden,  nichtssagenden  phra- 
sen  sein  urteil  über  jede  schrift,  ja  sogar  über  die  Verfasser  abzugeben. 

Im  gegensatze  dazu  steht  in  jeder  weise  die  saubere  arbeit  Boettichers,  welche 
den  ausgesprochenen  anforderungen  entspricht.  Er  hat  den  lobenswerten  ausweg 
aus  den  Schwierigkeiten,  objectivität  und  kritik  zu  vereinigen,  darin  gefunden, 
dass  er  seine  eigenen  ansichten  in  oft  recht  umfangreichen  anmerkungen  darlegt. 
Dadurch  wird  uns  die  Übersicht  bedeutend  erleichtert  und  auch  denen  der  genuss 
nicht  getrübt,  welche  dem  Verfasser  nicht  zustimmen.  Andrerseits  aber  erhebt  sich 
die  arbeit  durch  die  meist  wolgelungenen  anmerkungen  über  das  niveau  einer  bloss 
orientierenden  einführung  in  das  studium  Wolframs  zu  einer  durchaus  selbständigen 
wissenschaftlichen  leistung.  Alles  zeigt,  dass  der  Verfasser  sich  mit  liebe  und 
urteil  in  den  stoff  vertieft  hat  und  die  massvolle  kritik,  welche  er  überall  übt, 
zeugt  von  guter  sachkentnis.  Eine  besondere  aufmerksamkeit  widmet  er  der  aesthe- 
tischen  betrachtungsweise  des  dichters,  wie  er  ja  auch  schon  früher  darin  gearbei- 
tet hat  (vgl.  Germ.  21,  257  —  331).  Seine  Übersicht  über  das  auf  diesem  gebiete 
bisher  geleistete  ist  nicht  nur  klar  und  anschaulich,  sondern  sie  eröffnet  auch 
lichter  auf  neue  gesichtspunkte  und  legt  die  stellen  bloss,  welche  noch  weiterer 
aufklärung  bedürfen.  Es  steht  zu  erwarten,  dass  der  Verfasser,  wie  er  auch  andeu- 
tet, weitere  Studien  diesen  fragen  zuwenden  wii'd. 

Die  anläge  der  arbeit  ist  folgende.  Der  erste  teil  behandelt  die  grundlegen- 
den forschungen  Lachmanns  und  Haupts  in  bezug  auf  text ,  Interpretation ,  Chrono- 
logie und  quellenfrage,  der  zweite  s.  6  —  GO  nach  denselben  vier  gesichtspunkten 
die  späteren  arbeiten.  Die  kritik  richtet  sich  hier  besonders  gegen  die  ausgäbe 
von  Bartsch,  welche,  obwol  in  zweiter  aufläge  erschienen,  bisher  unseres  wissens 
nie  einen  recenscnten  gefunden,  aber  in  lezter  zeit  manchen  angriff  erfahren  hat. 
Boetticher  verhält  sich  ablehnend  gegen  die  metrik  und  Orthographie  derselben, 
verwirft    mit   beachtenswerthen    gründen    die    echtheit   der   beiden   neu    entdeckten 

1)  Die  gesamte  Literatur  Walthers  von  der  Vogelweide.  Eine  kritisch  -  verglei- 
chende Studie  zur  Geschichte  der  Walther  -  Forschung.      Wien   1880.     X  und  99   s. 


ÜBER    BOETTICHER,    WOLFRAM  -  LITT.  127 

Titurelbnichstücke  (s.  9)  und  gibt  s.  15  fg.  eine  blüteniese  aus  den  erklärnngen  des 
herausgebers,  die  hoffentlich  dazu  dienen  wird,  anfänger  des  Studiums  vor  der 
ausgäbe  zu  warnen.  Die  frage  nach  der  abfassungszeit  der  Titurellioder  hält  der 
Verfasser  nach  Herforths  Untersuchung  in  soweit  für  gelöst,  als  der  Titurcl  sicher 
nicht  vor  dem  Parzival  entstanden  sein  kann.  Mehr,  glaul)t  er  mit  dem  referen- 
ten ,  sei  auch  durch  die  Parcival -Studien  von  Domanig  nicht  bewiesen. 

Tu  der  klaren  darlegung  des  Standes  der  quellenfrage  dagegen  wird  den 
Untersuchungen  von  Bartsch  grosse  anerkennung  gezollt.  Verfasser  konit  freilich 
zu  dem  schluss,  ,.dass  an  greifbaren  resultaten  nicht  viel  mehr  gewonnen  ist,  als 
das  was  Lachmann  aufgestelt  hat,  nur  dass  die  frage  von  mehreren  selten  her  mit 
hilfsmitteln,  die  Lachmann  noch  nicht  hatte,  einer  gründlichen  erörterung  unter- 
worfen ist.  Von  Bartsch  ist  Lachmanns  ansieht  mit  einigen  erheblichen  Stützpunk- 
ten versehen  worden,  von  Birch- Hirschfeld  ist  ein  schwerer  einwand  dagegen 
gemacht  worden ,  der  aber  nicht  so  schwer  wiegt ,  als  die  neuen  Schwierigkeiten, 
die  er  im  gefolge  hat."  Auch  hier  wird  gezeigt,  worauf  die  weiteren  forschungen 
ihr  augenraerk  zu  richten  haben. 

Dass  das  büchlein  auch  manche  unvolkommenheit  hat,  wollen  wir  nicht  zu 
erwähnen  vergessen.  Die  bibliographischen  angaben  sind  nicht  überall  gleich  aus- 
führlich ,  die  correctur  nicht  ohne  tadel.  Bei  registrierung  der  handschiiftenfrag- 
mente  hätten  überall  fundort  und  die  algemeiuen  kenzeichen  der  handschriften 
angegeben  werden  können,  um  bei  neuen  entdeckungen  den  vergleich  zu  erleich- 
tern. Es  wäre  zu  empfehlen  gewesen,  bei  der  besprechung  des  Lachmannschen 
textes  einige  werte  über  sein  verfahren  in  den  anmerkungen  zu  sagen.  Dem  anfän- 
ger besonders  macht  die  ausserordentlich  knappe  behandlung,  die  nicht  bloss  durch 
des  herausgebers  art,  sondern  auch  durch  den  umfang  des  Werkes  geboten  war, 
und  das  Verständnis  der  zeichen  Schwierigkeit. 

S.  9  hat  sich  ein  fehler  eingeschlichen.  Neben  plan  msc.  komt  auch  diu 
plane  im  Parc.  vor,  wie  59,  25  diu  plane  :  nach  tväne  und  117,  10  die  plane  : 
soltäne  zeigt. 

Die  beschränkung  der  darlegung  auf  die  forschungen  seit  Lachmann  hat  au 
sich  berechtigte  gründe,  abgesehen  davon,  dass  die  schritt  aus  einem  vortrage 
erwachsen  ist.  Vielleicht  aber  empfiehlt  es  sich  doch  für  eine  neue  aufläge,  welche 
dem  praktischen  handbuche  nicht  fehlen  wird,  ein  capitel  voraus  zu  schicken,  wel- 
ches uns  über  die  Schicksale  unseres  dichters  vor  Lachmann  orientiert.  Hier  wer- 
werden  dann  auch  einige  kleinere  schritten  wie  das  Reimregister  von  Schulz  u.  a. 
nachzutragen  sein ,  welche  dem  verf.  nicht  zugänglich  waren  oder  von  ihm  über- 
sehen worden  sind. 

BERLIN,    FEBR.     1880.  KARL    KINZEL. 


Seb.    Zehetmayr,    an  alogisch  -  vergleichendes    Wörterbuch    über    das 
Gesammtgebiet  der  indogermanischen  Sprachen.    Auf  Grund  stren- 
ger   Etymologie,    mit    besonderer    Berücksichtigung    des    Latei- 
nischen,  Griechischen,    Deutscheu,    Slavischen  und  Sanskrit.     In 
Commission  bei  F.  A.  Brockhaus,  Leipzig.  1879.    VIII,  536,  XLL   Lex. -8.  M.  12. 
Der  Verfasser  gibt  das  zu  behandelnde  material  im  anschluss   an  den  alpha- 
betisch geordneten  sprachstoff  des  Lateinischen.     Dabei  nimt  er  vor  allem  rücksicht 
auf  die  analogie,   unter  der  er  freilich  gar  mancherlei  versteht.     Wenn  z.  b.  ein 
wort  den  gleichen  lautwandel  zeigt  wie   ein   anderes ,    so  steht  es   in   analogie  zu 
demselben;  vgl.  s.  v.  a:  ,,meco  aus  ecneco  nach  analogie  von  lümen  aus  lucmen." 


128  BEHAGHEL  ,  ÜBER  ZEHETMAYR,  VEBGL.  WÖRTERB. 

Suffixe  stehen  in  aualogie  zu  einander:  s.  v.  ahs:  ,,in  cliesem  -s  stecht  möglicher 
weise  ein  analogen  des  genitivsuffixes  -as ,  gr.  o?."  Drittens  zeigt  sich  analogie 
in  der  bedeutungsentwickelung.  Das  ist  das  moment.  auf  welches  Zehet- 
mayr  den  meisten  nachdruck  legt,  darin  besteht  das  neue,  darin  liegt  der  wert 
seines  buches:  in  sj'stematischer  weise  bietet  Zehetmayr  bei  den  einzelnen  ablei- 
tungen  belege  analoger  bedeutungsentwickelung  aus  derselben  si^rache  oder  aus 
andern  indogermanischen  sprachen,  die  mit  grossem  fleiss  zusammengetragen  sind. 
Also  z.  b. :  unter  accipüer  zu  caplo  wird  Jiahuh  zu  haben  angeführt ,  mit  plangere 
trauern  das  gr.  xönTta&cn  und  germ.  hrimvan  [=  xqoiko  (?)] ,  mit  saecahmi  got. 
manaseds  verglichen. 

Nur  von  einer  ai't  der  analogie  spricht  Zehetmayr  nicht,  nämlich  von  der. 
die  man  heute  gewöhnlich  im  äuge  hat,  wenn  man  das  wort  gebraucht,  von  der 
formenübertragung,  der  einwirkung  eines  wortes  auf  das  andere.  Und  doch,  kaum  ist 
es  glaublich,  beruft  er  sich  am  beginn  seiner  einleitung  auf  ein  wort  von  Curtius: 
,,die  macht  der  analogie  in  der  spräche  an  deutlich  erkenbaren  fällen  nachzuweisen 
ist  eine  wichtige  aufgäbe  der  forschung."  Stud.  6,  262.  Der  schon  hierin  sich 
bekundende  mangel  an  klarheit  des  denkens  wird  auch  sonst  sehr  fühlbar;  gar  oft 
bedarf  es  tiefen  Studiums,  um  der  eigentlichen  meinung  des  Verfassers  auf  die  spur 
zu  kommen.     Wenn  die  mühe  nur  wenigstens  immer  belohnt  würde! 

Das  ist  leider  nicht  der  fall.  Der  Verfasser  besizt  nicht  im  entferntesten  die 
keutnis  des  historischen  sprachgutes  und  der  lautgesctze,  die  notwendig  wären, 
damit  er  wirklich  ,,auf  grund  strenger  etymologie ,''  wie  es  in  der  Überschrift  heisst, 
seine  erklärungen  und  bedeutungsentwickelungen  aufbauen  köute.  Nieraals  ist  man 
sicher,  ob  ein  von  ihm  angeführtes  wort  belegt,  oder  nur  erschlossen  ist,  noch  viel 
weniger,  ob  es  in  der  gestalt  vorkomt,  wie  Zehetmayr  es  verzeichnet.  Höchst 
ergötzlich  ist  es,  die  Fickschen  themen  hier  als  gotische  oder  althochdeutsche  Wör- 
ter auftreten  zu  sehen;  bisweilen  stehen  wir  vor  dem  baren  unsinn.  Für  diese  sätze 
einige  beispiele  aus  dem  Germanischen:  verrucJit  soll  zu  i'rerriechen  gehören.  S.  v. 
accipüer:  got.  ulita  statt  hiulits.  S.  v.  acerhus:  „herb,  von  ahd.  haru,  got.  hai- 
rus  d.  i.  acies,  hären  acuere." !  8.  v.  actus:  ,,der  trieb,  zug,  vom  feldbau  gesagt, 
wenn  der  landmann  nach  10  fuss  wider  mit  der  äyMira  antrieb.  Analog:  got.  tig- 
jus  =  ahd.  -Z7ifj ,  -zig.  Da  die  Goten  normalfurchen  von  nur  60  fuss  hatten,  so 
hört  -tigjus  (=  züge,  zu  tiuhan  agere)  mit  70  auf."  S.  v.  candidus:  got.  airlcna: 
nur  tmairhns  belegt.  S.  v.  capülus  steht  das  got.  wort  einmal  als  skuffs,  einmal 
als  skufta.  S.  v,  capto:  gagrefti  statt  gagrefts.  S.  v.  capsa  erscheint  got.  fodr 
die  scheide  als  fodr  die  einfassung  des  kleides  (,,von  fatan  =  fassen,  capere ,  praet. 
fuot").  S.  V.  cardo:  ahd.  hrutan  statt  ags.  S.  v.  casa:  zu  chez  aus  casa  analog 
,,bei,  in  casa,  eig.  im  bau,  in  bur."  S.  v.  genius:  gußs  statt  guß.  S.  v.  cun- 
nus:  ,,mhd.  brüne  cunnus  (altn.  hrynja  zerschneiden);  daher  Briinhilde."  Sub  v. 
deus:  ,,Wuotan  für  Wuotant  i.  e.  penetrans."  S.  v.  descisco:  altn.  skiarr  fugax 
,,der  sich  gleich  schert."  S.  v.  furfur:  ,,ahd.  zemisa  die  zemsen ,  die  klcie  zu 
ja[.it7v." 

Summa:  nur  derjenige,  der  im  stände  ist  und  lust  hat,  jede,  auch  die 
kleinste  angäbe  genau  nachzuprüfen,  nur  der  kann  Zehetmayrs  buch  überhaupt 
gebrauchen. 

HEIDELBERG  ,    29.  JULI    1879.  OTTO   BEHAGHEL. 


HaUe,  Bucb<lrupkerei  des  W.iisenhauses. 


HALBERSTÄDTER  BRUCHSTÜCKE. 


AUS    EINER   PREDIGTSAMLUNG. 

Acht  pergamentblätter,  duodez,  13"  lioch,  10 V2"  breit,  25  —  30 
nicht  linierte  Zeilen  auf  der  seite  enthaltend;  schrift  des  14. —  15.  Jahr- 
hunderts. Die  lesharkeit  hat  auf  hl.  l''  2"  3"  4^  5*^  6''  7''  einiger- 
massen  dadurch  gelitten,  dass  die  blätter  als  buchdeckel  aufgeklebt 
waren.  Bl.  8  enthält  ein  gereimtes  gebet  au  Maria.  Die  rückseite 
von  bl.  8  ist  kaum  zu  entziffern.  Auf  allen  übrigen  seiten  ist  es  mit 
einiger  mühe  gelungen ,  bis  auf  einige  zweifelhaft  gebliebene  stellen, 
alles  zu  lesen. 

[1.     Von  den  fünf  pfunclen.] 

[Ev.  Matthaei  25,  14  —  30.1] 

* 
[Bl.  1"]  ubersen,  von  der  wile  daz  wir  geboren  worden,  biz  daz 
ein  bra  an  de  anderen  cumeth,  went  an  unserm  toth,  als  wenich  so 
er  des  cleinsten  hares  vorgezen  wil,  we  wiz  ^  verloren  han.^  darumbe, 
ir  herschapht  allen  samt,  durch  den  almechtigen  got  leget  uwer  zit 
nutzechlichen  an.  wir  eomen  alle  nuwelichen  her,  unde  müzeu  alle 
schir  von  hinnen.  —    zo  dem  ander*  male  suleu  wir  wider  reiten  von 

1)  Diese  predigt  erweist  sich  als  eine  sehr  gekürzte  und  frei  behandelte 
widergabe  von  bruder  Bertholds  predigt  von  den  fünf  pfänden  in :  Berthold  von 
Regensburg.  Vollständige  ausgäbe  seiner  predigten  usw.  von  Franz  Pfeiffer.  Bd.  1. 
Wien  1862.  no.  II.  s.  11 — 28.  —  Für  die  bequenilichkeit  des  gebrauches  erschien 
es  zweckmässig ,  hier  in  den  anmerkungen ,  neben  den  angaben  und  bemerkungen, 
die  sich  auf  fehlerhafte,  nachlässige  oder  zweifelhafte  Schreibungen  im  texte  der 
bruchstücke  beziehen,  auch  die  hauptsächlich.=;ten  entsprechenden  stellen  aus  dem 
texte  der  Pfeiff'erschen  ausgäbe  beizufügen.  J.  Z. 

2)  We  wiz]  1.  wie  wirz. 

3)  Und  ir  sult  daz  dritte  pfunt  lesen  an  dem  dritten  gelide.  Daz  ist  diu 
zit ,  die  iu  got  ze  lebene  hat  geben ,  der  wil  got  niht  enbern :  er  wil  wizzen ,  wie 
wir  sie  vertriben,  alse  wenic  got  des  niht  enbern  will,  wa  daz  minneste  hfir  si, 
daz  er  dir  verlihen  hat,  wie  du  es  äne  worden  bist.     Berth.  s.  19. 

4)  Daz  ander,  da  von  du  gote  solt  widerreiten  sine  zit,  daz  ist,  daz  du  die 
in  gotes  lobe  vertriben  Solt,  mit  gebete,  mit  kirchgange,  usw.     Berth.  s.  21. 

ZEITSCHR.    F.    DEUTSCHE    PHTLOLOOIE.      BD.    XII,  9 


130  G.    SCHMIDT 

unser  zit.  daz  ist  daz  wir  alle  unser  zit  stete  an  gotte  bliven 
sulen ,  unde  nimber  von  gotte  gescheiden  wollen ,  durch  einer  slachte 
gut,  noch  durch  vrunde,  noch  durch  vorchten,  noch  durch  nicht  uph 
al  der  werlde ,  wan  daz  we  stetin  willen  haben  bi  gotte  zu  blivende. 

daz  verde  phunt,^  daz  uns  unser  herre  bevolen  hat  durch  zwei 
dinch,  unde  müzen  ouch  zwivalt  widerreithen  von  dem  selben  phunde, 
daz  ist  erdische  guth.  davon  sult  ir  zu  dem  irsten  widerreiten, 
daz  ir  kint  unde  husvrowen  unde  iuwer  gesinde  unde  iuch  selber  davon 
besorgen  sulet  an  spise  unde  an  gewande  de  not  dürft,  unde  solt 
des  anderen  ein  teil  durch  got  geben, ^  unde  nicht  durch  ere, 
noch  durch  rom,  noch  durch  guften ,  noch  durch  loblacheit,  weder 
gumpelvolke  noch  spamanne  •'  noch  niman  wan  durch  got.  so  sol  wir 
anderstunt  wider  reiten  von  unsem  gute,  swaz  iu  über  wirt  ober 
iuwer  not  [l**]  durfth,  daz  sult  ir  lien  durch  got  armen  luten*  uf 
gut  phant.  daz  ist  iu  an  sunde ,  daz  ir  uph  guth  phant  ^  lieth ,  wan 
ez  ist  nu  so  vil  trogene  in  dem  lande,  daz  man  es  nimber  zo  sicher 
machen  mach,  davon  ist  daz  an  sunde,  daz  ir  gutez  phant  nemet,** 
unde  sult  aber  nichtes  nicht  darumbe  nemen,  wider  vor  noch  nach, 
weder  penninghe  noch  cleynode,  noch  diz  noch  genz,  noch  deine  noch 
groz,  wanne  gottes  Ion.  nu  sech,  ich  were  rechte  ein  tore,  ob  ich 
gottes  hulde  wol  erwerben  mochte  an  aller  slachte  kumber  unde  an 
arbeith  unde  aller  slachte  schaden:  also  mogeth  ir  gotes  hulde  irwer- 
ben  an  aller  slachte  ungemach,  nicht  wen  daz  ir  lieth  durch  got  nnde 

1)  Daz  vier  de  pfunt  daz  iu  der  almehtige  got  enpfollieu  hat  unde  niht 
enbern  wil,  ez  müeze  im  daz  selbe  pfunt  ein  ieglich  mensche  widerreiten  zwivalt, 
das  ir  ouch  merken  sult  an  dem  vierden  glide,  daz  ist  din  guot,  din  irdenisch 
guot,  daz  dir  got  enpfolhen  hat.  Daz  hat  dir  got  durch  zwei  dinc  enpfolhen. 
Als  er  dir  disiu  fünf  pfunt  alle  hat  enpfolhen,  iegelichez  umbe  zwei  dinc,  also  hat 
er  dir  ouch  din  irdenisch  guot  enpfolhen  umbe  zwei  dinc.  Daz  eine:  daz  du  es 
niozen  solt  zuo  din  er  nutdurft,  swar  du  sin  ze  rehter  not  bedarft  unde  din 
husfrouwe  undo  din  kint  und  ander  din  gesinde.     Bertli.  s.  24. 

2)  Dannoch  sult  ir  ez  ze  dem  andern  male  widerreiten:  daz  ist,  daz  irz 
in  gotes  lobe  niezen  sult.     Berth.  s.  25. 

3)  spamanne]  1.  spilmanne.  —  Gist  aber  du  ez  den  lotern  unde  den  gum- 
pelliuten  durch  lop  oder  durch  ruom,  dar  umbe  muostü  gote  autwürten.  Berth. 
s.  25.  —  Vgl.  W.  Wackernagel,  gesch.  d.  deutsch,  litt.  2.  ausg.  §43.  anm.  22. 
s.  131  fg. 

4)  Ir  sult  ouch  armen  liuten  lihen,  daz  sit  ir  gote  von  iuwerm  guote 
schuldic,  wan  da  von  werdet  ir  niemer  desto  ormer.     Berth.  s.  26. 

5)  Hs.r  pant. 

6)  Ir  müget  aber  gar  wol  guotiu  pfant  nemen,  wan  ez  ist  aber  armuot 
leider  oft  untugenthaft,  unde  da  von  erloubet  iu  got  wol  daz  ir  guotiu  pfant 
dar  umbe  nemet.    Berth.  s.  27. 


HALBERSTÄDTER    BRÜCKST.       I.    PREDIGTEN  131 

daz  ir  nimber  desto  avmer  werdet,  waii  daz  mau  liet,  donie  ist  rechte 
als  der  sunnen  seliine.  swe  vil  uns  de  suuue  ires  lichtes  litli,  so  hat 
se  siu  nicht  deste  miuuer,^  wan  se  niunnet  ez  io  des  nachtes  wider  zu 
ir.  unde  schiuet  aber  des  anderen  tages  als  vil  als  davor,  unde 
darumbe  daz  uus  de  sunne  ir  leclit  lieth  bi  dem  tage ,  so  wil  se  unser 
herre  schöner  macheut  an  deui  iuugesten  tage ,  dan  se  itzunt  si ,  unde 
wil  den  manen  ganz  maclieii,  darumbe  daz  her^  uus  siu  leclit  lihet 
itwonue  bi  der  nacht  ein  weuich  also  wil  iuch  der  almechiege  got 
gar  schone  mach  |2'']  en,  de  also  widerreiten,  daz  se  durch  got  lient 
uude  gebeut,  phi  rouber,  waz  sieth  (?)^  ir  disseu  armen  gottes  kinden 
vor  miueu  ougen  uude  ir  gewalt  ser  *  unrechte  voit!  girer,  we  rei- 
testu  wider  au  den  jungesten  tage!  unde  ir  vrowen,  de  dar  gewaudes 
über  einander  legeut,  daz  iz  irfuleth,  daz  rechte  de  strige  •''  nider  bre- 
steu  mochte,  so  mantel  so  mantel,  so  rucklin  unde  ruckliu,  so  badlie- 
lachent  uude  badlielachen ,  so  vorspan  uude  verspan ,  des  ist  also  vil, 
daz  etliche  über  einander  legeut:  uude  ist  manich  armer  mensclie,  der 
rechte  irvresen  mochte  dabi.  b  rüder  Bartolt,  da  wolle  wirz  durch 
(uuser  seien)  willen  gebeue  so  wir  an  unsem  dodhe  legeut/'  so  endowe'^ 
wer  vor  unsen  wirten  anders  nicht  '^  delen.  so  wan  unser  gewaut  vil  ^ 
wüuderlicheu  valde,^"  gib  iz  umbe  pheniughe ,  wan  daz  ir  zo  rechter 
not  bedhurfeth,  so  gebet  daz  andere  hin.  unde  helphet  einen  ittes- 
weune  sex  pheuninge  also  wol  de  eme  . .  .  liech  ist,  der  im  se  umbesus 
gebe,  darumbe,  ir  herschapht  allen  samt,  durch  den  almechtogeu  got 
gelebeth^^  also  umbe  gottis  hulde  unde  daz  (iz  aue?)  schadlien  si. 

daz  phumte   phunt,    da  wir   eme  von  wederreiten  solen    v(ude 

)  an  dem  jungesten  tage ,  daz  ist  von  ( )  dinston ,  davon 

moze  wir  euch  (zwivalt)  widerreiten. ^^  —  zo  dem  ersten  (saltu)  dineu 

1)  Wan  alse  diu  sinino  aller  der  werlte  ir  schin  lihot,  des  hat  sie  deste 
miliner  niht.    Berth.  s.  26. 

'2)  Hs.:  liir.  Die  angäbe,  dass  gott  am  jüngsten  tage  den  niond  ganz  i^glanzV) 
machen  werde,  fehlt  im  Pfeifferschen  texte,  ebenso  wie  das  folgende,  was  hiernach 
bezüglich  auf  das  vierte  ])funt  gesagt  wird. 

3)  sietliir]  etwa  :  scathir  d.  i.  schadet  ir?        4)  gewalt  ser]  1.  gewaltesere. 

5)  de  strige]  der  schräge?         6)  Hs. :  lelegent.         7)  eiidowe]  1.  endorre. 

8)  Hs. :  nicht  anders  nicht.         9)  Hs. :  wil.        10)  Unverständlich. 

11)  gelebeth  unsicher  zu  lesen. 

12)  Daz  fünfte  pfimt  daz  ist:  daz  du  dinen  nfehsten  m  innen  solt  alse 
dich  selben.  Daz  pfunt  muost  dfi  ouch  zwivalt  widerreiten,  wan  du  solt  dinen 
nffihsten  zwivalteclichcn  miuuen.  Einhalp  solt  du  in  minnen  in  got,  anderhalp 
soltü  in  minnen  durch  got.  —  Des  ersten  soltü  dinen  ehenkristen  min- 
nen in  got.  Daz  ist  also  gesproclien.  daz  du  kein  dine  tuon  solt  durch  dekei- 
nen  dinen  vriuiit    daz   wider    got   ist,    weder   roup   noch  braut,    weder  manslaht 


132  G.    SCHMIDT 

ebencristeii  diireh  got  lep  haben,  daz  dir  leith  si,  [2'']  swaz 
ime  werre.^  iinde  ob  her  baz  mach  danne  dhu,  des  saltu  in  nicht 
niden.  ab  her  dir  icht  leydes  hat  getan,  du  salt  doch  in  durch  got 
rechte  leph  han  unde  durch  recht  wedher  niden  noch  haz  tragen,  ist 
ieman  hir,  der  vientschapht  habe  unde  sinen  ebencristen  haz  unde  nid 
trage ,  der  sal  daz  hüte  gotte  geben  den  worten ,  daz  ime  der  almech- 
tege  got  alle  sine  sunde  vorgebe.''^  wan  her  muz  von  dem  phumthen 
])hunde  also  wol  widerreiten  als  von  dem  ersten,  als  von  dem  anderen 
unde  von  dem  dritten,  also  wol  muze  wir  von  dem  vierden  unde  von 
dem  phuniten  widerreiten. ^  darumbe,  ir  herschapht  alle n samt ,  durch 
den  almechtegen  got  habet  iuwen  ebencristen  leph  durch  got,  ob  her 
ez  umbe  dich  vordhenet.  hat  her  dinen  vater  irslagen  oder  dhineu 
bruder  oder  bi  dhiner  swester  gelegen  oder  dhine  niphtelen  geoneret 
ofte  dine  husvrowen ,  oder  swaz  her  de  zo  leidhe  getan  habe ,  daz  saltu 
im  allez  durch  got  vorgeben,  —  zo  dem  anderen  male  so  solt  ir* 
iuweren  ebencristen  leph  haben  in  got.  nu  seth ,  daz  ist,  also  de 
dhin  ebe(n)cristen  nicht "  tuth ,  deme  saltu  weder  haz  noch  nidh  tragen 

durch  got  unde  dheme,   der  dhe  leith  hath  getan  unde  der  ( ) 

hat  getan ,   daz  dhu  in    in   got   leph  habest   ( )  in  iraber  so  leph 

gehabest,  daz  du  im  ( )  durch  sinen  willen  tost,  ez  si  kint  oder 

(vater,  swest)er  oder  nephe  oder  bruder  noch  chein  (mensche?)  sol 
der  imber  so  leph  wer  [3*]  den,  daz  du  totliche  sunde  tost  durch  in. 
wan  daz  ist  allez  unrecht  lebe."  swer  durch  sinen  vrunt  totliche  sunde 
toth  als  ludas,  der  wart  girich  durch  siner  kinde  willen,  da  huthe 
recht  al  de  werlt  vor.  laz  iu  neman  so  leph  sin,  als  ludas,  daz  ir 
unrechtiz  gut  gewinnet  durch  husvrowen  oder  durch  kint  oder  durch 
iuch  selben ,  noch  meineth  sweren ,  noch  neman  slan ,  durch  cheinen 
iuweren  vrunt ,  noch  cheiner  slachte  totliche  sunde  sult  ir  durch  niman 
tun.  daz  ist  in  got.  ir  sult  ouch  iiimandes  viant  sin,  der  iu  leit  hat 
getan,     daz  ist  durch  got. 

noch  wunden,  noch  nilites  niht  in  aller  der  werlt.  Bertb.  s.  27.  —  Die  beiden 
teile,  minnen  in  got  und  durch  got,  sind  im  texte  dieses  bruchstückes,  gegen- 
über dem  Pfoiiferschen  texte,  unigestelt. 

1)  Ze  dem  andern  male  soltu  dinen  ebenkristen  minnen  durch  got.  Daz 
ist,  daz  dfi  im  gunnen  solt  daz  du  dir  ganst  eren  unde  guotes  unde  himelriches, 
und  im  ergunnest  daz  du  dir  selben  ganst.     Bcrth.  s.  27. 

2)  Und  ist  ez  halt,  daz  er  dir  gröz  herzeleit  getan  hat,  dannoch  soltü 
in  minnen,  alles  durch  got,  daz  du  im  durch  got  allez  daz  vergebest,  daz  er  dir 
ie  ze  leide  hat  getan  an  libe  oder  an  guote  oder  an  dinen  Munden  oder  an  dinen 
eren  oder  an  dekeinen  dingen,  daz  solt  dfi  im  vergeben,  den  worten,  daz  dir 
gut  alle  dine  sünde  vergebe.     Berth.  s.  27  fg. 

3)  Hs.:  widerreitten.  4)  ir  fehlt  in  der  hs.  5)  nicht]  1.  iht. 
6)  lebe]  1.  leben. 


IIALBERSTÄÜTKR    BRUCHST.       1.    I'RKDIÜTEN 


133 


also  lernet  vviderreiteii  unde  setli  alle  tage  an  lieiide  uiule  an 
voze/  we  ir  de  phnm  phuut  vviderreiten  soletli.  viide  dliat  liatli  iu 
got  an  iuvver  heiide  unde  iuwer  voze  gescreben.^  darunibe  .sult  ir  ler- 
nen unde  lesen  alle  tage  an  den  gelidhen,  daz  ir  gotte  sculdliich  sit 
wider  zo  reiteiie^  phuni  phunt.  unde  swer  de  also  wider  reitctli,  als 
ich  iu  vor  han  geleget,  den  gesach  got,  daz  her  ie  geboren  wart.^ 
wan  der  stet  (vrolic)hen  au  der  reitunge.  unde  swer  euch  also  nicht 
widerreiteu  wil,  der  sal  hende  nocli  voze  nimber  me  angesen.  phi 
girer,  we  reitestu  wider  an  dem  jungesteu  tage,  dir  gebristet  an  der 
reitunge,^  du  woldest  dhenne  ...  den  rade  wider  geben  oder  imber 
mit  den  tuvelen^  brinnen.  ir  herschapht  (allensamt?),  ab  ir  also 
widerreiten  wollet  oder  nicht,  daz  stet  an  iuwer  vrier  willecheit,  [3''] 
de  nemant  mach  bedwingeu.  unde  swar  ir  iuch  her  gesunieth  haben, 
daz  ir  also  iuch  nicht  geubet  haben,  zo  dem  ersten  an  unseni  libe 
unde  an  unsem  a mm  echte  unde  an  unsem  gute  unde  an  unsem 
ebencristen,'  so  gewinet  wäre  ruwe  unde  chometh  zo  lütterer  bichte 
unde  untfath  buze  nach  gottes  gnaden  unde  nach  iuweren  staden,  unde 
nemet  iuch  an  hinnen  vortli  Avent  au  iuwen  tot,  daz  ir  vil  wol  kun- 
ueth  widerreiten,  daz  ir  wol  gewuunen^  habent  an  iuweren  phum 
phunden.  wan  so  spricheth  unser  herre:  nu  habe  danch,  getruwer 
knecht,^  du  bist  truwe  gewesen  ober  ein  weinich  gutes  uph  erthriche, 
nu  wil  ich  dich  setzen  ober  alle  min  gut.  nu  wis  vro,  getruwer 
knecht,'^  giuch  in  de  vroude  dines  herreu.  so  kumth  her  iu  de 
vroude,  de  ewich  ist,  da  allensamt  ein  vroude  ist,  als  da  ein  eugeP^ 
flugeth  in  den  lüften ,  unde  under  ime  uude  neben  im  unde  vor  im 
unde  hinder  im  lupht,  unde  ist  al  umbe  nicht  wan  lupht.  nu  seth 
rechte,     also   steth   iz  in  den  ewigen  vroudeu,   da    ist  allensamt  ^^   ein 

1)  hende  —  voze]  1.  henden  —  vozeii. 

2)  Da  vou  hat  der  almehtige  got  diu  selben  fünf  pfunt  geschriben  an 
unseriu  lider.  An  die  hende  fünf  vinger,  an  die  füeze  fünf  zehen  .  ..  Als 
wir  unser  hende  ansehen  so  suln  wir  gedenken,  wie  wir  disiu  fünf  phunt 
wider  gereiten,  daz  unser  herre  spreche:  ,,nü  wis  fru,  getriuwer  kneht,  ganc  in 
die  freude  dines  herren."  —  Unde  disiu  fünf  pfunt  niüezen  Avir  zwivalt  widerrei- 
ten, ieglich  pfunt  zwivalt.  Der  stücke  sint  zeheniu,  diu  wir  dem  almehtigen  gote 
niüezen  widerreiteu.     Berth.  s.  12. 

3)  Hs. :  reittene.        4)  Den  hat  gott  vom  tage  seiner  geburt  ab  gesegnet. 
5)  Hs.:  reittunge.         6)  Hs. :  tivelen. 

7)  In  dieser  recapitulation  der  fünf  pfunde  (d.  i.  eigene  person,  amt,  ver- 
mögen, zeit,  nächster)  ist  das  vierte  pfund,  die  zeit,  ausgelassen.  Am  Schlüsse 
des  Pfeifferschen  textes  von  Bertholds  predigt  werden  (s.  28)  alle  fünf  pfunde  rich- 
tig widerholt. 

8)  Hs. :  gewnnen.       iJ)  Hs. :  knech.      10)  Hs. :  knech.      11)  Hs.:  eugel  engel. 
12)  Hs.;  alensamt. 


134  G.    SCHMIDT 

vroiide.  swa  man  sieht ,  da  ist  vroude.  swa  man  ist  in  hemelriche, 
da  seth  mau  anders  nicht  wau  vroude,  unde  allez  unde  allez  vroude 
ganzlichen,  daz  uns  das  allen  dar  wider  vare,  des  vorli  uns  vater 
unde  sun  unde  der  heylige  geyst.     amen. 

[3.    Drei  Ijcdiiiguiigeii  der  Seligkeit.] 

Dhe  behalten  soleu  werden,  de  bekennet  nie  bi  dreu  dhingen. 
swer  der  einiz  an  im  hat,  daz  [4*]  ist  ein  zeichen,  daz  her  ^  behalten 
sal  werdhen.  daz  irste  ist,  daz  du  gotte  gerne  dhenest  unde  dir 
got  nicht  vortreget.  nemant  kumeth  in  daz  himelriche  wan  der, 
gegen  dem  got  sinen  besmen  chert.  daz  andere  ist,  ob  du  so  gut 
bist,  daz  dir  alzehant  gruwet  ab  den  sunden.  daz  dritte  ist,  ob 
du  also  gut  bist  unde  daz  herze  hast,  daz  du  alle  luthe  leph  hast, 
übel  unde  guth,  dhe  der  gut  unde  übel  tun,  de  guten  minnen  durch 
got ,  de  obeleu ,  daz  se  gottes  geschephete  sint. 

[3.    Die  vier  Taseii  der  liimmelfürsteii.] 

[lol).  3,  19.]    Parvus  et  magnus  ibi  sunt,  et  servus  über  a  doiiiino  suo. 

Der  wissage  sprichet :  Owe ,  daz  ich  da  nicht  bin ,  da  dhe  grozen 
unde  de  deinen  ^  sint ,  da  der  knecht  vri  ist  von  sinem  herreu !  Also 
claget  der  wissage  viH  bitterlichen,  alle  hochzith  de  nemen  ab,  aber 
aller  heyligen  hochzit  nimmet  zo  von  jar  zo  jare  biz  an  den  juugesten 
tach.  daz  himelriche  ist  gelich  der  archen  in  der  alten  e.  de  was 
nidhen  with  unde  oben  enghe.  als  ist  iz  in  dem  himelriche.  je  hoher 
hinuph ,  je  minner  heiigen ,  je  mer  vroude.  je  baz  heuab ,  je  mer  hey- 
ligen unde  minner  vroude.  also  ist  iz  in  disser  werlt,  so  is*  hoher 
lute,  so  ir  ie  minner  ist.  der  vrien  ist  minner  den  der  dheuestmau. 
so  ist  der  graven  minner  den  der  vrien.  so  ist  der  vorsten  ^  minner 
den  der  graven.  so  ist  den  einer  obir  se  alle,  daz  ist  der  keyser 
unde  der  ist  bezechenit  bi  unsem  herren.  rechte  also  gewaldichlichen, 
als  ein  keyser  unde  ein  koninch  ist,  zo  gebetene  eineme  sime  graven, 
swaz  her  wil,  also  gewaldichlichen  beten  de  hohen  vorsten,  de  hey- 
ligen, den  nidheren,  swaz  se  wollent,  wan  se  rechte  vorsten  ober  se. 
unde  ist  allen  gar  wol,  unde  al  werlich  vroude,  de  alle  koninge  unde 
alle  keysere  unde  alle  menschen  ie  gewin  [4''|  nen  bi  einander,  daz 
were  nicht  als  ein  phunt '*  weder  de  vroude,  de  ein  geistlich  mensche 
hat  in  disser  werlde ,  der  rechten  geystlichen  trost  hat.  unde  wer  dhan 
al  vroude  unde  aller  geystlicher  trost,  den  alle  guthe  luthe  unde  hey- 

1)  Hs.:  hir.         2)  Hs. :  imde  deinen.         o)  Hs. :  wil.         4)  is]  ieV 
5)  Hs. :  vorsten,  ohne  den  artikel  der.         6)  pliuntj  wint? 


HALBERSTÄDTER    BRÜCKST.       I.    PREDIGTEN  135 

ligen  iü  dirrc  werkle  ^  ie  gewinnen  '■^  bi  einander ,  daz  were  nicht  als 
ein  troft'e  weder  de  minnesten  liimillischen  vroude,  de  de  niderste  sele 
hat ,  dhu  iü  dhem  himilriche  ist.  daz  ist  aber  allez  ein  nicht  weder 
dhe  vroude ,  dhe  dhe  hohen  heiligen  haben,  wen  dlie  sint  rechte  vor- 
steu  ober  dhe  anderen,  unde  darunibe  hat  un.se  herre  geistlicher  lute 
gedhacht,  daz  se  vorsten  wordheii  in  dem  himilriche,  Avan  des  povel- 
volkes  wirt  vil,  der  vorsten  cleyne. 

we  mach  man  ein  mensclien  erkennen,  der  ein  vorste  wolde 
werdhen  in  dem  hemele?  gar  wol  bi  vier  dhingeu.  unser  herre 
liatte  eiuerlegc  volch  in  der  alten  e ,  de  hezen  vorsten  mit  got.  den 
hette  her  geboten,  swa  se  reten  oder  voren,  daz  se  betten  viere 
vasen,^  daz  waren  hemel  vasen,  bi  den  sint  bezeichent  vierlege  dhinch, 
dabi  man  sal  bekennen,  de  vorsten  wollen  werden  mit  gote.  —  daz 
erste  ist,  daz  se  sieh  nicht  alleine  hüten  vor  tothlichen  sunden.  se 
hüten '^  sich  alt^  vor  tagelichen  sunden.  des  tut  daz  povelvolch 
nicht,  daz  huteth  sich  nicht  wan  vor  den  tothlichen  sunden ,  der  tage- 
lichen achte  ^  se  nicht,  vierlege  schaden  tun  dhe  tageliches '^  sunde. 
daz  eine  ist,  daz  gotte  des  menschen  gute  werch  nicht  so  wol  geval- 
len  als  sus.  der  andere  schade  ist,  daz  her  nicht  mach  also  balde 
komen  zu  dem  himele ,  zo  ghelicher  '^  wis  sam  der  einen  sandegen 
wech^  get;  irret  iz  en  nicht  gar,  [5*]  so  sumeth  ez  in  doch  vil.  der 
dritte  schade  ist,  daz  de  sele  hinab  in  das  vegefur  moz,  unde  vor- 
dhenet  doch  nimber  nieheinen  Ion  da,  unde  wirt  nimber  deste  baz  unt- 
fangen  indem  hemele,  so  se  hundert  jar  gebrinnet,  der  vi  er  de  schade 
ist,  so  man  der  tegeliches  ^"^  sunde  zo  vil  tut,  so  vorhenget  got  deste 
ir  ^'  ober  den  menschen,  daz  her  in  tothsunde  vellet.  swe  doch  de 
tageliches^^  sunde  nimber  mögen  werden  zo  tothsunden,  so  zient  se 
doch  zo  totlichen;  zo  gelicher  wis,  de  wile  daz  daz  wazer  geith  unden 

1)  werlde  fehlt  in  der  hs.         2)  gewinnen]  1.  gewunuen. 

3)  Numeri  15,  38:  Loquere  filiis  Israel,  et  dioes  ad  eos,  ut  faciant  sibi  fim- 
biüas  per  angulos  palliorum ,  ponentes  in  eis  vittas  h3'acinthinas.  Deuteron.  22  ,  12 : 
Funiculos  in  fimbriis  facies  per  quatuor  angulos  pallii  tui,  quo  operieris.  Zacha- 
rias  8,7:  Haec  dicit  dominus  exercituum:  Ecce  ego  salvabo  populum  mouni  in  terra 
orientis  et  de  terra  occasus  solis.  8.  Et  adducani  cos ,  et  habitabunt  in  medio 
Jerusalem,  et  erunt  mihi  in  populum,  et  ego  ero  eis  in  deum  in  veritate  et  in 
justitia.  23.  Haec  dicit  dominus  exercituum:  in  diebus  illis,  in  quibus  ajjprehen- 
dent  docem  homines  ex  omnibus  Unguis  gentium ,  et  apprehendent  fimbriam  viri 
Juda^i,  dicentes:  ibimus  vobiscum;  audivimus  enim,  quoniam  deus  vobiscum  est. 

4)  Hs.:  hutten.  5)  alt]  1.  also.  6)  achte]  1.  achten. 

7)  tageliches]  1.  tegelichen.  8)  Hs. :  ehelicher.  9)  Hs.:  vech. 

lOj  tegeliches]  1.  tegelichen.  11)  ir]  1.  er. 

12)  tageliches]  1.  tegelichen. 


136  G.    SCHMIDT 

in  daz  scliipli  zo  den  deinen  lochelin,^  so  ertrinken  doch  de  lute  nicht, 
ist  aber  daz  man  daz  nicht  uzschupphet,  so  werden  de  uudeu  oben 
hin  slahent.  —  der  ander  himelvase  ist,  bi  dem  man  dhe  vorsten 
erkennet  mit  got,  daz  ist  daz  se  nicht  alleine  an  guten  werken  sich  ^ 
ubent,  se  ubent  sich  euch  an  tugenden:  des  tun  dhisse  nicht, 
disse  ubent  sich  uicbt  wau  an  ouzeren  guten  werken,  se  wachent,  se 
vastent  uude  sogetane  dhinch,  aber  minne  unde  geduldicheit  unde 
demuticheit  dhes  achten  se  nicht,  unde  ist  doch  gescriben,  daz  der 
rechte  unde  der  gewisse  Ion,  der  in  himele  gegeben  wirt,  der  heyzt 
der  tugent  Ion.  unde  des  ist  ein  tröffe  bezere  den  disses  ein  vodher. 
wan  swaz  lones  gegebent^  wirth  umbe  uzer  arbeit,  daz  heiz  ^  wane 
ein  zogabe.  Paulus  sprichet:  „ich  han  mer  gearbeithet  dau  se  alle."  ^ 
nach  der  redhe  so  het  he*^  me  lones  den  so  alle,  nein,  he  hat  me 
zogabe.  hat  aber  ein  ander  me  tugent,  der  hat  euch  des  rechten  lones 
mer.  —  der  dritte  himelvase  den  de  himelvorsten  habent  mit  gotte, 
daz  ist,  ab  man  in  ein  amecht  beveleth,  des  plegent  se  gar  wol 
unde  ir  [5 "]  gebent  sich  im  daz  '^  nimber  alse  gar ,  si  haben  gelich 
heimlich  mit  gotte.  dhes  tun  dhisse  nicht,  entweder  se  vorsument 
daz  ammecht  oder  se  irgebent  sich  im  so  gar ,  daz  se  unses  heren  gar 
vorgezent  unde  danne  so  ist  der  tuvel  gevroweth.  inimici  (?)  nostri 
sicut  aranea^  etc.  der  tuvel  tuth  sam  de  spinne,  de  leget  ir 
arbeith  vil  daran,  daz  se  gewerke  ein  webe,  dar  se  de  vlegen  inne 
vahe.  unde  so  se  se  denne  gevech  (?) ,  so  izzet  se  weder  ^  hoy vet 
noch  voze  noch  nicht  dhes  an  ir ,  nicht  wan  ein  wenic  (?)  hat  se  under 
dem  herzen ,  das  suget  se  ir  uz ,  so  ist  se  tot.  also  tot  der  tuvel.  alle 
de  stricke,   de  her  uns  imber   gelegen  mach,    daz  ist  newan  darumbe, 

daz  her  uns  dhen von  dem  herzen  neme ,   daz   ist   du  andhacht, 

dhu  minne  unde  dhu  lebe,  dhe  we  zu  gotte  haben  sulen.  so  dhunket 
in  wi  her  wol  geseghich  ^°  habe  an  uns  unde  lezeth  uns  dhenne  wol 
uzer  arbeit  tun,  des  achteth  her  nicht,  unde  (?)  swen  wir  iz  dhurch 
unses  herren  lebe  nicht  ton,  unde  swaz  wir  dhenne  anders  ton,  daz 
ist  krauch.  —  de  vi  er  dhe  himelvase,  dhen  dhe  vorsten  mit  gotte 
habent,  daz  ist  daz  se  gar  demutich  sint  unde  gar  viP^  geleten 
unde  ir  zit  vlizechlichen  hüten,  unde  so  in  got  ie  mer  gnaden  tot, 
so  se  ie  mer  dhemuteger  sint.     unde   also   irwindet    se  nicht,    biz  daz 

1)  Hs. :  lochchelin.         2)  sicli  fehlt  in  der  hs.         3)  gegebent]  1.  gegeben. 
4)  heiz]  1.  heizt.         5)  Plus  ego  in  laboribus  pliirimis.     2.  Cor.  11,  23. 
6)  he  fehlt  in  der  hs.  7)  daz]  doch?         8)  Hs.  arrannea. 

9)  Hs. :  gevech  izzet  weder]  1.  gevehet,  se  izzet  weder. 
10)  geseghich]  1.    gcseghith.  11)  Hs. :  wil  geleten]  willecliche? 


HALBERSTÄDTER    BRl'CHST.       1.    PßEDlGTEN  137 

se  dhenne  geweilt^  dheii  gruul  dlu^-  demuticliheith.  duz  ist,  daz  se 
sich  aller  mensclicn  l);\z  ^  babeiit.  wau  unser  lierro  der  sprach:  als 
dhu  zo  dher  \virtscha|)lit  geladheii  wirdliest,  so  sezze  dicli  an  dhc  jun- 
gesteii  stat.''  lior  sprach  nicht:  sizze '•  bi  dem  jungosten.  licr  sprach: 
[6"]  sizzc  zo  dlunn  allerjimgesten.  sauctus  l^''ran(ciscus)  der  bette  sicli 
an  der  jungesten  stat,''  do  lier  siner  brnder  einem  irzeigeth  wart,  we 
hoch  her  in  dem  bimelriche  were.  dho  hortli  her  eine  stimme  spre- 
chen:'^  dhu  stat,  dhu  ere,  dhe  ist  dhes  dbemutigen  Franciscus.  nnde 
dhu  stat  unde  dhe  ere  dhe  was  so  hoch,  daz  her  iz  ni  menseben  torste 
sagen,  darnach  fragete  der  bruder  sanctum  Franciscum  wan  vor  ' 
her  sich  bette,  dho  antworte  her  ime:  vor  den  allerbosesten  men- 
schen, der  in  alder  werlt  ist.  do  sprach  her:  Francisco,**  daz  ist  unge- 
louphlich:  dhu  weist  wol,  daz  maniger  grozer  suuder  ist  den  dhu. 
dbo  antwortbe  her  im:  ich  weiz  wol,  bette  got  den  selben  sundereu 
also  groze  guadhe  gegeben  als  mir,  se  weren  viP  turer  dhen  ich. 
davon  waz^°  iz  nicht  ein  schimpbt,  daz  her  alle  creature  swester  hez 
unde  bruder.     wenne  her  ne  bette  sich  nicht  bolier  dhenne  ir  einiz. 

[4:.    Kleine  vor  gote  und  vollekomen.  ^  ^] 

[Luc.  7,  27.  28.  Hic  est,  de  quo  scriptum  est:  P]cce  mitto  ange- 
lum  raeum  ante  faciem  tuam,  qui  praeparabit  viam  tuam  ante  te. 
Dico  enim  vobis :  major  inter  natos  mulierum  propheta  Joanne  Baptista 
nemo  est;  qui  autem  minor  est  in  regno  dei  major  est  illo.  Vgl. 
Mal.  3,  1.     Matth.  11,  lo.     Marc.  1,  2.J 

Ecce  mitto  angelum  meum  etc.  Ez  sint  drierlege  geyst- 
liche  lutbe,  dhe  sint  cleyiie  vor  gotte.  —  de  ersten  sint,  de 
sich  wan  hutent  vor  tot  blichen  sundeu.  dhe  gereut  nicht  hoch 
werdben  in  dem  bimelriche.  sen  wollent  dher  se(len)  nicht  grozen 
scbadhen  ton  mith  dhen  sunden  unde  dem  libe  nicht  grozen  arbeyth, 
unde  tun  rechte  sam  ein  wirth,  dher  sich  uidber  legeth  in  dem  huse 
unde  gertb  nicht,  daz  der  koningh  werde  unde  darnach  zert  her  euch. 
swer  mer  \6^\  (der)  selben  einer  ^^  hober  brengetli  eines  vingeres  lanch, 
(db)en  bau  ich  vor  einen  guten  predeger.  —  dhe  andere  daz  sint, 
dhe  guten  willen  haut,  se  sint  aber  also  creftich  unde  also  mech- 
tich  nicht,    daz   se  dhe  wercb  volbringen  mögen,     von  den  spricht  der 

1)  gewent]  1.  gewinnent.  2)  baz]  1.  nider  baz. 

3)  sed  cum  vocatus  fueris,  vade,  recumbe  in  novissimo  loco.     Luc.  14,  10. 

4)  Hs.:  size.  5)  stat]  1.  stat  gesät.  6)  Hs.:  sprechhen. 

7)  wan  wor]  war  vor?     8)  Hs.:  Francisse,     i))  Hs. :  wil.     10)  Hs.:  dawan  wast. 

11)  Diese  predigt  scheint  für  ein  nonnenkloster  bestirnt  gewesen  zu  sein. 

12)  einer]  1.  einen. 


138  G.    SCHMIDT 

wissage:  „dhe  kiul  dbe  gereut,  daz  se  geboren  werdhen,  aber  de  vrowe 
hat  der  crefte  nicht ,  daz  se  iz  hervore  brenge."  ^  se  sint  als  dhe  her- 
best  boume,^  dhe  dha  plüjent  unde  dhoch  nicht  wochers  brengen.  se 
gedenken  in  dhanke  ^  also :  we  lange  wiltu  ein  lacherinne  sin  unde  ein 
clapherinne?  nim  dhich  an,  daz  du  gerne  bedhest  unde  gotte  gerne 
hemelich  sist  unde  dhine  dagezit  andhachtichlichen  sprechest,  also  ghe- 
denkent  se  ofthe,  daz  se  sich  wollen  bezzeren  unde  schudenz^  ot  uph 
von  tage  zo  tage,  in  dem  sumer  sint  dhe  nachte  zo  curz ,  in  dem 
wintere  zo  ^  langh.  nu'^  sich,  waz  dhich  allermeist  irret,  daz  ist  daz 
du  dir  nicht  ein  zil  vorsezzest.  daz  beste  zil ,  daz  imber  werdhen  mach, 
daz  ist  gottes  zil.  daz  ist  hint  das  dhin,  daz  ist  morgen  |daz  ist] 
aber  so  gut  nicht.  —  dhe  dritthen,  dhe  onch  deine  vor  gotte  sint, 
daz  sint  dhe  gute  werch  volbriugent:  se  tun  se  aber  wan  durch 
wppiger '^  als  dhe  megister  schapht.  heiz  dher  selben  einer  ^  spr(echen, 
ich  ne)  mach  sin  nicht  geton,  so  (sprich)eth  dhe  megesterschapht :  iz 
kometh  nimant  rechter  darzo  danne  du.  so  mach  hez  wol  getun.  o  we 
du  qirrender  wagen,  nu  [7*1  hat  man  dhich  gesalbet  mit  stinkendem 
unslethe.  uu  machtu  iz  wol  getun.  dhe  also  sint,  de  bliven  euch 
deine  vor  gotte.  —  dhe  geistliche,  de  da  ouch  vor  gotte  sint,^  de  dhe 
dru  dhinch  behalten,  dhe  machent  den  menschen  vollenkomen  hi 
an  dem  lebene  unde  dhort  an  dheme  lone.  daz  irste  ist,  daz  he  vor- 
smache  gar  dhe  werlt,  daz  her  haze,  dhaz  got  hazet,  daz  gelust- 
liche.  ez  mach  dher  mensche  ein  deine  dhinch  so  leph  haben,  daz  iz 
eme  groze  ere  beniniet ' "  in  dheme  himelrike.  also  geschach  einem 
ensedhele.  deme  wart  irzeigeth,  daz  sanctus  Gregorius  in  deme  hemel- 
riche  also  hoch  wäre  als  her.  do  in  dhes  dho  wunderthe,^^  daz  her 
in  so  grozen  eren  unde  in  so  grozem  richtum  im  gelich  solde  werdhen, 
do  wart  ime  geantworteth ,  im  were  mit  siner  kazzen  bas,  den  im  mit 
allen  sinen  eren.  nu  sech,  waz  der  arme  mit  siner  vorvlucheten  kaz- 
zen vorlos!  ^2  —  daz  andere,  daz  den  menschen  vollenkomen  macht, 
daz  ist  gedult,  swen  got  ober  dhich  vorhengeth  sichtum  unde  trup- 
nisse.  du  salt  ouch  geduldich  sin  gegen  deme  uvele,'^  swere^^  her 
doch  bekoret   dhich,    unde  af  her  dich  siech, ^^   als  her  tete  sanctum 

1)  4  Reg.  19,  'S:    Haec  dielt  Ezechias:    Dies   tribulationis   et  increpationis  et 
blasphemiae  dies  iste;  veiierunt  ölii  usyue  ad  partum,  et  vires  non  habet  parturiens. 

2)  Hs.:  boyuine.  3)  dhauke]  dankes?  4j  scliudeuz]  sclmbeiitz? 
5)  zo  fehlt  in  der  hs.           6)  Hs.:  uw.           7)  wppiger]  1.  üppig  ere. 

8)  einer]  1.  einen.         9)  ouch  vor  gotte  sintj  1.  hoch  vor  gote  sint,  daz  sint. 
10)  Hs. :  beninimet.  11)  Hs.:  wndorthe. 

12)  Die  legende  von  dem  cinsidel  und  der  katzen  ist  ausführlich  erzählt  im 
Alten  Passional,  hsg.  von  Köpke  (Quedlinburg  und  Leipzig  1852)  s.  204  fgg. 

13)  Hs.:  duvele.         14)  swere]  1.  swenno.  15)  slcchj  1.  siecht. 


HALBEKSTÄDTER   BEUCHST.       1.    I'REDIGTEN  139 

Franciscum  iinde  saucte  Martine ,  demu  lic  ^  einen  riph  abbrach,  du 
Salt  geduldich  gegen  dim  naesten  sin,  swen  her  dir  ninitli ,  daz  du 
hast,  swen  her  dir  dinen  leimten-  swechet.  iierre,  mich  liat  min 
swestei-  ubele  geliandeleth  einen  tach,  daz  han  ich  duldiclilichen  irle- 
dhen.  nu  l7''|  sprichet  unser  herre:  ich  wii  dich  ein  jar  des  vegevures 
abnemen.  se  hat  mich  zwene  tage  ubele  gehandelet,  nu  wil  ich  dir 
zwei  jar  des  vegetures  abnemen.  du  macht  also  duldich  sin,  daz  du 
nimber  in  nichein  vegefur  kummest.  —  daz  dritte  ist,  daz  den  men- 
schen vollenkomen  macliet,  daz  ist  de  minue,  wan  se  nach  dher  ober- 
sten minne  geseghen  ^  (?)  ist.  wiltu  nu  ein  recht  minnerinne  werdhen 
unde  wilt  got  mit  ganzen  truwen  minnen,  so  tri  diner  minne  als  man 
dem  wazzere  tut,  so  man  iz  teph  wil  machen  unde  hoch:  so  vorrumet 
man  im  also  de  wege,  da  iz  hin  mach  gevlezen.  also  tu  ouch  diner 
minne.  so  se  wolle  dha  zo  den  ougen  uz  schone  menschen  seu,  vor- 
lege ir  den  wech.  unde  so  se  wolle  zo  den  oren  uz  von  uppecheit 
hören,  so  vorrin  ir  den  wech.  unde  so  se  wolle  zo  dem  munde  uz 
uppechlichen  kosen,  vorrin  ir  den  wech.  laz  du  de  minne  ninder  nei- 
gen^ uph  irdesche  dinch,  so  wirt  se  sich  über  sich  zu  gotte  richtende 
unde  wirt  ein  geist  mit  gotte.  unde  swa  dher  menschen  einer  ist,  der 
habet  ein  ganzez  laut  uph  mit  sime  gebeten  unde  dher  selben  einer 
dher  ist  gotte  leber  den  pfumhundert  ander,  dhe  doch  gotte  alle 
let  sint. 

5.     eebet. ' 
[8"]  Maria  moter  ghegrotzist  sistu. 

der  werlde  hopene  bist  du. 

du  bist  milde  unde  sagtes  modes. 

ghenade  vol  ^  unde  alles  gudes. 

ghegrozet  "^  sist  du  moter  Cristes. 

van  mannes  liulfe  du  nicht  ene  westest. 

du  Würdest  moter  maghet  reyue. 

dhe  werdichheyt  hast  du  alleyne. 

dhe  wart  datz  span  van  w[u]nderen  wis. 

boven  allen  vrowen  hastu  dhes  pris. 

du  bist  dher  engele  eyn  bederinne. 

dher  sundher  ghar  eyn  trosterinne. 

trestennich  *  bin  vorladhen. 

1)  he  fehlt  in  der  iis.  2)  leimten  =  liumiint,  ruf. 

3)  geseghen]  geueghen '?  4)  Hs.  naigen. 

5)  Die  verse    sind    in  der    hs.    nicht  abgesezt,    aber   jedesmal    durch    einen 
punkt  am  versende  keutlich  gemacht.  6)  Hs. :  wol.  7)  Hs. :  ghegrotzes. 

8)  trestennich]  1.  tröste  mich  ich. 


140 


G.    SCHMIDT 


mid  simdhen  dhes  siu  ^  ich  genadhen. 
ich  bidde  dhich  innichlicheu  sere. 
ghif  dem  viende  nicht  dhin  ere. 
god  Dam  tho  eyuer  moter  dhi. 
dat  we  van  eme  wordheu  vri. 
Word  ich  danne  sin  gimipilspil. 
so  crege  he  diner  ereu  vil. 
untsculdeghe  mich  bi  dhime  kinde. 
uf  dhas  ich  ghenaden  vinde. 
siuen  torn  ich  sere  und  ^  vorgte. 
sine  grimichgheyt  ich  sere  besuchte.^ 
want  ich  have  ghesundeghit  ein  '^  al  eyne 
dhes  guthen  ghethan  so  rechte  cleyne. 
wes  me  nich  [8 '']  •'' 

II. 
KÄTECHISMUSSTÜCKE   UND    SEGEN. 

Katechismnsstücke.  ^ 

Diese  katechismusstücke  stehen  in  der  hs.  nr.  125,  welche  latei- 
nische gegen  ende  des  14.  Jahrhunderts  geschriebene  predigten  de  tem- 
pore enthält,  und  zwar  auf  der  rückseite  des  ersten  blattes  der  pre- 
digten. 

iiij  rufend  sunde  : ' 

mort  ader  vorgysunge  des  blutes  —  dy  slimme  sunde  weder  die 
nature  —  irwurge  ader  dersteckuuge  der  kindyr  —  vorgehalden  Ion 
mit  gewalt  adir  mit  unwyllin. 

Ij  sin]  d.  i.  sinne.  2)  und  ist  zu  streichen.  3)  besuchte]  besorge? 

4)  ein  ist  zu  streichen.  5)  Die  rückseite  des  6.  blattes  ist  unleserlich. 

6)  Diese  katechismusstücke  bilden  noch  gegenwärtig  bestandteile  des  officiel- 
len  katholischen  katechisnius.  Zur  vergleichung  füge  ich  in  den  anmerkungen  die- 
jenige fassung  hinzu,  nach  welcher  sie  jezt  in  den  katholischen  deutschen  schulen 
gelehrt  werden,  aus  ,,  Katholischer  Katechismus  mit  einem  Abrisse  der  Religions- 
geschichte für  die  Volksschulen  von  J.  Deharbe,  S.  J.  No.  2.  Mit  Approbation 
aller  Hochwürdigsten  HH.  Erzbischöfe  und  Bischüfe  d.  Königreiches  Bayern.  Regens- 
burg, Pustet.  1862.     Braunsberg,  bei  J.  R.  Huge."  J.  Z. 

7)  Vgl.  die  VI.  predigt  bnioder  Bertholds  in  Pfeitfers  ausgäbe,  s.  79  —  93. 
,,Von  ruofendcn  Sünden."  —  Welches  sind  die  himmelschreienden  Sünden?  -  Fol- 
gende vier:  1)  der  vorsätzliche  totschlag,  2)  die  sodomitischo  sünde,  3)  die  Unter- 
drückung der  armen ,  wittwen  und  walsen ,  4)  die  vorenthaltung  oder  entziehung 
des  tag-  oder  arbeitslohnes.     Deharbe  s.  106. 


f 

IIAI.BERSTÄDTER    BRUCHST.       II.    KATF.CHISM.  141 

V  synne: 
seh(u)  —  lioern  —  riehen  —  smpeken  —  viilen.* 

vj  werg  der  l)aruiliorzike(i)t:  ^ 

die    iiackttMi    cleiden   —    die   linngiro-en   spyseii   —    die   durstigen 

trenken   —   die   vremden  herbergen    —   die  kranken  besuchen    —    die 

toden  begraben. 

vj  geistliche   werg:-^ 

straffen  umme  untad  —  vorgeben  unrecht  leyt  —  leren  die 
tummen  trösten  den  betriibeten  —  rat  geben  den  unwyßeu  —  meth^deu 
haben  mit  den  geleidigeten. 

vj  sundeu   in    den   h(e)iligen   geist:* 
vorzwytilunge  ader  vorzaguuge    —    vorlaßen  uf  gotes  barmherzi- 
ke(i)t  —  auefechtunge  der  irkanten  warheit  —    nyt  ane  sache  —  vor- 
stogheit  des  herzen  —  unwille  zu  lassen  die  sunde. 

vij   totliche    sunde:  ^ 
hochfart  ~  gierheit  —  unküscheit  —  zorn    -  nyt  —  vreßikeyt  — 
tragheyt  zu  gotes  dinste. 

vij  hilekeit :  ^ 
ehe  —  pristerschaft  —  taute    —   firmunge  —   gotes  lichnam  — 
olunge  —  bichte. 

1)  vulen]  hs.:  grifen  viilen.  Der  schreibet  hat  zwei  synonjnne  ausdrücke 
gebraucht,  über  welche  zu  vergleichen  J.  Grimm  in  Haupts  ztschr.  f.  d.  a.  (1848)  6,  7. 

2)  Welches  sind  die  leihlichen  werke  der  barmherzigkeit?  —  Die  leiblichen 
werke  der  barmherzigkeit  sind  folgende  sieben:  1)  die  hungrigen  speisen,  2)  die 
durstigen  tränken ,  3)  die  nackten  kleiden ,  4)  die  fremden  beherbergen ,  5)  die 
gefangenen  erlösen ,  5)  die  kranken  besuchen ,  7)  die  toten  begraben.    Deharbe  s.  79. 

3)  Welches  sind  die  geistlichen  werke  der  barmherzigkeit?  —  Die  geist- 
lichen   werke   der  barmherzigkeit  sind    diese   sieben:    1)  die  sünder    zurechtweisen, 

2)  die  unwissenden  lehren,  3)  den  zweifelnden  recht  raten,  4)  die  betrübten  trösten, 
5)  das  mirecht  geduldig  leiden,  6)  denen,  die  uns  beleidigen,  gern  verzeihen,  7)  für 
die  lebendigen  und  die  toten  gott  bitten.     Deharbe  s.  79. 

4)  Welches  sind  die  sechs  sünden  wider  den  heiligen  geist?  —  1)  vermes- 
sentlich  auf  gottes   barmherzigkeit  sündigen,    2)  an  der  gnade  gottes   verzweifeln, 

3)  der  erkanten  christlichen  Wahrheit  widerstreben  ,  4)  seinen  nächsten  um  der  gött- 
lichen gnade  willen  beneiden,  5)  gegen  heilsame  ermahnungen  ein  verstocktes  herz 
haben,  6)  in  der  unbussfertigkeit  vorsätzlich  verharren.     Deharbe  s.  105. 

ö)  Welches  sind  die  sieben  hauptsünden?  —  1)  hoffart ,  2)  geiz,  3)  unkeusch- 
heit,  4)  neid ,  5)  unmässigkeit  im  essen  und  trinken ,  6)  zorn,  7)  trägheit.  Deharbe 
s.  104. 

6)  Wie  viele  Sakramente  hat  Christus  eingesezt?  —  Diese  sieben:  1)  die 
taufe,  2)  die  firmung,  3)  das  heiligste  Sakrament  des  altars  ,  4)  die  busse,  5)  die 
lezte  Ölung,  6)  die  prie.sterweihe ,  7)  die  ehe.     Dehai'be  s.  IIG. 


142  G.    SCHMIDT 

vij   gaben   des  hyligen  gej^stes:^ 

wysheyt  —  vorniiiift  —  rat  —  sterke  —  kunst  —  gutekeyt  — 
vorclite. 

vij    togunt:^ 

geloybe  -  ~  lioffftiiunge  —  lybe  —  gerechtikeyt  —  vovsichtikeyt  — 
meßykeit         beizmutekeit. 

viij   selikeyt:^ 

gutekeyt  —  gerechtikeyt  —  vrede  —  armnt  —  gedolt  —  barm- 
herzikeyt  —  reynikeyt  des  herzen  —  weynen. 

ix  vremde   sunde:' 

heyßen  übel  tun  —  rat  geben  zu  bosheyt  —  gehorchunge  ader 
gestatunge  der  sunden  —  loben  ader  sterken  uf  bosheyt  —  husen  wis- 
sentlichen ubelteter  —  koufen  geroubet  ader  ge:stolen  gut  —  nicht 
strafen  ader  sturen  sunde ,  den  is  gebui't  —  nicht  hindern  ader  wedern 
sunde,  wo  man  mochte,  sundern  sunde  daz  man  de  heelt  und  vorlien- 
get  —  nicht  rügen  daste  rugebar  ist. 

1)  Welches  sind  insbesondere  die  gaben  des  heil,  geistes?  —  Diese  sieben: 
die  gäbe  1)  der  Weisheit,  2)  des  Verstandes,  3)  des  ratos ,  4)  der  stärke,  5)  der 
Wissenschaft,  6)  der  frönimigkeit ,  7)  der  furcht  gottes.     Deharbe  s.  64. 

2)  Wie  vielerlei  christliche  tagenden  gibt  es?  —  Zweierlei:  die  göttlichen 
und  die  sittlichen  tagenden.  —  Welches  sind  die  göttlichen  tugenden  ?  —  Die  gött- 
lichen tilgenden  sind:  glaube,  hoffnung  und  liebe.  —  Welches  sind  unter  den  sitt- 
lichen tugenden  die  vier  gruud  -  oder  haupttngenden ,  welche  die  übrigen  in  sich 
schliessen?  —  1)  klngheit,  2)  gerechtigkeit ,  3)  mässigkeit,  4)  starkniut.  Deharbe 
s.  107. 

3)  Wie  lauten  die  acht  Seligkeiten? 

1)  ,,  Selig  sind  die  armen  im  geiste :  denn  ihrer  ist  das  himmelreich. 

2)  Selig  sind  die  sanftmütigen;  denn  sie  werden  das  erdreich  besitzen. 

3)  Selig  sind  die  trauernden ;  denn  sie  werden  getrilstet  werden. 

4)  Selig  sind,  die  hunger  und  durst  haben  nach  der  gerechtigkeit;  denn  sie  wer- 
den gesättiget  werden. 

5)  Selig  sind  die  barmherzigen;  denn  sie  werden  baruüierzigkcit  erlangen. 
G)  Selig  sind,  die  ein  reines  herz  haben;  denn  sie  werden  gott  anschauen. 

7)  Selig  sind  die  friedfertigen;  denn  sie  werden  kinder  gottes  genant  werden. 

8)  Selig  sind,   die  Verfolgung  leiden  um  der  gerechtigkeit  willen:    denn  ihrer  ist 
das  himmelreich.''     Deharbe  s.  109  fg. 

4)  Welches  sind  die  fremden  Sünden?  —  Folgende  neun:  1)  zur  sünde  raten; 
2)  andere  sündigen  heissen:  3)  in  anderer  sünde  einwilligen;  4)  andere  zur  sünde 
reizen;  5)  ihre  sünde  loben:  G)  zur  sünde  stillschweigen;  7)  die  sünde  nicht  stra- 
fen ;  8)  zur  Sünde  helfen ;  9)  anderer  sünde  verteidigen.     Deharbe  s.  106. 


HALBEßSTADTER    BRÜCKST.       II.    KATECIUSM.  143 

X  gebot: ^ 
gloyben  den  cyiuMi  got,  den  gloyben  bewyssen  mit  den  werken  — 
nicht   swern   eyde    /u   unrechte   nocli   ture   swern  —  vieru  den  snntag 
und    ander   heylige   tage   —    ern    vater   und    muter   am  leben  und  am 
tode  —  nymande  toten  lyplicb  ader   geystlichen  niclit  stelen   noch 

rayben    —  nicht   brechen    die  e    —   nicht   unrecht   gezugnis   füren   — 
nicht  begeru  eyns  andern  wyb  ader  mau  —  nicht  begern  fremder  guter. 

Segen. 

In  der  beschreibung  der  handschriften  no.  1  — 100  der  gymnasial- 
bibliothek  zu  Halberstadt  von  director  dr.  G.  Schmidt  (Oster  -  programm 
1878.  4*^)  ist  auf  s.  16.  17  auch  der  Inhalt  der  hs.  no.  22,  einer  papier- 
handschrift  des  14.  Jahrhunderts  in  folio ,  welche  collegienhefte  von 
Montpellier  und  coUectaneen  eines  mediciners  enthält,  im  einzelneu 
verzeichnet.  Eingelegt  ist  in  diese  haudschrift  ein  computus,  5  bl. 
perg.  4"  aus  dem  14.  jahrh.,  und  eine  schrift  de  chiromantia,  Chi.  4*^ 
aus  dem  15.  jahrh.  Auf  der  lezten  seite  dieses  schriftchens  steht  von 
eiuer  ganz  ungeübten  band  des  15.  Jahrhunderts  der  hier  folgende  segen. 

West  willekome,   liber  suutages   here,^  ich    sende   dich  us^  czu 

1)  Wie  heissen  diese  zehn  geböte? 

1)  Du  sollst  an  Einen  gott  glauben. 

2)  Du  sollst  den  namen  gottes  nicht  eitel  nennen. 

3)  Du  sollst  den  sabbath  (tag  des  herrn)  heiligen. 

4)  Du  sollst  vater  und  muttor  ehren. 

5)  Du  sollst  nicht  töten. 

6)  Du  sollst  nicht  unkeuscliheit  treiben. 

7)  Du  sollst  nicht  stehlen. 

8)  Du  sollst  nicht  falsches  zeugniss  geben. 

9)  Du  sollst  niclit  begehren  deines  nächsten  hausfraii. 

10)  Du  sollst  nicht  begehren  deines  nächsten  gut.     Deharbe  s.  80.  81. 

2)  Gemeint  ist  wohl:  Wis  willekomen ,  lieber  suntac  here!  —  Aus  einer 
S.  Blasischen  hs.  zu  Karlsruhe,  welche  ein  arzneibuch  des  Wundarztes  Caspar  Vischer 
zu  Kränkingen  bei  Bonndorf  vom  jaiire  1617  enthält,  teilt  Mone  in  seinem  Anzei- 
ger für  künde  der  deutschen  vorzeit,  Karlsruhe  1837.  G,  459  einen  segen  mit  „den 
kindern  für  den  Ettikhen,"  d.  i.  gegen  schwindsucht,  oder  abzehrung,  oder  hektik 
der  kinder  (vgl.  Schmeller,  bair.  wb.-  1,  174),  welcher  lautet: 

Grüess  dich  gott  du  heilliger  sontag, 

ich  sich  dich  dort  her  komen  reiten, 

jetzunder  stand  ich  da  mit  meinem  kindt, 

und  thuo  dich  bitten, 

du  wollest  ihm  uemen  sein  gaist  (?) 

und  wollest  ihm  wider  geben  bluott  und  flaisch. 
Über  persouification  des  sontages,   und  des  tages  überhaupt  vgl.  J.  Grimm,    niyth. 
4.  ausg.  bes.  von  H.  E.  Meyer.     Berl.  1876.    2,  615.    3,  216;    über    die  christliche 


144  G.    SCHMIDT 

eym^  boden  czu  dem  aldermechte(cli)sten  gode,  das  er^  mich  behude  unde 
bewarde,  das  mich  neyu  hünt  bite  mide  das  mich  iieyn  wolf^  eyurite* 
unde  das  mich  neyn  w[o]rm  eynstichedt  vude  das  mich  neyn  wappen 
scahde,  das-''  hy  ^  gesmedet  wart  sin  der  cyt,  das  der  heiige'  krist 
geboren^  wart,  unde  das  mich  neyn  herren  torn  ho  bergen '^  (!)  unde 
das  mich  neyn  zoberin  ^"  gescade.  in  dem  namen  des  vaders/^  des 
sones/^  des  heiigen  *^  gest.  amen. 

III. 

GEVATTEE   TOD.  i* 

Hugo  von  Trimberg-,  der  Renner.    Bsunberg^  1S33.   v.  23666— 23795. »^ 

Ad  scr.  lat.  rec.  II  2''  109,  papier,  klein  quart,  geschrieben  um 
1520  —  .30  von  der  band   des  domherren  dr.  Udalrich  Kirsberger  (vgl. 

bedeutung  des  sontages  vgl.  Müllenlioff  u.  Scherer,  Denkmäler  deutscher  poesie  und 
l)rosa  aus  dem  VIII.  —  XII.  jahrh.  2.  a.  Berl.  1873.  Anmerkungen  zu  nr.  XXXI. 
s.  372  fg.  Über  die  bedeutung  des  snntages  in  der  volksiiberlicferung  und  dem 
aberglauben  vgl.  Ad.  Wuttke ,  der  deutsche  Volksaberglaube  der  gegenwart.  2.  bearb. 
Berlin  1869.     §  66  s.  56  fg. 

3)  Hs.:  hus.        1)  Hs.:  eyn.        2)  er]  fehlt  in  der  hs.         3)  Hs.:  wolft. 

4)  Geraeint   ist  wol  enrize,  zerfleische.     Vgl.  Passional  cd.  Köpke   (Quedlbg. 

Lpz.  1852)  163,  28  fgg. 

da  solden  in  vil  schiere 

sine  wilden  tiere 

von  allen  kreften  bizen 

und  nach  ir  willen  rizen. 

5)  das]  hs. :  unde  das.  6)  hy]  1.  ie.  7)  lielige]  hs.:  helic. 

8)  geboren]  hs. :  geborgen. 

9)  hecse  torre  zoberen?  Für  die  constrnction  von  zoubern  mit  dem  acc. 
der  person,  in  der  bedeutung  „bezaubern,"  vgl.  Hugo  von  Trimberg,  Renner  (Bam- 
berg. 1833)  V.  16722  fgg. 

So  kumt  aber  einer  und  siht  hinein, 
der  suchet  ein  zauberbrieflein, 
mit  dem  er  frauwen  zaubern  wil, 
die  mere  in  zaubern,  denne  ze  vil, 
wenne  er  ir  tore  ist  und  ir  gief 
ane  zauberwurtz  und  ane  brief. 

10)  Hs. :  scoberin.       11)  Hs.:  waderst.       12)  Hs. :  sonsen.       13)  Hs.:  helic. 
14)   Über   die    auffassung   des   todes    als   eines  gevatters  hat   im  algemeinen 

gehandelt  J.  Grimm  in  seiner  Deutschen  mythologie,  4.  ausg.,  besorgt,  von  H.  E.  Meyer. 
Berlin  1876.  78.  2,  711  fg.  und  3,  256.  —  Es  war  diese  Vorstellung  in  Deutsch- 
land namentlich  in  zwei  märchenhaften  fassungen  verbreitet.  Nach  der  reicheren 
und  phantasievolleren  begabt  der  tod  seinen  pathen.  Er  macht  ihn  zu  einem  arzte, 
bezeichnet  ihm  ein  heilkraut,  und  verspriclit  ihm,  bei  jedem  kranken  ihm  derart 
zu  erscheinen ,  dass  er  zu  den  füssen  des  kranken  stehend  dessen  mögliche  genesung, 


HALBERSTÄDTER  BRUCHST.   IIT.  GEVATTER  TOD  145 

G.  Schmidt,  Die  liandschriften  der  gymnasialbibliotliek ,  im  Halberstäd- 
ter osteri)rogramme,  1S78.  s.  1).  Im  hier  folgenden  abdrucke  ist  die 
Orthographie  etwas  vereinfacht. 

[bl.  l]   Wy    der   tot   eynem    armen    manne   seyn    kint    hübe    aus 

der   taufe. 

Nu  boret  ein  gleichnus  furwar. 

ein  frauwe  eines  nacbtes  eyn  kint  gebar, 

das  wart  getauft,    mi  bet  der  man 

eynen  gast  behalden,  den  ryeft  er  an, 
5  das  er  des  kindes  tote  wurde 

und  liulfe  ome  von  der  sorgen  bürde. 

das  tet  der  gast,     do  das  geschach, 

der  wyrt  zu  seynem  gefattern  sprach : 

„Gefatter,  saget  myr,  wer  seyt  ir, 
10  „das  ich  euch  alle  zeit  vor  myr 

,,bas  dan  ander  leut  erkenne, 

„wan  ich  euch  vor  myr  höre  nenne." 

er  sprach:    „gefatter,  ich  bin  der  tot- 

„der  manche  angst  und  noet 
15  „in  der  werlde  hat  gemachet 

,,und  noch  mauge  tag  und  nacht." 

ilagegen  zu  liäupten  desselben  stehend  die  unm()glichkeit  einer  solchen  ihm  anzei- 
gen werde.  In  folge  dessen  wird  der  pathe  ein  vielbcgehrter  und  reicher  arzt,  der 
aher  schliesslich  einmal  dem  gevatter  tode  mit  erfolg  entgegenhandelt,  indem  er 
die  läge  des  kranken  königs  im  bette  umkehrt,  jedoch  bei  einem  zweiten  eben- 
solchen versuche  mit  des  königs  tochter  selber  sein  leben  einbüsst.  Über  diese  fas- 
suug.  die  in  nr.  44  der  Kinder-  und  Hausmärchen  der  brüder  Grimm  die  volste 
und  schönste  aushilduug  und  abrunduug  erhalten  hat,  und  über  ihr  anderweites 
vorkommen  vgl.  die  Anmerkungen  zu  den  Kinder-  und  Hausmärchen.  3.  aufl.  Gut- 
tingen  1856  3,  69  —  71.  —  Nach  der  anderen,  dürftigeren  und  minder  phautasie- 
voll  gestalteten  fassung  verspricht  der  tod  dem  vater  des  täufiings,  dass  er  ihm 
zuvor  anmeldende  boten  senden  wolle,  ehe  er  selbst  komme  ihn  abzuholen.  Die 
hier  im  Renner  vorliegende  erzählung  scheint  das  älteste  bis  jezt  bekante  vorkom- 
men dieser  gestaltung  zu  sein.  Eine  andere ,  dem  Regenboge  zugeschriebene  behaud- 
lung  derselben  findet  sich  in  der  Colniarer  liederhandschrift  bl.  293''  (vgl.  Meister- 
lieder der  Kolmarer  handschrift  herausg.  von  K.  Bartsch.  Stuttg.  1862  s.  32),  und 
ist  aus  derselben  widerholt  gedruckt  worden,  zulezt  in:  Minnesinger,  von  P.  H. 
v.  d.  Hagen.  Lpz.  1838.  3,  345.  Über  anderweites  vorkommen  dieser  gestaltung 
ist  auskunft  gegeben  in  den  Anmerkungen  zu  den  Kinder-  und  Hausmärchen  der 
brüder  Grimm,  unter  nr.  177  ,,die  boten  des  todes"  3,  249.  J.  Z. 

15)  Die  erheblicheren  abweichuugen  des  Bamberger  druckes  (B.)  liabe  ich  in 
den  anmerkungen  hinzugefügt.  J.  Z. 

1.  B:  niht  für  war  3.  B:  ir  man  9.  B:  wer  ist  seit  It).  B:  euch 

fürbaz  alle  zeit         13.  B:  binz         16.  B:  un  noch  machet 

ZEITSCHB.    F.    DEUTSCHE    PHILOLOGIE.    ED.  XII.  10 


146  G.    SCHMIDT 

„Eya,"  er  sprach,  „liebe  gevatter  meyn, 
[bl.  1"]  „  so  sullet  ir  myr  gnedich  syn 

„und  last  mich  lange  auf  erden  leben." 
20  „des  wyl  ich  euch  meyne  truwe  geben," 

sprach  er,  here  liber  gefatter  mein, 

„das  ich  euch  mannich  botelein 

„  vor  wolle  senden ,  er  dan  ich  kome, 

„dovon  syt  erber  und  auch  frume." 
25  Mit  der  rede  er  hin  dannen  fuer. 

der  man  lebete  sint  bis  mannig  jar 

in  dem  lande  wart  abgesnitten: 

da  wart  er  sich  nach  seynen  sitten. 

da  kam  der  tot  und  stunt  für  im 
30  und  sprach :  „  Gefatter ,  ich  bin 

„her  komen,  das  ir  mit  myr  fart." 

er  sprach:  „Wee,  wie  habet  ir  euch  bewart 

„und  ewr  truwe,  de  ir  teten  myr!" 

er  sprach:  „Gevatter,  wysset  ir, 
35  „  das  eynes  euch  in  die  syten  stach, 

„da  ir  sprächet:  we  myr,  ach, 

„we  myr,  was  soll  das  sein! 
[bl.  2  *]  „  sehet ,  das  was  mein  botelein. 

„da  euch  die  oren  begunden  zu  dyeßen 
40  „und  die  äugen  überfließen 

„und  gegen  der  sunnen  tunkel  sein, 

„da  sante  ich  euch  zwey  botelein. 

„da  euch  die  zene  teten  we 

„und  euch  der  huste  mer  zwung  dan  e 
45  „unde  swinde  mote  euch  wonte  bey, 

„  da  saute  ich  euch  boten  drey. 

„  da  euch  die  bene  wurden  swellen 

„und  sich  runfen  wart  das  feile, 

„und   do  euch  die  stymme  heißer  wart, 

17.  B:  er  sprach  fehlt,     lieber  21.  erl  fehlt  hs.  B:  vil  lieb  gevater 

22.  B:  ich  vil  manic  23.  B:  ev  vor  wil  senden  24.  B:  seit  frölich  vil  25.  B:  er 
von  im  für  26.  B :  lebt  seit  biz  manic  flur  29.  B :  da  fehlt.  30.  B :  gevater 
Vfol  dan  ich  bin  32.  B:  er  sprach  fehlt.  ir  den  bevfart  33.  B:  eur  gelubde 
daz  ir  tatet  mir  35.  B :  do  ein  sevche  evch  36.  B :  vil  do  ir  sp  cht  auwe  mir 
ach  37.  B :  we  mir  we  waz  sol  ditz  sein  39.  B :  do  ev  zu  fehlt.  40.  B : 
äugen  begonden  fliezzen  45.  B:  vnd  swinde  gemvte  46.  B:  do  47.  B:  do 
ev  die  bein  niht  waren  snel  48.  B:  vn  do  sich  rimpfent  wart  daz  vel  49.  B: 
die  stimme  evch      hs. ;  war 


HALBERSTÄDTEß  BBOCHST.   III.  GEVATTEK  TOD  147 

50  „  fla  euch  grawende  wart  dor  bart, 

„  da  sante  ich  euch  vier  botelein. 

„gefatter,  ich  hau  die  treuwe  nie}!! 

„gar  wol  au  euch  behaldeu. 

„bist  got  der  sele  fürbaß  waldeu 
55  „uud  scheydet  euch  von  dyssem  leybe: 

„ir  moget  leuger  hy  nicht  bleybeu." 

also  starb  der  gute  man. 

[bl.  2"]  wer  dysses  beyspyl  gemerken  kau, 

der  besser  sich  und  se  sich  für, 
60  er  danne  der  tot  kome  zu  der  tür. 

der  sytenstich  manet  uns  alle, 

das  wyr  lassen  von  dem  schalle, 

den  wyr  haben  in  der  jugent, 

und  uns  lassen  an  sanfte  tugent. 
65  und  tuet  die  äugen  fließen, 

das  wyr  von  herzengrunt  sollen  gießen 

lehere  umme  unser  missetat, 

das  der  sele  werde  gut  rat. 

das  oren  klingen  bringt  uns  her 
70  schalmeyer  swegler  und  busaumer, 

die  des  todes  kraft  auch  künden 

uns  allen  die  auf  erden  sunden. 

auch  mag  das  klingen  vor  den  oren 

kummen  vor  das  herhören, 
75  mit  dem  die  sele  erwecket  werden: 

der  leip  nun  faul  ist  in  der  erden. 

davon  hat  sanctus  Hieronimus 

an  eyner  stad  geschribeu  alsus: 

„Ich  esse,  ich  trinke,  ich  sitze,  ich  ste, 
[bl.  3*]  80  ich  slafe ,  ich  wache ,  ich  reyt ,  ich  ge, 

so  dunket  mich  alles  die  stymme 

50.  B:  vn  do  ev       hs.:  de  bart  53.  B:  vil  wol  54.  B:    fürbaß  fehlt. 

56.    B:    ich   enlazze   evch    langer    niht  hie    bleibe  58.    B:    Swer  ditz    bispel 

59.  hs. :  foer        63.  h.  denne       B:  beten         64.  B:  rihten  an  senfte        65.  B:  vns 
raant  daz  äuge  vberfliezzen  66.  B:  von  hertze  grvnde  giezzen  67.  B:  zeher 

umb  68.  B:  gut  fehlt.  69.  B:  oren  diezzen  70.  B:  schalmeier     svmerer 

swegler  71.  B:   todes  kvnft  73.    B:   auch  machet  daz  diezze  von  de  oren 

74.  B:   vns  kündet  vor  daz  schelle  hörn  75.  B:   die   toten    erwecket   werden 

76.   B:  leibet  nu  faulet  78.  hs.:  also  79.  B:  ich  ezze  trinke  sizze  ich  ste 

80.  B:  reite  od'  ge         81.  B:  allez  daz  die  stimme. 

10* 


148  G.    SCHMIDT 

durch  meyne  oren  schalle  myt  grymme: 

stet  auf,  ir  toten  suUet  geben 

dem  richter  antwort  umb  eiir  leben." 
85  Nach  den  oren  manen  uns  die  zene 

uns  allen,  das  wyr  uns  entwenen 

der  koste,  die  unmessig  ist, 

der  wyr  gewonet  haben  lange  frist. 

der  huste  manet  uns,  das  wyr  beichten 
90  und  unser  sele  von  sunden  leichten, 

das  sie  der  ewygen  pyne  entrinne, 

er  denne  das  uns  der  atem  zAirynne. 

die  sweren  pein  heyßen  uns  gedenken, 

das  wyr  gegen  die  erden  sinken, 
95  von  der  wyr  alle  komen  sein 

und  müssen  alle  komen  darein. 

uns  manen  die  runzelen  und  graue  bar, 

wie  wyr  vorzeret  haben  unse  jar. 

welch  bäum  wyl  dorren,  der  hebet  an 
100  in  dem  gypfel  und  darnach  san 

beginnet  sich  runften  die  rinden, 
[bl.  S**]  und  darnach  schir  beginnet  er  swinden 

an  kreften,  an  fruchten,  von  tag  zu  tag. 

des  selben  mögen  wyr  von  uns  wol  sagen. 
105  nach  langem  leben  alle  werlt  strebet : 

hette  Adam  bisher  gelebet, 

das  were  gegen  die  ewigkeit 

nicht  eines  zwerchen  halmes  breyt. 

wan  ich  nicht  mer  geleben  mag, 
110  so  gebe  ich  gerne  umme  eynen  tag 

die  werlt  alle  und  were  sie  meyn. 

got  here,  laß  dyr  geclaget  sein, 

das  ich  der  tage  so  manchen  han 

vorloren,  das  ich  noch  nicht  enkan 

83.  ir  toten]  B :  tote  ir  84.  B :  vmb  ditz  leben  85.  B :  mant  auch  die 
zen  86.  B:  vns  alle  daz  wir  suln  entwen  90.  B:  vn  die  sele  91.  lis.:  ent- 
rinen  92.  B:  e  dafi  des  atems  vns  zeriune  93.  B:  die  trege  bein  hs.:  geden- 
ken ein  94.  B:  daz  wir  vns  gen  d'  erden  senken  95.  B:  wir  bekomen  sin 
96.  B:  vn  mvzzen  ab'  widor  drin  100.  B:  wipfel  101.  B:  beginnet  rimpfen 
sich  bs.:  beginen  .  .  de  102.  B:  vn  gar  schier  103.  B:  daz  selbe  mvge  wir 
vö  vns  clage  104.  B:  vn  auch  aller  d'  werlde  sagen  105.  B:  nach  lank  leibe 
alle  die  w'lde  strebt  106.  B:  vn  liet  adam  107.  B:  gen  d'  109.  hs.:  wan 
ick     B:  swen  ich  nimmer      111.  B:  und  fehlt.      114.  B:  verlorn  vn  daz  ich  niht  kan 


HALBEBSTÄDTEK   BEUCHST.      IV.   MEDICINISCHES  149 

115  in  meyner  alten  zeit  mein  leben 

nach  deynem  wyllen  gerichten  eben. 

das  machet  böse  gewonheit 

und  mein  laßheit.    wer  myr  das  leit, 

so  hulfestu  myr,  das  weyß  ich  wol, 
120  davon  ich  billiche  peyne  dol. 

wurde  ich  also  gesunden, 

here,  durch  deyne  heylige  wunden, 
[bl.  4*]  die  du  durch  uns  hast  erlitten, 

beschyrme  uns  vor  der  helle  toten. 
125  auwe  der  herten  rechnunge, 

die  leyder  der  alte  und  der  junge 

haben  muß,  er  danne  myt  leyde 

die  sele  sich  danne  von  dem  leybe  scheyde, 

bey  dem  ich  bleybe  kurze  frist 
130  gegen  dem,  das  immer  und  ewig  ist. 

116.  B:  rihten  120.  ß:  billicli  pein  121.  B:  wirde  ich  alsus  fanden 

123.  B:  hast  durch  uns  124.  B:  den  helle  smiden  126.  B:  die  beide  d'  alte 
un  auch  d'  iunge  128.  B:  danne  fehlt.  129.  B:  bei  dem  sie  beliben  ist  kvrtze 
frist        130.  B:  gen  den  daz  immer  ewic  ist. 

IV. 

MEDICINISCHES. 


Aus  der  papierhandschrift  nr.  125,  welche  von  einer  band  des 
14.  Jahrhunderts  lateinische  predigten  de  tempore  enthält,  deren  regi- 
ster  auf  der  rückseite  des  ersten  blattes  begint.  Auf  die  Vorderseite 
dieses  ersten  blattes  hat  darnach  eine  band  des  15.  Jahrhunderts  die 
hier  folgenden  medicinischen  aufzeichnungeu  geschrieben. 

Welcher  frauwen  dy  zizen^  sweren,  dy  sal  nemen  hasensmalz 
und  smeren  dy  darmete. 

item:  weddir  dy  hareworme,  nym  gerstinstrow ,  berne  daz  zu 
asche ,  vege  daz  darmete. 

item  aliud:  nym  bomole  und  alt  smer  glich  vele,  und  smelze 
daz  zusamene,  und  wringe  daz  durch  eyn  tuch,  und  menge  daz  mit 
geschoßen  ^  spansgrun ,  und  salve  daz  darmete. 

item  aliud:  jung  ellern  lof  saltu  brechin,  und  bernde  daz  zu 
pulvere,    und   tu   daz   yn   dy    wunde   des  tages   twige   und  wasche   dy 

1)  hs.:  tyzten  2)  gestozen? 


150  G.   SCHMIDT 

wunde  [mit]  eykeue  law,    und  droge  daz  mit  eyme  tuche,    und  strich 
daz  puWer  daryn. 

item:  hat  sich  eyn  mensche  vorbrant,  so  zuch  den  brant  also 
uß :  lege  uf  den  brant  eyn  row  eyges  doder. 

item  aliud:  nym  eyne  mus,  und  zug  or  daz  vel  abe,  und  lege 
das  daruf. 

II. 

Aus  der  papierhandschrift  des  14.  Jahrhunderts  nr.  22,  deren  iuhalt 
ausführlich  angegeben  ist  im  osterprogramme  des  königl.  domgymna- 
siums  zu  Halberstadt.  1878.  s.  16  fg.  Sie  enthält  collegienhefte  von 
Montpellier  und  aufzeichnungen  eines  mediciuers. 

Contra  caliginem  oculorum:  nym  scheleworz,  crut  unde  wur- 
zeln, unde  venkel,  unde  stoz  daz  met  wyne,  unde  met  honyge ,  unde 
du  dazu  wißin  phefiFer,  de  cleyne  gestozen  sy,  unde  wring  daz  dorch 
eynen  tuch,  unde  salbe  de  ougen  uzwendich  mete:  daz  heilet  sere. 

ad  idem:  nym  salz,  wyn,  unde  wiz  eynis  eyges,  gliche  vil, 
daz  rip  med  eynauder,  unde  laz  daz  steyn  ix  tage,  unde  tu  ez  danne 
in  de  ougen.     expertum  est. 

ad  clarificandum  oculos:  nym  rutenworzeln ,  fenikel,  pipe- 
nelle,  rufen,  schelle  würz,  suet  daz  in  wyuezige,  daz  daz  derte  teil 
vorseden,^  unde  behalt  daz  reyne.  disse  salbe  ist  gut  vor  alle  obil 
der  ougen. 

nym  disses  crutes  like  vele:  venkel,  eppe,  rufen,  ysern,^  beto- 
uien,  odirmonien,^  benedicten,  gamandren,  papellen,  ertbern  crut, 
salbeien ,  disse  stoz  alle  zusamene ,  unde  tu  darzu  vj  pheflfercorner  unde 
iij  leftel  honinges  unde  eynes  kyndes  harn,  dit  tu  yn  eyn  vaz  uude  tu 
ez  in  dy  ougen.  wanne  disse  salbe  trüge  wart ,  so  fuchte  sie  met  kyn- 
des harn. 

III. 

Vier  pergamentbläfter  aus  dem  14.  Jahrhunderte ,  duodez ,  13  cen- 
timeter  hoch,  11  centimeter  breit,  mit  gezogenen  linien,  23  zeilen 
auf  der  seite;  abgelöst  von  einem  einbände,  hie  und  da  etwas  beschä- 
digt. Unleserlich  gewordenes  ist  hier  im  abdrucke  durch  punkte 
bezeichnet;  ergänzungen  sind  in  eckige  klammern  eingeschlossen. 

1)  1.  daz  —  vorsede,  oder  laz  —  vorseden. 

2)  D.  i.  iserne,  ahd.  isarna,  eisenkraut,  verbena;  vgl.  Graff  1,  491;  Müller- 
Zarnckc  1,  757'' ;  Lcxer  1,  1459;  Jos.  Haupt,  üb.  d.  mitteld.  arzneibuch  des  mei- 
sters  Bartholornaeus.     Wien.  1872.  s.  22.  s,  75  fgg. 

3)  d.  i.  odermenig,  agrimonia. 


HALBERSTÄDTER   BBÜCHST.      IV.    MEDICINISCHES  151 

*  * 

* 

[bl.  1']    uüde   ein    wenic   peffers,    uiide    [menge]    daz  zusaraene,    unde 

ezze   daz   nuhteren ,    unde    drinke    man   ezze.     swie   man   ber- 

dram  ^  nutze ,  drocken  oder  mit  anderme  ezzeue ,  so  ist  iz  alliz  gut. 
daz  nutzent  beide  siechen  unde  gesunden. 

deme  die  äugen  driefen,  der  neme  salbeieu,  unde  halb  also 
vil  rüden,  unde  zwirnet  also  vil  kervelen  alse  der  salbeieu  ist,  unde 
stoz  daz  zusamene  in  eime  morsere,  daz  is  saf^  gebe,  unde  so  er  sla- 
fen  got,  so  netze  daz  crut  in  eines  eyes  clare,  unde  belege  domide  dine 
Stirnen  unde  dine  wangelin.     daz  ist  gut. 

dem  der  härm  so  calt  ist,  daz  er  deu  härm  nit  wole  mag 
behalden ,  der  siede  selbe  ein  ^  wazzer  unde  drinke  daz  dicke  also  warm, 
daz  ist  gut. 

der  swarz  oder  crumpvar'^  äugen  habe,  dunt  sie  deme  we 
oder  begiunent  sie  ime  dunkelen,  so  neme  er  rutensaf,  unde  zwiernent 
also  vil  luters  honigseimes,  unde  mische  darzu  ein  wenic  luters  waz- 
zers  unde  gudes  wines .  unde  lege  darin  ein  winzege  brosemen ,  unde 
binde  die  zu  nacht  uf  sine  äugen,  so  er  slafen  get. 

der  iht^  rowes  habe  gezzen,  daz  eme  zuhaut  [bl.  1"]  we  du, 
der  neme  rüden  und  zwernent  also  vil  salbien ,  und  ezze  das  mit  salze. 

deme  in  der  leberen  oder  in  der  hingen  we  ist,  der  neme 
laticien,^  unde  ziemins  mer,'  unde  ysopen  nie  danne  der  zweier  si, 
unde  fenechels  me  danne  der  drier  si,  unde  du  darzu  gnuc  honeges, 
daz  iz  nit  bitter  ensi,  unde  siede  daz  vil  sere  in  eime  nuweu  duche- 
lin,  unde  begrabe  daz  duppen^  mit  dem  crude  under  der  erden,  ob  iz 
in  dem  winter  ist,  nun  naht  unde  nun  dage,  in  dem  somere  fünf  dage 
unde  fünf  naht  ,^  unde  sihe  iz  danne  durch  ein  duch.  ist  aber  eme  sere 
we,  30  drinke  ers  nun  dage  vil  frühe,  unde  si  enpizzeu  ein  Avenic  dovor, 
unde  nach  des,  so  er  slafen  get.  ist  eme  meslichen  we,  so  drinke  her 
iz  dri  dage. 

beginnet  der  mensche  in  der  leberen  fon  unfraudeu  sieben,  der 
siede  junge  huure  mit  ysopen  unde  ezze  daz. 

1)  d.  i.  bertrain,  anthemis  pyrethrum;  vgl.  Eegel,  das  mittelniederd.  Gothaer 
arzneibuch  (Progr.  d.  gymn.  Ernestin.  zu  Gotha)  1872.  s.  10:  stoet  bertram  vnde 
peper  to  samende  je  welkes  eyn  queutin,  in  wein  gekocht,  gegen  das  kalte  fieber. 

2)  hs. :  saht  3)  1.  siede  salbeie  in  wazzer ;  vgl.  Matth.  Siluaticus ,  pan- 
dectae  medicinae.  Lugd.  1534.  fol.  Tö*"  (nach  Serapion):  „decoctio  foliorum  et 
ramorum  ipsius  et  quando  bibitur  provocat  urinam." 

4)  brünvar?  5)  hs.:  it  6)  latichen,  lattich,  lactuca? 

7)  zinemins,  zimmins,  cinamoiui,  mehr  zimmet  als  lattich? 

8)  mnd.  dat  duppe,  mhd.  der  und  daz  tupfen,  topf.  Lübben  1,  600;  Lexer 
2,  1578.  9)  hs. :  nath 


152  G.    SCHMIDT 

der  grawe  aiigeii  hat,  beginnent  sie  sieclien  ader  duukelen, 
der  iieme  fenicliel  oder  siüeii  samen,  unde  stoze  daz,  unde  neme  daz 
saf,  unde  des  daiiwes,  den  man  uffe  den  reliten  grase  ^  [bl.  2*]  findet, 
unde  mache  domide ,  unde  mit  simelmele ,  kuchelin ,  uude  binde  iz 
über  sine  äugen  mit  eime  duche ,  so  er  slafen  get. 

ob  dem  manne  ein  geswolst  beginnet  sich  heben,  die  eme  we 
dut,  der  neme  fenichil,  unde  dri  stunt  also  vile  fenum  grecie,  unde 
ein  wenic  rinderen  buderen,  unde  stoze  daz  zusamene,  unde  lege  iz 
darüber,     daz  hilfet. 

der  gerne  dr unken  wirdet,  der  ezze  fenichilsamen.    daz  hilfet. 

ob  die  schaf  beginnent^  sieben,  so  neme  man  fenchil,  unde 
ein  wenic  minre  dilles,  unde  lege  daz  in  ein  wazzer,  daz  is  darnach 
smacke,  unde  gib  is  den  schafen  zu  drinkene. 

deme  in  dem  herzen  oder  in  dem  milze  oder  in  der  siten 
we  si,  der  neme  petersilien,  unde  side  den  mit  wine  unde  mit  eim 
wenig  ezzeges ,  unde  du  gnuc  honeges  darzu ,  unde  sihe  daz  durch  ein 
duch,  unde  drinc  daz  dicke. 

deme  der  klobelauch  we  du  gezzen,  der  ezze  zu  haut  peter- 
silien,    daz  hilfet. 

deme  der  stein  we  dut,  der  neme  petersilien  unde  daz  dritteil 
steinbrechen ,  unde  side  daz  mit  wi  [bl.  2*"]  ne ,  unde  sihe  daz  durch 
ein  duch,  unde  drinc  is  in  eime  sweizbade,  unde  siede  daz  selbe  krut 
mit  wazzere,  unde  lösche  die  steine  domide. 

der  in  dem  libe  von  stosene  oder  fon  fallene  wirdet  zu- 
brechen, der  stoze  kervelen,  unde  drinke  daz  saf  mit  wine,  unde 
du  daz  dicke. 

der  den  deinen  rüden  hat,  der  neme  kervelen,  unde  dristunt 
also  vile  humele,^  unde  funfstunt  also  vil  alandes,  alse  der  kervelen 
ist,  unde  siede  daz  mit  wazzere,  unde  winde  is  sere  durch  ein  duch. 
du  daz  crut  abe,  unde  daz  wazzer  in  eine  pannen,  unde  noch  smalzes 
me,  also  nuwe,  als  man  uz  eime  swine  niemet,  unde  laze  daz  zusa- 
mene ober  dem  fnre,  unde  gieze  is  in  ein  schone  becken,  unde  laz  is 
dri  dage  sten ,  unde  sundere  danne  daz  smalz  von  deme  wazzere ,  unde 
du  is  in  die  pannen,  unde  darzu  ein  wenic  wirauches  unde  swevels, 
unde  dribe  daz  zusamene,  bis  iz  dicke  wirdet  ein  salben,     so  du  iz  in 

1)  rietgrase  V  2)  lis. :  beginnet 

3)  hopfenV  nüat.  humlo,  humulo,  humulus.  —  Wenn  Hoflmann  von  Eallcrs- 
leben  in  seinen  Sumerlaten  (Wien.  1834)  9 '',  58  aus  der  Wiener  pergamenthand- 
schrift  des  12.  jahrh.  von  Heinrici  Summarinm ,  nr.  2400,  die  glossierung  darbie- 
tet: „humula,  alant,''  so  ist  humula  nur  ein  lese-  oder  Schreibfehler,  entstanden 
aus  hinnula,  einer  incorrectcn  Schreibung  für  inula. 


HALBERSTÄDTER   BBUCHST.       IV.    MEDICINISCHES  153 

eiu  biischeii,  uude  luz  is  uim  diige  steu,  uude  salbe  sich  domide  dri 
tage,  unde  bade  danne  an  dem  fierden  dage.  ist  ieme  danne  noch 
nit  baz ,  so  du  er  dristunt  also :  so  hilfet  es  dich  ane  zwivel. 

deme  die  druse  blaseut'  an  [bl.  3"]  ^  dem  halse,  der  uerae 
liebestuckel  uude  ein  [wejuic  me  gunderreben,  uude  siede  daz  mit 
\v[iue] ,  uude  lege  iz  also  warm  umme  siuen  ha[ls,  daz]  die  äderen 
erwarmen,     daz  hilfet. 

deme  der  fig  wirret,  der  stoze  romesch[e  ...Jzen,  unde  winde 
daz  saf  durch  ein  du[chelin],  unde  drinke  daz  morgens  unde  nahtes 
[ ]  mit  eim  wenig  wines.     daz  hilfet. 

deme  die  luse  sere  wirrent,  der  ueme  ^  sisemare,*  uude  [smeljze 
daz  mit  smere,  unde  salbe  sich  domide  under  siuen  ossen^  uude  umme 
sinen  hals,  so  sterbe[nt  die]  luse. 

der  den  friesenden  weweu  hat  an  dem  dritten  dage,  de  neme 
sisemar,  [unde]  der  minren  shurflachen  ^  gliche  vil,  unde  drist[unt] 
also  vil  merretiches,  unde  siede  daz  mit  win[e,  uude]  winde  is  durch 
ein  duch  unde  neme  dan  ne[gejlin  unde  iugeber,  geliche  lil,  unde  also 
vil  galg[a]nes,  also  der  zweier  ist,  uude  pulvere  daz  zusa[me]ne,  unde 
mache  domide  unde  mit  wiue,  daz  [mit]  den  cruteren  ist  gesehen,  so 
ist  iz  ein  luter  d[ranc],  unde  drinc  daz,  so  in  der  wewe  aneget,  unde 
n[un]  dage  darnach. 

deme  die  äugen  duukelen,  der  neme  hanengallen,  unde  zwier- 
nent  a[lso  [bl  3"]  vil]  poleieu  saifes ,  unde  ein  weneg  luters  wi[nes], 
unde  mache  daruz  ein  aucluppe,^  unde  du  [is]  in  kupper  vas,  unde 
striche  daz  umme  die  [aug]en ,  so  daz  is  nit  file  in  die  äugen  ge ,  unde 
[du  d]az  zwölf  nahte, ^  so  er  slafen  get. 

1)  bläseut,  inflantur.  Vgl.:  Die  da  genasen,  die  wären  zubiäsen,  zudrimgen 
und  zuswalt.     Herbort  17120  fgg. 

2)  Die  beiden  lezten  blätter  sind  am  raude  etwas  beschnitten. 

3)  der  neme  fehlt  in  der  hs. 

4)  Gemeint  ist  wol  sisymbrium.  Vgl.:  sisimbria,  sisemera  aus  einem  Admon- 
ter  vocabularius  des  11.  jh.  in  Haupts  ztschr.  3,  379**  und:  sisimbrium,  sisimra 
aus  der  Darmstädter  pergamentliandschrift  nr.  6  von  Heinrici  Summarium  in  Pfeif- 
fers Germania  9,  23.     bech. 

5)  D.  i.  mhd.  uohse ,  swf. ,  achselhöle. 

6)  ,,schorfladeke,  schorfladicke ,  rumex  acutus,  spitzige  grindwurz,  schorflat- 
tich. "  Regel,  das  mnd.  Gothaer  arzeneibuch  und  seine  pfianzennamen  (Progr.). 
Gotha  1873.  2,  17. 

7)  augluppi,  coUyrium.     Graft'  2,  77.     bech. 

8)  hs. :  nathe 


154: 


G.    SCHMIDT 


[D]er  den  naseboz^  bat,  imde  ouch  davone  liii[stet],  der  neme 
reiiievaaen,^  uude  mache  [damide  kjuchelin,  oder  sufen,  oder  siede  is 
[mit]  fleisclie,  uude  ezze  iz  also. 

der  von  dem  steine  nit  wole  mag  harnen,  der  stoze  reinevanen, 
imde  drinke  daz  mit  wine.     daz  hilfet. 

der  sweren  of  dem  hau  bete  hat  uude  nit  grint  ist,  der  neme 
raden,  unde  stoze  den  mit  [gejbrantem  specke,  unde  salbe  daz  haubet 
do[mi]de. 

do  der  fliegen  fil  ist,  so  pulver  man  den  raden  unde  du  daz  in 
honeg,  unde  striche  [dajz  an  die  wende,  so  sterbent  die  fliegen,  die 
des  ezzent. 

der  daz  biver  sere  hat,  der  neme  enziane  gepulvert,  unde  drinke 
daz  in  [wijne  nuhteren  unde  nahtes. 

der  vergift  hat  gezzen  oder  gedrunken ,  [bl.  4"^]  der  siede  rin- 
gelin ^  in  wazzere,  unde  drinke  [danne]  daz  wazzer  uz,  unde  lege  danne 
daz  crut  a[lso]  warm  uff'e  sinen  magen ,  unde  werme  vil  g[uden]  win, 
unde  lege  des  selben  crudes  darin,  unde  [drinjke  daz  wermelehte,  so 
beginet  er  spien  oder  [ ]. 

dem  daz  haubet  fleckehte  ist,  der  neme  [ ]  bi  der  swar- 

ten,  unde  stoze  daz  mit  rin[gelin]  crute,  unde  salbe  daz  haubet  dicke 
domi[de]. 

so  die  rindere  oder  die  schafe  iht  gezz[en  hanj,  daz  sie  gehe- 
lingen  swellen,  so  man[ge  riujgelin  mit  ein  wenig  wazzers,  unde  gebe 
[ine]  daz  zu  drinkene.     daz  hilfet. 

dem  daz  fr  eisliche  erhebet,  der  ezze  a[ccleia].^     daz  hilfet. 

der  daz  biever  hat,  der  stoze  accleia,  unde  [winjde  daz  saf 
durch  ein  duch,  unde  du  vil  [gu]den  win  darzu,  unde  drinke  dicke, 
daz  hi[lfet]. 

1)  blitz,  putz,  rotz  in  der  nase.     Grimm,  deutscli.  wörterb.  2,  589. 

2)  ahd.  reinefano,  Graif  3,  521.  ralid.  reinvane.  Lexer  2,  393.  tanacetum 
vulgare.  Es  scheint  aber  doch  wol  gemeint  zu  sein  weisser  reinfarrn ,  acbillea 
ptarmica,  ptarmica  vulgaris  Nemnich,  polyglottenlexicon  der  naturgeschichte  1,  38, 
s.  V.  Acbillea  ptarmica, 

3)  ,,cicorea  haizet  etswä  sunnenwerbel  und  etswä  ringelkraut  und  haizt  ouch 
ze  latein  solsequium  oder  sponsa  solis  ....  wer  daz  zerstcezt  und  ez  izzet,  dem  ist 
ez  guot  für  die  vergift  und  wider  der  vergiftigen  tier  piz  und  allermaist  so  man 
ez  auf  die  wunden  legt"  Konrad  von  Megenberg,  buch  der  natur,  herausg.  von 
Fz.  Pfeiffer.     Stuttg.  1861.  s.  394. 

4)  ,,Wedder  dat  vallende  ouel:  nym  vnde  stot  cariandes  säet,  aquileyen  .... 
wringk  dat  saep  vth  vnde  gif  cm  dat  drinkeu,  wen  he  ghevallen  ys."  Regel, 
Gothaer  arzneibuch  1,  7. 


HALBERSTÄDTER    BRUCHST.       IV.    MEDIClNISCIIliS  155 

der  die  bösen  druse  hat,  e  sie  brechen,  [der]  pulvere  nebeta,^ 
unde  ezze    daz  pulver  [dicjke  ufi'e  brode,   so  swindet  sie.     obe  sie  aber 

[brecjhen,    so    neme  ^   man    neberen^^  biedere,    unde   lege  sie  [ J 

grüne  darüber  dicke. 

der  gerne  gosunt  wil  wcseu,  der  neme  [.  .  .  .  [bl.  4'']  .  .  .  .]  rz, 
unde  pulver  die  mit  der  wurzcleu  unde  [mit]  den  biederen,  unde  du 
halb  also  vil  darzü  [gejmalnes  bertrames ,  unde  halb  also  vil  ge[su]ver- 
tes  zimines,  als  des  bertrames  ist,  unde  [mis]che  daz  zusamene,  unde 
ezze  daz  zusame[ne]  alle  dage  uffe  brode,  oder  drinke  is  in  [wajrmem 
wine.  daz  beheltet  ime  sine  sunt[hei]t.  ist  er  aber  sich,  er  genieset, 
daz  pulver  [sal]  man  in  eime  nuwen  cruseline  under  der  [erdejn  begra- 
ben, so  beheltet  is  sine  kraft. 

deme  daz  herze  we  dut,  der  neme  storkesnabel,  so  er  allez  ane 
unfro  ist,  unde  ein  we[ni]g  minre  poleies,  unde  rüden  ein  weneg 
[min]re  dan  des  poleies  si ,  unde  pulvere  daz  [zujsamene ,  unde  ezze  daz 
pulver  dicke  offe  [brojde,  daz  sterket  unde  frawet  ime  sin  herze. 

der  ungefrauwet  gemude  hat  unde  ime  ^  muwelich  unde  unsanfte 
nahtes  bi  ime ,  so  [er]  slefet. 

den  wiben,  den  ir  sache  in  unrehten  •'*  ziden  zu  fil  wirret, 
die  legen  bathenien  [in  de]n  win,  daz  er  darnacii  smacke,  unde  driu- 
[ken]  den  dicke. 


AUS   EINEM   ALPHABETISCH    GEOKDNETEN   KEÄUTEEBUCHE. 

[MACER   FLORIDUS.] 

Vier  blätter  pergameut  in  quart  aus  dem  14.  Jahrhunderte,  20  cen- 
timeter  hoch,  15  centimeter  breit,  liniert,  zweispaltig,  32  —  34  zeilen 
auf  der  seite.  Die  initialen  zum  rubricieren  sind  teilweise  weggelas- 
sen. Einzelnes  ist  durch  flecken  und  rasur  unleserlich  geworden.  Zwi- 
schen dem  ersten  und  zweiten  ,  und  widerum  zwischen  dem  dritten  und 
vierten  blatte  fehlt  je  ein  blatt.  Das  erste  blatt  begint  mit  Aristo- 
lochia,  holwort.     An  dem  rande  rechts  und  links  standen  uotizeu,  bald 

1)  wizmiiiza,  sigimiuza,  nepota.  Graff  3,  819.  minze ,  sigeiiiiuze,  stein- 
minze,  nepeta.  Müller -Zanicko  2,  186''.  —  Gemeint  ist  wol  nepeta  cataria,  die 
nepte,  katzeunepte,  katzeiiraiuze.  Nenmich ,  polygl.-lex.  der  naturgesch.  3,  713. 
s.  V.  Nepeta  cataria. 

2)  neme  fehlt  in  der  hs.  3)  nebeteu? 

4)  ime  ist  von  anderer  l)and  nachgetragen.  Es  soltc  wol  lauten  . . .  unde 
frawet  ime  sin  herze,  der  uugefrawet  gemude  hat  unde  muwelich  unde  unsanfte 
nahtes  slefet.  5)  hs. :  unrethen 


156  G.    SCHMIDT 

lateinisch ,  bald  deutsch ,  als  angabeu  des  Inhaltes ;  sie  sind  auf  dem 
äusseren  rande  von  bl.  1.  2.  4  ganz  oder  teilweise  durch  beschneiden 
weggefallen.  ^ 

[bl.  1*  vj.   Aristolochia,  holwurz] 

daz  kalde.  si  ist  och  gut  ....  tericis  mit  wazzere  genutzet,  waz  pul- 
veres  iz  sie ,  daz  han  ich  uch  e  gesagt.  ^  di  holwort  mit  honige  getem- 
peret reyneget  die  w[u]uden  unde  vulet  ^  sie.  zu  den  zwen  tu  swarze- 
len  ^  worzelen  saf,  damite  bestric  daz  zauenvleisch  /  daz  vortribet  alle 
vulheyt.  daz  selbe  genutzet  vortribet  die  suchte  unde  ist  och  gut  vor 
allirhande  suche,  die  heyzet  spasmus.  daz  selbe  genutzet  stillet  poda- 
gram  an  den  vuzen  unde  ist  ^  och  gut  vor  daz  val.  daz  selbe  genutzet 
vortribet  swaz  ^  dem '  buche  werren   ist   unde   hilfet  och  den  vorgich- 

[vj.]    Macer.  nr.  41.  s.  85.     Aristolochia.  v.  1395— 1436. 
nach  Choulant:    Aristolochia  longa,    rotunda   et  clematitis;    Hohl- 

wurz,  Osterluzei. 
(Vgl.  Mattli.  Silvaticus,  Pandectae  medicinae.     Lugd.  1534.  c.  7.  fol.  3*). 


Asthmaticis  prodest  et  frigora  sumpta  repellit; 

Pleureticos  curat  mixto  si  sumitur  amne. 

Quodlibet  infixum  superaddita  trita  repellit, 
1410  Vulnera  cum  mellis  purgatque  repletque  liquore; 

Quod  si  praedictis  irim  coniungis  et  inde 

Ungas  gingivas,  dentes  putredine  purgat. 

Splenis  duriciam  solvit  laterisque  dolorem, 

Si  mixta  potatur  aqua;  febresque  malignas 
1415  Hoc  potata  modo  fertur  compescerc  mire. 

Sic  etiam  spasmis  super  omnia  subvenit  hausta 

Et  sedat  diram  sie  saepius  hausta  podagram, 

Et  morbum  curare  solet  sie  sumpta  caducum. 

Et  ventris  nimium  sie  mitigat  illa  dolorem, 
1420  Et  sie  fit  sumpta  levior  paralyticus  illa. 

Daemonium  fumus  depellere  dicitur  ejus, 

Infantes  fumo  tradunt  hoc  exhilarari.^ 

1)  Diese  bruclistiicke  eines  deutschen  kräuterbiiclies  ergaben  sich  mir  als 
reste  einer  Übersetzung  des  Macer  Floridus.  Als  solche  schienen  sie  mir  wol  zu 
verdienen,  dass  ich  ihnen  einige  begleitstücke,  und  zwar  den  lateinischen  text, 
anmerkungen ,  und  eine  besondere  abhandlung,  hinzufügte,  welche  dazu  dienen 
könten,  auf  die  bedeutsainkeit  des  werkes  aufmerksam  zu  machen,  und  der  ki'iti- 
schen  beurteilung ,  so  wie  dem  genauen  und  sicheren  Verständnisse  der  hier  vor- 
liegenden deutschen  textüberlieferung  einen  verlässigen  anhält  darzubieten.    J.  Z. 


HAÜ-BERSTÄDTER   BRICHST.       V.    MACER  157 

tige[n]  ledeii.  der  roucli  von  der  holwort  vortribet  den  alf  oder  unglie- 
huren.  de  bemigen  *^  kiudere  mite  gerouchet,  iz  gebet  in  gut  gemute. 
si  hilfet  ocli  fistulam ,  daz  mau  die  worzelen  wol  reinge  unde  daz  hol 
des  sweren  mite  viiUe.  holwort  genutzet  vortribet  den  dorst.^  diz 
ist  alliz  von  der  senewolleu  holwort  gesproken ,  die  lange  tut  alle  daz 
die  senevvolle  tut,  ab  mau  der  nich[t]  hat:  man  mu/,  ir  aber  anderhalp 
teil  also  vil  haben  also  der  seuewolle.  die  lange  holwort  hilfet  sere 
de  matrieem ,  ab  sie  [l''|  vorstopet  sie  mit  veister  vucliticheit,  ab  man 

sie  sudet  unde  mit  ir  brodeni  das  wip  underrouchet oeh  ab  sie 

de  holwort   gesoten waut   se    subrit  se  sere.     holwort  gestozen 

mit  bitelkalke"'  unde  in  eyn  tich  geworfen  tötet  di  vische.  dorch  daz 
heyzet  man  sie  der  herden  ^^  vorgift. 

Fistula  curatur  huins  radicibus  herbae, 
Si  bene  purgatis  eins  loca  concava  farcis; 

1425  Singultus  sumpta  sedari  dicitur  illa. 

Omnia  longa  potest  quae  dixi  posse  rotundam, 
Longa  tarnen  vires  habet  illa  debiliores, 
Unde  quidem  si  defuerit  qnandoque  rotunda 
Par  poudus  longae  ponatur  dimidiumque. 

1430  Fomento  longae  prodest  deeoctio  mire 
Matricum  morbis  humores  extenuando 
Pingues,  et  purgat  eadem  si  sumitur  illas, 
[Plinius  haue  formare  mares  cum  carue  bovina 
Appositam  vulvae  postquam  conceperit  inquit.] 

1435  Trita  necat  pisces,  admixta  calce,  rotunda, 
Haue  ideo  quidam  terrae  dixere  venenum.^ 

[vj.j     Anmerkg.  z.  deutsch,  text.     1)  hs. :  gesacli  oder  gesath  2)  I.  vuUet 

3)  hs. ;  verschrieben,  statt  swertelen;  denn  gemeint  ist  Iris  illyrica  (florentina),  veil- 
chenwurzel.  4)  hs. :  zannenvleichs  5)  hs. :  ist  fehlt.  6)  hs. :  zwaz  7)  hs. : 
den  8)    „Der  rouch  uon  der  holvvurtz  vertribit  den  alp  oder  ungehuren";    aus 

einer  auch  den  Macer  enthaltenden  pergamenthandsclirift  des  14.  jahrh.  in  der 
Ehedigerschen  bibliothek  zu  Breslau  (XXXII.  germ.  lib.  IX)  mitgeteilt  von  H.  Hoif- 
mann  im  glossare  zu  seinen  Fundgruben  für  gesch.  deutscher  spräche  u.  lit.  (Bres- 
lau 1830)  1,  358  ^  —  bemigen,  particip  von  bemigen,  bepissen  (Schiller  -  Lübben, 
mnd.  -wörterb.  1 ,  229) ,  scheint  hier  doch  kaum  passlich.  Vielleicht  mag  es  nur 
Schreibfehler  sein ,  statt  benn igen,  so  dass  der  sinn  wäi'e :  die  vom  alpe  besessenen 
oder  beängstigten  und  deshalb  unruhigen  und  ungebärdigen  kiuder  werden  durch 
beräucherung  mit  holwurz  ruhigen  und  fröhlichen  sinnes.  Bennig  in  dieser  bedeu- 
tung  fehlt  in  den  Wörterbüchern  von  Müller -Zarncke,  Lexer  und  Grimm;  aber 
Frisch  in  seinem  Teutsch-Iatein.  wörterb.  (Berlin  1741.)  1,  58 "^  sagt:  „bannig  hat 
Matthesius  in  Sarejita,  im  composito.  Teuftel  -  bannig ,  das  ist  besessen,  rasend, 
unsinnig,  obsessus  quasi  et  daemone  actus  furens.  —    Es  ist  kein  volk  hartbeniger 


158  G.    SCHMIDT 

dem  evangelio  zu  widerstreben ,  als  wie  die  Juden.  Leo  Jud.  vers.  paraphr.  Erasm. 
Rot.  Epistolae  ad  Titum.  —  hartbenilveit ,  id.  Epist.  ad  Thessal."  —  ,, Bannig, 
unbändig.  Gel'!  sagt  die  mutter  zum  kinde,  ietz  hast  e  mal  d  ruet  koscht,  was 
bist  so  beni."  Schmeller,  baier.  wörterb.  ed.  Frommann  1,  243.  —  „Bennig,  adj. 
unbändig.     Melchior  Liebig  1588: 

Sind  prechtig,  stolz,  eigensinnig, 

Vnd  schir  gleich  wie  Teuifel  hennig." 
H.  Hoffmaun ,    in  Frommanns:    die    deutschen  mundarten    (Nürnberg  1857)   4.  164. 
9)  ?  singultus.     Vgl.  Macer  v.  1425.  10)  betekalk,    betelkalk,   m.  ungelöschter 

kalk.  —  ,,holword  myd  betelkalke  ghestot  in  eynen  dyck  geworpen,  so  steruen  de 
vysche.  also  sacht  Macer."  Eyn  schone  Arstedyge  boeck  van  allerleye  ghebreck 
vnnde  kranckheyden  der  mynschen.  Herbarius.  a.  1483.  fol.  43''.  Schiller  -  Lübben 
mnd.  wörterb.  1,  297".  11)  1.  erden, 

[vj.]  Anmerkg.  z.  lat.  text.  1)  Fugatque  demonia  et  hilariorem  facit  infan- 
tem  suifumigata.  Matth.  Silv.  c.  7  und  buchstäblich  ebenso  im  Ortus  sanitatis  s.  1. 
1517.  De  herbis  cap.  xl.  fol.  ciij"*.  2)  V.  1433.  34  sind  in  der  deutschen  Über- 

setzung ausgelassen;  absichtlich,  wie  die  auslassung  ähnlicher  stellen  in  anderen 
abschnitten  schliessen  lässt.  —  ,,In  summa  tarnen  gloria  est;  si  modo  a  conceptu 
admota  volvis  in  carne  bubula  maris  figurat,  ut  traditur.  Piscatores  Campaniae 
radicem  eam  quae  rotunda  est  venenum  terrae  vocant  coramque  nobis  contusam 
raixta  calce  in  mare  sparsere;  advolant  pisces  cupidate  mira  statimque  exanimati 
fluitant.     Plin.  HN.  25,  8,  54. 

[vij.J  Altea  heyzet  ybische  oder  wilde  pippele.^  der  ybische 
blüme  gestozen  mit  wine  unde  iif  de  w[u]ndeE  geleit  zübrochen  imme 
libe ,  daz  subrit  sie ,  unde  subrit  utwendige  ^  wunden,  die  worzele 
gesoten  unde  mit  altem  smere  gestozen  bricliet  unde  vertribet  aller- 
hande  geswere.  zu  alle  dissen  ding  ist  daz  wazzere  gut,  da  die  ybische 
inne  gesoten  ist.  daz  selbe  vortribet  die  drose,  die  scrofule  heyzen. 
daz  wazzer  mit  wine  gemeuget  stillet  die  rure.  daz  selbe  tribet  uz  die 
anderen  geburt  genutzet,  daz  louf  ist  gut  genutzet  den,  die  da  blot 
raschen.^  iz  vortribet  also  genutzet  manigerhande  suche,  die  in  der 
blasen   werende  ist,    unde   vortribet   den   stein,     der    same    mit   wine 

[vij.]     Macer  nr.  9  s.  43.  Althaea.  v.  366  —  394. 
Nach  Choulant:   Althea  officinalis;    Eibisch. 

(Vgl.  Matth.  Silvaticus  c.  34.  fol.  14*  s.  v.  altea). 
Alteam  malvae  speciem  uullus  negat  esse, 
Alteamque  vocant  illam,  quod  crescat  in  altum. 
Hanc  ipsam  dicunt  Eviscum,  quod  quasi  visco 
lUius  radix  contrita  madere  videtur, 
370  Agrestisque  solet  a  multis  malva  vocari. 
In  mulsa  coctus  flos  eius  vulnera  purgat, 
Vel  si  cum  viuo  trituni  florem  superaddas, 
Spargere  sie  scrophas,  anumque  juvare  dolentem 
Dicitur,  hocque  modo  conquassatis  medicatur. 


HÄLBERSTADTER  BRÜCKST.   V.  MACER  159 

gestozen  iinde  mit  boumolei  getemperet,  di  salbe  vortribet  allerbande 
missestende  vlecken  uuder  den  oiigen.  der  ybesclie  wor/ele  gesoten  unde 

genutzet  ^    mit   bonige    unde    als   eyu   plaster   nf  reife    wunden 

[1*^]  geleit  vulet^  sie,  also  selbes"  zutribet  se  herte  svul;  di  bletere 
gesoten  unde  gestozen  mit  olei  sint  gut  zu  allerbande  bizze,  in  eyner 
plaster  daruf  geleit :  daz  selbe  iz  gut  zu  dem  ^  brande. 

375  Elixata  prius  radix  adipique  terendo 

Addita  porcino  terebintbinaeque  tumores 

Matricis  curat,  reliquosque  juvare  dolores 

Dicitur  illius;  nervös  sie  ipsa  relaxat, 

Rumpit  vel  spargit  sie  apostemata  dura. 
380  Omnes  has  causas  elixatura  iuvabit, 

Si  loca  morborum  foveantur  saepe  tepenti. 

A  dysentericis  radicum  coctio  sumpta 

Cum  vino  fluxum  stringens  compescit  eorum. 

Et  pellit  tardas  haec  coctio  sumpta  secundas, 
385  Et  prodest  baemoptoicis ,  lapidesque  repellit, 

Vesicaeque  solet  variis  succurrere  causis. 

Acri  cum  vino  contritum  semen  olivo 

Jungito ,  deformes  maculas  boc  unguine  pelles. 

Cum  pusca  potata  potest  obstare  venenis, 
390  Elixata  prius  cum  melleque  trita  replebit 

Vulnera  quae  cava  sunt,  si  sit  supperaddita  saepe; 

Sic  quoque  duricias  mollit  lenitque  rigores; 

Decoctis  oleo  foliis  factum  cataplasma 

Quosvis  pestiferos  morsus  combustaque  curat. 

[vij.]  1)  1.  papele  2)  hs.  utwengide  3)  „wirok  ghestot  vnd  mit  wine 
getempereret  eder  mit  etike  gedrunken  helpet  deme  de  blot  risschet,  dat  is 
dede  blot  spyet."  Wolf.  Mscr.  23,  3  f.  79^  Schiller  -  Lübben ,  mnd.  wb.  3,  488. 
(bech).  4)  hs.  genutzen  5)  1.  vullet  6)  also  selbes  d.  i.  gleicher  weise. 

Vgl.  unter  viiij  atriplex  „also  selbes  is  he  gut."  7)  hs.  den 

[viij.]  Acydula,  surampfe,  die  ist  trocken  unde  kalt  in  dem 
drite[n]  grade,     surampfe   gezzen  vortribet   den  unlust.^     bei   vortribet 

[viij.]    Macer  nr.  18  s.  57.     Acidula.  v.  711  — 747. 
Nacb  Cboulant:  Sempervivum  und  Sedum;  Hauslaub,  Hauslauch. 
(Vgl.  Matth.  Silvaticus,  c.  365.  fol.  106'';  ,,Humad  arabice,  grece  oxilopatium ,  latine 

vero  acetosa.") 
Dicimus  Acidulam,  quam  Graecus  dicit  Aizon;  ^ 
Sic  dici  credunt,  sapor  illi  quod  sit  aceti. 


160  G.    SCHMIDT 

gestozen  daz  lieylige  vur,  ob  mau  iz  daruf  leit.  iz  vortribet  ocli  das 
vlechtende  ser  daruf  ^  geleit ,  uude  lieylet  och  daz  gebraute,  der  saf 
mit  olei  getemperet  uude  auz  houbet  gestricheu ,  daz  lauge  qualeu  bat, 
iz  vortribet^  die  sucbe  vil  schire.  mit  wiue  getrunkeu  virtribet  aller- 
haude  rure  uude  scbe[de]licbeu  ^  gezzeu.  daz  selbe  hilfet  die  wip,  ab 
ir  suche  zu  lange  wert,  also  genutzet  vortribet  he  de  senewolde  spulle- 
worme  uude  ist  och  gut  wider  de  vorgift.  der  saf  au  de  ougeu  gestri- 
cheu irluchtet  die  ougeu.  mau  sait,  swer  in  bi  sich  trage,  den  steche 
der  taraut  nicht,     der  saf  iu  de  oren  getan  vortribet  den  orswer.    hus- 

Crescit  arenosis  in  pratis  et  secus  aranes,^ 

Haue  avide  quidam  comedunt  in  tempore  veris 
715  Expertumque  ferunt,  sibi  quod  fastidia  tollat. 

Virtus  est  illi  siccaus  et  frigida  valde, 

Tertius  a  medicis  datus  est  gradus  huic  iu  utroque. 

Hac  fugit  apposita  sacer  ignis  et  herpeta  raordax, 

Et  tumor  ex  oculis  tritae  cataplasmate  cedit. 
720  Ulcera ,  quae  serpunt,  cohibet  combustaque  curat, 

Et  multum  calidae  dicunt  prodesse  podagrae, 

Si  fuerit  foliis  illius  operta  virentis 

Aut  cataplasmetur  niixta  coutrita  poleuta. 

Eius  cum  roseo  succus  permixtus  olivo 
725  Dicitur  autiquo  capitis  prodesse  dolori, 

Qui  dolor  et  lingua  dicitur  ceplialalgia^  graeca. 

Omne  genus  fluxus  ventris  restringere  mire 

Cum  vino  potata  solet  vel  mausa  frequenter; 

Hocque  modo  nimium  manantia  meustrua  sistit, 
730  Vel  si  matrici  tritam  viridem  superaddas; 

Sic  quoque  lumbricos  pellit  potata  rotundos, 

Taliter  et  cuuctis  prodest  potata  veueuis. 

Exhilarat  visus  succus  illius  iuunctus; 

Cum  vino  variis  obstat  potata  veueuis. 
735  Affirmaut  istam  qui  secum  gesserit  herbam 

Quod  uon  appetat  hunc  letali  scorpius  ictu. 

Auribus  expressus  si  succus  fuuditur  eius 

Adiuvat  auditum  mire  pellitque  dolorem. 

Altera  vero  minor  species  est  istius  herbae, 
740  Quam  Sempervivam  dicuut,  quoniam  viret  omui 

Tempore,  Barba  Jovis  vulgari  more  vocatur; 

Esse  refert  simileui  praedictae  Pliuius  istam,  ^ 

Nee  minus  haue  cuuctis  praedictis  posse  juvare; 


HALBERSTÄDTER  HRUCHST.   V.  MACER  161 

loch  hat  alle  die  kraft,-''   die  der  siiramphe  hat,    niide  iz  7,11  allen  des- 
sen dingen  gut,  als  der  suramplie  ist. 

[Mane  solent  adeo  palpebrae  glutine  quodam 
745  Plegmatis  astringi,  valeaut  ut  vix  aperiri, 
Has  mire  succus  herbae  deglutiuat  huius, 
lUo  si  tactae  fueriut  digitove  perunctae.] 

[viij.J  1)  hs.  svullust  2)  hs.  clarub  3)  hs.  vortrif  4)  1.  stetelichen 
5)  I1S.  karst 

jviij.]  1)  Die  handscbriften  bieten  mauiiigfach  abweichende  formen:  aizoon, 
aiozon ,  ayzon,  ai^on,  aizoum,  noxon,  ozion  usw.  Ans  dem  griechiselien  namen 
dftuour  geht  hervor  dass  Sempervivnm  gemeint  ist.  Die  nicht  genau  angcgel)ene 
Unterscheidung  bezieht  sich  auf  Sempervivum  tectorum  (Sedum  majus,  Dachwurzel, 
Haushaixb,  Barba  Jovis,  franz.  joubarbe,  Donnerbart)  und  Sedum  acre  (Sedum  oder 
Sempervivum  minus,  kleine  Hauswurz,  Mauerpfeifer).  Diese  auffassung  wird  bestä- 
tigt durch  Jac.  Theod.  Tabernamiontanus ,  Kreuterbuch ,  hsg.  durch  Gasp.  Bauhinus. 
Frankf.  Ißl3.  fol.2,  542  fgg.  —  Acidula,  Accidula,  Acedula  wird  sonst  gewühn- 
licli  glossiert  durch  ampfer,  sürami)fer.  So  hat  es  auch  hier  der  deutsche  Über- 
setzer aufgefasst,  und  so  scheint  es  auch  schon  Macer  selbst  gemeint  zu  haben. 
Beide  scheinen  Sempervivum  und  Rumex  vermengt,  oder  doch  unter  eine  gattung 
vereinigt  zu  haben.  Leonh.  Fuchs  sagt  in  seinem  New  Kreüterbiich.  Basel  1543. 
cap.  175:  ,,  Mengelwürtz  würdt  von  den  Griechen  Lapathon,  zu  Latein  Rumex.  in 
den  Apotecken  Lapatium  genent.  —  Der  Mengelwürtz  seind  fürnemlich  vier 
geschlecht.  Das  erst  geschlecht  hat  vil  namen ,  dann  es  würt  Grindtwurtz,  Zitterß- 
würtz,  Streiffwürtz ,  wilder  Ampffer,  vnnd  in  sonderhoj't  Mengelwürtz  von  vnsern 
Teütschen  geheyssen.  Die  Griechen  nennen  es  Oxylapathon,  die  Lateinischen  Rumi- 
cem  acutam ,  die  Apotecker  Lapatium  acutum.  Das  ander  geschlecht  ist  die  zam 
Mengelwürtz,  das  willen  die  Barfüsser  Münch  Rhabarbarü  deuten,  das  es  doch  in 
keinem  weg  ist,  darumb  habends  wir  Münch  Rhabarbarum  genennt,  sol  aber  Rumex 
hortensis,  das  ist,  zam  Mengelwürtz,  wie  angezeigt,  geheyssen  werden.  Galenus 
nent  es  Hippolapathum  vmb  seiner  grosse  willen.-  Das  dritt  geschlecht  würt  allent- 
halben Guter  Heinrich  genent.  Das  vierdt  Saurampffer  geheyssen ,  würdt  bei  den 
Griechen  vnd  Lateinischen  Oxalis,  in  den  Apotecken  Acetosa  genent."  —  Ganz 
davon  getrent.  schon  im  cap.  10,  hat  Fuchs  die  Haußwurtz,  gr.  Aizoum,  lat.  Sedum 
und  Sempervivum,  behandelt.  2)  Die  verse  713.   719.   721—23.   726.   730.  734. 

741 — 42.  744  —  47  sind  unübersezt  geblieben.     Die  lezten  vier  verse  fehlen  auch  in 
alten  und  guten  handscbriften,    mögen  also   wol  späterer   zusatz  sein.  3)  xtqa- 

ktdytu  4)  Gemeint  soll  wol  sein  Plin.  HN.  25,  13,  102,  obschon  dort  nicht  all 

das  steht  was  hier  gesagt  wird. 

[viiij.]  Atriplex  heyzet  melde  uude  ist  kalt  an  dem  ersten 
grade,    vuchte    an   dem   anderen,     melde   gezzen  weket  [1'^]  den  buch, 

[viiij.]    Macer  nr.  28.  s.  67.  Atriplex.  v.  947  —  956. 

Nach  Choulant:  Atriplex,  Melde. 

(Vgl.  Silvaticus  c.  44.  fol.  16''  s.  v.  Andrafasis  [d.  i.  (h'd\H<<f<{(iig.  i'<('^Q('c(f>t<'^vg,  argä- 

(fcc^ig,  {(TQ(x(fa^vs]  latine  atriplex.) 

Infrigidare  gradu  primo,  humectare  secundo 

ZEITSCHR.    F.    DEUTSCHE    PHILOLOGIE.      BD.    XII.  1  1 


162  G.    SCHMIDT 

gesoten  oder  ro  gestozen  iinde  iif  den  bösen  nagel  geleit  bringet  in 
abe.  also  selbes  iz  he  gut  vor  daz  heylige  vur.  melde  gestozen  mit 
lütterem  ^  salze  ^  unde  mit  honige  uude  mit  ezzige  vortribet  die  hitze 
podagram,  die  suche  an  den  vuzen,  ob  man  als  eyu  plaster  daruf  leit. 
der  same  mit  wine  dicke  genutzet  ist  gut  den  da  kichen.^ 

Atriplicem  dicunt.     Eius  mollit  cibus  alvum, 

Duricias  solvit  varias  clavisque  medetur, 
950  Emplastrum  crudae  vel  coctae  si  superaddas; 

Hocque  superpositum  scabros  cito  detrahit  ungues. 

Ignibus  et  sacris  dicunt  sie  posse  mederi. 

Atriplicem  tritam  cum  nitro,  melle  et  aceto, 

Dicunt  appositam  calidam  sedare  podagram. 
955  Ictericum  dicit  Galienus  tollere  morbum 

Illius  semen  cum  vino  saepius  haustum. 

[viiij.l     1)  hs.  luttereu  2)   lütersalz  ist  alte  beuennung  des   Salpeters, 

nitrum.  Belege  aus  alt-  uud  mittelhochdeutschen  glossen  geben  GrafF  6,  219. 
Müller -Zarncke,  mhd.  wb.  2,  2,  4o.     Lexer  1,  1997.  3)  kichenj  kichen,  schwer 

atmen,  wird  von  schwindsüchtigen  und  asthmatischen  zuständen  gebraucht.  Belege 
geben  Müller -Zarncke,  mhd.  wb.  1,  804^  Lexer  1,  1567.  Grimra,  wb.  5,  434.  — 
Aus  dem  Garde  der  suntheit  f.  101.  (Lübeck  1520)  führt  Lübben  im  mnd.  wörterb. 
2,  460''  an:  adderwort  ghepulvert  vnde  gethen  mit  eyeren  ys  guet  asmaticis, 
dat  ys  den  kychenden.  Und  aus  dem  arzneibuche  der  Breslauer  ßhedigerschen 
hs.  bringt  Hoifmann ,  im  glossar  zu  Fundgruben  1 ,  378 ''  bei :  daz  asthma  daz  ist 
di  chiche.  —  Wenn  nun  Lübben  a.  a.  o.  aus  einer  Wolfenbütler  hs.  (60.  s.  96.) 
die  angäbe  entnimt:  Dat  melden  säet  myt  wyne  dicke  gemenghet  ys  guet  den  de 
dar  kychen ,  so  scheint  der  Wolfenbütler  schreiber  aus  einem  deutschen  Macer 
geschöpft,  der  deutsche  bearbeiter  des  Macer  aber  ictericum  mit  asthmaticum  oder 
(h)ecticum  verwechselt  zu  haben.  Für  die  richtigkeit  von  ictericum,  was  hier  im 
lateinischen  texte  steht,  verweist  Choulant  auf  Galen,  de  simplic.  tomperam.  et 
facult.  1.6.  c.  73  ed.  Kühn,  tom.  11.  p.  843.  Auch  Bock,  Kreüter-Büch,  Strass- 
burg  1556.  bl.  272*"  bietet  hier:  „Muten  samen  zerstossen,  vnd  mit  honig  wasser 
gedruncken ,  zertheilt  vn  vertreiben  die  galsucht."  Desgleichen  Tabernaemontanus 
(ed.  Bauhinus.  Fkf.  1613)  2,  142.  ,,Galenus  gibt  den  Samen  ein  wieder  die  Gelbe- 
sucht." Den  gleichen  Übersetzungsfehler  hat  der  deutsche  bearbeiter  in  cap.  14 
batonica,  gemacht,  wo  er  v.  479  ictericos  curat  übersezt  hat  durcli:  ,,hilfet  den  die 
da  kichen,''  und  nochmals  in  cap.  21.  camomilla,  wo  er  ,,ictericis"  in  v.  572  des 
lateinischen  textes  verdeutscht  hat  durch  ,,swer  kichet." 

[x.]    Aue  tum,  tille,    der  ist  heyz  unde  trocken  in  dem  anderen 
grade,     tille  gesoten  unde  getrunken  gibet  den  wiben  milch,     daz  selbe 

[x.]     Macer  nr.  10.  s.  44.    Anethum.   v.  395  — 428. 

Nach  Choulant:  Anethum  graveolens,  Dill. 

(Vgl.  Silvat   c.  638.  fol.  164  *'  s.  v.  Uebet  arabice  ,  latino  vero  anetum). 

395  A  medicis  calidum  siccumque  refertur  Anethum, 


HALBERSTÄDTER  BRÜCKST.   V.  MACER  163 

vortribet  des  magen  ungemaoh.  swer  vil  vorletzet,*  de  neme  eyii 
teil  wazzeres  gesoteii  mit  tille  unde  trinke  daz  dicke,  iz  vorgeit.  daz 
selbe  getrunken  liilfet  die  mit  arbeyde  pisset,  tille  gestozen  unde  mit 
warmem  wazzere  gesoten  unde  getrunken  liilfet  wider  des  buches  unge- 
macli  unde  ist  gut  dem .  de  dar  nicht  wol  dowet.  swem  der  buch 
drintet^  von  suche,  der  pulvere  den  same[u]  unde  trinke  iz  mit 
warmem  wazzere.  iz  hilfet  in.  tille  stetiliche  genutzet  krenket  daz 
gesiebte,  die  worzele  zo  aschen  gebraut  ist  bezzere  dau  von  dem 
krude.     wen 


Et  dicuut,  quod  sit  gradus  huic  in  utroque  secundus. 

Lac  dat  abundauter  eius  decoctio  sumpta 

Nutrici ,  stomachique  solet  depellere  morbos, 

Tres  cyathos  eius  tepide  si  sumpserit  aeger; 
400  Indicio  ructus  est  qui  demonsfcrat  apertum 

Os  stomachi  ventumque  per  hoc  exisse  nocivum, 

Atque  gravis  tali  sedatur  nausea  potu. 

Provocat  urinas,  obstantia  quaeque  repellens, 

Matricemque  iuvat,  bene  si  foveatur  eadem. 
405  Cum  tepida  tritum  patiens  si  potet  Anethum. 

Intestinorum   curat  ventrisque  dolorem, 

Hoc  etiam  potu  digestio  tarda  iuvatur, 

Unde  minor  fieri  vis  egestiva  videtur. 

Assidue  bibitum  visum  nocet,  et  genitale 
410  Claudit  iter,  siccaus  humorem  semiuis  intus, 

Uvaque  si  nimio  turgens  humore  gravetur,' 

Suspeudit  pulvis  combusti  seminis  eius, 

Appositus  digitis,  aut  intus  clystere  fusus. 

Acrior  esse  ciuis  radicum  dicitur  eius, 
415  Rodit  cresceutes  ciuis  hie  in  vulnere  carnes, 

Ulcera  quae  serpunt,  et  sordida  vulnera  curat 


[x.]  1)  Vorlezet]  Eine  raudbemerkung  '".er  liandsclirift  erklärt  riclitig:  ad 
vomitnm.  Der  deutsche  boarbeiter  hat  die  gravis  nausea  in  v.  402  des  lateinischen 
textes  richtig  widergegeben  durch:  swer  vil  vorlezet,  wie  er  auch  in  cap.  14.  beto- 
nica  das  in  v.  470  des  lateinischen  textes  vorgefundene  voniitus  richtig  durch  vor- 
lazunge  übersezt  hat.  Diese  bedeutung  von  verlazen  und  verlazunge,  erbrechen, 
nciguug  zum  erbrechen,  aufstossen,  fehlt  in  den  mittelhochdeutschen  Wörterbüchern 
von  Müller -Zarncke  und  Lexer.  —  Konrad  von  Megenberg  im  Buch  der  natur 
(ed.  Pfeiffer.  Stuttg.  1861)  brauclit  für  dasselbe  s.  381  einen  anderen  gleielil>edea- 
tenden  ausdruck,  wenn  er  sagt:  Anetum  ist  guot  wider  daz  wüllen.  2)  drinden, 

11* 


164  G.   SCHMIDT 

schwellen,  anschwellen,  wird  von  Müller  -  Zarncke  und  Lexer  belegt.  —  Aus  einem 
lat.  -  niederd.  wörterbuche  in  einer  Berner  pergamenthdschr.  des  13.  jh.  (nr.  641) 
bietet  Graff  (Diutisca,  Stuttg.  1827.  2,  231"):  tumere,  swellen  vel  drenten ;  tunii- 
dus,  drentende.  Und  grade  auch  auf  dill  bezüglich  verzeichnet  Lübben  (mnd.  wör- 
terb.  1,  576'')  aus  einem  niederdeutschen  Herbarius  von  1483.  fol.  25  die  angäbe: 
„Werne  syn  bück  swyllet  edder  drinthet,  de  drinke  dylsad  ghepuluert  myd  warmen 
watere." 

[x.]  1)  So  gibt  Choulant  den  vers  nach  den  ältesten  und  besten  handschrif- 
ten,  zugleich  verweisend  auf  Plin.  H.  N.  20,  18,  74.  „  Cinis  ejus  uvam  in  faucibus 
levat;  oculos  et  geuituram  hebetat."  V.  413  ist  freilich  unklar  ausgedrückt;  es  soll 
damit  doch  wol  gemeint  sein :  die  asche  des  dülsamens  werde  mit  dem  finger  an 
das  geschwollene  Zäpfchen  gestrichen,  oder  mit  einer  spritze  eingesprizt.  Die  stelle 
scheint  bald  veranlassung  zu  misverständnissen  und  änderungen  gegeben  zu  haben. 
Statt  uvam  bieten  2  hss.  schon  des  13.  jh.  vulvam ,  und  die  von  Choulant  benuzten 
alten  drucke  s.  1.  et  a.  bieten:  Si  nimio  (nimis)  venter  turgens  humore  gravetur. 
Auch  der  deutsche  Übersetzer  scheint  diese  lesart  vorgefunden  zu  haben ,  wenn  er 
schreibt:  wem  der  buch  drindet  von  suche,  der  pulvere  den  same  usw. 

[xiv.    Betonica,    batonia] 

[bl.  2*]  batonia  eyn  gewichte  unde  wazzeres  dritte  half  teil  also  vil 
imde  daz  zusamene  getemperet  unde  warme  geiiutzet  vortribet  allir- 
haude  ungemach  des  buches.  batonie  mit  honige  genutzet  vortribet  den 
husten  unde  wechet  den  buch,  eyn  gewichte  wegebreiten  unde  zwi 
teil  batonien  gestozen  mit  warmem  wazzere  hilfet  vor  den  telichen 
riten/  ob  man  iz  warm  nutzet,  e  dan  den  menschen  der  rite  anege. 
batonia  unde  warm  wazzer  zusamene  ^  gestozen  geliche  vil  unde  ste- 
liche  ^   getrunken   hilfet   den  wazzersuchtigen.     die   worzele  gepulveret 

[xiv.]   Macer  nr.  11.  s.  46.  Betonica.  v.  429  —  491. 

Nach  Choulant:   Betonica  officinalis,  Betonie. 
(Vgl.  Silvat.  c.  83.  fol.  30"=  Bastare  arabice,  latine  betonica). 


460  Uncia  cum  cyathis  calidae  potata  duobus 

Dicitur  immodicum  ventris  sedare  dolorem. 

Haec  tussim  cum  melle  fugat,  ventrem  quoque  mollit. 

Unaquaque  die  febre  si  vexabitur  aeger 

üncia  iungatur  plantaginis  una  duabus 
465  Betonicae,  sie  cum  tepida  contrita  bibantur, 

Antea  quam  febris  praenuncia  frigora  fiant. 

Uncia  Betonicae  calidae  cyatho  resoluta 

Prodest  hydropicis,  si  sit  potata  frequenter. 

Radicum  pulvis  cum  mulsa  tritus  et  haustus 
470  Humores  (velut  elloborum)  vomitu  cito  purgat; 

Bis  binas  dragmas  praecepit  Plinius  harum 


HAXBEBSTABTER  BRÜCKST.   V.  MACER 


165 


Uüde  mit  miilsa  getriben*  machet  eym  semptte  voiiazuiige ,  di  den 
sicheu  menschen  ebene  subrit.  die  bletere  gepulveret  uude  getrunken 
mit  mulsa  helfen  den  gebrochenen  nidene,  daz  sin  die,  den  daz 
geweyde  in  daz  gemachte  gat.  daz  selbe  iz  gut  vor  daz  vallende 
genutzet,  daz  pulver  mit  wine  genutzet  ist  gut  vor  de  vorgift.  noch 
bezzer  ist  der  same.  batonia  mit  heyzem  ^  wine  genutzet  hilfet  den 
die  da  kichen.*^  ba  [bl.  2'']  tonia  pulver  eyn  bonen  gewichte  mit  honige 
gezzen  des  abendes  nach  ezzege  ^  hilfet  den  magen  unde  dowet  die 
spise.  swer  eynen  rink  von  batonia  machet  umme  nateren  oder  slan- 
gen ,  se  irbize  sicli  selbe  under  eynander ,  e  si  ober  den  rinch  gen. 
Mamonarius  eyn  meister  ^  si  zu  allen  arzedien  tun ,  want  si  kumit  dem 
magen  eben.  Plinius  spriket,  swer  sie  bi  em  habe,  deme  ne  muge 
kein  zobernisse  geschaden.  her  sait  mer,  swer  bleyche  varwen  habe, 
trinke  her  sie  dicke  mit  wine,  sie  vorgeit  unde  gewinnet  guten  varwe. 

Kadicum  dare  cum  passo  mulsove  bibendas,  ^ 

Praecipue  phlegma  vomitu  purgabitur  isto. 

Cum  mulsa  bibitus  prodest  pulvis  foliorum 
475  Kuptis   atque  steras  potus  levat  iste  cadentes.^ 

Cum  vino  sumptis  obstat  potata  venenis, 

Praecipue  semen,  quod  si  desit  datur  herba. 

Uncia  Betonicae  cum  vino  sumpta  tepenti 

Ictericos  curat;  cum  mulsa  menstrua  solvit; 
480  Pondere  vero  fabae  pulvis  cum  melle  voratus 

Post  coenam  stomachum  iuvat,  ut  bene  digerat  escam. 

Si  de  Betonica  viridi  sit  facta  Corona 

Circa  serpentes ,  ut  Plinius  asserit  auctor, 

Audebuut  nunquam  positam  transire  coronam, 
485  Sed  morsu  proprio  pereunt  et  verbere  caudae.^ 

Omnibus  antidotis  Menemachus  *  eam  sociari 

Praecipit,  ut  stomacho  magis  herbis  omnibus  aptam. 

Plinius  hanc,  inquit,  qui  secum  gesserit  herbam, 

A  nullo  poterit  nocuo  medicamine  laedi,^ 
490  Et  dicunt ,  quod  ea  cum  vino  saepius  hausta 

Plumbeus  abscedat  color  et  melior  revocetur. 

[xiv.]     1)    1.  tegelichen  d.  i.   das   tägliche   fieber.  2)   hs.  zuzamene 

3)  1.  stetiliche  4)  triben,  zetriben  ist  ein  mediciiiisclier  terminus  technicus  für 

reiben,  verreiben,  vgl.  Bech  zu  Hartmanns  büchl.  1,  1314.  Diut.  2,  271.  Jung. 
Tit.  ed.  Hahn  1653 ,  2.  5)  hs.  heyzen  6)  ictericos  curat,  vgl.  oben  anm.  3.  zu 
viij  atriplex.  7)  1.  ezzene  8)  fehlt  heyzet 

[xiv.]     1)  „Facilis  praestat   vomitiones   radix   Vettonicae    hellebori    modo  iy 
drachmis  in   passo   aut  mulso."    Plin.  HN.  26,  7,  25.  2)  „Stera  i.  q.   uterus 


166  G.    SCHMIDT 

apud  niedicos  medii  aevi,  vox  iareQa  mutilata,"  Choulant  zu  Macer  v.  13.  vgl. 
Silvat.  fül.  30'':  aus  ,,Dia."  d.  i.  Dioscorides,  ,,folia  eius  dantur  ad  conquassationes, 
et  de  alto  cadentibus  inedentiu-,  et  offocationcs  stericas  soluunt."  —  Der  Über- 
setzer hat  ruptus ,  nach  einer  damals  üblichen  ausdrucksweise ,  gefasst  als  ==  her- 
niosus.  Das  wort  stera  hat  er  unbeachtet  gelassen  und  übergangen;  vielleicht  mag 
CS  ihm  unverständlich  gewesen  sein.  In  folge  dessen  hat  er,  wie  es  scheint,  caden- 
tes  aufgefasst  als  =  morbo  caduco  laborantes.  Übrigens  emjj fehlen  auch  die  kräu- 
terbücher  des  16.  jh.  die  betonica  als  ein  wirksames  mittel  gegen  epilepsie,  und 
im  Ortus  sanitatis  (s.  1.  1517)  heisst  es  in  cap.  64  unter  Betonica:  „Epylenticis 
cum  aqua  bibita  maximum  presidiuin    est."  3)    ,,Morsibus  imponitur  Vettonica 

praecipue ,  cui  vis  tauta  perhibetur,  ut  iuclusae  circulo  eius  serpentes  ipsae  sese 
iuterimant   tlagellando."     Pliu.  HN.  25,  8,  55.  4)   Der   hier  und  v.  1166   vor- 

kommende name  erscheint  in  den  handschriften  und  ausgaben  mannigfach  entstelt. 
Menemacus,  Menemathus,  Meneachus,  Meneniacus,  Meniacus,  Moniacus,  Medea- 
cus.  —  Häser,  gesch.  d.  medicin  3.  a.  Jena  1875.  1,  273  nent  diesen  Menemachus, 
dessen  Schriften  verloren  sind,  unter  den  griechischen  methodikeru  nach  Thessalus. 
5)  ,,Tantumque  gloriae  habet,  ut  domus  in  qua  sit,  tuta  existimetur  a  piaculis  Omni- 
bus."   Plin.  HN.  25,  8,  46. 

[xv.]  [BJuglosa  heyzet  ossenziinge.  die  ^  iz  gut  genutzet  den 
lungen  sieben,  der  saf  mit  warmem  wazzere  geuutzet  vortribet  stia- 
sini,  daz  ist  die  svul  an  den  dien.^  die  wisen  sagen,  swer  den  Avin 
trinke,  da  daz  inne  gewecbet  si,  iz  gebe  eine  gut  gebucnisse.  swer 
daz  ^  crut  uimet  unde  sudet  iz  mit  wazere  unde  besprenget  damite  in 
der  wls  wutbscacht,''  iz  machet  die  geste  alle  vro. 

[xv.]     Macer  nr.  34.  s.  74.    Buglossa.  v.  1127  —1138. 
Nach  Choulant:  Anchusa  italica,  Ochsenzunge. 

(Vgl.  Silvat.  c.  506.  fol.  125"  s.  v.  Lingua  bovis  vel  buglossa). 

1127  Lingua  bovis  graeco  sermoue  Buglossa  vocatur. 


1132  Humores  nocuos  pulmonis  detrahit  hausta. 

Mixtus  aquae  tepidae  si  succus  sumitur  eius 

Uli ,  qui  patitur  sciasim ,  mire  medicatur. 
1135  Vim  memorem  cerebri  dicunt  servare  periti 

Vinum  potatum,  quo  sit  macerata  Buglossa. 

Laetos  convivas  decoctio  dicitur  eius 

Reddere,  si  fuerit  inter  convivia  sparsa. 

[xv.J     1)  hs.  die  die  2)    „Sciasis   {ia/jüg) ,   lendensucht;    die  geswulst 

am  diche  vel  an  dem  dein;  seuche  an  dem  dihen  vel  din."  Diefenb.  gloss.  lat. 
germ.  518''  vgl.  unten  in  ur.  xx  (centauria)  und  nr.  xxxij.  (caratum).  B)  hs.  dat 

4)  „ossentunge,  f.  buglossa  .  .  .  We  den  dranck  drincket,  dar  ossentunge  ynne 
leghen  hefft,  de  wert  vrolickos  modes.  Dar  warschopp  ys,  dar  strauwe  dat  sulue 
krut  vnder  de  voyte  edder  sut  dat  sulue  krud  in  watere,  dar  sprenge  mede  in 
der  war  seh  op,  dat  macket  dar  de  lüde  vrolick."  Eyn  schone  Arstedygeboeck 
usw.  f.  61.     Schiller  -  Lübben  mnd.  wb.  3,  244\ 


HALBERSTÄDTER  BRUCHST.   V.  MACER  167 

xvj.  Beta^  heyzet  beizgresse.  die  gesotcii  uiide  mit  seile  ^ 
gezzeri  iz  gut  den  die  milze  we  tut.  mit  ahme  gestozeu  vortribet  si 
daz  Jieylige  vür  unde  heylet  daz  brande,  beta  ro  gestozen  ist  eyii  war 
helfe  den  |2''|  sigenden  sweren  ^  an  dem  houbeto,  ob  man  sie  damite 
dicke  bestriket.  daz  selbe  hilfet  daz  scorveclite  houvet  baz  denne  wob.^ 
daz  wazzer,  da  beta  ist  inne  gesoten,  vortribet  de  scivern-^  an  dem 
houbete  damite  getwan.*^ 

Fehlt  bei  Macer,  findet  sich  aber  in  den  Paiidectae  medicinae  des 
Matth.  Silvaticus  cap.  98.  fol.  35"''  „Beta  vel  bleta  latine,  graece  stel- 
len (1.  rerrAo)')"  ....  „Dia.  (d.  i.  Dioscorides)  c.  de  beta:  lecore  labo- 
rantibus  et  spleneticis  cum  sinapi  utilissime  esui  datur.  ignes  sacros 
et  que  adusta  sunt  cum  albumine  ^  illiuita  restriugit.  ulccribus  in 
capite  manantibus  facit;  item  allopitiis^  cruda  trita  optime  illinitur. 
aqua  in  qua  est  cocta  furfures  capitis  eliminat."  etc. 

[xvj-j  1)  Beta  oder  blitus  haizt  piezen  kraut  oder  mangolt.  Konrad  v.  Megcn- 
berg,  buch  der  natur,  ed.  Pfeiffer.  Stuttg.  1861.  s.  387.  —  Gemeint  ist  Beta  vul- 
garis, Mangold.  2)  1.  senfe.  3)  d.  i.  fliesseuden,  nässenden  geschwiiren. 
4)  1.  wol            5)  schivern  ^  schuppen.  6)  =  getwagen,  gewaschen. 

[xvj.]  albumeu  oder  alunion  hat  im  mittellatein  ganz  gewönlich  die  bedcu- 
tung:  eiweiss.  Der  bearbeiter  des  deutschen  Macer  scheint  in  seinem  lateinischen 
Dioscoridestexte  alumen  gefunden  zu  haben ,  und  hat  dies  als  alaun  verstanden  und 
übersezt.  2)   allopitia,  allopitium  =  defluvium  capillorum,  akiojif/.ta.     Bei  Pli- 

nius  widerholt  pluralisch  gebraucht  alopeciae:  HN.  12,  22,  43;   23,  6,  54;   24,  19, 
108;   25,  2,  6;  29,  6,  34. 

[xvij.|  [Cjycuta  heyzet  woterscherling  ^  unde  ist^  von  kalder 
nature  unde  ist  also  engeslich  genutzet  also  vorgift.  man  machet  och 
darabe  vorgift.  unde  weme  mite  vorgebin  wirth ,  der  weirt  vleckeht,^ 
daz  sint  sine  zeichen,     swer  in  genutzet,    der  werme  starken  win  unde 

[xvij.]     Macer  nr.  65.  s.  112.  Cicuta.  v.  2029  —  2055. 

Nach  Choulant:  Conium  maculatum,  Schierling. 

(Vgl.  Silvat.  c.  657.  fol.  158 '^  s.  v.  succarum  arabice ,   graece  conisa  vel  tenela  vel 

conium  (i.  e.  xiörtior) ,  latine  vero  cicuta). 

Frigida  letiferae  vis  est  natura  Cicutae, 
2030  Unde  necat  gelidi  potantes  more  veneni. 

Qui  perit  hac  herba,  cutis  eins  fit  maculosa, 
Unde  genus  mortis  valet  haec  per  signa  probari. 


2037  Hac  sumpta  si  quis  morti  sit  proximus  herba 
Forte  merum  tepidum  bibat  evadetque  periclum. 


168  G.    SCHMIDT 

trinke  den:  lege  her  amme  tote,  her  genese,  swe  her  ein  vorgift  si 
gezzen ,  her  ist  ^  doch  zu  nianige[n]  dingen  gut.  swar  die  ougen  irhitzet 
sin ,  stoz  des  woterscherlinges  bletere  unde  lege  sie  uf  den  dunnig :  •'' 
iz  hilfet.  oder  nini  den  saf  unde  bestrich  de  ougen  damide.  man  vor- 
tribet  och  also  daz  heylige  vür.  swelchem  wibe  die  milch  werret, 
de  stampe  si  unde  lege  si  uf  die  zitzen  mit  dem  *^  saffe ,  si  werden 
nicht  grozer,  iz  vortribet  raenslichen  lust,  swer  sie  mit  dem  saffe 
umme  die  burst  bestriket.  wider  de  podagram  an  den  vozen  so  nim 
cycutam  unde  smer  unde  selberscum  unde  lege  [2  ^]  daz  als  eyn  plaster 
ufm  voz ,  iz  hilfet.  cycuta  gestozen  ist  vor  allerhande  unrechte  heytze 
gut,  ob  man  si  daruf  leget  odir  bindet. 

Sed  quamvis  potu  solet  haec  assumpta  nocere, 
2040  Magnifice  tanien  appositu  solet  illa  iuvare. 

Aestivas  mire  iuvat  epiphoras  oculorum, 

Si  frons  contritis  foliis  sit  operta  virentis, 

Vel  si  sint  eius  circumlita  lumina  succo. 

Hac  quoque  pellentur  sacer  ignis  et  herpeta  cura. 
2045  Tradit  Anaxilaus,^  si  succo  saepius  eius 

Virgo  linat  mammas,  sibi  cum  turgescere  primum 

Incipient,  modicas  semper  stantesque  mauere. 

Lac  contrita  virens  mammis  superaddita  siccat. 

Exstinguit  vener em ,  iiuxum  quoque  seminis  omnem 
2050  Si  pecten  ^  trita  cataplasmes  saepius  illa. 

Argenti  spumae  commiscens  hanc  adipique 

Apponas  calidae  cataplasma  salubre  podagrae. 

Et  per  se  tali  multum  prodesse  probavi, 

Singula  cur  memorem,  nocuum  quemcunque  calorem 
2055  Apposita  trita  poteris  curare  cicuta. 

[xvij.]     1)  hs.  weischerling  2)  ist  fehlt.  3)  hs.  vleckeit  4)  ist 

feil  lt.  5)  Schläfe,   gekürzt  aus  tiinewenge.     Vgl.  Lexer  2,  1569.     Diefenb. 

584".  —  Aus  einem  ms.  des  15.  jh.  notierte  ich  mir:  las  im  (dem  pferde)  zweii 
ädern,  an  itlicliem  dunynge  eine.     bech.  6)  hs.  den. 

[xvij.J  1)  Die  hss.  geben  den  uanien  meist  sehr  verderbt:  Anislaus,  Anisi- 
lagus, Anisilas,  Anasifilas,  Anafilus,  Anasilas,  Anasillas.  Macer  hat  aus  Plinius 
HN.  25,  13,  95  geschöpft,  und  demgeraäss  haben  auch  die  herausgeber  die  rich- 
tige namensform  hergestelt:  ,,Anaxilaus  auctor  est  mammas  a  virgiuitate  inlitas 
semper  staturas;  quod  certum  est,  lac  puerperarum  mammis  inposita  exstinguit 
veneremquo  testibus  circa  pubertatem  inlita."  2)  pecten  i.  e.  regio  pubis,   in 

Übereinstimmung  mit  der  eben  angeführten  stelle  des  Plinius.  Statt  dessen  bieten 
die  ausgaben  des  Atrociauus  (1527)  und  des  Pictorius  (1559)  poctus,  und  dieselbe 
falsche  lesart  scheint  auch  der  deutsche  bearbeiter  schon  vorgefunden  zu  haben. 


HALBERSTÄUTEE    BRÜCIIST.       V.    MACEK  169 

[xviij.]  [C]eriofilum  lieyzet  kcrbcle  unde  ist  trockener  imde  bey- 
zer  nature.  kerbelc  mit  boiiige  gestozeii  unde  uf  den  canenim  gele[i]t 
hilfet.  Cancer  ist  eyu  böse  geswere  unde  bat  vil  lokere  unde  sigen 
steliclicn.*  kerbelo  mit  wine  getrunken  bilfet  der  wetunden  siten.  mit 
olei  gcsoten  unde  angestriken  vortribet  daz  kalde.  kerbelc  stozen  mit 
starkem  ezzige  unde  getrunken  vortribet  de  spulworme.  mit  wine 
genutzet  vürdirt  die  wip  an  ir  sucbe.  kerbele  mit  ungenutten  ^  wachse 
unde  mit  aldem  sniere  gestozeu  vortribet  de  bösen  sweren  bi  den  oren. 
daz  selbe  vortribet  allirliande  suche  des  buches,  swer  si  izzet  in  star- 
kem ^  ezzige ,  si  vortribet  daz  spien  unde  vortribet  och  de  rure  also 
genutzet,  kerbele  gestozen  unde  uf  den  buch  geleit  hilfet  den  de  mit 
not  pisset,  went  si  rumet  im  den  vorstopfeten  wech. 

[xviij.]     Macer  nr.  27.  s.  66.  Cerefolium.  v.  928  —  946. 

Nach  Choulant:  Sc  and  ix  cerefolium,  Kerbel. 

Est  Cerefolio  vis  acris  et  ignea  valde. 

Appositum  cancris  tritum  cum  melle  medetur. 
930  Cum  vino  bibitum  lateris  sedare  dolorem 

Saepe  solet,  tritam  si  nectis  desuper  herbam. 

Cum  mulsa  bibitum  pituitae  noxia  solvit, 

Ex  oleo  coctum  frigus  depellit  inunctum, 

Si  tritum  mixto  violento  solvis  aceto 
935  Lumbricos  tali  potu  tineasque  repellis. 

Cum  vino  ciet  urinas  et  menstrua  purgat. 

Virgiue  cum  cera  vetus  huic  axungia  mixta 

Nou  modo  parotidas  verum  quoscunque  tumores 

Curat  vel  reprimit,  si  saepius  hoc  superaddas. 
940  Intinctum  valido  si  mauducetur  aceto 

Saepe  solet  vomitum  veutremque  teuere  solutum ; 

Si  trito  tegitur  pecten  succusque  bibatur 

ürinae  clausos  reserat  quoscunque  meatus; 

Illius  elixatura  vertigo  fugatur, 
945  Si  Caput  hac  tepida  patientis  saepe  lavetur 

Herbaque  temporibus  et  fronti  cocta  ligetur. 
[xviij.]     1)  wol:  siget  stetilichen ,   nässt  beständig.  2)   mhd.  uugenoetet, 

ungenot;     Diefenb.    gloss.   lat. -germ.  113'':    cera    non    liquefacta    ungenodiget    vel 
ungenuettet  was.     bech.  3)  hs.  starken 

[xix.]    [C]oriander  ist  kalt  unde  eyu  teil  trockener  nature.   dorch 

[xix.]    Macer  nr.  29.  s.  68.     Coriandrum.  v.  957  —  987. 
Nach  Choulant:  Coriandrum  sativum,  Koriander. 
(Vgl.  Silvat.  c.  250.  fol.  66*^  s.  v.  Daybora  arabiee  .  .  .  lat.  vcro  coriandrum). 
Frigida  vis  herbae  Coriandri  dicitur  esse, 


170  G.    SCHMIDT 

daz  sait  Galienus,  daz  iiicheiu  ^  crut,  mit  wiiie  gestozeu,  unde  getrim- 
keii  baz  vortribet  di  spulworme,  oder  [bl.  3*]  die  in  nutze  mit  ezzige. 
der  koriander  mit  getrockenen  ^  wiubern  uude  mit  honige  gestozen  vor- 
tribet swaz  zutrunden^  ist  unde  nemeliche  an  dem  gemechte,  ab  daz* 
zutrunden  ist.  korianders  same  mit  wazzere  dicke  getrunken  vortribet 
de  rure.  von  korianders  same  silberscum  blywiz  ezzech  rosenolei,  di 
vunf  zusameue  ^  getan ,  da  mache  von  eyue  salbe ,  damite  vortribet 
man  daz  heilige  vür  unde  allirhaude  svul,  de  sich  von  hitzen  irhebet. 
dunket  aber  sogetane  temperunge  dich  zu  swar,  koriander  same  mit 
ezzige  getemperet  hilfet.  och  ist  gut  eyn  brosme  brodes  gewichet  in 
korianders  saflfe,  daz  vortribet  böse  hitze,  swar  iz  ufgeleit  wirt.  der 
saft  mit  mele  von  bone[n]  zusamen  ^  getemperet  vortribet  die  swartzen 
bletere,  wirt  iz  daruf  geleit.  iz  ist  och  gut  uf  de  druse  geleit,  de  da 
scrofelen  ^  heyzen ,  want  iz  se  swendet.  iz  sagen  och  sumeliche  mei- 
stere, swer  die  terciane  habe,  izzet  her  dru  korianders  samen  kornere, 
e  iz  ene  anegeit,  iz  hilfet.  iz  hilfet  och  vor  de  [bl.  3**]  selbe  suche,  swer 
den   koriander   leset   des   morge[n]s,    e   die  sunne   ufgeit,    unde  leg  ez 

Austeraeque  simul  quiddam  virtutis  habere 
Hanc  Galienus  ait,  per  quam  depellere  ventre 

960  Lumbricos  tineasque  solet,  si  trita  bibatur 
Cum  vino  vel  si  mixto  sumatur  aceto. 
üva  cum  passa  Coriandrum  melque  iugatum 
Sedabunt  varios  superaddita  trita  tumores, 
Praecipue  festes  tumidos  iuvat  hoc  medicameu. 

965  Illius  semen  veutrem  stipare  solutum 

Fertur,  aquae  iunctum  fuerit  si  saepius  haustum. 
Argenti  spumam  cerussae  contere  mixtam 
His  tritis  succum  Coviandri  iunge  et  acetum, 
Quattuor  his  roseum  miscendo  iugabis  olivum, 

970  Ista  tereudo  simul  pretiosum  conficis  unguen. 
Quo  sacros  ignes  pellas  calidosque  tumores; 
Si  tibi  difficilis  confectio  tanta  videtur, 
Succus  cum  solo  prodest  commixtus  aceto; 
Aut  si  frumenti  panis  mundissima  mica 

975  lungitur  huic  succo,  sedat  quemcunque  calorem. 
Huic  succo  si  iuncta  fabae  sit  sola  fariua 
Et  superaddatur,  scrophis  medicabitur  illis 
Et  cedet  fervens  emplastro  pustula  tali. 
A  multis  scriptum  legitur:  febris  ante  tremorem 

980  Si  tria  grana  voret  Coriandri  seminis  aeger. 


IIALBRRST.VDTER    BRüCHST.       V.    MACER  171 

linder  des  sechcii  houbet,  als  iz  eue  auegan  wcl.  Xeiiocrates  ^  eyn 
meister  der  sait:  swo  inaniiicli  korianders  sameukorn  ein  wip  ezze,  also 
mau[n]ich  ^  voimide  sie  ir  suche,  koriaiider  steteliche  gezzen  brenget 
den  tot  oder  groze  suche. 

Evadet  febrem  ciii  dat  lux  tertia  nomen; 
Praestat  idem  lectuni  Coiiandruni  niaiie  piiusquam 
Sol  surgat  cervicali  si  subditur  aegi'i. 
Xenocrates  ^  scripsit  totidem  cessaie  diebus 
985  Menstrua  quot  uiulier  Coriandri  grana  vorabit. 
Assiduum  quidam  condemnant  illius  usum, 
Nempe  putaiit  mortem  quemvisve  parare  dolorem. 

[xix.J     1)  hs.  iiirheim  2)  h.s.  getrockener  3)  -=  zutninnen,  geschwol- 

leu.  Müller- Zar ncke,  lulid.  wb.  1,  393".  s.v.  zedrinden.  Diefenb.  gloss.  lat.  germ. 
601  ^  s.  V.  tumidus.  4)  hs.  ab  sie  daz  5)  bs.:  zuzamene         6)  bs.  zuzamen 

7)  hs.  scurselen  8)  hs.  Xenonates  ji)  fehlt  tage. 

[xix.]  1)  Die  erwähiiung  dos  Xenocrates  scheint  Macer  aus  der  damals  gang- 
baren lateinischen  Dioskoridesübcrsetzuug  entnommen  zu  haben.  Auch  bei  Silvati- 
cus  heisst  es  am  ende  des  mit  .,üia"  (d.  i.  Dioseorides)  bezeichneten  abschuittes: 
,,Mirum  est  ij^uod  Xenocrates  tradit,  si  unum  semiuis  granum  feniina  biberit,  uno 
die  ei  menstrua  contineri,  si  duo,  et  totidem  iam  diebus,  quot  grana  sumpserit."  — 
Über  Xenocrates  von  Aphrodisias ,  den  Verfasser  eines  pharmacologischen  Werkes, 
um  50  —  70  u    C  s.  Häser,  gesch.  d.  medicin.    3.  a.    Jena  1875.  1,  300, 

[xx.]  [C]entauria  beyzet  zauterne,^  ist  trokener  uature,  darum 
heylet  sie  wol  vrische  w[u]nde.  ceutauria  gesoten  unde  binden  mit 
eyme  kleistire  ingetriben  vortribet  stiasim,  die  suche  an  den  dien  als 
eyn  s[vjul,-  daz  selbe  hilfet  den  wetimden  seuadereu,  ob  si  damite 
bebet  werden,  der  centaurien^  saft  genutzet  brenget  den  vrowen  ir 
suche,     daz   selbe   genutzet   bringet    daz  tode   kint  uz  dem  übe.'*     daz 

[xx.]    Macer  nr.  53.  s.  99.     Centaurea  v.  1709  —  1727. 
Nach  Choulaut:  Erythraea  centaurium,   Tausendguldenkraut. 
(Vgl.  Silvat.  c.  150.  fol.  52''  s.  v.  Centaurea). 
Sunt  Centaureae  species  maiorque  minorque, 
1710  üt  suprascriptis  dixi  de  pluribus  herbis; 

Sed  quia  perpaucis  species  est  cognita  maior, 
Hanc  praetermittens  vires  narrabo  minoris, 
Quam  notam  cunctis  credo  vulgaribus  ipsis. 
Desiccativae  virtutis  dicitur  esse, 
1715  Non  modicum  piagas  congiutinat  inde  recentes, 
Inque  cicatricem  veteres  supperaddita  ducit. 
Uli,  qui  sciasim  patitur,  decoctio  mire 


172  G.    SCHMIDT 


selbe  crut  geuutzet  mit  wiiie  tribet  durcli  den  menschen  in  eyner  mre, 
swaz  her  vorgift  genutzet  hat.  centauria  mit  honige  getempeiet  vor- 
tribet  den  scemen.  der  centauream  saft  sal  man  in  dem  herbeste 
gewinnen  unde  trocken  an  der  sunnen,  der  ist  gut  zu  allen  dessen 
dingen,  als  ir  habet  hirvor  ^  voruomen.  [bl.  3"] 


Prodest,  illius  si  sit  subiecta  per  anum; 
Sanguine  detracto  sedat  mox  illa  dolorem, 

1720  Fomento  nervis  eadem  medicabitur  aegris. 
Illius  succus  deducit  menstrua  sumptus, 
Pellit  abortivum;  medicamina  cuncta  maligna 
Cum  vino  sumptum  dicunt  purgare  per  alvum. 
Melle  sibi  iuncto  caligine  lumina  purgat. 

1725  Illius  exprimitur  autumni  tempore  succus, 
Quem  desiccatum  ferventi  sole  repouunt 
Ad  rerum  curam,  quas  diximus  ante,  salubrem. 

[xx.]  1)  santorij ,  santorie  ist  die  uiederländische  benennung  des  tausend- 
guldenkrautes ;  engl,  the  lesscr  centorij.  Nemnich,  polygl.  lex.  d.  nat.  gesch.  s.  v. 
Gentiana  ceutauriiiui.  2)  hs.  plaster  ful.  —    ,,Sciasis,  seuclie  an  dem  dihen  vel 

din;    ez  ist  an  dem  ding    (1.  dien)   also  ein  geswulst."     (Aus   einer  Frankf.  hs.  des 
14.  jh.)     Diefenb.  gloss.  lat.  -  germ.  518 ''.  3)  hs.  scentaurien  4)  hs.  Üben 

5)  hs.  irvor 

[xxj.]  [C]amonilla,  wizseblumen  ist  eyu  wolrechende  crut  unde 
ist  drierhande:  ir  izlich  irkenuet  man  bi  der  blümen.  in  allen  ist  die 
blume  mittene  goltvar  unde  ummesatzet  mit  bleteren  maniger  var,  die 
eine  mit  witzeu ,  die  ander  '  mit  swarzen ,  die  dritte  pfellervar :  unde 
sint  alle  heiz  unde  trocken  in  dem  ^  ersten  grade,  swellich  iz  si ,  dicke 
getrunken  mit  wine  hilfet  dem,  der  mit  arbei(t)  harnet,  unde  vortribet 

[xxj.]     Macer  nr.  14.  s.  51.    Chamomilla.   v.  549  —  591. 

Nach  Choulant:  Matricaria  chamomilla,  Chamillen. 

(Vgl.  Silvat.  c.  87.  fol.  32  ^  s.  v.  Bebonig  .  .  .   lat.  camomilla). 

Anthemim  magnis  commendat  laudibus  auctor 
550  Asclepius,*  quam  Chamaemelum  nos  vel  Chamomillam 
Dicimus;  haec  multum  redolens  est  et  brevis  herba, 
Herbae  tam  similis ,  quam  iusto  nomine  vulgus 
Dicit  Amariscam,'^  qiiod  foeteat  et  sit  amara, 
Ut  collata  sibi  vix  discernatur  odore. 
555  Auetores  dicunt  species  tres  illius  esse, 
Quas  solo  florum  distingui  posse  colore 


HALBERSTÄDTER  BRÜCKST.   V.  MACER  173 

den  stein  in  der  blasen,  de  wizseblome  gesoten  mit  wazzere  vurdirt 
de  wip  au  ir  suche,  ab  sie  zu  lange  sumen  unde  ab  man  si  mit  dem 
braden  underroucliet  unde  den  buch  mite  bebet  oder  ob  sie  sie  dicke  ^ 
trinke  mit  wine,  daz  selbe  stillet  des  buches  curren.^  daz  selbe  hilfet 
getrunken  den  zusw[o]llen  mageu.  camomilla  gestozen  mit  honige  oder 
alleyne  unde  under  de  engen  gestrichen  ist  gut  der  scelenden  ^  hut. 
camonilla  gesoten  ist  gut  genutzet,  swer  kichet.  se  hilf(t)  sere  dicke 
genutzet  der  sieben.*^  swelch  wip  mit  eyme  toden  kinde  arbeydet,  die 
trinke  se  mit  wine  unde  wirt  ledich.  swer  daz  kalde  hat,  der  side 
wizse  mit  olei  unde  als  in  wil  daz  anegan,  man  bestrike  in  damite, 
daz  kalde  vorgeyt  und  ettesswelie  der  suche  [bl.  3"^]  gar.  die  selbe  salwe 
hilfet  sweme  undir  den  rippen  we  tut.  swem  de  natere  gestichet,  der 
neme  dru  pennig  wichte  der  pellelvarn  wizseblomen  unde  nutze  se 
mit  wine ,  iz  vorgeyt.  swer  hat  egiloppas  '  —  egilope  ist  eyn  suche, 
in  des  ougen  winkel  wesset  eyn  vleisch,   daz  tränet  — ,   der  kowe  sie 

Tradunt:  est  cunctis  medius  flos  aureus  illis, 

Sed  variis  foliis  flos  circumcingitur  ille, 

Albi  vel  nigri  sunt  purpureive  coloris. 
560  Dicitur  Anthemis  proprio ,  cuius  foliorura 

Purpureus  color  est,  maiorque  et  fortior  haecest; 

At  Leucanthemum  foliis  deprehenditur  albis, 

Melinis  Chrysanthemum;  vis  omnibus  illis 

Sicca  calensque  gradu  primo  conceditur  esse. 
565  Provocat  urinam  cum  vino  quaelibet  hausta, 

Vesicae  frangit  lapides  et  meustrua  purgat, 

Si  foveatur  aqua  matrix  qua  cocta  sit  herba. 

Aut  si  cum  vino  potetnr  saepius  illa; 

Tormina  sie  sedat,  stomachique  inflatio  potu 
570  Pelletur  tali.     Squamas  de  vultibus  anfert, 

Si  tritam  apponas  solam  mellive  iugatam. 

Ictericis  prodest  eins  decoctio  sumpta 

Et  mire  prodest  iecoris  potata  querelis, 

Pellere  cum  vino  potata  refertur  abortum. 
575  Hac  oleo  cocto  foveas  si  febricitantem 

Frigus  depelles,  febrem  quoque  saepe  fugabis; 

ünguine  purgantur  hypochondria  turgida  tali. 

Pestiferos  morsus  serpentum  pondere  dragmae 

Cum  vino  prohibet  Anthemis  sumpta  nocere. 


584  Aegilopas  curat,  si  quis  commasticet  illam 


174  G.    SCHMIDT 


unde  lege  sie  iif  die  ougen ,   iz  vorgeit.     daz  selbe  subrit   die  eitberen 
sweren  und  beylet  sie. 

585  Et  sie  appoiiat;  sie  iilcera  sordida  purgat. 


[xxj.]     1)  hs.  anden  2)  bs.  den  3)  hs.  dricke  4)  d.  i.  knurren 

5)  =   sich  abschälend.  6)  fehlt  leberen?  7)  =  aegilopa,  die  tränenfistel. 

[xxj.]  1)  Anthemis  magnis  laudibus  celebratur  ab  Asclepiade  . .  .  genera  eius 
tria  flore  tantum  distant,  palmum  non  excedentia,  parvis  floribus  rutae,  candidis, 
aut  malin is  (var.  melinis),  aut  pnrpureis.  Plin.  HN.  22,  21,  26.  —  Auch 
anderwärts  findet  sich  durchweg  die  Unterscheidung  derselben  drei  färben  der  rand- 
blümchen:  weiss,  gelb,  roth.  So  bei  Silvaticus  fol.  82'',  nach  ,,Dia"  (d.  i.  Dio- 
scorides):  ...  „  huius  herbe  tria  sunt  genera  habentia  in  flore  distantiam  ....  supe- 
rius  capitellum  rubicundum,  cum  quadam  rotunditate,  habens  de  intus  aureum 
florem,  qui  exterius  foliorum  obiectione  tegitur  alborum  ,  aut  mellini,  aut  pur- 
purei  coloris,"  und  nach  „Aui."  (d.  i.  Avicenna):  „...  camomilla.  ex  ea  alia  est, 
cuius  flos  est  citrinus,  et  alia  est,  cuius  flos  est  purpureus,  et  alia  est  alba, 
cuius  est  albus,  et  hec  est  nota."  Ebenso  bei  Megenberg,  Buch  der  natur,  ed. 
Pfeiffer  s.  388:  ,,  Camomilla  haizt  gamillen,  und  daz  kraut  ist  dreierlai.  daz  ain 
hat  weiz  pluomen,  daz  ander  gel,  daz  dritt  purpcrvar."  —  Auch  . Macer  selbst 
sagt  mit  ganz  derselben  Unterscheidung  v.  560  fgg. :  die  Antlicmis  mit  purpurfar- 
benen randblümchen  sei  die  eigentliche  Anthemis ,  die  mit  weissen  heisse  Leucan- 
themum ,  und  die  ndt  quitteugelben  (melinis,  mellinis)  heisse  Chrysanthemum. 
Um  so  auffälliger  ist,  dass  er  in  dem  unmittelbar  vorhergehenden  verse  weisse, 
schwarze  und  purpurfarbige  randblümchen  unterscheidet.  Nigri  scheinen  alle 
handschriften  und  alten  ausgaben  zu  bieten:  nach  der  angäbe  von  Choulant  in  sei- 
nem Apparatus  criticus  wäre  es  erst  in  den  Basler  ausgaben  von  Pictorius  (1559. 
1581)  in  lutei  verbessert.  Auch  der  deutsche  Übersetzer  muss  in  seiner  lateinischen 
vorläge  das  widersinnige  nigri  vorgefunden  haben.  Vielleicht  mag  dieses  wunder- 
liche nigri  entstanden  sein  aus  irriger  auffassung  der  angäbe  von  Plinius  (a.  a.  o.): 
,,nonnulli  nielanthion  vocant."  (var.:  melanthemon ;  gr.  tuskävDfjuov,  bei  Diosc. 
3,  154).  2)  ,.Amarica  s.  Amarista  herba  est  Anthemis  Cotula"    (stinkende  Ka- 

mille, Hundskamille).     Choulant. 

[xxij.]  [CJolubrina  heyzet  uaterwort  uude  daz  von  reclite.  wen 
swer  de  worzelen  stozet  unde  sieb  damite  bestriebet,  se  vortribet  aller- 
bande  natere  vorgift.     Swer  sie  bi  eme  treget,    der  ist  sieber  vor  der 

[xxij.]    Macer  nr.  54.  s.  99.    Colubrina.  v.  1728  — 1765. 

Nacb  Cboulant:  Arum,  Natterwurz.^ 

(Vgl.  Silvat.  c.  637.  fol.  154°  s.  v.  öerpentaria,    vel  viperina,    vel  colum  dracmiis 

latine  ,  luf .  .  .  arabice  ,  grece  dragontiura). 

Herba,  Dragouteam  Graecorum  quam  vocat  usus, 
Haec  eadem  vulgi  liugua  Colubrina  vocatur, 
1730  Quod  colubro  similis  maculoso  cortice  surgit, 
Ex  quibus  antiquis  expertum  credimus  esse, 


HALBERSTÄDTER    BRUCIIST.      V.    MACER  175 

nateren.  colubviiia  mit  wiiie  £fenulzet  vortribot  swaz  die  natere  gest- 
ehet, der  samtMi  satt'  mit  olei  getemperet  uiule  in  daz  ore  gegozen 
vortribet  die  serdo.'  in  dem  selben  saffe  w[u|llen  genutzet  ^  iinde  in 
de  nase  gestozen  ist  gut  vor  eyne  suche,  di  heyzet  polipns ,  daz  ist 
das  stinkende  vleisch,^  daz  in  der  nasen  wesset.  daz  selbe  ist  gut 
vor  den  cancrum.  Cancer  ist  eyn  swere,  da  vil  löchere  inget  unde 
siget  unde  heylet  ungerue.  der  worzelen  saft  an  di  ougen  gestrichen 
vortribet  den  scimen  unde  manicher  bände  suche ,  die  den  *  ougen  wer- 
ren.  noch  heyzer  ist  iz  mit  honige  getemperet,  unde  och  ist  die  wor- 
zele  gut  gegezzen  zu  den  ougen.  dritzich  samencorn  genutzet  mit  pusca 
vortribet  allirhande  schimen  unde  machet  die  ougen  dar.  pusca  iz 
zwei^ 


Quod  queat  a  simili  colubrina  venena  fugare. 
Quisquis  se  trita  radice  perunxerit  eius, 
Tutus  ab  incursu  serpentum  dicitur  esse; 

1735  Morsibus  illarnm  cum  vino  sumpta  medetur. 
Si  iungas  oleum  cum  succo  seminis  eius 
Auribus  infundeus  poteris  sedare  dolorem; 
Hoc  succo  lanam  madidam  si  uaribus  addas, 
Compesces  morbum ,  qui  polypus  est  vocitatus ; 

1740  Sic  etiam  cancris  magnum  solet  esse  iuvamen. 
Succo  radicis  eius  caligo  fugatur 
Et  varii  morbi,  quos  lumina  perpetiuntur, 
Ex  ipso  puro  si  sint  lita  melleve  mixto; 
Et  prodest  oculis  radix  si  manditur  assa; 

1745  Cum  pusca  granis  ter  denis  seminis  haustis 
Lumina  munda  ferunt  pulsa  caligine  reddi. 


[xxij.]  1)  serde  =  schmerz.  2)  1.  genetzet  3)  lis.  vleischs  4)  hs.  dan 
5)  „puscha,  daz  ist  czway  tail  wasser  vnd  ein  teil  wein."  Diefenb.  gloss.  lat. - 
germ.  474*  aus  einem  Münchener  zu  anfange  des  15.  jahrh.  geschriebenen  Voca- 
bularius  rerum. 

[xxij.]  1)  Was  hier  von  den  Wirkungen  der  Colubrina  ausgesagt  wird,  berich- 
tet Silvaticus  unter  beziehung  auf  Dioscorides  von  seiner  Serpentaria,  und  Taber- 
njBmontanus  (Kreuterbuch ,  herausg,  von  Bauhinus.  Fkf.  1613)  2,  443  fgg.  von  sei- 
nem „Dracontium,  Drachenwurtz."  Beide  unterscheiden,  jener  seine  Serpentaria, 
dieser  sein  Dracontium,  von  Arum ,  welches  leztere  jener  in  cap.  1.  fol.  1*  s.  v. 
Aaron  (vel  Serpentaria  minor,  aliter  Pes  vituli),  dieser  2,  444  fgg.  unter  Arum, 
Aren  besonders  abhandelt.  —  Jene  colubrina  (serpentaria,  dracontium)  mag  wol 
unserem  Arum  dracunculus,  das  Aaron  oder  Arum  des  Silvaticus  und  Tabcrntemon- 
tauus  dagegen  unserem  Arum  maculatum  entsprechen. 


176  G.    SCHMIDT 

[xxvij.  zedoar,  beyzet  zitwar]  ^ 

[bl.  4*]  den  sterbit  die  spulwonne.    gezzen  vortribet  ber  den  knobelokes 
rüch  uz  dem  munde. 


[xxvij.]     Macer  nr.  71.  s.  117.     Zedoar.  v.  2131  —  2140. 

Nach  Cboulant:  Curcnma  Zedoaria,  Zitwer. 

(Vgl.  Silvat.  c.  711.  fol.  168 '^  s.  v.  Zedoaria). 

Lurabricos  ventris  depellere  dicitur  haustum; 
Allia  quem  faciunt  foetorem  pellit  ab  ore 
2140  Et  nimium  bibiti  vini  depellit  odorem. 

[xxvij.]  1)  Hier  fehlt  ein  blatt  mit  dem  schliiss  von  xxij  (colnbrina).  xxiij. 
xxiv.  XXV.  xxvj  und  dem  grössten  teil  von  xxvij. 

[xxviij.]  [Cjynama  beyzet  cynamin,  de  ist  drier  bände,  der 
cleineste  ist  de[r]  beste  unde  baz  zengret  ^  unde  bizent  au  de  zungen. 
der  sterket  den  magen  unde  trockent  sine  böse  vucbticheit  unde  maket 
in  wol  dowen  geuntzet  unde  heylet  die  leberen.  genutzet  subrit  be  de 
wip  au  ir  suche  unde  vortribet  den  vuchten  husten  unde  och  der  sun- 
den.2  einer  hande  wazzersucht,  heyzet  timpaua,  die  vortribet  her  unde 
trockent.  cynama  geuutzet  unde  lendeusichen.^  iz  vortribet  och  vor- 
giftige bizze,  daruf  geleit  oder  genutzet,  unde  trockent  die  vuchten 
humores.     gestozen  mit  starkem  wine  unde  under  die  ougen  gestrichen 

[xxviij.]     Macer  ur.  73.  s.  118.   Cinnama.  v.  2147  —  2164. 
Nach  Choulaut:  Laurus  cinnamomum,  Zimmt. 

(Vgl.  Silvat.  c.  202.  fol.  66*  s.  v.  Darsen  arabice,  grece  et  latine  Cinomomum). 

Cinnama  tres  species  dicuutur  habere,  sed  harum 
Est  pretiosa  magis,  quae  plus  subtilis  habetur 
Et  quae  phis  mordet  mixta  dulcedine  linguam. 

2150  Humores  stomachi  siccat,  corroborat  ipsum, 
Et  facit  acceptas  ut  digerat  ocius  escas. 
Sumptum  curat  hepar  lotiumque  et  menstrua  purgat, 
Humida  tussis  eo  sedabitur  atque  catarrhus. 
Hydropisis  speciem,  cui  praebent  tympana  nomen, 

2155  Sumptum  non  modicuni  reprimit  renumque  dolorem; 
Reptilium  morsus  curat;  si  iungitur  illis, 
Quae  curant  oculos  humores  siccat  aquosos. 
Si  bene  contritum  forti  miscetur  aceto 
Liberat  apposituni  tetra  lentigine  vultum, 

2160  Sicque  iuvat  morbum  qui  ducit  ab  impete  nomen. 


HALBRRSTÄDTER  BRÜCKST.   V.  MACER  177 

vortribet  her  daz  gesehiverte/  die  grozer  cinama  die  stillen  daz  emor- 
riadas ,  ob  man  sie  stozet  unde  mit  warmem  wazzere  nüchteren  trin- 
ket,    zu  dem  tränke  sulon  dru  phennig  gewiclite  sin  unde  nicht  nie. 


Grossa  magis  species  fluxus  haemorrhoidarum 
Stringit,  aqua  gelida  bene  si  contrita  bibatur, 
Tempore  quo  nondum  patiens  ieiunia  solvit. 
De  specie  geminas  haec  quaerit  potio  dragmas. 

[xxviij.]  1)  1.  zengvent  d.  i.  scharf  riechend  und  schmeckend.  Vgl.  Müller- 
Zarncke  mhd.  wb.  3,  849.  Schnicllcr  hair.  wb.  ed.  Frommann  2,  1135.  2)  1.  den 
snuder.  —  Cinamomum  . .  .  tussim  sedat,  catarrü  miligat.  Matth.  Silvat.  pandeet. 
med.  Lugd.  1534.  f.  6G ''.  —  Kanneel  benimpt  catarrum ,  dat  is  den  snoven.  Herbar. 
v.J.  1483.  Schiller -Lübben  mnd.  wb.  4,  281".  3)  1.  die  vortribet  unde  trockent 
cynama  genutzet  unde  lendcnsuche.  —  hydropicis  medetur,  nefreticis  utiliter  datnr. 
Silvat.  fol.  66^.  4)   Aus  dem  lateinischen  texte  geht  hervor,    dass  geschiverte 

Übersetzung  von  lentigo  sein  soll  und  mithin  die  bedeutung  „Sommersprossen" 
haben  muss.  Doch  vermag  ich  das  wort  anderweit  nicht  nachzuweisen.  Auch  Sil- 
vaticus  sagt  am  entsprechenden  orte  (66'^'),  auf  Dioscorides  sieh  berufend:  „cum 
melle  tritum  maculas  vel  lentigines  de  facie  purgat "  und ,  aus  gleicher  oder  ver- 
wanter  quelle  schöpfend,  lehrt  Tabernajmontanus  (ed.  Bauliinus.  Fcf.  1G13)  2,  658*: 
,,Zimmet  mit  essig  temperiert  und  angestrichen  säubert  die  haut,  vertreibet  die 
flechten  und  zittermäler:  mit  honig  angestrichen  vertreibt  die  masen  des  antlitz."  — 
In  einem  späteren  abschnitte  (xxxiij.  Eruca,  witsempf)  übersezt  der  deutsche  bear- 
beiter  des  Macer  lentigo  durcli  rise. 


[xxix.]  [C]ostum  iz  zwierhande,  eyn  ist  iz  ^  swere  unde  rot  unde 
sere  bitter  unde  heytzet  indicum,  daz  ander  lichte  unde  nicht  bitter, 
daz  ist  ambicum.-  daz  erste  iz  ^  bezzer,  daz  subrit  die  pissen  [bl.  4''] 
unde  swaz  si  erret.     sie  hilfet  den  "^  milzen,   der  leberen,    der"'  niereu 


[xxix.]     Macer  nr.  74.  s.  118.  Costus.  v.  2165  —  2181. 

Nach  Choulant:    Costus   arabicus,    Kosten  würz. 

(Vgl.  Silvat.  c.  362.  fol.  105"^  s.  v.  Costa,  Costus). 

2165  Costi  sunt  geminae  species:  gravis  mia  rubensque 
Est  et  amara  uimis,  haec  iudica  dicitur  esse; 
Altera  vero  levis,  nee  amara,  colore  subalba, 
Hanc  Arabes  mittunt;  prior  utilior  medicinae. 
Urinas  purgant  et  eis  obstantia  pelluut, 

2170  Spien  curant  et  hepar,  laterisque  fugare  dolorem 
Dicunt,  cum  vino  tepido  si  sumpserit  aeger. 

ZEITRCHR.    F.    DKÜTSCHE   PHILOLOGIE.     BD.  XII.  12 


178  G.    SCHMIDT 

mit  warmem  wine  genutzet,  sie  subrit  die  wip  an  ir  suche,  ab  sie 
sich  mite  underrouchen.  daz  selbe  genutzet  vortribet  die  spulworme. 
costum  mit  olei  gesoten  vortribet  dem  rithescin  ^  daz  kalde ,  ab  her  sich 
mite  bestrichet,  e  en  daz  kalde  auegan.'^  costum  gepulveret  unde  uf 
die  w[u]nden  gestrowet  heylet  sie. 


Meustrua  purgabunt,  si  se  subfumiget  illis 
Pemiua,  sie  etiam  vulvae  sedare  dolorem 
Dicunt,  aut  ex  bis  sibi  si  pessaria  subdat. 

2175  Lumbricos  pellunt,  purgant  lentigine  vultum, 
Si  tritis  cum  melle  linas,  veueremque  movere 
Dicuutur,  si  sint  cum  mulsa  sumpta  tepenti. 
Ex  oleo  Costum  ([uo  coxeris  illine  quemvis 
Ante  febris  typum,  reddes  a  frigore  tutum; 

2180  Subvenit  hoc  sciasi  membrisque  tumentibus  unguen, 
Antiquum  vulnus  cito  curat  pulvis  eorum. 

[xxix.]  1)  1.  ist  zwierhande ,  einiz  ist  2)  1.  arabicum  3)  1.  ist  4)  1.  der 
5)  1.  den        6)  d.  i.  febricitanti        7)1.  anegat 

[xxx.]  [C]ucumer  ist  cuntir,  iz  ist  kalder  nature  unde  loset 
den  buch,  durch  daz  ist  he  dem  magen  gesunt.  die  bletere  mit  wine 
gestozen  heylet  daz  der  hunt  gebizet.  der  same  mit  surem  wine 
genutzet  hilfet  der*  blasen  unde  die  unsempfte  harren.^  der  same  mith 
wibes  milch  vumfzen  p[f]ennig  gewichte  genutzet  hilfet  sere  w^ider 
die  rure. 


Fehlt  im  lateinischen  texte  des  Macer.  —  Ähnliches  und  im 
wesentlichen  übereinstimmendes  findet  sich  im  „  Liber  Serapionis  Aggre- 
gatus  in  medicinis  simplicibus"  (Ausg.  o.  0.  1525)  cap.  243  „Öe  melone, 
cncumere,  citrullo,"  fol.  157°  aus  „Dia."  d.  i.  Dioscorides:  „Cucumer 
domesticus  mollit  ventrem,  et  est  bonus  ventri  et  stomacho,  et  infri- 
gidat  sine  nocumento,  et  confert  vesice,  et  reviviscere  facit  sincopi- 
zantes  (ohnmächtige)  quando  odorant  eum ,  et  provocat  urinam  fortiter, 
et  quando  bibitur  cum  lacte  et  rob  *  confert  ulceribus  vesice ,  quando 
autem  fit  emplastrum  cum  foliis  eius  et  vino  curant  morsum  canis,  et 
quando  fit  emplastrum  cum  melle  curat  syre."  ^  —  Demnach  scheint 
der  deutsche  bearbeiter  dieses  stück  aus  einem  lateinischen  Dioscorides 
geschöpft  zu  haben,  und  unter  Cucumer  domesticus  ist  unsere  gurke, 
cucumis  sativus  zu  verstehen,  die  bereits  in  Karls  des  Grossen  Capitu- 


IIALBERST.'\DTER    BRÜCKST.       V.    MACER  179 

lare  de  villis  im  vorzeichnis  derjenigen  g-ewilohse  anfgefülirt  wird, 
welche  in  den  gärten  der  kaisorliclien  domänen  angebaut  werden  sol- 
len. Vgl.  E.  Mej-er,  Gesell,  d.  Botanik  3,  404.  —  Übereinstimmende 
angaben  über  die  beilanwendmig  bietet  Leonh.  Fuchs  in  seinem  „New 
Kreüterbüch."  Basel  1543.  cap.  267  von  den  Cucumern  oder  „Gur- 
chen,"  „von  ettlichen  Anguria  genant."  —  Für  die  im  texte  liinzu- 
gefügte  deutsche  benennung  „cuntir"  habe  ich  nirgend  einen  anhält 
finden  können. 

[xxx.J     1)  hs.:  dir         2)  ==  harnen 

[xxx.J  1)  „Rob.  i.  succus  usque  ad  spissitudinem  decoctus  vel  tertiam  par- 
tem."    Synonyma  Serapionis  (s.  1.  1525)  fol.  lOG".  2)  syre  ist  aöoiy^,  hohles 

ge.schwiir,  fistel. 

[xxxj.]  [CJerviboletum  hcyzet  der  hirtzesswam.^  swo  die 
spinne  gestichet  unde  iz  da  geswillet,  hertzesswam  gekowen  unde 
damite  bestrichen  iz  vorgeit.  daz  selbe  hilfet  uf  izleich  geswel  geleit, 
daz  sich  von  vorgift  irhebet.^  swelch  wip  arbeit  mit  der  gehurt,  die 
neme  des  hirtswammes  als  eyn  erwiz  unde  kowet  uude  ezzet  halp  unde 
mit  dem  halben  teil  umbestriche  ^  sie  den  nabele ,  sie  gewinnet  daz 
kint  san  unde  an  arbeit,  man  sal  och  daz  wizzen,  daz  sie  daz  wider* 
scal  ezzen  noch  den  nabel  bestrichen  wen  zu  der  rechten  zith  der 
gehurt:  andirs  [bl.  4'']  iz  schadet,  swer  in  nochtereu  izzet,  iz  hilfet  wider 
die  trunkenheyt.  swo  die  äderen  ^  gesvullen  sint  von  der  lazzeue ,  hir- 
swam  gezzen  unde  gekouwen ,  mite  bistrichen  vortribet  den  svul.  daz 
selbe  gekouwet  unde  geleit  uf  daz  gesvullen  fleisch ,  iz  hilfet.  swer 
da  vlit,  izzet  her  daz  crut,  her  wirt  risch.  '^ 

[xxxj.]     1)    Fehlt    im    lateinischen    texte    des    Macer.  2)    hs. :    hirhebet 

3)  hs. :  umbostrichen  4)  1.  weder  5)  hs.  arderen  6)  richs 

[xxxij.]  [Cjaratum  heyzet  stopf  den  buch^  unde  ist  och 
unde[r]  allen  ernten  gut  der  mit  arbeyde  pisset,  ob  her  in  nutzet,     her 


[xxxij.]    Macer  nr.  44.  s.  89.  Enula.  v.  1489—1502. 
Nach  Choulant:  Inula  Helenium,  Alant. 

(Vgl.  Silvat.  c.  239.  fol.  76''  s.  v.  Ellenium  grece  ....    latine  vero  Enula  campana). 

Enula,  quam  Graecus  Elnam  vocat  Eleniumque, 
1490  Dicitur  a  medicis,  est  forma  cognita  cunctis. 
Humida  vis  eius  et  fervida  dicitur  esse, 

12* 


180  G.   SCHMIDT 

ist  och  gut  den  wiben ,  die  tode  kint  tragen ,  ab  sie  in  nutzet,  die 
worzele  gestozen  unde[i-]  die  deich  ^  geleit  oder  gebunden  vortribet  stia- 
sim  ,^  daz  ist  eyn  svul  ame  die.  die  bletere  gesoten  mit  wiue  unde 
heyz  die  lenden  mite  beleit  hilfen  den  lendensichen.  die  worzele  gedur- 
ret  unde  gepulveret  unde  mit  honige  gemenget  unde  gezzen  vortribet 
den  husten,  daz  selbe  hilfet  emopteicis/  die  da  blut  reschen.  bute 
saf  ^  mit  alandes  saffe  getrunken  hilfet  den ,  die  da  gebrochen  sin  unde 
daz  gemechte  uzgeit.  alant  gesoten  mit  botteren  unde  mit  olei  hilfet 
die  matricem,  daz  ist  die  stat,  da  die  wip  inne  kint  tragen,  ab  man 
iz  in  darin  brenget  warm,  iz  hilfet  och  den  man ,  ab  her  gesvullen  ist 
an  siner  hemeliheyt,^  ab  her  sich  mite  bestrichet. 

Humor  habere  gradum  primum,  fervorque  secundum 

Dicitur.     Illius  decoctio  menstrua  pnrgat 

Si  bibitur ,  movet  urinam  ,  depellit  abortum ; 
1495  Dicitur  haec  eadem  stipatum  solvere  ventrem. 

Radix  trita  fugat  sciasim  superaddita  coxae. 

Ex  eins  foliis  cum  vini  nectare  coctis 

Mire  nefreticis  renes  involvere  prodest. 

p]ius  radicum  pulvis  cum  melle  voratus 
1500  Tussim  compescit,  haemoptoicisque  ^  medetur. 

Cum  succo  rutae  succus  si  sumitur  eins, 

Affirmant  ruptis  quod  prosit  potio  talis. 
*Cum  butiro  modicoque  oleo  decocta  tumorem  ^ 
*Matricis  subiecta  tepens  fugat  illa  colique, 
*Et  cunctis  intus  morbis  sie  subdita  prodest, 
*Hac  etiam  testes  poteris  curare  tumentes, 
*Cum  foliis  lauri  beue  tritam  si  superaddas. 

[xxxij.]  1)  hs.  stopf  den  stopf.  —  Die  hier  gebrauchten  beiiennuiigen, 
die  lateinische  wie  die  deutsche,  weiss  ich  beide  anderwärts  nicht  nachzuweisen. 
2)  1.  diech  3)  1.  sciasim  4)  d.  i.  (dixonrv'ixolg,  den  blutspeieuden.  5)  1.  ruten 
saf        6)  ==  schäm 

[xxxij. I  1)  V.  150Ü  bietet  (Jhoulant  in  seiner  ausgäbe  orthopnoicisque ;  (ö^.9d- 
nvoin  ist  eine  engbrüstigkcit,  bei  der  man  nur  grade  stehend  oder  sitzend  athmen 
kann),  verzeichnet  aber  aus  zwei  Wolfenbütler  papierhandscliriften  des  15.  und 
16.  jh.  und  aus  Eanzows  au.sgabe  die  lesart  emoptoicisque,  haemoptoicisque,  welche 
dem  Verfasser  dieser  deutschen  Übersetzung  vorgelegen  haben  muss.  2)  Die  lez- 
ten  fünf,  hier  mit  Sternchen  bezeichneten  hexameter  hat  Choulant  in  den  text  sei- 
ner ausgäbe  nicht  mit  aufgenommen.  In  den  anmerkungen  führt  er  sie  auf  als 
enthalten  in  einer  pergamenthandsrlirift  des  14.  jh.  der  Leipziger  Universitätsbiblio- 
thek (Bibl.  Paulin  ms.  n.  1219). 


HALBEBSTÄDTER  BRÜCKST.   V.  MACER  181 

[xxxiij.]  [Ejruca,  witsempf,  iz  lieyz  iu  dem  iUKU'reii  grade, 
vuchte  in  dem  ersten,  cruca  gezzen  in  der  spise  dowet  [bl.  4"'j  avoI  uude 
hilfet  gezzen  den,  die  mit  arbeyde  pisset,  genutzet  vortribet  ber  den 
liusten.  mit  bonige  gestozeu  vortribet  ber  de  vlecken  von  der  but 
undo  de  riseue,^  ob  mau  sie  mite  bestriebet,  der  same  gestozeu  uude 
mit  wiue  genutzet  ist  weder  der  uadereu  stich  gut  oder  swaz  tbire 
vorgift  treit.  der  sameu  mit  ochsen  galleu  gestozeu  vortribet  die  swar- 
zen  vlecken,  da  man  sie  austriebet,  zu  swelkem  ezzeu  mau  daz  crut 
oder  den  samen  tut,  daz  gibet  guten  smakeu.  diz  crut  ist  gut  in 
latche  gezzeu. 

[xxxiij.]     Macer  nr.  31.  s.  70.  Eruca  v.  1016  —  1036. 

Nach  Choulant:  Brassica  eruca,  Weisser  Senf. 

(Vgl.  Silvat.  cap.  372.  fol.  109''  s.  v.  lergit  arabice,  grece  euzonium  {tvC(o/j,ov), 

lat.  eruca). 

Erucam  calidam  dicunt  mediocriter  esse, 
Siccam  uon  adeo.     Cibus  eins  digerit  escas 
Et  valet  urinas  haec  mansa  vel  hausta  movere. 
Manditur  utiliter  pueris ,  tussimque  repellit, 

1020  Emundare  cutem  maculis  cum  melle  iugatam 
Traduut  et  muudos  lentigine  r edder e  vultus. 
Elixata  prius  radix  valideque  subacta 
Ossibus  et  fractis  superaddita  detrahit  illa. 
Cum  vino  tritum  si  semen  sumitur  eins, 

1025  Quosvis  pestiferos  ictus  curare  refertur. 

Haec  uigras  maculas  purgat  cum  feile  bovino 
Illita.     Mira  loquar,  cum  vino  largius  haustam 
Indurare  ferunt  baue  contra  verbera  sensum. 
Si  condituris  coquus  baue  admisceat  herbaui 

1030  Aut  semen,  gratum  dicunt  praestare  saporem, 
Euzomonque  soleut  bac  causa  dicere  Graeci 
Erucam,  succus  quod  gustu  sit  bouus  eins. 
Non  modice  mausam  venerem  stimulare  vel  haustam 
Coufirmant  pariter  medici  pluresque  poetae. 

1035  Est  cum  lactucis  haec  herba  comesta  salubris, 

Namque  calor  dat  temperiem  cum  frigore  mixtus. 

[xxiij.]  1)  Die  vergleichuug  mit  dem  lateiiiischeu  texte  lehrt,  dass  risene 
zur  Übersetzung  von  lentigo  dient,  mithin  die  bedeutung  ,, Sommersprossen"  haben 
muss.  Demnach  entspricht  es  dem  althochd.  rosmun,  welches  Graft"  2,  548  mit  der 
bedeutung  lentigo  aus  dem  Summarium  Heinrici  belegt.  Schmeller  (bair.  wörterb. 
ed.  Frommann)  2 ,  151   führt  iu    gleicher  bedeutung   auf  mhd.   und  bair. :   rosem, 


182  G.    SCHMIDT,   HALBERSTÄDTEE   BEUCHST.      V.   MACEE 

rosra,  mit  den  nebenformeu :  resciii,  ryseni,  roßmeu,  roßmuck,  riesel,  rüseleu.  Und 
Diefenbach,  Glossarium  latino-germanicum  (Fcf.  1857)  8.324"  s.  v.  lentigo  fügt 
noch  hinzu  die  formen:  rosmyu ,  ryßeln,  ryselu,  rosine,  rusel. 

[xxxiv.j  [E]lleborum  beizet  wizworz/  die  ist  zwier  liaude, 
die  eyne  wiz  uude  subirth  den  inenscbeu  ufwart,  die  andere  swarz  unde 
subrit  den  menschen  nidenvirt.  sie  sint  beyde  heyz  unde  trocken,  die 
witze  ist  sterker  den  die  swarze,  dur  daz  sage  ich  ir  kraft  alrest. 
swen  man  de  wizze  wortz  brenget  an  de  hemelichen  stat,  so  vortribet 
sie  daz  tode  kint.  elborum  gepulveret  unde  in  de  nasen  getan  machet 
daz  man  niset.  daz  nisen  vortribet  die  houbitsveren.  elborum  gepul- 
veret unde  mit  gruzzen^  gemenget  sterbit  die  muse  unde  daz  mit 
milch  gemenget  sterbit  die  vlegen.^  mit  elleb[o]ro  machet  eine  sube- 
runge,  ob  ene  die  vorlazunge  vortribet 


[xxxiv.]     Macer  nr.  56.  s.  101.  EUeborus  albus,  v.  1774  —  1832. 
Nach  Choulant:  Veratrum  album,  Weisse  Nieswurz. 
(Vgl.  Silvat.  c.  238.  fol.  75  ^  s.  v.  Elloborus). 
Elleborum  geminas  species  testantur  habere, 

1775  Album,  quod  sursum  purgat,  nigrumque  deorsum; 
Vim  siccam  calidamque  tenent  et  tertius  illis 
Est  in  utroque  gradus;  nigro  violeutius  album 
Dicitur,  unde  prius  dicam  de  viribus  eins. 
Suppositum  quocunque  modo  depellit  abortum, 

178U  Naribus  attractus  sternutanlenta  movebit 
lUius  pulvis  capitis  pellentia  morbos. 
Miscetur  confecturis ,  quae  lumina  purgant 
Et  multum  prodesse  ferunt  vitiis  oculorum. 
Pultibus  admixtus  mures  pulvis  necat  eius, 

1785  Et  cum  lacte  datus  est  muscis  perniciosus. 
Dicunt  per  vomitum  varios  educere  sumptum 
Humores,  veteresque  ferunt  sie  pellere  morbos. 


[xxxiv.]  1)  1.  nieswurz  2)  =  mhd.  grütze  3)  Wenn  man  die  fliegen  ver- 
treiben will,  soll  man  niesswurtz  in  milch  sieden  und  ihnen  fürstellen,  so  viel 
dann  darvon  essen,  die  müssen  sterben;  desgleichen  mit  meel  vermischt,  und  den 
mausen  dargestellet,  müssen  sie  auch  sterben.  Taberna^montanus  Kräuterbuch. 
Fcf.  1613.   2,  419  ^ 


J,    ZACHER,    ZU   DEN   lULMERSTÄDTER   PREDIGTEN  183 

ZU   DEN   HALBEKSTÄDTEK   PKEDIGTBKUCHSTÜCKEN. 

Die  oben  s.  129  fgg.  mitgeteilten  Halbevstädtei'  prcdigtbruchstücke 
waren  kaum  gedruckt,  als  mir  der  neue  von  professor  Strobl  in  Czer- 
nowitz  herausgegebene  zweite  band  von  Bruder  Bertholds  Predig- 
ten (Wien,  Braumüller,  1880)  zugieng.  Zweckmässig  erschien  es  des- 
halb, hier  sogleich  anzuschliesseu,  was  sich  mir  aus  diesem  bände  für 
die  Halberstädter  texte  alsbald  ergab. 

Die  predigt  ur.  39  dieses  zweiten  bandes  (s.  24  —  32)  hat  der 
herausgeber  aus  5  handschriften  geschöpft  und  überschrieben  „wie  man 
wider  reiten  sol."  Vergleicht  man  sie  mit  der  predigt  nr.  2  des  ersten 
bandes  (s.  11—28),  welche  nur  in  der  einen  Heidelberger  handschrift 
nr.  24  erhalten,  und  von  dem  herausgeber,  Fz.  Pfeiffer,  überschrieben 
worden  ist  „von  den  fünf  pfunden,"  so  stelt  sich  das  überraschende 
ergebnis  heraus:  beide  predigten  haben  denselben  text  Matth.25,  14  —  30, 
und  beide  verwerten  ihn  ganz  in  derselben  weise,  sofern  die  5  pfunde^ 
welche  der  getreue  knecht  auf  10  vermehrt  hatte  und  dafür  von  seinem 
harren  belohnt  worden  war,  gedeutet  werden  auf  5  dinge,  die  gott 
jedem  menschen  anvertraut  und  anbefohlen  hat,  nämlich  auf  eigene 
person,  amt  (beruf),  vermögen,  zeit,  Verhältnis  zum  nächsten,  und  von 
denen  jeder  erwachsene  mensch,  um  zur  ewigen  Seligkeit  zu  gelangen, 
doppelte  rechenschaft  geben  muss.  Auch  sind  beide  predigten  vor  laien 
gehalten,  und  beide  an  demselben  tage,  am  gedächtnistage  des  heiligen 
Alexius,  und  in  beiden  sagt  der  prediger,  gott  habe  uns  zwei  grosse 
bücher  gegeben,  das  alte  und  das  neue  testament,  den  laien  aber, 
welche  die  bibel  nicht  lesen  können,  gleichfals  zwei  grosse  bücher, 
himmel  und  erde ,  demgemäss  er  gestern  von  dem  himmel  geredet  habe 
und  heute  von  der  erde  handeln  wolle;  ein  jeder  möge  nun  durch  sei- 
nen eigenen  leib,  durch  die  eigenen  je  fünf  finger,  fünf  zehen  usw. 
sich  beständig  an  die  fünf  pfunde  und  die  damit  verknüpften  pflichten 
mahnen  lassen.  Weiter  stimmen  dann  auch  in  der  ausführung  des 
einzelnen  beide  predigten  vielfach  überein,  nicht  nur  in  den  gedanken, 
sondern  auch  in  werten  und  Wendungen;  doch  zeigen  sie  hierin  auch 
mancherlei  abweichungen  von  bald  geringerer ,  bald  erheblicherer  bedeu- 
tung  und  ausdehnung,  derart,  dass  die  zweite  predigt  des  ersten  ban- 
des 18  druckseiten  befasst,  mithin  grade  doppelt  so  lang  ist  als  die 
nur  9  Seiten  füllende  39.  des  zweiten  bandes. 

Aus  diesen  Wahrnehmungen  ergibt  sich  die  Schlussfolgerung,  dass 
uns  in  den  beiden  predigten  nr.  2  und  nr.  39  nach  aller  Wahrschein- 
lichkeit nur  zwei  verschiedene  aufzeichnungen  einer  und  derselben  pre- 


184  J     ZACHEK 

digt  vorliegen,  wie  sie  eben  von  zwei  verschiedenen  zuhörern  aus  der 
eriunerung  niedergeschrieben  worden  waren.  ^ 

Oben  hatte  ich  das  Halberstädter  erste  briichtück  neben  die 
zweite  predigt  des  ersten  baudes  gehalten;  nun  aber  stelt  es  sich 
heraus,  dass  es  nicht  zu  jener  längeren  aufzeichnung  gehört,  sondern 
fast  wörtlich  übereinstimt  mit  der  in  der  39.  predigt  des  zweiten 
bandes  vorliegenden  kürzereu  gestalt,  und  zwar  am  nächsten  mit  dem 
Wortlaute  der  Donaueschinger  handschrift  ur.  292  (D),  w^elche  nach 
Strobls  angäbe  (s,  XII)  für  ein  Franziskanerkloster  bestimt  gewesen  ist. 

Die  erste  zeile  des  ersten  Halberstädter  bruchstückes  entspricht 
der  zeile  29,  18  der  Stroblschen  ausgäbe,  so  dass  mithin  vor  dem 
beginne  des  Halberstädter  bruchstückes  5  druckseiten  dieser  predigt 
verloren  sind. 

Ich  lasse  jezt  einfach  diejenigen  stellen  des  Stroblschen  textes 
folgen,  in  welchen  der  Halberstädter  text  (H)  durch  den  Stroblschen  (S) 
berichtigt,  aufgeklärt,  oder  auch  irgendwelchem  bedenken  gegenüber 
bestätigt  wird. 

H.  130,  12  =:  S.  29,  37.  weder  giimpelvolke  noch  spilmannen 

1)  Strobl  sucht  (2,  563.  568  fg.)  darzutun,  dass  die  39.  predigt  im  jähre  1261 
am  17.  juli,  dem  gedächtnistage  des  heiligen  Alexius,  gehalten  worden  sei.  Für 
die  in  ihr  erwähnte  predigt  vom  vergangenen  tage,  welche  vom  himmel  gehandelt 
habe,  könten  unter  den  gedruckten  predigten  dieser  beiden  bände  zunächst  zwei  in 
betracht  kommen,  die  eine  von  den  sieben  planeten,  die  andere  von  den  sieben 
Sternen  des  wagens,  oder  des  grossen  baren.  Die  erste  von  diesen  beiden,  die- 
jenige von  den  sieben  planeten,  ist  widerum  in  doppelter  aufzeichnung  vorhanden, 
in  einer  ausführlicheren  17  druckseiten  befassenden  als  nr.  4  des  ersten  bandes 
(s.  48  —  64),  und  in  einer  kürzeren,  nur  4V2  selten  füllenden  als  nr.  61  des  zwei- 
ten bandes  (s.  233  —  237).  Die  ausführlichere  aufzeichnung  lässt  (s.  58)  den  pre- 
diger  sagen:  Wan  der  sitzet  maniger  vor  minen  ougen,  der  iezuo  hundert  pfunt- 
solte  hän  von  sinen  arbeiten ,  der  hat  so  vil  niht ,  daz  er  sich  des  frostes  müge 
ernern.  Und  ist  maniger  da  her  geloufen  in  disem  kalten  rifen  barfuoz  in  vil 
dünner  waete.  Nach  dieser  äusserung  könte  die  predigt  von  den  sieben  planeten, 
bei  welcher  dürftig  bekleidete  zuhörer  vom  reife  bedrängt  froren,  nicht  am  16.  juli, 
in  der  zeit  der  Sommerhitze,  gehalten  worden  sein.  —  Die  andere  dieser  beiden 
predigten,  no.  11  des  ersten  bandes  (s.  157  — 169),  ist  nur  erhalten  in  der  Hei- 
delberger handschrift  nr.  24,  und  dort  überschrieben  ,,Von  dem  wagen.  Justum 
deduxit  dominus."  Unter  diesem  texte  mag  wol  geraeint  sein  Sapientiae  10,  10: 
,,Haec  (sapientia)  profugum  irae  fratris  justum  deduxit  per  vias  rectas,  et  ostendit 
illi  regnura  dei."  etc.  In  dieser  predigt  heisst  es  (s.  164):  ,,Unde  wser  ez  daz  ein 
dinc  mügelich  wsere,  daz  unser  frouwe,  min  frouwe  sante  Maria  gotes  muoter,  daz 
diu  iezuo  da  üf  der  schoenen  wisen  wsere  und  alle  die  heiligen  und  alle  die  engele 
die  ie  wurden,  ob  daz  mügelich  waere  daz  sie  da  die  witen  haeten"  usw.  Darnach 
scheint  diese  predigt  zu  sommerlicher  zeit  gehalten  worden  zu  sein ,  auf  oder  neben 
einer  schönen  wiese,  und  mithin  könte  sie  möglicherweise  diejenige  sein,  welche 
der  predigt  von  den  fünf  pfunden  am  16.  juli  vorangegangen  ist. 


zu    DEN    IIALBERSTADTER    PBEDIGTEN  185 

H.  131,  7  =  S.  30,  18.  und  wil  den  iiiauen  ganz  machen 

H.  131,  10  =  S.  30,  22.  Pfi  roiiber,  waz  lihoi  ir  disen  (armen  D) 
gotes  kinderu ,  diu  hie  sitzend  vor  minen  ougcn !  (diu  —  ougen  fehlt  D). 

H.  131,  13  =  30,  25.  und  daz  reht  diu  stauge  nider  bresten 
möhte. 

H.  131,  18  :==  S.  30,  31.  „So  geturreu  wir  vor  unseru  wirten  uiht 
anders  geben  wan  unser  gewant."  Vil  wunderlichen  balde  hin  (hin 
fehlt  D),  gebeut  cz  uml)0  pfenuinc;  wan  des  ir  ze  rehter  not  bedürfet, 
so  gebent  daz  ander  hin  umbe  pfenninc,  und  lihent  armen  liuten  durch 
got  (so  gebeut  —  durch  got  fehlt  D).  Ja  helfent  einen  etew^enne  sehs 
pfeuninc  also  wol,  der  sie  im  lihet,  als  der  sie  im  umbe  sust  gsahe. 

H.  131,  24  =  S.  30,  38.  werbent  also  umbe  gotes  hulde 

H.  131,  25  =  S.  31,  1.  Daz  fünfte  pfunt,  da  wir  gote  von  wider 
reiten  müezeu  an  dem  jungesten  tage,  daz  ist  von  unserm  eben- 
kristen. 

H.  132,  16  =  S.  31,  21.  Nu  seht,  daz  ist  also:  diu  ebenkristen 
der  dir  niht  entuot,  dem  soltü  weder  nit  noch  haz  tragen  durch  got, 
und  dem  der  dir  leit  hat  getan ,  daz  du  den  in  got  liep  habest ,  also 
daz  du  in  niemer  also  liep  habest  daz  du  iemer  me  toetliche  sünde 
tuest  durch  sinen  willen. 

H.  132,  23  =  S.  31,  29.  wan  daz  ist  (allez  D)  unrehtiu  liebe. 

H.  133,  1  =  S.  31,  38.  und  seht  alle  tage  an  hende  und  an  füeze 

H.  133,  10  ^  S.  32,  y.  du  enwoltest  danne  gelten  und  wider 
geben. 

H.  133,  14  =  S.  32,  14.  zem  ersten  male  an  iuwerm  libe  und 
an  iuwerm  amte  und  au  iuwerem  guote  und  an  iuwer  zit  (und  a.  i.  zit 
fehlt  D)  und  an  iuwerem  ebenkristen 

H.  133,  24  ^=  S.  32,  25.  als  da  ein  vogel  (ein  engel  D)  fliuget 
in  den  lüften 

Das  dritte  Halberstädter  stück,  die  predigt  von  den  vier  vasen 
der  himelvürsten  (oben  S.  134  fgg.)  findet  sich  gleichlals  in  dem  Strobl- 
schen  bände,  jedoch  nicht  unter  den  predigten  Bertholds,  sondern  als 
nr.  II  des  anhanges  C  (s.  692  —  694).  Die  beiden  stücke  dieses  anhan- 
ges  hat  Strobl  (nach  seiner  augabe  auf  s.  XIV)  aus  der  Müncheuer 
handschrift  cod.  Emm.  ur.  5  (E)  entnommen ,  welche  auch  die  sechs 
predigten  nr.  66  —  71  dieses  bandes  enthält,  die  Strobl  als  klosterpre- 
digten bezeichnet  uud  au  den  schluss  der  Bertholdschen  predigten 
gestelt  hat. 

Die  vergleichung  beider  texte  zeigt,  dass  der  Halberstädter  text 
zwar  im  algemeinen  älter    und  correcter   ist  als   der  Münchener,    dass 


186  J.    ZACHEK 

aber  andrerseits  seine  verderbten,  zweifelhaften  oder  bedenklichen  stel- 
len doch  auch  widerum  durch  den  Münchener  heilung  oder  aufklärung 
erhalten.  Ich  lasse  deshalb  die  erheblicheren  derartigen  stellen  nach 
dem  Wortlaute  des  Münchener  textes,  wie  er  bei  Strobl  gedruckt  ist 
(S),  hier  folgen. 

H.  134,  23  =  S.  692,  28.  so  ie  hoher  lute 

H.  130,  30  =  S.  692,  34.  wan  si  sint  reht  fursten  über  si,  unde 
ist  in  doch  allen  gar  wol.  Unde  war  elliu  werltlichiu  froude,  die  alle 
chunige  unde  alle  cheiser  unde  alle  menschen  ie  gewunnen,  bei  einan- 
der, daz  war  niht  als  ein  punht  wider  die  freude,  die  ein  geistleich 
mensch  hat  in  dirre  werlt,  der  rehteu  geistlichen  trost  hat. 

H.  135,  3  =  S.  693,  5.  Unde  die  freude  alle,  die  alle  gut  lut 
unde  die  nider  engel  habent,  daz  ist  als  ein  tropfe  wider  die  freude, 
die  die  hohsten  hiligen  habent 

H.  135,  9  =  S.  693,  11.  Unser  herre  het  vierlay  volch  in  der 
alten  e. 

H,  135,  15  =  S.  693,  16.  se  hutent  sich  halt  vor  tseglichen 
Sunden. 

H.  135,  25  =  S.  693,  25.    dester  e 

H.  136,  2  =  S.  693,  30.  so  werdent  die  ünden  oben  hin  in 
slahen. 

H.  136,  17  =  S.  693,  43.  unde  ergebent  sich  im  doch  niht  gar. 
Sie  habent  etlich  heimlich  mit  got. 

H.  136,  20  =  S.  693,  46.  Anni  nostri  etc.  (Demnach  scheint 
gemeint  zu  sein  Ps.  89,  9.  Quoniam  omnes  dies  nostri  defecerunt,  et 
in  ira  tua  defecinms,  anni  nostri  sie  ut  aranea  meditabuntur.) 

H.  136,  23  =  S.  694,  1.  So  sis  daune  gevahet,  so  izzet  si  weder 
houpt,  noch  fuoz,  noch  niht,  des  an  dir  (1.  ir)  ist,  niwan  ein  feizt  hat 
si  under  herzen,  daz  souget  si  ir  uz  so  ist  si  tot.  Also  tuot  der  tie- 
vel.  Alle  die  striche,  die  er  vns  gelegen  mach,  daz  ist  niwan  darumb, 
daz  er  uns  dri  fron  veizt  von  dem  hertzen  nem. 

H.  136,  29  ;=  S.  694,  7.  wi  er  wol  uns  hab  angesiget  unde  lat 
uns  denne  wol  uzzer  arbeit  tuen,  des  aht  er  niht  vil,  swenne  wir  ez 
von  gantzer  minue  niht  tuon.  Wan  swaz  wir  denne  anders  tuon  daz 
ist  chranch. 

H.  136,  33  =  S.  694,   10.    unde  gar  vil  gebetent 

H.  136,  34  =  S.  694,  11.    gnaden  git 

H.  137,  1  =  S.  694,  12.    untz  si  gevahent  den  grünt 

H.  137,  2  ^=  S.  694,  13.  daz  si  sich  aller  menschen  böst  habent, 
wan  got  sprach 

H.  137,  3  =  S.  694,  14.    so  sitz 


zu   DEN   HALBKRSTÄDTER   PREDIGTEN  187 

H.  137,  6  :=:  S.  694,  17.  der  liet  sich  an  der  iimgesten  stat.  Do 
ez  sineiu  briuler  einem 

H.  137,  9  :=  S.  G94,  19.    daz  ich  ez  nie  meusclien 

H.  137,  10  ^=  S.  694,  20.  Dar  nach  traget  er  in  sant  Francis- 
sen ,  für  wen  er  sich  het. 

H.  137,  15  =  S.  694,  24.    genad  getan 

Dem  vierten  Halberstädter  stücke  (oben  s.  137)  endlich  ent- 
spricht die  GS.  Bertlioldische  predigt  (s.  265  fg.),  oder  die  dritte 
derjenigen  sechs  predigten,  welche  Strobl  als  Idosterpredigten  bezeich- 
net und  an  das  ende  der  samlung  gestelt  hat.  Aus  dem  Inhalte  dieser 
predigten  und  aus  einzelnen  in  ibnen  vorkommenden  äusserungen 
schliesst  Strobl  (s.  XIII) ,  dass  sie  in  der  klosterkirche  eines  frauenklo- 
sters  der  Franziskaner  gehalten  worden  seien.  Die  dritte  predigt  hat 
Strobl  entnommen  aus  einer  Wiener  handschrift  nr.  2829  (W.) ,  und 
aus  zwei  Münchener  handschriften,  aus  Cod.  Emm.  m.  5  (E)  und  aus 
Cgm.  210  (e). 

Ich  lasse  widerum  diejenigen  stellen  des  Stroblschen  textes  fol- 
gen, welche  für  den  Halberstädter  (der  am  nächsten  zu  E  stimt)  eine 
bedeutsamkeit  haben. 

H.  137,  28  =  S.  265,  3.    grozer  arbeit 

H.  137,  29  =  S.  265,  4.    der  sich  nider  \xt  in  sinem  hüse 

H.  137,  30  =  S.  265,  5.  daz  er  künic  werde,  und  dar  nach  so 
zert  er  ouch. 

H.  137,  31  =  S.  265,  6.    der  selben  einen 

H.  137,  33  =  S.  265,  8.  er  ist  aber  als  kreftic  noch  nicht,  noch 
als  menlich,  daz  si  diu  werc  volbringen  mügent.  Von  den  so  sprichet 
der  wissage 

H.  138,  2  =  S.  265,  11.    daz  si  si 

H.  128,  4  =  S.  265,  13.  Si  gedenkent  in  dicke,  wie  lange  wilt 
du  ein  leckerinne  sin,  nim  dich  an  (ein  lacherinne  sein  und  ein  chla- 
ferinne  E). 

H.  138,  7  ^=  S.  265,  16.  gedenkent  si  in  ofte  —  und  schiebent  ez 
doch  üf 

H.  138,  11  =  S.  265,  21.  daz  ist  hiute,  diu  zil  daz  ist  morgen, 
daz  ist  aber  so  guot  niht. 

H.  138,  14  ^=  S.  265,  22.  daz  sint  die,  die  diu  guoten  werc 
volbringent,  si  tuont  si  aber  niur  durch  üppige  ere.  Als  diu  meister- 
schaft  hinz  derselben  einem  spreche  „tuo  daz"  „ich  mac  iuz  niht  (sin 
niht  E)   getuon,"    „nü  sich,    nü  kumt  nieman   rehter  dar  zuo,   danuQ 


188  J.    ZACHER,    ZU   DEN   HALBERSTÄDTER   PREDIGTEN 

du"  (so  spricht  div  maisterschaft  ez  chuint  uieman  als  recht  darzuo 
danne  tu.  E). 

H.  138,  19  =  S.  266,  2.  Die  geistlicheu  liute,  die  da  hoch  vor 
gote  sint,  daz  sint  die,  die  diu  dri  dinc  behaltent 

H.  138,  21  ::=  S.  266,  5.    daz  der  mensche  versmaehe 

H.  138,  22  =  S.  266,  5.  daz  er  läze  daz  guotelach,  daz  geluste- 
lach.  (daz  er  hazze  daz  got  hazze  daz  glustlichen  (glustleich  sei  W) 
EW). 

H.  138,  29  =  S.  266,  13.    M  seht 

H.  138,  31  =  S.  266,  15.  du  solt  gedultic  sin  gen  gote,  swenne 
er  über  dich  verhenget  siechtuomes  betrüebesal  (du  solt  —  gote  fehlt; 
swenne  got  üb.  d,  v.  sichtum  unde  trubsal.  E). 

H.  138,  32  =  S.  266,  17.    swenne  er  dich  bekort 

H.  139,  5  =  S.  266,  22.    ich  wil  dir  ein  jär 

H.  139,  8  =  S.  266,  26.    Daz  dritte  (ist  fehlt). 

H.  139,  9  =  S.  266,  27.  Din  sele  muoz  immer  etewaz  minnen 
(din  —  minnen  fehlt  E),  wan  si  nach  der  oberisten  minne  geschaf- 
fen ist. 

H.  139,  12  =  S.  266,  31.  so  verziunet  (verrunt  E)  man  alle 
die  wege 

S.  139,  17  =  S.  266,  35.  La3st  du  dine  minne  sich  niendernt 
neigen  üf  irdischiu  dinc 

S.  139,  19  =  S.  266,  37.    einer  also  ist  (also  fehlt  Ee) 

S.  139,  21  =  S.  266,  39.  die  got  liep  habent.  (die  doch  got  alle 
liep  sint.  E). 

Aus  dieser  jezt  erst  möglich  gewordenen  vergleichung  der  Hal- 
berstädter bruchstücke  mit  dem  zweiten  bände  von  Bertholds  predig- 
ten ergibt  sich  die  folgerung,  dass  jene  bruchstücke  aus  einem  hand- 
schriftenbande  stammen  mögen,  der  wahrscheinlich  für  ein  norddeut- 
sches Franziskaner  frauenkloster  geschrieben  worden  war,  und  eine 
samlung  von  predigten  Bruder  Bertholds  enthielt  in  der  kürzeren 
fassung,  wie  alle  handschriften  ausser  der  Heidelberger  nr.  24  sie  dar- 
zubieten scheinen.  Und  ferner  hat  sich  dadurch  auch  herausgestelt, 
dass  der  text  der  Halberstädter  bruchstücke ,  wenngleich  mit  zahlreichen 
und  zum  teil  auch  üblen  Schreibfehlern  behaftet,  dennoch  im  gan- 
zen wertvoll  ist  und  der  ursprünglichen  aufzeicbnung  noch  ziemlich 
nahe  steht. 

HALLE,  JUNI  1880.  J.  ZACHER. 


189 

MACER  FLOEIDUS 
UND  DTE  ENTSTEHUNG  DER  DEUTSCHEN  BOTANIK. 

Maeer  Floridiis  ist  die  je/,i  übliche  beneimiing  eiiios  2269  reim- 
lose hexameter  befassenden  lateinischen  werkes,  welches  in  77  kapiteln 
die  heilkräftc  von  ebenso  vielen  pflanzen  behandelt.  Nach  seinem  ersten 
verse  zn  schliessen ,  welcher  lantet 

Herbarum  quasdam  dicturus  carmine  vires 
scheint  des  werkes  eigentlicher  und  ursprünglicher  titel  gelautet  zu 
haben:  De  viribus  herbarum,  oder  auch,  nach  einer  damals  üblichen 
ausdrucksweise .  De  uaturis  herbai'um.  Wo  und  wann  der  nebentitel 
Macer  Floridus  zuerst  vorkomme,  ob  er  schon  vom  Verfasser  selbst 
ausgegangen,  oder  aber  von  einem  anderen  hinzugefügt  sei,  ist  nicht 
festgestelt.  Ernst  Meyer  vermutet, ^  er  solle  „etwa  so  viel  bedeuten 
wie  Aemilius  Macer  redivivus,  ein  neuer,  neu  aufblühender  Macer," 
also  gleichsam  eine  nachahmung  oder  ergänzung  der  medicinischen 
gedichte  des  im  jähre  15  v.  C.  verstorbenen  Aemilius  Macer,  eines 
freundes  von  Tibull,  Virgil  und  Ovid.^  Nach  den  bis  jezt  vorliegen- 
den unvolkommenen  und  ungenauen  angaben  zu  urteilen  scheint  die 
bezeichnung  Macer  am  frühesten,  schon  um  den  beginn  des  12.  Jahr- 
hunderts, aufzutauchen,  und  meistens  allein  vorzukommen,  und  die 
benennung  Floridus  scheint  erst  etwas  später,  und  almählich  immer 
häufiger  daneben  zu  treten.  Da  nun  die  bezeichnung  Floridus  im 
12.  Jahrhunderte  als  büchertitel  begegnet  für  eine  excerptensamlung, 
mithin  ungefähr  in  der  bedeutung  blumengarten  oder  blumeniese,  =^ 
dürfte  wol  auch  eine  andere  deutuug  der  beiden  benennungen  zulässig 
erscheinen.  Unter  der  bezeichnung  Macer  könte  gemeint  sein,  dass 
das  gedieht  seinem  inhalte  und  zwecke  nach  sich  den  medicinischen 
gedichten  des  Augusteischen  Aemilius  Macer  anreihe  oder  vergleiche, 
und  durch  die  benennung  Floridus  könte  angedeutet  sein,   dass  es  sei- 

1)  Geschichte  der  Botanik.     Königsberg  1856.  3,  429. 

2)  Von  seinen  hexametrischen  lehrgedichten  nach  Nikander,  Ornithogonia, 
Theriaca,  und  wahrscheinlich  auch  einem  botanischen,  de  herbis,  sind  zwar  nur 
ver.streute  kleine  bruchstücke  erhalten,  aber  des  dichters  namen  und  den  gegen- 
ständ seiner  gedichte  konte  man  im  mittelalter  wol  kennen  aus  der  angäbe  bei 
Ovid,  Trist.  4,  10,  43: 

Saepe  suas  volucres  legit  mihi  grandior  aevo 
Quaeque  necet  serpen.s,  quae  luvet  herba,  Macer. 
Vgl.  Teutfel ,  gesch.  d.  röm.  lit.  3.  a.    Lpzg.  1875.  §  223.  s.  454  fg. 

3)  Ein  bekantes  älteres  beispiel  ähnlichen  titeis  sind  die  Florida  Apuleji ,  eine 
excerptensamlung  aus  den  Schriften  oder  vortragen  des  Apulejus  Madaurensis.  Vgl. 
Teuffei,  gesch.  d.  röm.  lit.  3a.  §367,  2  s.  857. 


190  J.    ZACHER 

nem  Charakter  nach  eine  samlung  oder  ein  auszug  des  besten  ans  den 
vorzüglichsten  und  angesehensten  werken  der  berühmtesten  meister  der 
arzneimittellehre  sei.  Und  es  ist  ja  in  der  tat  auch  ein  blosses  Sam- 
melwerk, geschöpft  zumeist  aus  Schriften,  die  damals  höchste  und 
algemeinste  geltuug  genossen,  aus  lateinischen  bearbeitungeu  des  Dios- 
korides ,  Galen ,  Oribasius ,  aus  Plinius  und  aus  einigen  anderen  gewährs- 
männern  von  damals  unbestrittener  glaubwürdigkeit. 

Wann,  wo  und  von  wem  dieser  Macer  Floridus  verfasst  worden 
ist,  hat  sich  noch  nicht  mit  voller  gewisheit  ermitteln  und  feststellen 
lassen.  Es  wird  darin  genant  der  im  jähre  849  gestorbene  Walafrid 
Strabus,  das  buch  selbst  aber  wird  mit  dem  verfassernamen  Macer 
erwähnt  von  dem  im  jähre  1112  gestorbenen  Sigebertus  Gemblacensis 
in  seinem  büchlein  von  den  kirchlichen  Schriftstellern.^  Zwischen  diese 
beiden  endpuukte  muss  mithin  seine  abfassung  fallen.  Der  Verfasser 
prunkt  mit  anführung  von  gewährsmännern ;  er  nent  als  solche  über 
zwanzig  griechische  und  lateinische  Schriftsteller,  aber  keinen  arabi- 
schen, auch  nicht  Constautinus  Africanus,  und  keinen  Salernitaner. 
Auf  diese  und  andere  merkmale  gestüzt  hat  E.  Meyer  ^  vermutet ,  dass 
das  werk  von  einem  laien  in  Unteritalien  gegen  ende  des  9.  Jahrhun- 
derts ,  kurz  vor  den  anfangen  der  Salernitanischen  schule  verfasst  wor- 
den sei.  Valentin  Rose  dagegen^  sezt  seine  entstehung  ins  11.  Jahr- 
hundert, und  lässt  als  seinen  Verfasser  einen  Odo  Magdunensis  (von 
Meun-sur- Loire)  gelten,  einen  französischen  laien,*  der  in  einigen 
alten  handschriften  als  solcher  genant  werde.  Nach  dem  eindrucke, 
den  das  gedieht  selbst  auf  ihn  gemacht  hat,  wäre  er  sogar  geneigt, 
es  lieber  mit  de  Renzi  ^  erst  ins  12.  Jahrhundert  zu  setzen.  Häser  ^ 
stimt  der  ausführung  Roses  bei,  und  sezt  die  abfassung  in  den  anfang 
des  12.  Jahrhunderts. 

Der  Macer  Floridus  hat  alsbald  sehr  grossen  und  bis  über  das 
mittelalter  hinaus  andauernden  beifall  und  weite  Verbreitung  gefunden. 

1)  De  scriptoribus  ecclesiasticis  c.  13:  „Macer  scripsit  metrico  stilo  librum 
de  viribus  herbarum."     Nach  E.  Meyer,  gescb.  d.  botan.  3,  432. 

2)  Gesch.  d.  botan.  3 ,  431, 

3)  Im  Hermes,  herausg.  von  E.  Hübner.    Berlin  1874.  8,  63. 

4)  Ein  laie  braucht  es  freilich  nicht  gewesen  zu  sein ;  denn  der  von  Meyer 
angegebene  grand  für  den  italienischen  laien  fält  für  den  Franzosen  weg,  und  der 
Lapidarius  des  Marbod  (ein  gedieht  verwantcn  Charakters,  über  die  heilkräfte  der 
edelsteine)  ist  so  wenig  geistlich,  dass  die  Benedictiuer  sich  veranlasst  gesehen 
haben  in  der  Histoire  litterairo  de  la  France  den  geistlichen  herren  wegen  abfas- 
sung eines  so  ungeistlichen  gedichtes  zu  entschuldigen. 

5)  Collectio  Salernitana.     Napoli  1852.    1,  213. 

6)  Lehrbuch  der  geschichte  der  medicin,     3.  bearb.     Jena  1875.    1,  638. 


MACER    UND    DIE    DEUTSCHE    BOTANIK  191 

Über  hundert  seiner  hoxameter  sind  bereits  aufgenommen  worden  in 
das  berühmte  und  alverbreitete  Kegimen  sanitatis  Salernitanum ,  wel- 
ches zu  anfange  des  12.  Jahrhunderts  entstanden  zu  sein  scheint,  und 
noch  Theophrastus  Paracelsus  (f  1541)  hat  einen  commeiitar  zu  seinen 
ersten  37  capiteln  verfasst. ^  Handschriften  des  lateinischen  Werkes 
sind  vom  12.  Jahrhunderte  ab  zahlreich  vorhanden;  gedruckt  ward  es 
zuerst  zu  Neapel  1477,  und  seitdem  ward  es  noch  über  zwanzigmal 
herausgegeben,  zulezt  und  am  besten  durch  Ludw.  Choulant,^  mit  rei- 
chem kritischem  apparate  und  wertvollen  beigaben. 

Eine  dänische  bearbeitung  verfasste  der  im  jähre  1244  verstor- 
bene canonicus  des  stiftes  Koeskilde,  Henrik  Harpestreng.^ 

Auch  ins  deutsche  ist  Macer  bereits  im  13.  Jahrhundert  übersezt 
worden,  und  darnach,  wie  es  scheint,  nochmals  im  14.  Jahrhunderte. 
Auf  diese  deutschen  bearbeitungen  und  ihren  wert  nachdrücklich  und 
kundig  aufmerksam  gemacht  zu  haben  ist  das  verdienst  von  Josef 
Haupt.  ^  Zunächst  auf  Wiener  handschriften  gestüzt  unterscheidet 
Haupt  zwei  textgestaltuugen ,  beide  in  mitteldeutscher  spräche,  die  er 
für  zwei  verschiedene  Übersetzungen  hält,  die  eine  aus  dem  dreizehn- 
ten, die  andere  aus  dem  vierzehnten  Jahrhunderte.  Verbunden  mit 
einer  aufzählung  und  besprechung  der  Wiener  handschriften  teilt  er 
auch  kurze  proben  aus  beiden  gestaltungen  mit  zur  veranschaulichung 
und  vergleichuug. 

Weil  der  deutsche  Macer  noch  ungedruckt  und  noch  so  gar  wenig 
bekant  und  beachtet  ist,  wird  es  nicht  überflüssig  sein,  im  anschlusse 
an  Haupts  abhandlung  die  handschriften  aufzuzählen ,  so  weit  ich  bis 
jezt  von  ihnen  kentnis  erlangt  habe. 

1)  Wien.  Nr.  2524.  Octav.  Pergament.  13.  jahrh.  Enthält 
bl.  SB"" — 41''  die  ältere  gestalt.  Voran  geht  eine  vorrede,  deren  anfang 
lautet:  „Tucipit  liber  de  naturis  herbarum.  —  Swer  der  wrce  nätüre 
unde  ir  craft  irkenne  wil  Der  muz  wizen  waz  die  arcetbuch  sprechen 
von  uirhande  nätüren.  Di  erste  ist  warm  Di  andere  kalt  Di  dirte 
fücht   Di  virde  trocken.     Di    arcetbuch   segen   uns   von   uir  greten  der 

1)  Paracelsus,  Bücher  und  Schriften,  herausg.  von  J.  Huser.  Basel  1589  fgg. 
4«.  1,  1070  —  88.     Vgl.  Macer  ed.  Choiilant  s.  4.     Häser  1,  639. 

2)  Macer  Floridus  de  viribus  herbarum  .  .  recens.  Lud.  Choulant.    Lips.  1832. 

3)  Henrik  Harijestrengs  danske  Laegebog  fra  det  trettende  Aarhundrede,  udg. 
ef  Christ.  Molbech.  Kiobh.  1826.  8«,  in  220  exemplaren  gedruckt.  —  Vgl.  Chou- 
lant, histor.  litterar.  Jahrbuch  f.  d.  deutsche  raedicin.  2.  jahrg.  1839.  s.  125  fgg. — 
Me)'er,  gesch.  d.  bot.  3,  537  fgg. 

4)  Über  das  mitteldeutsche  arzneibuch  des  meisters  Bartholomaeus.  Wien 
1872.  (Aus:  Sitzungsber.  d.  phil.  hist.  cl.  der  kais.  akad.  d.  wiss.  1872.  bd.  71. 
s.  451  -  566.) 


192  J.   ZACHER 

nätüre.  Der  erste  grät  der  ist  so  man  sprichet  warm  Der  andere  wer- 
mer  Der  dirte  aller  wermest.  Der  virde  grät  ist  so  mau  sprichet  wer- 
Dier  den  aller  wermest.  usw.  ~  Von  einer  entsprechendeu  vorrede  des 
lateiuischen  texles  findet  sich  in  Choulauts  ausgäbe  keine  spur.  Sie 
scheint  demnach  von  dem  deutschen  bearbeiter  hinzugefügt  zu  sein,  als 
vorausgesante  erkläruug  der  bei  den  einzelnen  pflanzen  stets  widerkeh- 
renden derartigen  angaben.  • —  Dahinter  folgt  dann  der  eigenthche 
text,  anhebend  mit  1.  von  dem  biboze  (artemisia),  aber  schou  abl)re- 
chend  mit  20.  von  der  salbeien  (salvia). 

2)  Wien.  Nr.  5305.  Papier.  XV.  jahrh.  Enthält  bl.  317"— 334* 
den  volständigeu  text  der  älteren  gestalt,  wovon  jedoch  das  erste  blatt 
verloren  ist,  welches  die  vorrede  und  den  anfang  von  biboz  enthielt, 
und  dann  noch  ein  l)latt  zwischen  326  und  327.^  Die  zahl  der  kräu- 
ter  beträgt  90,  und  schliesst  mit  90  cerui  boletus  hirz  swam. 

3)  Rom.  Vaticana.  Nr.  4847.  Quart.  Papier.  15.  jahrh.,  beschrie- 
ben im  Anzeiger  für  Kunde  der  deutschen  Vorzeit.  Neue  folge.  2.  jahrg. 
1854.  Juli.  nr.  7.  sp.  184  — 186,  aber  hier  nicht  als  Macer  erkaut, 
und  auch  nicht  von  Haupt  genant.  Diese  handschrift  ist  uuverkenbar 
ein  gegenstück  zu  der  Wiener  nr.  5305.  Sie  enthält  (bl.  244'),  mit 
unerheblichen,  meist  erweiternden  abweichungeu ,  dieselbe  vorrede  wie 
die  Wiener  handschr.  uo.  2524:  „Wer  der  wurtz  nature  vn  ir  kraft 
erkennen  wil  der  muz  wizzen  dz  die  artz  pücher  sprecheut  von  vier 
haut  natur  die  erst  ist  warm  die  ander  kalt,  usw.,"  begint  dann  mit: 
„1.  Arthimesia  haizt  biboz"  und  schliesst  (bl.  225 '')  mit:  „90.  Cerui- 
boletus  hirzsv^amm."  Die  vorede ,  der  anfang  des  ersten ,  und  das 
lezte  kapitel  sind  im  „Anzeiger"  (a.  a.  o.)  abgediiickt. 

4)  Wien.  Nr.  2977.  Papier.  XIV.  jahrh.  Enthält  bl.  147*^  —  171'^ 
die  ältere  textgestalt,  aber  unvolständig  und  in  gestörter  Ordnung,  nur 
die  vorrede  und  32  pflanzen. 

5)  Wien.  Nr.  14545.  Papier.  XV.  jähr.  Enthält  bl.  13"  — 20^ 
nur  einen  auszug  aus  der  älteren  textgestalt,  in  derselben  kapitelfolge 
wie  nr.  2  (=  Wien.  5305). 

6)  Wien.  Nr.  2962.  Papier;  wahrscheinlich  XV.  jahrh.  Enthält, 
nach   Haupts  angäbe  (s.  86)    auf  bl.  60''- 85"',    „die   zweite   deutsche 

1)  In  dieser  handschrift  finden  sich,  nach  Haupts  angäbe  (s.  47)  folgende 
beachtenswerte  eiuzeiehimngen.  Auf  bl.  317,  von  einer  band  des  15.  jahrh.:  ,, Macer 
de  virtutibus  herbarura  theutonice  .  .  .  erifordie  a  Nycolao  venditore  libroruni  circa 
gradus  beato  niarie  virginis  1460."  und  :  ,,In  hac  eciam  liberaria  parua  contiuetur 
et  habetur  eciam  Macer  metricc  Raymundus  uietrice  et  alia  in  vno  paruo  volumine 
et  pergaraenio."  und  bl.  381 :  ,,  Iste  über  pcrtinet  Gerhardo  In  Curia  de  Elderka  Reni 
coloniefi.  dyocesis  et  dominii  quem  Emit  Erffordie  Anno  1479." 


MACER    UND    DIE    DEUTSCHE    BOTANIK  193 

bearbeitiing ,"  aber  unvolständig,  in  gestörter  Ordnung  untermengt  mit 
anderen  lateinischen  stücken ,  und  nachlässig  geschrieben ,  beschränkt 
auf  37  pfianzen, 

7)  München.  Cgm.  376.  4«.  XV.  jahrh.  bl.  114  —  170:  „Macer 
de  viribus  herbarum,  deutsch." 

8)  München.  Cgm.  133.  4».  XV.  jh.  bl.  1  —  102:  „Macerde 
viribus  herbarum,  deutsch." 

9)  München.  Cgm.  722.  4».  XV.  jh.  bl.  79  —  131 :  „Macerde 
viribus  herbarum ,  deutsch."  ^ 

10)  Frankfurt  am  Main.  „Macer  de  herbis,  germanice.  12". 
...  in  plagula  279  legitur:  anno  1394  die  12.  mensis  Nouembris." 
Erwähnt,  ohne  angäbe  des  aufbewahrungsortes  und  der  Signatur,  und 
ohne  genauere  beschreibung,  von  L.  Diefenbach  in  seinem  Glossarium 
latino-germanicum.  Francof.  a.  M.  1857.  s.  XIII.  unter  nr.  4.  —  Der 
auf  s.  115''  daraus  entnommene  pflanzenname  „ Ceruiboletus ,  hyrsis- 
swam"  stimt  zu  nr.  31  unserer  bruchstücke  =  nr.  90  sowol  der  Wiener 
haiidschr.  nr.  5305  wie  auch  der  Vaticanischen.  Darnach  lässt  sich  ver- 
muten ,  dass  diese  Frankfurter  handschrift  die  ältere  textgestalt  enthält. 

11)  Breslau.  Eliedigersche  Bibliothek  (jezt  mit  der  Stadtbibliothek 
vereinigt)  „XXXII.  germ.  lib.  IX."  ^  Pergament.  XIV.  jahrh.,  152  zwei- 
spaltig geschriebene  bl.  in  folio.  —  Auf  diese  sehr  reichhaltige  und 
wichtige  handschrift  hat  zuerst  Hoffmann  von  Fallersleben  aufmerksam 
gemacht  in  seinen  Fundgruben  für  geschichte  deutscher  spräche  und 
litteratur.  Breslau  1830.  1,  317  —  327,  ihren  Inhalt  ganz  kurz  ange- 
geben und  einige  proben  daraus  mitgeteilt  Dann  hat  Jos.  Haupt  in 
seiner  vorerwähnten  abhandlung  ihren  hauptsächlichsten  und  wichtig- 
sten Inhalt  kundiger  und  genauer  bestimt  und  seine  bedeutung  klarer 
dargetan.  —  Sie  enthält  bl.  1 — 93  nach  Haupt:  „ein  grosses  metho- 
disches werk"  (in  deutscher  spräche),  „welches  in  seinen  vier  büchern 
den  kreis  der  medicinischen  Wissenschaften ,  wie  er  im  mittelalter 
umschrieben  war,  volständig  erschöpft."  Dies  methodische  werk  war 
zusammengestelt    „nicht    nur    aus    den    griecliischen    und    lateinischen 

1)  Die  angaben  über  7  —  9  sind  entnommen  aus  dem  cataloge  ,,Die  deut- 
schen Handschriften  der  K.  Hof-  und  Staatsbild.  zu  München  nach  J.  A.  Schniel- 
lers  kurzem  Verzeichnis.     München  1866. 

2)  Diese  von  Hoffmann  nicht  angegebene  Signatur  entnehme  ich  aus:  Heu- 
schel,  Synopsis  chronologica  scriptorum  medii  aevi  medicorum  ac  ph^ysicorum  quae 
codicibus  bibliothecarum  Vratislavieusium  continentur.  Vratisl.  1847.  A".  (Jubel- 
programm für  Remer.)  s.  ll''.  —  Fruchtlos  ha1)e  ich  mich  bemüht  einen  anderen 
catalog  Henschels  zu  erlangen :  Catalogus  codicuni  medii  aevi  medicorum  ac  physi- 
corum  qui  manuscripti  in  bibliothecis  Vratislaviensibus  asservantur.  Particula  I. 
Vratislaviae  1847.  ap.  Ed.  Trewendt,  in  commissi» . 

ZKITSCHR.    F.    DEUTSCHF.    PHILOLOGIE.      I!D.    XII.  13 


194  J.  ZACHER 

autoren  des  altertums,  sondern  auch,  und  zwar  überwiegend,  aus  den 
arabischen  Schriftstellern ,  wie  Averroes ,  Mesue  u.  dgl. ,  neben  denen 
dann  vorzüglich  Platearius  und  Nicolaus  Praepositus  die  hauptquellen 
sind.  Aus  dem  lezteren  ist  besonders  das  vierte  buch  genommen."  ^  — 
Weiter  folgt  bl.  93  — 114,  wie  es  scheint,  ein  methodischer  auszug 
aus  der  Practica  des  Bartholomaeus.^  —  Dass  der  folgende  abschnitt, 
bl.  122"  — 146''  „heilkräfte  verschiedener  kräuter"  mit  „Aemilius 
Macer  übereinstimme"  hatte  schon  Hoflfmann  bemerkt,  ohne  jedoch 
näher  darauf  einzugehen.  Es  ist  eine  Übersetzung  des  Macer  Flo- 
ridus,  und  eine  sehr  charakteristische  stelle  daraus,  welche  Hoflfmann 
aufgenommen  hat  in  das  dem  ersten  bände  der  Fundgruben  angehängte 
glossar,  s.  358  s.  v.  alp:  „der  rouch  von  der  holwurtz  vertribit  den 
alp  oder  ungehüren."  stimt  genau  zu  der  entsprechenden  stelle  in 
cap.  VI.  (Aristolochia)  der  hier  gedruckten  bruchstücke.  —  Endlich 
folgen  in  dieser  Rhedigerscheu  handschrift  von  bl.  146  — 152  noch 
einige  auf  apothekerwesen  und  verschiedene  heilmittel  bezügliche 
abschnitte. 

Zu  diesen  11  handschriften  würde  eine  durchstöberung  von  cata- 
logen  und  bibliotheken  wol  noch  einen  reichlichen  Zuwachs  ergeben, 
zumal  wenn  auch  auf  solche  geachtet  würde,  in  denen  das  werk  ohne 
titel  oder  verfassernamen  erscheint,  und  deshalb  leicht  übersehen  wer- 
den kann.    Aber   schon  aus   den   wenigen   und   spärlichen  nachrichten, 

1)  Auch  die  übrigen  ihm  bekant  gewordenen  handschriften  dieses  noch  uuge- 
druckten  werkes  hat  J.  Haupt  aufgeführt  und  eingehender  besprochen.  Die  wich- 
tigsten darunter  sind  eine  Wiener  (ur.  13647.  Perg.  XV.  jh.),  und  eine  des  Chor- 
herren -  stiftes  zu  Kloster -Neuburg  (Pgm.  XII.  jh.  137  bll.).  Von  dieser  lezteren 
hatte  Diemer  abschrift  genommen,  und  diese  abschrift  ist  als  ,,Diemers  arz- 
neibuch"  im  mhd.  wörterbuche  von  Müller  und  Zarncke  (2,  1,  III)  und  im  mhd. 
handwörterbuche  von  Lexer  (1,  XV)  unter  den  benuzten  quellen  aufgeführt. 

2)  Bartholomaeus  gehört  zu  den  „bemerkenswertesten  Salernitanern  der 
zweiten  hälfte  des  11.  Jahrhunderts."  Sein  hauptwerk  ist  betitelt:  Introductiones  et 
experimenta  in  practicam  Hippocratis,  Galieni,  Constantini,  graecorum  medicorum, 
und  ist  als  „Bartholomaei  Salernitani  Practica"  nach  einer  handschrift  der  Marcus- 
bibliothek in  Venedig  gedruckt  in  de  Eenzis  Collectio  Salernitana  4,  321  —  408. 
Diese  Practica  ward  schon  im  13.  jahrh.  in  das  Hochdeutsche,  Niederdeutsche  und 
Dänische  übertragen.  Häser  kent  bereits  elf  hochdeutsche  handschriften.  Gewöhn- 
lich aber  bildet  für  die  mittelalterlichen  deutschen  arzneibücher  die  Practica  des 
Bartholomaeus  ,,nur  den  grundstock,  neben  welchem  noch  andere  quellen  benuzt 
sind."  —  Häser,  gesch.  der  med.  1,  663  fgg.  Jos.  Haupt,  über  das  mitteldeutsche 
arzneibuch  des  meisters  Bartholomaeus.  Wien  1872,  worin  s.  69  fgg.  16  handschriften 
und  bruchstücke  aufgezählt  werden,  und  ferner  erwiesen  wird,  wie  wenig  die  aus- 
gäbe von  Pz.  Pfeiffer  genügen  kann,  welche  den  titel  führt:  Zwei  deutsche  arznei- 
bücher aus  dem  12.  und  13.  jahrlmndert.  Wien  1863  (=  Sitzungsberichte  usw. 
bd.  42.). 


MACER   UND   DIE  DEUTSCHE    BOTANIK  195 

welche  über  die  11  hier  aufgezählten  handschriften  vorlagen,  hat  sich 
mit  hoher  Wahrscheinlichkeit  der  scliluss  gewinnen  lassen,  dass  die 
hier  abgedruckten  bruchstücke  zur  ältesten  deutschen  Übersetzung 
des  Macer  gehören.^  —  In  der  reihenfolge  der  capitel  zeigen,  nach 
Choulants  angäbe ,  schon  die  lateinischen  handschriften  mancherlei  Ver- 
schiedenheiten; die  deutschen  scheinen  hierin  noch  stärker  untereinan- 
der abzuweichen.  In  unseren  bruchstüchen  ist  die  capitelfolge  in  eine 
ungefähre  alphabetische  Ordnung  umgesezt. 

Mac  er  Floridus  ist  nicht  eine  in  der  litteratur  vereinzelt  und 
vereinsamt  dastehende  erscheinung,  sondern  andere  werke  verwanten 
Charakters  und  Zweckes  sind  ihm  vorausgegangen  und  nachgefolgt. 
Deshalb  scheint  es  zweckdienlich,  wenigstens  auf  einige  der  wichtig- 
sten und  wirksamsten  unter  diesen  einen  raschen  blick  zu  werfen. 

Unter  den  dem  Macer  vorangegangenen  sind  zwei  werke  von 
unbekanten  Verfassern  hervorzuheben,  deren  eines  unter  dem  nameu 
des  Plinius,  das  andere  unter  dem  des  Apulejus  umlief. 

Das  ältere  dieser  beiden  werke,    welches  jezt   als  Ps  endo -Pli- 
nius,   oder  Medicina  Plinii,    oder  Breviarium  Plinii   bezeichnet 
wird ,   ist  wahrscheinlich  in   der   ersten  hälfte  des  vierten  Jahrhunderts 
entstanden,  und  ist  im  wesentlichen  ein  auf  die  heilwirkuugeu  von  arz- 
neipfianzen  sich  beschränkender  auszug   aus   der  Historia  Naturalis  des 
Plinius   mit   wenigen   anderswoher   entnommeneu  Zusätzen ,    verfasst  zu 
dem  in  der  vorrede  ausgesprochenen  zwecke,   reisenden  als  band-  und 
hilfsbuch  zu  dienen ,  um  diese  von  teuren  unbekanten  ärzten  unabhängig 
zu  macheu.     Deshalb  sind    alle   ausländischen,    entlegenen   und  teuren 
arzneistoffe  weggelassen  und   auch   die  frauen-  und  kinderkrankheiten 
übergangen.     Geordnet  ist  das  material  nach  den  krankheiten ,  und  zwar 
so ,  dass  das  erste  und  zweite  buch  die  mittel  gegen  die  krankheiten  der 
einzelnen  glieder,  vom  köpfe  herab  bis  zu  den  füssen  enthält,  das  dritte 
darauf  die  mittel  gegen  solche  krankheiten ,  die  nicht  auf  einzelne  glie- 
der beschränkt  sind,  als  wunden,  fieber,  hautkrankheiten,  Vergiftungen 
usw.     In  den  folgenden  Jahrhunderten  ,   besonders  im  seclisten  und  sie- 
benten, ist  dieses  werk  durch  starke  Umarbeitungen  sehr  verändert  und 
erweitert,   und  auch  noch  durch  hiuzufügung  eines  vierten  und  fünften 
buches  vermehrt  worden.     Gedruckt   sind   bis  jezt   nur   solche    spätere 
Umarbeitungen,    in    denen    der    Verfasser   Plinius  junior,    Plinius 
Secundus,   oder  Plinius  Valerianus  genant  wird.     Den  wirklichen 
richtigen  Sachverhalt  hat  Val.  Rose   aufgedeckt   und  nachgewiesen  in 

1)   Dieser  scliluss   folgt  aus  dem  unter  ur.  2.   3.   10.  11    über  hirzswani  und 
alp  =  ungehiure  angemerkten. 

13* 


196  J.    ZACHEB 

seiner  abliandluug  „Über  die  Medicina  Plinii,"    imd  an  deren  Schlüsse 
auch  eine  kritische  ausgäbe  in  aussieht  gestelt.^ 

Das  andere  werk,  früher  unter  dem  verfassernamen  A  pul  ejus 
Barbarus  oder  Apulejus  Platonicus  gehend,  jezt  gewöhnlich 
Pseudo-Apulejus  genant,  ist  wahrscheinlich  im  fünften  Jahrhunderte 
entstanden.  In  nachahmung  der  vorrede  des  Breviarium  Plinii  sagt 
der  unbekante  Verfasser,  dass  er  ZAim  frommen  seiner  mitbürger,  um 
sie  von  habsüchtigen  und  unwissenden  ärzten  unabhängig  zu  machen, 
ein  kurzes  handbuch  der  geeignetsten  arzneimittel ,  enthaltend  „herba- 
rum  vires  et  curationes  corporis,"  zu  liefern  beabsichtigt  habe.  Dies 
werk  ist  im  wesentlichen  ein  auszug  aus  Dioskorides,  und  handelt  in 
128  (bis  131)  kapiteln  von  eben  so  vielen  pflanzlichen  mittein,  in  der 
weise,  dass  stets  auf  eine  aufzählung  der  verschiedenen  benennungen 
in  mehreren  sprachen  eine  kurze  beschreibung  der  betreffenden  pflanze, 
und  darnach  eine  angäbe  ihres  verschiedenartigen  heilgebrauches  folgt. 
Für  die  grosse  und  andauernde  beliebtheit  des  Werkes  zeugen  zahlreiche 
erhaltene  handschriften ,  die  aber  sehr  stark  untereinander  abweichen. 
Meist  sind  in  ihnen  die  pflanzennameu  übel  verderbt,  die  beschreibun- 
gen  weggelassen,  und  die  angaben  des  heilgebrauches  bald  gekürzt, 
bald  erweitert  und  mannigfach  geändert.  Die  älteste  noch  ungedruckte 
textgestalt  enthält  namentlich  auch  eine  beträchtliche  anzahl  von 
besprechungsformeln  und  precationen  heidnischen  Charakters  zum  ge- 
brauche beim  einsammeln  und  bei  der  heilanwendung  der  verschiedeneu 
kräuter,  welche,  wie  sie  einerseits  an  die  griechischen  qi'C.ordi.ioL  sich 
lehnen  mögen,  so  andererseits  vielleicht  in  Umbildungen  noch  bis  auf 
die  gegenwart  fortwirken  können,  auf  die  noch  jezt  üblichen  kräuter- 
segen  und  kräuterweihen.^ 

1)  Val.  Rose,  in:  Hermes,  lisg.  v.  Hübner.  Berlin  1874.  8,  18  — G6.  Vgl. 
Meyer  2,  398  fgg.     Häser  1,  G23  fgg.     Teuffei  §  411  s.  962  fg. 

2)  Ausgaben:  Parabilium  medicamentorum  scriptores  antiqui,  Sexti  Placiti 
Papyriensis  de  medicameutis  ex  animalibus  liber,  Lucii  Apuleji  de  medicamiuibus 
berbarum  liber,  ex  rec.  et  cum  notis  Jo.  Cbr.  Gl.  Ackermann.  Norimb.  et  Altorfii 
1788.  Daneben  ist,  worauf  Meyer  aufmerksam  macht,  namentlich  wegen  des  com- 
mentares  noch  zu  benutzen :  In  hoc  opere  contenta.  Ant.  Musae  de  herba  Vetonica 
liber  1.  L.  Apulei  de  raedicaminibus  berbarum  liber  I.  Per  Gabr.  Humelbergium, 
Eavenspurgensem.  s.  1.  e.  a  (1537.  4").  —  Vgl.  Val.  Rose,  in  Hermes  8,  35  fgg. 
Meyer  2,  316.  Häsor  s.  627.  Teuffei  §367,  1^  s.  860.  —  Über  eine  alte  text- 
gestalt und  namentlich  über  die  darin  enthaltenen  besprechungsformeln  (in  einer 
Breslauer  hs.  des  IX.  jahrh. ,  univ. -bibl.  IIT.  F.  19.)  hat  in  anziehender  und  gehalt- 
voller abhandlung  (betitelt:  „Der  älteste  modinische  Codex  der  Breslauer  Univer- 
sitätsbibliothek") belehrt  Henschel  in  seiner  Zeitschrift  Janus  (Zeitschr.  f.  gesch. 
u.  litt.  d.  mediein).  Breslau  1846.  1,  639  —  684.  -  Eine  altenglische  bearbeitung 
des  Pseudo-Apulejus  ist  gedruckt  in:    Leechdoms,  Wortcunuing ,   and  Starcraft  of 


MACER   UND    DIE   DEUTSCHE   BOTANIK  197 

Bald  nach  Macer  Floridus  beginnen  die  heilmittellehren  der  ara- 
bischen und  der  salernitanischen  ärzte.  Von  diesen  hebe  ich 
drei  der  wichtigsten  und  einflussreichsten  über  einfache  arzneimittel 
heraus:  die  des  Platearius,  des  jüngeren  Serapion  und  des  Mat- 
thaeus  Sylvaticus.  Verfasst  von  ärzten  für  ärzte  sind  sie  natürlich 
viel  reichhaltiger  als  Macer ;  weil  sie  aber  grossenteils  aus  denselben 
hauptquellon  geschöpft  haben,  treffen  sie  in  ihren  angaben  sachlich 
doch  liäufig  mit  ihm  überein ,  zumal  dann ,  wenn  beide  gleicherweise 
auf  Dioskorides  zurückgehen.  Deshalb  kann  ihre  vergleichung  der  kri- 
tik  und  dem  richtigen  Verständnisse  sowol  des  lateinischen  wie  des 
deutschen  tcxtes  Macers  zu  statten  kommen.  —  Die  nachfolgenden 
angaben  gründen  sich ,  wie  natürlich ,  auf  die  forschungen  und  urteile 
der  besten  und  verlässigsten  gewährsmänner,  Meyer  und  Häser. 

Matthaeus  Platearius  war  ein  glied  der  an  berühmten  ärzten 
reichen  familie  der  Platearier  zu  Salerno.  Er  schrieb  im  elften ,  oder  zu 
anfange  des  zwölften  Jahrhunderts.  Sein  werk  De  simplici  medicina 
begint  mit  den  worten:  ..Circa  instans  negotium  de  simplicibus  medi- 
cinis  nostrum  versatur  propositum,"  und  wird  deshalb  gewöhnlich 
„Circa  instans"  genant.  Es  ist  eine  auf  griechischen  und  lateinischen 
quellen  beruhende ,  nach  den  namen  der  mittel  alphabetisch  geordnete 
heilmittellehre,  die  vom  12.  bis  in  das  16.  Jahrhundert  im  höchsten 
ansehen  stand,  und  sehr  viel  benuzt  und  ausgeschrieben  wurde.  Sie 
ist  widerholt  gedruckt  worden ,  aber  niemals  einzeln ,  sondern  stets  nur 
als  anhang  zu  anderen  werken,  zu  der  Practica  des  Johannes  Platea- 
rius, zu  der  Practica  des  älteren  Serapion  und  zum  Dispensarium  oder 
Antidotarium  magnum  magistri  Nicolai  Praepositi  ad  aromatarios,  und 
wird  deshalb  leicht  übersehen.  Ich  benutze  die  ausgäbe:  Practica  Jo. 
Serapionis  s.  1.  1525  in  klein  folio.  Darin  steht  des  Platearius  buch 
Circa  instans  auf  bl.  22.3*  — 252^.  —  Dieses  werk  des  Platearius 
beschränkt  sich  also  auf  die  Simplicia,  auf  die  einfachen  arzneimittel. 
Was  man  aber  damals,  und  durch  das  ganze  mittelalter,  unter  der 
benennung  Simplicia  verstand,  das  erklärt  Platearius  gleich  zu  anfange 
seines  werkes  kurz  und  bündig :  ,,  Simplex  autem  medicina  est ,  que 
talis  est,  qualis  a  natura  producitur,  ut  gariofilus  (gewürznelke),  nux 
muscata,  et  similia,  vel,  quae,  licet  aliquo  sit  mutata  artiticio,  non 
est  alii  medicine  commixta,  vt  tamarindi,  qui  abiectis  corticibus  artifi- 
cio  conquassantur ,    et  aloen ,   quod   ex   herbe  succo   artificiose   excocto 

Early  England.  Collected  and  edited  by  0.  Cockayne.  London  1864.  1,  1  fgg. 
(=  Rerum  Britann icarum  medii  aevi  scriptores.  35).  B.  ten  Brink  in  seiner  Ge- 
schichte der  englischen  Litteratnr  (Berlin  1877.  1,  125)  sezt  die  entstehung  dieser 
bearheitung  in  die  erste  hälfte  des  elften  Jahrhunderts. 


198  J.    ZACHER 

efficitur."  —  Solche  einfache  arzueimittel ,  Simplicia ,  waren  die  haupt- 
niittel  der  mittelalterlichen  medicin,  und  unter  ihnen  behaupteten 
widerum  die  pflanzlichen  mittel,  bis  auf  und  noch  nach  Paracelsus,  so 
sehr  den  vorrang,  dass  die  animalischen  und  mineralischen  weit  hinter 
ihnen  zurückstanden  und  nur  in  beschränktem  masse  zur  anwendung 
kamen.  Daher  verfassten  zum  behufe  der  medicinischen  praxis  die 
arabischen  und  die  salernitauischen  ärzte  widerholt  Sammelwerke  über 
diese  Simplicia,  in  denen  die  altüberlieferten  und  die  neuerlich  iiinzu- 
gekommenen  einfachen  arzueimittel  und  ihre  mannigfachen  anwendun- 
gen  mehr  oder  minder  volstäudig  aufgezählt  wurden ,  mit  natürlichem 
grossem  übergewichte  der  pflanzlichen  mittel.  Solche  Sammelwerke 
erhielten  denn  wol  auch  den  ihren  compilatorischen  Charakter  bezeich- 
nenden titel  Aggregator  oder  Pandectae. 

Des  jüngeren  Serapion  werk  über  die  einfachen  arzueimittel 
ist  nach  Käsers  urteil  eine  sehr  volständige  Zusammenstellung  dessen, 
was  griechische  und  arabische  ärzte  bis  dahin  über  einfache  arzueimit- 
tel geschrieben  hatten.  Nachrichten  über  den  Verfasser  und  seine 
lebensverhältnisse  gebrechen  gänzlich.  Nach  Steinschneiders  meinung 
soll  er  sein  werk  in  Spanien  oder  Mauretanien  verfasst  haben,  noch 
vor  Platearius.  Aber  dem  christlichen  abendlande  ist  das  ursprünglich 
arabisch  abgefasste  werk  erst  zugänglich  und  bekant  geworden  durch 
eine  nicht  eben  gewante  lateinische  Übersetzung,  welche  Simon  von 
Genua  (Januensis) ,  arzt  des  pabstes  Nicolaus  IV. ,  mit  hilfe  eines  Juden, 
Abraham  Tortuosiensis ,  zu  ende  des  13.  Jahrhunderts  verfasst  hatte, 
und  auch  nur  in  dieser  gestalt  ist  es  bis  jezt  gedruckt.  Ich  benutze 
die  eben  schon  bei  Platearius  genante  ausgäbe  (s.  1.  1535),  in  welcher 
der  Practica  des  älteren  Serapion  (eines  griechischen ,  christlichen  arztes 
des  neunten  oder  zehnten  Jahrhunderts)  auf  bl.  113" — 201"=  diese  arz- 
neimittellehre  des  jüngeren  Serapion  angefügt  ist  unter  dem  titel: 
„Incipit  liber  Serapionis  aggregaf  in  medicinis  simplicibus  secundum 
translationem  Symonis  Januensis,  interprete  Abraam  iudeo  Tortuoensi 
de  arabico  in  latinum." 

Die  dem  könige  Robert  von  Sicilien  (1310  —  1343)  gewidmeten 
Pandectae  medicinae  des  Matthaeus  Sylvaticus  sind  die  vol- 
ständigste  heilmittellehre  jener  zeit.  Grösstenteils  sind  sie  geschöpft 
aus  berühmten  und  damals  in  höchstem  ansehen  stehenden  Schriftstel- 
lern, namentlich  aus  Dioskorides ,  Galenus,  Plinius,  Mesue,  Avicenna, 
Serapion  u.  a. ,  und  den  einzelnen  excerpten  ist,  wie  bei  Viucentius 
Bellovacensis ,  die  abgekürzte  bezeichnung  der  quelle  vorangestelt,  aber 
auch  eigene  bemerkungen  laufen  mit  unter.  Die  reihenfolge  der  meist 
mit   arabischer,   griechischer   und  lateinischer   benennung  angegebenen 


MACER    UND    DIE   DEUTSCHE   BOTANIK  199 

heilmittel  ist  eine  eigeutümlich  moditicierte  alphabetisch e.  Auch  die- 
ses werk  stand  über  das  raittehilter  hinaus  in  hohem  ansehen  und  ist 
oft  gedruckt  worden.  Mir  steht  nur  die  ausgäbe  zur  Verfügung:  Opus 
Pandectarum  medicine  Matthei  Siluatici  etc.  Lugduni  1534.  fol,  in 
welcher  der  ursprüngliche  echte  text  des  Sylvaticus  bereits  vermehrt 
ist  durch  eiuschaltung  der  Clavis  sauationis  des  Simon  Januensis  und 
durch  andere  zusätze. 

Mit  dem  ablaufe  des  mittelalters  und  nach  erfindung  der  buch- 
druckerkunst  erfahren  auch  die  kräuterbücher  eine  volstäudige  Umwand- 
lung, die  in  Deutschland  in  einigen  hauptwerken  klar  zu  tage  tritt, 
so  dass  es  zweckmässig  erscheint,  auch  diese  werke  noch  kurz  in 
betracht  zu  ziehen. 

Die  gedruckten  kräuterbücher  in  Deutschland  beginnen  im  lez- 
ten  viertel  des  15.  Jahrhunderts,  und  zwar  zunächst  in  zwei  reihen, 
die  eine  unter  dem  titel  Herbarius  (oder  auch  Herbolarium),  die 
andere  unter  dem  titel  (li)Ortus  sanitatis. 

Die  älteste  datierte  ausgäbe  des  Herbarius  erschien  zu  Mainz 
1484,  nachdem  ihr  vielleicht  schon  eine  undatierte  vorausgegangen  war. 
Pritzel,  in  seinem  Thesaurus  litteraturae  botanicae,  Lips.  1851.  4*^, 
s.  349,  zählt  unter  nr.  11867 — 11875  neun  ausgaben  des  Herbarius 
auf,  und  zwar  sechs  in  lateinischer,  zwei  in  italienischer  und  eine  in 
niederländischer  spräche.  Keine  dieser  ausgaben  habe  ich  gesehen ,  und 
vermag  deshalb  auch  nicht  aus  eigener  anschauung  darüber  zu  berich- 
ten. Nach  Meyers  mitteilung  ^  heisst  es  in  der  vorrede  des  Herbarius : 
„Ob  id  presens  opusculum  suam  sumpsit  denominationem  Aggregator 
practicus  de  simplicibus'";  und  Meyers  eigenes  urteil  lautet  (s.  184): 
„  des  buches  ausgesprochener  zweck  ist ,  den  armen  des  kostbaren  bei- 
standes  der  ärzte  und  apotheker  zu  überheben.  Doch  geht  es  über 
seine  grenzen  hinaus,  indem  es,  zumal  in  den  sechs  lezteu  kürzeren 
Partikeln ,  die  ich  als  anhang  zum  ursprünglichen  werk  betrachte ,  viele 
kostbare  ausländische  mittel  anführt;  und  es  verfehlt  seinen  zweck 
durch  die  Oberflächlichkeit  oder  gänzliche  auslassung  der  pflanzen- 
beschreibungen."  —  Demnach  war  auch  dieser  Herbarius  noch  eine 
arzneimittellehre ,  in  einer  seit  mehreren  Jahrhunderten  üblich  gewor- 
denen gestalt,  zusammengestelt  aus  damals  gangbaren  und  geschäzten, 
vom  Verfasser  oft  namentlich  angeführten  büchern,  unter  denen  auch 
Macer  genant  wird.  Neu  aber  ist,  und  überaus  wichtig,  die  anwen- 
dung  des   holzsclmittes.     Denn   wenn   auch,    nach  Meyers  urteile,    die 

1)  Gesch.  d.  Bot.  4,  179. 


200  J.   ZACHEK 

pflanzenabbildiingen  noch  so  mangelhaft  ausgefallen  sind,  dass  „sich 
nur  wenige  derselben  mit  mühe  erkennen  lassen,"  so  liegt  doch  grade 
hierin  der  erste  keim  eines  wirklichen  fortschrittes  und  einer  ganz  neuen 
Wissenschaft,  wie  sich  bei  betrachtung  der  nächstfolgenden  werke  als- 
bald deutlich  herausstellen  wird. 

Der  (h)Ortus  sanitatis  erschien  zuerst  in  kürzerer  deutscher 
gestalt,  als  „Gart  der  Gesuntheit"  zu  Mainz  1485,  und  darauf  in 
umfänglicherer  lateinischer,  widerum  zu  Mainz  1491.  Pritzel,  in  sei- 
nem Thes.  lit.  bot.  führt  unter  nr.  11876  — 11906  31  ausgaben  dessel- 
ben auf,  und  zwar  5  in  lateinischer,  21  in  deutscher,  2  in  nieder- 
deutscher, 1  in  holländischer,  und  2  in  französischer  spräche;  ein 
redendes  zeugnis  für  die  grosse  beliebtheit  und  Verbreitung  des  Wer- 
kes. —  Mir  liegen  nur  zwei  späte  ausgaben  vor,  eine  lateinische  s.  1. 
1517  fol.,  und  eine  deutsche,  Strassburg  1536  fol. ,  in  welcher  lezteren 
aber  grade  die  herbae  fehlen. 

Verfasser  und  entstehungszeit  des  Ortus  sanitatis  sind  unbekant; 
ja  es  ist  noch  nicht  einmal  sicher  ermittelt,  ob  die  kürzere  deutsche 
oder  die  längere  lateinische  gestalt  desselben  die  ältere  und  ursprüng- 
lichere sei.  Der  umfang  des  Inhaltes  ist  in  dem  titel  der  lateinischen 
fassung  übersichtlich  angezeigt:  „Ortus  Sanitatis.  De  Herbis  et  Plan- 
tis.  De  Animalibus  et  Eeptilibus.  De  Auibus  et  Volatilibus.  De  Pis- 
cibus  et  Natatilibus.  De  Lapidibus  et  in  terre  venis  nascentibus.  De 
Vriuis  et  earum  speciebus. "  Es  beschränkt  sich  demnach  das  werk 
niclit  anf  die  pflanzen,  sondern  erstreckt  sich  über  alle  drei  naturreiche; 
nur  dass  die  lierbae  mindestens  eben  so  viel  räum  einnehmen  als  alles 
übrige  zusammen.  Auch  dieses  werk  ist  noch  eine  blosse  compilation, 
zusammengestelt  aus  den  gangbarsten  arzneimittellehreu ,  bis  herab  auf 
Matthaeus  Sylvaticus,  und  aus  den  encyclopädien  des  13.  Jahrhunderts, 
aus  den  encyclopädischen  werken  des  Bartholomaeus  Anglicus,  Arnol- 
dus  de  Saxonia,^  Thomas  Cantimpratensis ,  Viucentius  Bellovacensis  und 

1)  Nicht  Arnaldus  de  Villanova,  wie  Meyer  4,  194  meint.  Das  richtige 
konte  Meyer  damals  freilich  noch  nicht  ermitteln,  weilArnoldus  de  Saxonia  damals 
noch  völlig  verschollen  war.  Ich  kante  ihn  zwar  längst  aus  den  reichlichen  anfiih- 
rungen  und  auszügen  bei  Vincentius  Bellovacensis,  aber  alle  meine  bemühungen 
seiner  habhaft  zu  werden  blieben  ergebnislos ,  weil  kein  litterarhistoriker ,  kein 
bibliograph,  kein  handschriftenkatalog ,  kein  bibliothckar  ihn  kante,  bis  es  Val. 
Rose  glückte,  ihn  in  der  Amplonianischcn  bibliothek  zu  Erfurt  zu  entdecken,  worü- 
ber er  dann  auskauft  gegeben  hat  in  Haupts  zeitschr.  für  deutsches  altertum.  Ber- 
lin 1875.  18,  321  fgg.  —  Ob  übrigens  der  vorf.  des  Ortus  sanitatis  das  werk  des 
Albertus  de  Saxonia  in  originali  benuzt,  oder  ob  er  sich  begnügt  habe  die  citatc 
aus  Vincentius  Bellovacensis  abzuschreiben,  das  habe  ich  nicht  untersucht,  weil  ich 
dessen  für  meinen  gegenwärtigen  zweck  nicht  bedurfte. 


MACER   UND   DIK   DEUTSCHE   BOTANIK  201 

Albertus  Magnus.     Der  zweck  des  Werkes  ist  in  der  lateinischen  vorrede 
bestirnt    und   deutlich    ausgesprochen:    „Id   ipsum   autem  perficiendum 
nie  prinio  principalissinieque  charitas  vrgebat,    quae   eorurn  inopie    me 
tecit  couipati,   quibus  temporalis  non  subministrat  facultas  pro  necessi- 
tate   couducendi   medicos  et   apotecarios,    pecunia  eis  deficiente.     Nara 
lii  huius  doctrina  libri  adiuti ,  sumptibus  admodum  exiguis  concurrenti- 
bus,  ipsis  (1.  ipsi)  sibi  conferre  valebimt  praeseruatiua  remedia  perfecta- 
que  medicainina."     Nach  der  hier  ausgesprochenen  absieht  also  solte  das 
buch  eine  arzneimittellehre  sein  für  solche ,  die  des  arztes  entraten  wol- 
len oder  müssen;   in   der  ausführung  jedoch   hat   der  Verfasser    diesen 
zweck  stark  aus  dem  äuge  verloren ,  und  sich  begnügt  kritiklos  zusam- 
menzustöppeln  was   seine    vorlagen   ihm   darboten,    auch  wenn   es  für 
heilzwecke  unverwendbar  war,  ja    sogar  wenn   es  überhaupt  gar  nicht 
existiert,    wie    die  fabelhaften  tiere   und    steine,    an   denen  die  mittel- 
alterlichen  bücher   reich   sind.  —     Die   holzschnitte ,    mit  denen  auch 
dieses  werk  ausgestattet  ist ,  sind  noch  in  der  lateinischen  ausgäbe  roh 
und  ungeschickt;   in   der   deutschen    von    1536    zeigen   sie   zwar   einen 
merklichen  technischen  fortschritt,    können   sich   aber  an  charakteristi- 
schen stellen  doch   noch   nicht   losreissen  und  frei  machen  von  den  in 
der  älteren  ausgäbe  vorliegenden  typen.     Und  es  kann  auch  überhaupt 
von  vorn  herein  ein  ehrliches  und  ernstes  streben  nach  naturtreue  doch 
schwerlich  massgebende  absieht  des  Verfassers  oder  herausgebers  gewe- 
sen sein,  weil  ja  auch  die  steine  und  die  fabeltiere,  wie  z.  b.  Cerastes, 
Draco,  Formice  majores  (die  goldgrabenden  ameisen),  Leuiathan,  Pilo- 
sus,   Pegasus,   Salamandra,   Basiliscus,  und  viele  andere,  mit  blossen 
phantasiebildern  ausgestattet  worden  sind.     Darnach  scheint  es  fast,  als 
hätten  die  bilder  hauptsächlich  dazu  dienen  sollen  die  käufer  anzulocken. 
In  dem   quellenverzeichnisse   zu   dem  Mittelniederdeutschen  wör- 
terbuche  von  Schiller  und  Lübben  (Bremen  1875)  wird  s.  IX  aufgeführt: 
„Eyn  schone  Arstedygeboeck  van  allerleye  ghebreck  vnnde  kranckhey- 
den  der  mynschen."     Am  ende:   „Finitus  est  iste  libellus  herbarius. 
Ao.  1483."     Klein  folio.     Und   im  Wörterbuche   selbst  sind  stellen   aus 
diesem  drucke  ausgehoben,  die  so  nahe  zu  den  hier  gedruckten  bruch- 
stücken  des  deutschen  Macer   stimmen,    dass   sie    sehr  wol   aus   einem 
niederdeutschen  Macer  stammen  können;  ja  es  wird  darin  sogar  Macer 
ausdrücklich    genant,    wie   z.  b.  1,  297,    unter   Betekalk:    „also    secht 
Macer";    (vgl,  in  den  hier  gedruckten  bruchstücken ,    unter  VI.  Aristo- 
lochia).  —     In  welchem  Verhältnisse   aber   dieser   alte  Lübecker  druck 
zu  Macer,  oder  auch  zu  dem  vorhin  erwähnten  Mainzer  Herbarius  ste- 
hen möge,    vermag  ich  nicht  anzugeben;    denn  ich  habe  weder  diesen 
Lübecker  druck  selbst  erreichen  können,   noch  auch  das  programm,  in 


202  J.    ZACHER 

welchem  über  ihn  gehandelt  sein  soll:  ,,C.  Deecke,  Einige  nachrichten 
von  den  im  XV.  jh.  zu  Lübeck  gedruckten  niedersächs.  büchern.  Lübeck 
1834.  4"."  Bei  Pritzel,  Meyer  und  Häser  habe  ich  diesen  Lübecker 
druck  nicht  erwähnt  gefunden. 

Mit  dem  Mainzer  Herbarius  und  dem  Ortus  Sanitatis  war  die 
behandlungsweise  der  mittelalterlichen  arzneimittellehren  und  kräuter- 
bücher  erschöpft  und  ausgelebt.  Denn  der  neu  eröffnete  Zugang  zu  den 
römischen  und  zumal  zu  den  griechischen  originalwerken ,  die  nun  auch 
durch  den  druck  für  jedermann  bequem  zu  erreichen  waren,  schuf  auch 
hier  neues  leben,  führte  zur  revision  der  seit  Jahrhunderten  herköm- 
lichen,  vielfach  verdunkelten  und  verderbten  Überlieferung,  und  regte 
widerum  zu  eigenem  denken  und  forschen  an.  Und  der  neuerwachte 
trieb  erwies  sich  auf  diesem  gebiete  so  mächtig  und  fruchtbar,  dass 
in  der  ersten  hälfte  des  16.  Jahrhunderts  hart  hintereinander,  und  grossen- 
teils  noch  nebeneinander  „die  deutschen  väter  der  Pflanzenkunde," 
wie  Sprengel  sie  treffend  genant  hat,  auftraten  und  den  ersten  siche- 
ren grund  legten  zu  einer  wirklich  wissenschaftlichen  behandlung  der 
botanik:  Otto  ßrunfels,  Hieronymus  Bock  und  Leonhard  Fuchs. 

Otto  Brunfels,  vermutlich  kurz  vor  1500  zu  Mainz  geboren, 
gieng  als  junger  magister  ins  kloster,  verliess  es  aber  bald  wider  und 
wante  sich  zum  protestantismus.  Nachdem  er  darauf  durch  mehrere 
jähre  in  Strassburg  als  lehrer  erfolgreich  gewirkt  und  daneben  auch 
medicinische  Studien  betrieben  hatte,  erwarb  er  im  jähre  1530  zu  Basel 
die  medicinische  doctorwürde,  und  gewann  bald  solchen  ruf,  dass  er 
mit  ansehnlichem  gehalte  als  stadtarzt  nach  Bern  berufen  wurde,  wo 
er  aber  bereits  1534  starb.  Er  hat  verschiedene  theologische  und  meh- 
rere medicinische  werke  verfasst;  sein  hauptverdienst  aber  ist  sein 
bahnbrechendes  botanisches  werk,  welches  zuerst  lateinisch  erschien 
unter  dem  titel :  Herbarum  vivae  eicones ,  ad  naturae  imitationem  sum- 
ma cum  diligentia  et  artificio  effigiatae  una  cum  effectibus  earundem, 
in  gratiam  ueteris  illius,  et  iamiam  renascentis  herbariae  medicinae. 
Argentorati  1530  —  36.  3  bde.  in  folio,  und  in  lateinischer  fassung 
widerholt  gedruckt  wurde  (bd.  1.  1532;  bd.  2.  1536;  bd.  1  —  3.  1537 
und  1539),  dann  aber  auch  deutsch,  unter  dem  titel:  Contrafayt  Kreu- 
terbuch  usw.  Strassburg  1532—37.  2  bde  in  fol.  Ich  benutze,  aus 
der  bibliothek  der  Leopoldiuisch  -  Carolinischen  akademie ,  ein  unvol- 
ständiges  exemplar  der  zweiten  ausgäbe  des  ersten  lateinischen  teiles, 
Argentorati  1532.  fol.^ 

1)  Seitdem  habe  ich  selbst  ein  volständiges  exemplar  des  ersten  teiles  der 
ersten  lateinischen  ausgäbe,  Ai-geut.  1530.  fol.,  duixh  kauf  erworben. 


MACER    UND    DIE    DEUTSCHE    BOTANIK  203 

Der  text  gliedert  sich  iu  der  regel  in  folgende  abschnitte : 
1)  nomeuclatura ,  aufzäliliuig  der  griechischen,  lateinischen  und  deut- 
schen benenuungen  der  betreft'enden  pHanze;  2)  autorum  placita,  angäbe 
dessen  was  die  namentlich  aufgeführten  Schriftsteller  über  diese  pflanze 
gesagt  haben;  3)  Temperanientum ,  bezeichnung  des  grades  der  wärme, 
kälte  usw.;  4)  Vires  et  juvamenta,  Übersicht  der  heil-  und  nutzanwen- 
dungen  derselben  pflanze,  widerum  unter  namentlicher  anfuhrung  der 
dafür  einstehenden  schriftsteiler.  Unter  diesen  erscheint  auch  Macer, 
dessen  lateinische  hexameter  dann  im  betreffenden  falle  meist  auch 
volständig  aufgenommen  sind.  Der  über  der  seite  stehende  columnen- 
titel  lautet  durchweg:  Simplicium  pharmacorum  tomus  primus.  Dar- 
nach hält  sich  der  text  äusserlich  scheinbar  noch  in  dem  alten  her- 
gebrachten geleise  und  rahmen  der  mittelalterlichen  kräuterbücher ,  die 
nichts  weiter  waren  und  sein  weiten  als  Sammelwerke  der  simplicia, 
der  einfachen  arzneimittel  aus  dem  pflanzenreiche ;  innerlich  jedoch,  in 
art  und  geist  der  auffassung  und  behandlung  ist  er  von  allem  früherem 
grundverschieden.  Denn  nicht  nur  werden  die  früheren  bedeutenderen 
Schriftsteller  in  erschöpfender  reihe  aufgeführt,  vom  ältesten  griechi- 
schen altertume,  von  Hesiodus  an,  bis  auf  die  unmittelbare  gegenwart, 
bis  herab  auf  des  Verfassers  eigene  Zeitgenossen ,  unter  denen  nament- 
lich auch  „Nobilis  herbarius  Hieronymus,"  d.h.  der  sogleich  näher  zu 
erwähnende  Hieronymus  Bock,  erscheint,  sondern  Brunfels  fügt  auch 
in  der  regel ,  und  zuweilen  mit  der  ausdrücklichen  Überschrift  „  Nostrum 
Judicium ,"  sein  eigenes  urteil  hinzu ;  oder  mit  anderen  werten :  er 
bestrebt  sich  überall  kritik  zu  üben;  und  das  ist  seine  erste  neuerung 
und  sein  erstes  grosses  verdienst.  —  Er  übt  aber  diese  kritik  —  und 
das  ist  sein  zweiter  wichtiger  und  entscheidender  fortschritt  —  auf 
grund  der  eigenen  anschauu'ng  und  beobachtung  an  den  ihm 
selbst  vorliegenden  pflanzen.  Diese  sucht  er  in  den  benennungen  und 
angaben  seiner  Vorgänger  wider  zu  erkennen ,  und  damit  licht  und  Ord- 
nung in  die  unklare  und  verworrene  Überlieferung  zu  bringen.  —  Und 
dieses  bemühen  führt  ihn  mit  innerer  notweudigkeit  zu  dem  dritten 
fortschritte :  es  begint  jezt  die  be Schreibung  der  pflanzen  in  den  Vor- 
dergrund zu  treten,  und  sich  von  der  bis  dahin  fast  allein  herschenden 
nutzanwendung  abzulösen,  so  dass  Brunfels  vereinzelt  auch  schon  den 
„  locus ,"  den  Standort  der  betreffenden  pflanze  aufführt.  —  Damit  aber 
wird  die  pflanze  an  sich  selbst  gegenständ  der  beobachtung  und 
forschung  —  und  das  ist  der  vierte  grosse  fortschritt.  Daher  sind 
auch  bereits  in  diesen  ersten  teil  wirklich  einige  pflanzen  aufgenommen, 
von  denen  Brunfels  sagt,  dass  er  sie  bei  seinen  Vorgängern  vergeblich 
gesucht  und  nicht  gefunden  habe ,  und  dass  er  über  ihre  heilwirkungen 


204  J.    ZACHER 

nur  nach  hörensagen  berichten  könne  —  („ab  empiricis  id  compertum 
habemus";  „sunt  qui  velint").  So  s.  217.  „Kuchenschell"  (Anemone 
pulsatilla),  s.  218.  „Gauchblüm"  (Cardamine  pratensis).  —  Und  end- 
lich —  und  das  ist  der  fünfte  und  nicht  der  geringste  fortschritt  — 
sind  zur  Unterstützung  der  beschreibuugen  abbildungen  der  pflanzen 
in  holzschnitt  hinzugefügt,  welche,  wie  überhaupt  das  ganze  buch,  vol- 
koramen  das  leisten,  was  der  titel  verheisst;  denn  sie  sind  in  der  tat 
„  ad  naturae  imitationem  summa  cum  diligentia  et  artificio  effigiatae." 
Sie  geben  jedesmal  die  volständige  pflanze,  mit  wurzel  und  blute,  und 
nehmen  bald  die  halbe,  bald  die  ganze  höhe  der  folioseite  ein.  Sie 
lassen  durchweg  den  kundigen  botaniker  gewahren,  der  die  pflanzen 
dem  Zeichner  in  der  zweckmässigsten  anordnung  vorgerichtet  hat,  und 
den  geübten  maier,  der  sie  mit  äuge  und  band  künstlerisch  aufzufas- 
sen und  meisterhaft  widerzugebeu  vermochte.  Damit  aber  waren  die 
betreff"enden  pflanzen  so  genau  und  sicher  bestimt,  dass  sie  gar  nicht 
verkauf  und  verwechselt  werden  konten ,  sondern  für  alle  zeit  fixiert 
bleiben.  Diese  vortreflichen  holzschnitte  sind  das  verdienst  des  maiers 
und  formschneiders  meisters  Hans  Weiditz  von  Strassburg. 

Legt  man  diese  holzschnitte  des  Brunfelsischen  werkes  vom  jähre 
1530  neben  jene  des  Ortus  sanitatis,  und  sogar  neben  die  schon  sehr 
verbesserten  in  dessen  deutscher  ausgäbe  vom  jähre  1536 ,  so  tritt  die 
gewaltige  kluft,  welche  diese  beiden  werke  von  einander  scheidet,  mit 
unmittelbar  überzeugender  und  überwältigender  anschaulichkeit  vor 
äugen;  hier,  bei  Brunfels,  entschiedenste  naturtreue  der  abbildungen, 
ernstlichst  erstrebt  vom  Verfasser,  und  auch  wirklich  erreicht  durch 
die  kunstfertige  band  des  maiers  und  formenschneiders ;  dort,  im  Ortus 
sanitatis,  fast  durchweg  blosse  phantasiegebilde ,  die  erst  in  der  lezten 
ausgäbe  durch  die  handwerksmässig  geschulte  technik  des  holzschnei- 
ders  endlich  ein  gefälligeres  aussehen,  und  hie  und  da  auch  eine  etwas 
grössere  annäherung  an  die  natur  erhalten  haben,  als  sie  in  der  über- 
aus ungeschickten  und  rohen  behandlung  in  den  früheren  ausgaben 
gezeigt  hatten.i 

1)  Brunfels  selbst  hat  es  als  seine  bestirnte  und  bewuste  absieht  ausgespro- 
chen, dass  er  etwas  wesentlich  neues  liefern  wolle,  und  als  mittel  dazu  bezeichnet: 
naturgetreue  abbildungen  und  genaue  zuverlässige  beschreibungen  unter  kritischer 
benutzung  der  wichtigeren  älteren  schriftsteiler.  Er  sagt  darüber  in  der  dem  ersten 
lateinischen  bände  vorangedruckten  widmung  au  den  Slrassburger  rat:  ,,Caeterum 
de  Herbarii  nostri  ratione  hoc  velut  in  compendio  habetote.  Primum  nihil  aliud 
DOS  spectasse  in  toto  hoc  opere,  quam  ut  publico  omnium  bono  Herbariae  jam  jam 
coUapsae  porrigercmus  subsidiarias  manus,  earnque  prope  extiuctam  in  lucem  revo- 
caremus.  Quod  quia  non  alia  ratione  fieri  posse  auimadvertimus ,  quam  abolitis 
prioribus  ac  veteribus  Herbariis ,  atque  de  novo  vivis  et  acu  pictis  imaginibus  editis ; 


MACER  UND  DIE  DEUTSCHE  BOTANIK  205 

Hieronynuis  Bock  (latinisiert:  Tragus),  geboren  1498  zu  Hei- 
(lerbacli  im  Zweibrückisclien ,  war  von  seinen  eitern  für  das  kloster 
bestirnt  worden,  gelangte  jedoch,  dem  widerstrebend,  durch  hilfe  von 
verwanten,  zum  besuche  einer  unbekanten  Universität,  auf  welcher  er 
humaniora ,  theologie  und  besonders  medicin  studierte.  Darnach  erhielt 
er  1523  durch  den  pfalzgrafen  Ludwig  in  Zweibrücken  eine  lehrerstelle 
und  die  aufsieht  über  den  fürstlichen  garten.  Nach  Ludwigs  tode, 
1532,  übernahm  er  eine  predigerstelle  im  nahen  Städtchen  Horubach 
im  Wasgau.  Hier  übte  er,  neben  dem  evangelischeu  predigtamte ,  aus- 
gedehnte medicinische  praxis,  und  sezte  auch  sein  botanisches  lieb- 
lingsstudium  eifrigst  fort,  die  pflanzenreiche  gegend  zu  diesem  behufe 
tleissig  und  achtsam  durchforschend.  Durch  confessionelle  Streitigkei- 
ten ans  seinem  amte  verdrängt  fand  er  eine  Zuflucht  in  Saarbrück,  bei 
graf  Philipp  von  Nassau,  den  er  früher  von  einer  schweren  krankheit 
geheilt  hatte,  konte  jedoch  später  nach  Hornbach  zurückkehren,  und 
verwaltete  von  da  ab  sein  predigtamt  daselbst  bis  zu  seinem  im  jähre 
1554  erfolgten  tode. 

Sein  grosses  botanisches  werk,  zu  dessen  ausarbeitung  und  Ver- 
öffentlichung Otto  Brunfels  ihn  ernstlich  angetrieben  hatte,  Hess  Bock 
zuerst  im  jähre  1539  erscheinen  unter  dem  titel  „  New  Kreutterbuch." 
Diese  erste  ausgäbe ,  wie  alle  folgenden  in  folioforraat ,  ist  in  zwei  bücher 
geteilt,  und  enthält  noch  keine  abbildungen.  Einer  zweiten,  ebenfals 
in  zwei  bücher  geteilten,  die  unter  dem  titel  „Kreutterbuch"  im  jähre 
1546  herauskam,  sind  465  holzschnitte  eingeschaltet;  und  in  einer  drit- 
ten, vom  jähre  1551,  ist  ein  drittes  buch  hinzugefügt  und  die  zahl 
der  holzschnitte  um  72  vermehrt.  Nach  des  Verfassers  tode  erschienen 
in  den  jähren  von  1556  bis  1630  noch  acht  weitere  ausgaben,  teils 
unverändert,  teils  durch  Melchior  Sebitz  (aber,  wie  Meyer  urteilt, 
nicht  zu  ihrem  vorteile)  vermehrt.  Diese  lange  ausgabenreihe  bezeugt 
die  grosse  und  dauernde  beliebtheit  des  Werkes.  Ich  benutze  die  Strass- 
burger  ausgäbe  vom  jähre  1556.^ 

Seinen  zweck  gibt  Bock  selbst,  in  der  vorrede,  als  einen  vier- 
fachen an.  Er  wolle  1)  die  einfachen  erdgewächse,  simplicia  genant, 
so  viel  derselben  im  teutschen  land  ihm  zu  banden  gestossen  seien, 
wie ,  wo  und  w^ann  sie  waclisen ,  aufs  aller  fleissigste  beschreiben ; 
2)  angeben,    wann  sie   im  jähre   am  besten  zu  finden  oder  anzubauen 

deinde   solidis   ac  firmis   descriptionibus   ex  priscis  et  autenticis  autoribus  prolatis, 
utrumque  tentavimus  atque  curavimus." 

1)  Eine  lateinische  Übersetzung  der  deutschen  ausgäbe  von  1551 ,  von  David 
Kyber  besorgt,  erschien  ebenfals  bei  Wendel  Rihel  in  Strassbuig,  1552  in  4",  aus- 
gestattet mit  den  holzsclmitten  der  deutschen  ausgäbe. 


206  J.   ZACHER 

seien,  und  welchen  boden  oder  grund  jedes  liebe;  3)  die  deutschen, 
lateinischen ,  griechischen ,  arabischen  und  anderen  fremden  namen  auf- 
führen; 4)  endlich  jedes  gewächses  eigenschaften  und  arzneiwirkungen 
nach  Galen,  Dioscorides  und  Theophrast,  vornehmlich  aber  aus  eige- 
ner langer  erfahrung  kund  geben.  Demgemäss  bietet  denn  auch  jedes 
kapitel  zuerst  eine  ausführliche  beschreibung ,  von  der  zweiten  ausgäbe 
ab  nebst  beigefügter  abbildung ,  und  darnach  folgt  ein  absatz  „Von  den 
namen,"  und  ein  zweiter  „Von  der  kraft  und  Wirkung." 

Die  abbildungen  in  Bocks  Kräuterbuche  sind  zwar  ebenfals  meist^ 
nach  der  natur  gezeiclinet,  und  auch  gröstenteils  ähnlich  genug  gera- 
ten ,  so  dass  die  pflanzen  darnach  sicher  erkant  werden  können ;  sie 
stehen  jedoch  an  naturtreue  und  an  künstlerischer  ausführung  beträcht- 
lich hinter  denen  des  Brunfelsischen  werkes  zurück.  Dieser  mangel 
rührt  teils  daher,  dass  sie  nicht  von  einem  kunstfertigen  meister,  son- 
dern von  einem  jungen  autodidakten,  David  Kandel  aus  Strassburg, 
angefertigt  worden  sind,  den  der  Strassburger  Verleger,  Wendel  Rihel, 
dem  Verfasser  zugesant  hatte,  wahrscheinlich  doch  wol,  weil  er  die 
kosten  einer  kunstgerechten  ausstattung  scheute;  teils  ist  er,  und  wol 
aus  demselben  gründe,  verschuldet  durch  den  übelstand,  dass  fast  alle 
abbildungen  in  der  gleichen  geringen  höhe  von  ungefähr  14  centime- 
tern  ausgeführt  sind,  wodurch  namentlich  die  bilder  der  grösseren 
pflanzen,  der  Sträuche,  und  zumal  der  bäume,  oft  schematisierende 
und  verkürzende  Verunstaltungen  erfahren  haben. 

Dagegen  machte  nun  Bock  die  beschreibung  der  pflanzen  zur 
hauptsache ,  und  übertraf  in  dieser  seinen  Vorgänger  Brunfels  bei  wei- 
tem. Er  schildert  in  sehr  eingehender  und  anschaulicher  weise  den 
gesamtcharakter  jeder  pflanze ,  fügt  angäbe  ihres  Vorkommens  und  ihrer 
fundorte  hinzu ,  bietet  überall  selbst  gesehenes  und  selbst  beobachtetes, 
bemüht  sich  auch  bereits  ,  verwante  pflanzen  gruppenweise  zusammen- 
zustellen, und  vergleicht  endlich  die  ergebnisse  der  eigenen  beobachtung 
und  forschung  vorsichtig  prüfend  mit  den  angaben  älterer  berühmter 
schriftsteiler,  insonderheit  des  Dioscorides.  Demnach  zeigt  sein  werk 
schon  die  ausgeprägten  und  einer  fruchtbaren  e'ntwickelung  fähigen 
keime  dessen,  was  wir  gegenwärtig  als  Flora  bezeichnen.  Rühmende 
erwähnung  verdient  auch  der  stil.  Bock  ist  mit  poetischem  sinne 
begabt,  schreibt  in  ungekünstelter,  aber  anmutig  belebter  spräche,  und 
erfreut   durch    reizende    naivität    und   durch   einen    ergötzlichen   auflug 

1)    Ein   nicht  nnerhcbli(^her  teil   derselben  besteht  freilich   nicht   aus   neuen 

originalzeichnungen ,  sondern,    wie  Meyer  4,  306    angibt,    nur    „aus   verkleinerten 

copien  der  grossen  schönen  Zeichnungen ,  Avelche  Fuchs  schon  1542  geliefert 
hatte." 


MACER   UND   DIE   DEUTSCHE    BOTANIK  207 

von  gefälligem  humor,  so  dass  er  wol  verdient  in  den  litteraturgeschich- 
ten  unter  den  prosaikern  des  sechzehnten  Jahrhunderts  lobend  erwähnt 
zu  werden. 

Leonhard  Fuchs,  geboren  1501  zu  Membdingen  in  Baiern, 
widmete  sich,  nach  dem  besuch  der  schulen  zu  Heilbronn  und  Erfurt, 
auf  der  Erfurter  Universität  zumeist  eifrig  dem  Studium  der  alten  spra- 
chen,  und  erwarb  sich  daselbst,  noch  sehr  jung,  den  grad  eines  bac- 
calaureus.  Heimgekehrt  eröfnete  er  in  seiner  Vaterstadt  eine  gelehrte 
schule,  die  er  durch  anderthalb  jähre  leitete,  dann  aber,  seit  1519,  die 
Universitätsstudien  wider  aufnahm,  in  Ingolstadt,  avo  er  zunächst  gleich- 
fals  den  klassischen  studieu  oblag  und  1521  magister  ward,  darnach 
aber  zu  dem  Studium  der  medicin  übergieng  und  1524  doctor  der  medi- 
cin  wurde.  Auch  wante  er  sich  damals  in  Ingolstadt,  angeregt  durch 
Luthers  Schriften,  zum  protestantismus.  Seitdem  wirkte  er  als  prac- 
tischer  arzt  oder  als  professor  der  medicin  an  verschiedenen  orten: 
zuerst  in  München,  dann,  seit  1526,  als  professor  zu  Ingolstadt,  darauf, 
seit  1528,  als  leibarzt  des  markgrafen  Georg  von  Brandenburg,  zu 
Ansbach,  und  widerum,  im  jähre  1533  als  professor  zu  Ingolstadt. 
Aber  noch  im  selben  jähre  ward  er  durch  die  Jesuiten  von  dort  ver- 
drängt und  kehrte  wider  in  seine  frühere  Stellung  nach  Ansbach  zurück. 
Endlich  ward  er  1535  als  professor  nach  Tübingen  berufen,  und  ver- 
blieb in  diesem  Wirkungskreise  bis  zu  seinem  im  jähre  1566  erfolg- 
ten tode. 

Fuchs  scheint  ein  zwar  recht  gelehrter  und  scharfsinniger,  aber 
auch  ein  eitler,  unruhiger  und  streitsüchtiger  mann  gewesen  zu  sein. 
Seine  medicinischen  Schriften  tragen  zum  teil  den  Charakter  heftiger 
Streitschriften.  Sein  botanisches  hauptwerk  erschien  zuerst  in  lateini- 
scher spräche  bei  Isingriu  zu  Basel  1542  in  gross  folio  unter  dem 
pomphaften  titel:  De  historia  stirpium  commentarii  insignes,  maximis 
impeusis  et  vigiliis  elaborati ,  adjectis  earundem  vivis  plus  quam  quingen- 
tis  imaginibus  uunquam  antea  ad  naturae  imitationem  artificiosius  effic- 
tis  et  expressis,  Leonarto  Fuchsio,  medico  hac  nostra  aetate  longo 
clarissimo,  auctore  etc.  Kurz  darauf,  1543,  folgte  in  demselben  Ver- 
lage die  um  6  abbildungen  vermehrte  deutsche  bearbeitung,  unter  dem 
titel  „New  Kreüterbuch,  in  welchem  nit  allein  die  gantz  histori,  das 
ist  namen,  gestalt,  statt  vnd  zeit  der  wachsung,  natur,  krafft  vnd 
würckung ,  des  meysten  theyls  der  Kreüter  so  in  Teütschen  vnnd  andern 
Landen  wachsen,  mit  dem  besten  vleisz  beschriben,  sonder  auch  aller 
derselben  wurtzel,  stengel,  bletter,  blümen,  samen,  frücht,  vnd  in 
summa  die  gantze  gestalt,  allso  artlich  vnd  kunstlicli  abgebildet  vnd 
contrafayt  ist,    das   deszgleichen   vormals   nie   gesehen,    noch   an    tag 


208  J.   ZACHER 

komen.  Durch  den  hocligelerten  Leonhart  Fiichsen  der  artzney  Doc- 
torn,  vnnd  derselbigen  zu  Tübingen  Lesern."  usw. 

Über  den  zweck  seines  werkes  bat  der  Verfasser  selbst  sieb  aus- 
gesprocben  in  der  dem  deutseben  texte  vorangescbickten  dedication  an 
frau  Anna,  die  gemabliu  des  römisclieu  königes:  sein  lateinisches  werk 
habe  er  verfasst  und  herausgegeben  für  ärzte,  sein  deutsches  aber  nicht 
deshalb,  „damit  auch  der  gemein  man  kündte  jhm  selbert  in  der  not 
artzney  geben,  vnd  allerley  kranckheyt  heylen.  (Dan  mir  wol  bewüsst, 
das  vil  mehr  zu  einem  rechtgeschaffnen  artzt  gehört,  dan  allein  kreü- 
ter  vnd  derselbigen  würckung  erkennen  vnd  wissen)";  sondern  weil  er 
für  gut  und  nttzlich  befunden  habe ,  „  das  die  kreüter  nit  allein  von 
den  ärtzten,  sonder  auch  von  den  Leyen  vnd  dem  gemeinen  man  in 
gärten  hin  vnd  wider  vleissig  gepflantzt  vil  aufferzogen  werden ,  darmit 
derselben  erkantnuss  in  Teütschen  landen  dermassen  täglich  wachs  vnd 
züneme,  das  sie  nimer  in  vergessung  möge  gestelt  werden."  Darum 
„hab  ich,"  fährt  er  fort,  „in  dem  Teütschen  mich  in  sonderheyt  beflis- 
sen, das  die  ding  so  dem  gemeinen  man  zu  wissen  nit  dienstlich  noch 
notig  sind,  wurden  außgelassen  vnd  überschritten.  Hergegen  hab  ich 
die  bescbreibung  der  gestalt  aller  kreüter  vil  völliger  gemacht,  vnd 
baß  herauß  gestrichen,  dan  vormals  im  Latein  geschehen,  darmit  die- 
selbigen  menigklich  dermassen  würden  jngebildet,  das  sie  fürhin  niiher 
in  einigerley  vergessen  komen  möchten." 

Seinem  also  angegebenen  zwecke  gemäss  liat  Fuchs  jedes,  von 
einer  oder  mehreren  abbildungen  begleitetes  kapitel  der  deutscheu  bear- 
beitung  seines  werkes  in  folgende  abschnitte  geteilt:  „Namen.  Geschlecht. 
Gestalt.  Statt  irer  wachsung.  Zeit.  Die  natur  vnd  complexion.  Die 
kraff't  vnd  würckung."  Die  beuennungen  der  pflanzen  hat  er  hier  meist 
nur  einfach  aufgeführt,  und  für  deren  begründung  und  kritik,  so  wie 
überhaupt  für  alle  gelehrte  erörterung  auf  sein  lateinisches  werk  ver- 
wiesen. Dagegen  folgt  er  in  der  pflanzenbeschreibung  dem  vorbilde 
seines  Vorgängers  Bock,  dessen  werk  er  auch  vor  sich  gehabt,  und  es 
auch  reichlich,  und  meist  wörtlich,  nur  kürzend,  ausgeschrieben  liat. 
Selbständiger  aber  verfährt  er,  seiner  medicinischen  berufstätigkeit, 
neigung  und  absieht  entsprechend,  in  der  reichhaltigeren  und  über 
Bock  hinausgehenden  angäbe  der  Verwendung  der  pflanzen  für  heil- 
zwecke.  —  Im  algemeinen  ist  in  dem  Kreuterbuche  von  Fuchs  die 
darstellung  klar  und  bündig,  aber  nüchtern,  schematisch  eingeschnürt, 
und  überall  an  die  entstehung  in  der  studierstube  des  gelehrten  erin- 
nernd. Es  gebricht  dem  Verfasser  der  poetische  hauch  und  die  erquik- 
kende  einfachheit  und  Unbefangenheit  des  mit  kindlichem  sinne  aus  der 
vollen    natur    schöpfenden    naturfreundes    und    naturbeobachters   Bock, 


MACKR   UND   DIE   DEUTSCHE    ÜOTANTK  209 

Daher  erklärt  es  sidi   auch ,  weshalb  bei  Fuchs  die  von  Bock  so  reich- 
lich angegebenen  stand-  und  fundörter  der  pflanzen  fehlen. 

Den  hauptwert  geben  dem  Fuchsischen  werke  die  vortreflichen, 
von  den  malern  Heinrich  Füllmaurer  und  Albrecht  Meyer  und 
dem  formschneider  Veyt  Rüdolff  Speckle  verfertigten  abbildungen, 
deren  dieser  band  etwas  über  500  enthält.  Meist  nach  musterhaften, 
und  höchst  geschickt  und  ZAveckmässig  dazu  vorgerichteten  und  ange- 
ordneten exeniplaren  in  scharfen  umrissen  ausgeführt,  und  jedesmal  die 
ganze  seite  des  grossfolioblattes  einnehmend,  geben  sie  deutliche,  natur- 
treue und  zugleich  künstlerisch  aufgefasste  bilder,  von  denen  Meyer 
mit  recht  rühmt,  dass  viele  derselben,  wenn  ein  neuerer  künstler  die 
für  uns  jezt  nötigen  analysen  der  blumen  und  fruchte  hinzufügte ,  sich 
noch  heute  den  besten,  die  wir  besitzen,  zur  seite  stellen  könten.  — 
Das  bild  von  Fuchs  selbst,  in  ganzer  figur,  ist  auf  der  rückseite  des 
titeis,  die  brustbilder  der  maier  und  des  formschneiders  sind  auf  der 
lezten  seite  des  werkes  hinzugefügt. 

Diese  pflanzenabbildungen  sind,  nach  Meyers  angäbe,  in  verklei- 
nerter gestalt  auch  einzeln  erschienen  „  mit  deutschen  und  lateinischen 
namen ,  und  mit  einer  vorrede  von  Fuchs,  sonst  aber  ohne  text,  in 
zwei  ausgaben,  bei  demselben  Verleger,  beide  im  jähre  1545,  in  octav." 
Auch  ist  das  werk,  ohne  mitwirkung  von  Fuchs,  nachgedruckt,  und 
ins  Niederländische ,  Französische  und  Spanische  übersezt  worden ;  so 
wie  auch  die  kleinen  textloseu  ausgaben  nachdrücke  mit  sehr  kleinen, 
wertlosen  abbildungen  erfahren  haben. 

Diesem  werke,  welches,  wie  aus  dem  hier  berichteten  deutlich 
hervorgeht ,  ebeufals  eine  höchst  wertvolle  Vorarbeit  zur  deutschen  flora 
bildet,  beabsichtigte  Fuchs  noch  eine  fortsetzung  gleicher  beschaffen- 
heit  folgen  zu  lassen.  Zwei  weitere  bände,  widerum  je  500  oder  mehr 
abbildungen  nebst  zugehörigem  texte  befassend ,  scheint  er  auch  im 
manuscripte  vollendet  zu  haben;  weil  aber  kein  Verleger  die  herstel- 
lungskosten  daran  wagen  wolte,  und  eine  erbetene  und  auch  in  aus- 
sieht gestelte  fürstliche  Unterstützung  ausblieb,  sind  sie  nicht  in  den 
druck  gelangt.  Die  handschrift  aller  drei  bände  soll  1732  in  Wien 
um  300  gülden  feilgeboten  worden  sein ,  ist  aber  seitdem  verschollen ; 
und  auch  die  dazu  gehörigen  bereits  fertigen  in  holz  geschnittenen  for- 
men sind  verzettelt  worden  und  nun  wol  auch  meist  verkommen  und 
verloren;  doch  mag  sich  vielleicht  ein  teil  derselben,  nach  Meyers  Ver- 
mutung, in  Tübingen  erhalten  haben. 

Unter  denen ,  welche  diesen  drei  bahnbrechenden  meistern ,  Bruu- 
fels,    Bock    und    Fuchs,     eifrig    und    erfolgreich    nachstrebten,    hebe 

ZEITSCHR.    F.   DEUTSCHE   PHILOLOGIE.     BD,  XII.  14 


210  J.    ZACHER 

ich  nur  noch  mit  kurzer  erwähuung  hervor  den  doctor  der  medicin 
Jacob  Theodor,  oder,  wie  er  nach  seinem  geburtsorte  Bergzabern 
benant  wurde,  Tabernaemoutauus.  —  Angeregt  durch  seinen  pfäl- 
zischen landsmann  Bock,  der  von  ihm  mit  grosser  Verehrung  erwähnt 
und  als  „mein  lieber  praeceptor  seliger  Hieronymus  Tragus  Brettanus " 
bezeichnet  wird,  verfasste  Tabernaemontanus  in  36jähriger  arbeit,  und 
unter  vielen  durch  die  beträchtlichen  herstellungskosten  verursachten 
mühen  und  sorgen,  ein  grosses  kräuterbuch,  für  welches  er  endlich,  wäh- 
rend er  als  practischer  arzt  zu  Neuwhausen  in  der  Pfalz  würkte ,  in  dem 
Frankfurter  buchhändler  Nicolaus  Bassins  einen  Verleger  gewann.  Bei 
diesem  erschien  das  werk  zuerst  1588,  in  folio,  und  ward  darnach, 
durch  Nicolaus  Braun,  und  weiter  durch  Caspar  Bauhinus  verbessert 
und  vermehrt,  in  einer  langen  bis  auf  Linnes  zeit  herabreichen- 
den ausgabenreihe  oft  wider  gedruckt.  Ich  benutze  die  durch  Bau- 
hinus in  zwei  statlichen  foliobänden  besorgte  Frankfurter  ausgäbe  vom 
jähre  1613. 

Auf  eine  sorgfältige  beschreibung  der  einzelnen  pflanzen,  in  welche 
bei  den  seltneren  oder  minder  bekanten  auch  angaben  der  fundorte  auf- 
genommen sind,  lässt  Tabernsemontanus  stets  eine  kritische  und  auch 
die  neueren  lebenden  sprachen  berücksichtigende  erörterung  der  beuen- 
nungen  folgen,  und  darauf  eine  sehr  ausführliche  und  reichhaltige 
abhaudluug  über  die  anwendung  der  betreffenden  pflanzen  und  der  aus 
ihnen  bereiteten  medicamente  (extracte ,  weine ,  salben  u.  dgl.)  zu  inner- 
lichem und  äusserlichem  heilgebrauche.  Denn  als  arzt  rühmt  er  ebeu- 
fals  noch  die  simplicia,  die  pflanzen,  als  die  besten  und  wirksamsten 
heilmittel,  und  widmet  demgemäss  auch  der  medicinischen  nutzanwen- 
dung  so  überwiegende  beachtung.  Jedoch  auch  in  den  rein  botanischen 
abschnitten  seines  Werkes  Übertrift  er  seine  Vorgänger  durch  reichtum 
und  anordnung  des  dargebotenen.  Namentlich  bemüht  er  sich ,  alle 
ihm  bekant  gewordenen  arten  einer  gattung  zusammenzustellen  und 
hinter  einander  abzuliandelu.  So  bespricht  er  z.  b.  bereits  an  die  30 
oder  mehr  arten  der  gattung  Ranunculus,  wobei  er  freilich  art  und 
Spielart  noch  nicht  bestimt  auseinanderzuhalten  vermag.  Und  widerum 
auch  werden  die  beschreibungen  fast  jeder  im  texte  behandelten  art 
unterstüzt  durch  abbildungeu,  welche  in  holzschnitt  zwar  nicht  mit 
künstlerischer  Vollendung,  aber  doch  so  geschickt  ausgeführt  sind,  dass 
sie  bei  einer  geringen  durchschnittlichen  liöhe  von  nur  ungefähr  12  cen- 
timetern  doch  naturgetreue  darstellungen  ergeben,  in  denen  die  pflan- 
zen sicher  erkant  werden  können. 

Dem  texte  vorangedruckt  ist  ein  Verzeichnis  von  mehr  als  100 
benuzten   Schriftstellern,    welches   von   Fythagoras   und  Aristoteles   bis 


MACEE    UND    DIE    DEUTSCHE    BOTANIK  211 

auf  des  Verfassers  Zeitgenossen  herabreicht.  Bock  und  Fuchs  sind  darin 
aufgefülirt,  während  es  auffallen  rauss,  dass  Otto  Brunfels  fehlt.  Auch 
Aemilius  Macer  erscheint  hier  widerum  unter  den  gewährsmäunern, 
und  wird  auch  im  texte  ab  und  zai  genant,  zuweilen  unter  hinzufüguug 
einiger  verse  des  lateinischen  gedichtes,  während  er  mir  bei  Bock  und 
Fuchs  nicht  aufgestossen ,  und  von  diesen  beiden  vielleicht  auch  nicht 
unmittelbar  benuzt  worden  ist. 

In  diesem  grossen  hier  kurz  dargelegten  zusammenhange  gewint 
der  Macer  Floridus  erst  seine  volle  bedeutung.  Sein  unbekanter  Ver- 
fasser hatte  aus  quellen,  welche  ihm  und  seinen  Zeitgenossen  als  die 
wertvolsten  und  zuverlässigsten  galten,  eine  blumeniese  des  wichtig- 
sten zusammengestelt  über  die  heilwirkungen.  solcher  pflanzen  und 
gewürze,  die  damals  fast  sämtlich  für  jedermann  leicht  und  billig  zu 
erreichen  waren ,  und  hatte  damit  nicht  nur  ein  bequemes  handbüchlein 
für  ärzte  geliefert,  sondern  zugleich  auch  eine  anleitung  zu  einer  haus- 
apotheke,  die  von  höchstem  werte  sein  muste  zu  einer  zeit,  wo  ärzte 
und  apotheker  noch  selten  und  teuer  zu  haben  waren,  und  jede  haus- 
frau  zugleich  auch  noch  hausarzt  war.  Wie  aber  die  in  sein  gedieht 
aufgenommenen  angaben  zum  teil  schon  aus  sehr  alter  Überlieferung 
stammen,  so  haben  sie  sich  auch  weiter  fortgepflanzt,  durch  die  heil- 
mittellehren der  arabischen  und  salernitanischeu  ärzte,  und  dann  widerum 
durch  die  von  deutschen  ärzten  verfassten  kräuterbücher  bis  über  das 
16.  Jahrhundert  hinaus.  Und  wenn  sie  gegenwärtig  auch  aus  den  gelehr- 
ten botanischen  und  medicinischen  handbüchern  verschwunden  sind,  so 
bewahrt  doch  noch  manche  erfahrene  hausfrau  und  hausmutter  eine 
reiche  kentnis  altbewährter  hausmittel  aus  dem  pflanzenreiche,  und 
verficht  die  in  eigener  erfahrung  erprobte  Wirksamkeit  derselben  tapfer 
gegen  die  gleichgiltige  oder  gar  abschätzige  meinung  des  akademisch 
gelehrten  arztes.  Andrerseits  freilich  mag  auch  gar  manches  stück  des 
heute  noch  unter  dem  volke  gangbaren  aberglaubens  aus  solchen  alten 
und  zum  teil  uralten  Überlieferungen  herstammen. 

Heutiger  wissenschaftlicher  prüfung  würden  sich  vielleicht  nicht 
wenige  von  Macers  angaben  als  medicinisch  wertlos  oder  aucli  irrig 
und  sogar  schädlich  herausstellen ,  damals  jedoch  wurden  sie  algemein 
für  glaubwürdig  gehalten ,  durch  das  ganze  mittelalter  fortgeführt ,  und 
mit  neuen  angaben  vermehrt,  welche  eben  so  gläubige  aufnähme  fan- 
den, bis  endlich  nach  dem  wideraufleben  der  klassischen  Studien  kritik 
und  eigene  forschung  erwachte  und  almählich  erstarkte,  wie  denn  auch 
die  ärzte  des  16.  Jahrhunderts  in  ihren  kräuterbüchern  das  selbsterfah- 
rene und   selbst   erprobte  ausdrücklich    betonen.     Je  weniger  man  aber 

14* 


212  J.   ZÄCHEK 

im  mittelalter  die  glaubwürdigkeit  und  Zuverlässigkeit  der  angaben 
Macers  bezweifelte,  desto  mehr  empfahl  sich  das  büchlein  den  gelehr- 
ten durch  die  handlichkeit  seines  umfanges  und  durch  die  gefälligkeit 
und  bequemlichkeit  seiner  hexametrischen  versform.  Und  weil  es  durch 
seine  beschränkung  auf  leicht  und  überall  erreichbare  mittel  zugleich 
auch  dem  bedürfnisse  der  ungelehrten  so  vorzüglich  entgegenkam ,  ward 
es  auch  diesen  durch  deutsche  Übersetzung  zugänglich  gemacht. 

Hieraus  ergibt  sich,  dass  die  deutsche  bearbeitung  des  Macer 
Floridus  einen  nicht  unerheblichen  kultur  -  und  litteraturgeschichtlichen 
wert  besizt.  Aber  auch  in  sprachlicher  beziehung  ist  sie  von  Wichtig- 
keit, teils  überhaupt  als  ein  denkmal  der  deutschen  lehrhaften  prosa 
des  13.  und  14.  Jahrhunderts ,  teils  auch ,  weil  sie  eine  anzahl  minder 
üblicher  ausdrücke  darbietet,  die  in  Sprachdenkmälern  anderen  Inhaltes 
selten  oder  gar  nicht  begegnen.  Joseph  Haupt  hat  volkommen  recht, 
wenn  er,  in  seiner  abhandlung  „Über  das  mitteldeutsche  arzneibuch  des 
meisters  Bartholomaeus,"  die  deutschen  philologen  wegen  ihrer  Vernach- 
lässigung der  mittelalterlichen  naturwissenschaftlichen  und  medicinischen 
litteratur  tadelt,  und  ihnen  zu  kritischer  bearbeitung  und  herausga,be 
insonderheit  empfiehlt:  das  grosse  methodische  medicinische  werk, 
welches  die  mittelhochdeutschen  Wörterbücher  als  „Diemers  Arznei- 
buch" bezeichnen;  die  Practica  des  Meisters  Bartholomaeus;  den 
Macer  Floridus;  und  das  Obst-  und  Weinbüchlein  des  Gotfried 
von  Franken.^  Leicht  und  bequem  ist  eine  solche  arbeit  freilich 
nicht,  wegen  der  sehr  verwickelten  und  verzwickten  handschrift- 
lichen Überlieferung,  viel  nützer  aber  und  viel  verdienstlicher  wäre  sie 
unzweifelhaft  als  die  besorgung  eines  abdruckes  so  mancher  wertlosen 
reimerei. 

Ein  recht  schlagendes  zeugnis  für  die  algemeine  Verbreitung  und 
die  hohe  Schätzung  dieser  arzneibücher  während  des  mittelalters  gewährt 
eine  äusserung  des  bruder  Berthold ,  der  als  wirksamer  volksprediger 
seinen  nach  tausenden  zählenden  und  aus  allen  ständen  gemischten 
Zuhörern  doch  nur  derartiges  darbot,  was  allen  fassbar  und  einleuch- 
tend war,  und  eben  deshalb  seines  wuchtigen  eindruckes  nicht  verfehlte. 
In  einer  predigt  „Von  des  libes  siechtuom  unde  der  sele  töde"  sagt 
er :  ^  „  Sumeliche  liute  hänt  den  siechtuom ,  den  alle  meister  nicht  ver- 
tribeu  künnent;  unde  gieugen  alle  meister  zuo,  die  von  erzenie  ie 
geläsen,   die  künden  etelichen  siechtuom  niemer  vertriben  noch  gebüe- 

1)  In  der  Wiener  papierhandschrift  des  14.  Jahrhunderts  nr.  2977  lautet  sein 
titel:  Lucidarius  von  allir  ley  pfroppfunge  der  boume  vud  wie  man  den  weyn  legen 
vnd  halden  sali. 

2)  Berthokl  von  ßegensburg ,  herausg.  von  Fz.  Pfeiffer.     Wien  1862.    1,  517. 


MACEE   UND   DIE   DEUTSCHE    BOTANIK  213 

zen;  unde  lebte  noch  lier  Galienus  uiide  her  Oonstantinus  imde  her 
Avicennä  unde  her  Macer  unde  her  Bartholomeus ,  —  die  wären  die 
aller  hohesten  meister  die  von  erzenie  ie  geläsen,  unde  habeut  alle 
künste  erfunden  und  erdäht,  diu  von  erzenie  ie  wart  erdälit  — ,  unde 
lebten  die  alle  noch ,  sie  möhten  etelichen  siechtuom  niemer  gebüezen." 
Und  ungefähr  um  dieselbe  zeit  rühmt  den  Macer  in  gleich  bevorzugen- 
der weise  der  Verfasser  des  deutschen  Cato,  wenn  er  (ed.  Zarncke, 
Leipzig  1852.  s.  40)  mit  bezeichnender  gegenüberstellung  sagt :  über 
die   kräfte    der  pflanzen   gebe  Macer   auskunft,    wie  Marbod    über   die 

der  steine: 

Wildü  kündic  werden 

240  ze  büwen  die  erden, 

daz  si  dir  vruht  müez  gebende  wesen, 

so  soltü  Virgiljuui  lesen; 

so  tuot  dir  Macer  kuntschaft 

würzen  unde  kriuter  kraft, 
245  der  steine  Lapidärjus; 

strit  und  urliuge  Lücänus. 

Den  oben  abgedruckten  bruchstücken  einer  deutschen  bearbeitung 
des  Macer  Floridus  habe  ich,  um  die  beurteilung  des  deutschen  textes 
zu  sichern  und  zu  erleichtern,  die  entsprechenden  stücke  des  latei- 
nischen textes  nach  Choulants  ausgäbe  beigegeben.  Auch  habe  ich 
einige  berichtigende  oder  erläuternde  anmerkungen  hinzugefügt,  wofür 
die  obengenanten  arzneimittellehren  und  kräuterbücher  in  ihren  ent- 
sprechenden, teils  aus  Macer  selbst  geschöpften,  teils  aus  derselben 
Urquelle  und  Überlieferung  herstammenden  angaben  verlässigen  anhält 
darboten. 

Vergleicht  man  nun  den  deutschen  text  mit  dem  lateinischen,  so 
ergibt  sich,  dass  der  deutsche  bearbeiter  seine  aufgäbe  im  algemeinen 
mit  richtigem  Verständnis  und  anerkennenswertem  geschick  gelöst  hat, 
so  dass  ihm  nur  wenige  und  geringfügige  versehen  untergelaufen  sind. 
Übergangen  hat  er  gleichfals  nur  weniges,  und  meistens  nur  solche 
stellen,  welche  gelehrte  litterarische  notizen  enthalten,  und  ihm  des- 
halb practisch  entbehrlich  schienen,  oder  auch  solche,  welche  geschlecht- 
liche Verhältnisse  in  einer  ihm  anstössigen  weise  berühren.  Dagegen 
bieten  die  hier  abgedruckten  deutschen  bruchstücke  drei  kapitel  dar, 
welche  sieb  im  lateinischen  texte  des  Macer  Floridus  nicht  vorfinden, 
weder  in  dessen  alten  echten  kapiteln,  noch  unter  den  später  hinzu- 
gekommenen unechten,  die  Choulant  seiner  ausgäbe  des  Macer,  und 
auch  nicht  unter  jenen  unechten,   die  Keußs  seiner  ausgäbe  des  Hortu- 


214  J.    ZACHER 

lus  von  Walafrid  Strabus  ^  anhangsweise  beigefügt  hat.  Es  sind  die 
kapitel  xvj.  Beta,  heisgresse;  xsx.  Cucumer,  cuntir;  xxxj.  Cerviboletum, 
Mrsesswam. 

Anlangend  kapitel  16.  Beta,  lehrt  die  vergleichung  mit  den  Pan- 
dectae  medicinae  des  Silvaticus,  dass  das  im  deutschen  texte  dieser 
bruchstücke  gesagte  dem  inhalte  nach  im  wesentlichen  übereinstimt 
mit  dem  was  Silvaticus  darbietet  als  geschöpft  aus  Dioscorides,  und 
dasselbe  ergebnis  liefert  für  das  in  kapitel  30  über  Cucumer  berichtete 
die  vergleichung  mit  dem  Liber  de  simplicibus  des  Serapion.  Demnach 
ist  zu  vermuten,  dass  der  deutsche  bearbeiter  des  Macer  diese  beiden 
kapitel  aus  einem  lateinischen  Dioscorides,  oder  aus  einer  von  diesem 
abgeleiteten  quelle  entnommen  und  eingeschaltet  habe.  —  Dagegen  ist 
es  mir  nicht  gelungen  von  kapitel  31.  Cerviboletum,  die  quelle  zu  ent- 
decken. Gemeint  ist  nach  aller  Wahrscheinlichkeit  Lycoperdum  cervi- 
num ,  hirschtrüffel ,  ein  schwamm ,  der  ehemals  unter  der  benennung 
Boletus  cervinus  in  der  medicin  gebraucht  wurde.  ^  Der  lateinische 
Macer,  Serapion,  Platearius,  Silvaticus,  und  der  Ortus  sanitatis  bieten 
nichts  entsprechendes.  In  den  kräuterbüchern  von  Bock  und  Fuchs 
sind  die  schwämme  überhaupt  nicht  behandelt,  und  Tabernaemontanus 
widmet  ihnen  gegen  ende  seines  Werkes  nur  ein  kapitel,  in  welchem 
er  der  „Hirtzbrunst,"  oder  des  „Hirschschwammes,"  oder  der  „Erd- 
morchel "  und  ihrer  Wirkung  nur  ganz  kurz  und  obenhin  gedenkt.  — 
Ebensowenig  habe  ich  bei  kapitel  32  die  quelle  der  wunderlichen  in 
der  deutschen  bearbeitung  gebrauchten  lateinischen  und  deutschen  benen- 
nungeu:  „Caratum,  stopf  den  buch''''  auffinden  können.  Gemeint  ist 
zweifellos,  wie  die  vergleichung  des  lateinischen  textes  beweist,  „Inula 
Helenium ,"  oder ,  wie  die  benennung  früher  gewöhnlich  lautete ,  „  Enula 
campana,  Alant."  Für  ein  lateinisches  Caratum  wolte  sich  nirgend 
ein  anhält  darbieten,  und  die  anderwärts  ebenfals  vergeblich  gesuchte 
deutsche  benennung  „  Sto^if  den  buch "  stimt  doch  kaum  zu  dem  im 
texte  über  die  Wirksamkeit  der  Inula  berichteten. 

Alle  drei  kapitel  16.  30  und  31  scheinen  aber  bereits  der  älte.- 
sten  deutschen  bearbeitung  des  Macer  angehört  zu  haben.  Denn  kap.  16. 
Beta,  heizgresse  unserer  bruchstücke  entspricht  nach  aller  Wahrschein- 
lichkeit dem  kap.  67.  hetz  in  der  (oben  als  nr.  2  verzeichneten)  Wiener 
handschrift  nr.  5305 ,  nach  Haupts  angäbe  in  seiner  abhandlung  Über 
das  arzneibuch  des  meisters  Bartholomaeus  s.  85  [533];  und  gleicher- 
weise  scheint  kap.  30.   cucumer,    cuntir  unserer  bruchstücke   dem   von 

1)  Walafridi  Strabi  Hortulus,  auctore  F.  A.  Reuss.     Wirceburgi  1834. 

2)  Nemnich,  Polyglotten -lexicon  der  natiirgeschiehte  3,  473.  s.  v.  Lycoper- 
dum cervinum. 


MACER  UND    DIE   DEUTSCHK   BOTANIK  215 

Haupt  ebendaselbst  angefürteii  kap.  86  pedeme  derselben  Wiener  hand- 
schrift  zu  eutsprcchon.  Endlich  kap.  31.  cerviboletum  unserer  bruch- 
stücke  begegnet  ebensowol  in  derselben  Wiener  handsclnift  nr.  5305, 
wie  in  der  oben  als  nr.  3  verzeichneten  vaticanischen  nr.  4847,  und 
zwar  in  beiden  als  kap.  90.  cerviboletus,  liirzsivam. 

Wenn  aber ,  nach  der  kapitelzahl  der  beiden  eben  genanten  hand- 
schriften,  der  Wiener  und  der  vaticanischen,  zu  schliessen,  die  älteste 
deutsche  bearbeitung  90  kapitel  enthielt ,  so  übertraf  sie  den  nur 
77  capitel  darbietenden  lateinischen  text  um  13  kapitel,  welche  folg- 
lich der  deutsche  bearbeiter  aus  anderen  quellen  entnommen  haben 
muss. 

Endlich  bleibt  noch  zu  erwähnen,  dass  auch  eine  Übersetzung  in 
deutsche  gereimte  verse,  aber  eine  ziemlich  übel  geratene,   neuerdings 
aufgefunden  worden   ist,   in  einer  299  folioblätter  befassenden  papier- 
handschrift   aus    dem   anfange   des    15.  Jahrhunderts   in   der   Biblioteca 
Bertholiana  zu  Vicenza ,  über  welche  A.  Schönbach  in  Haupts  Zeitschrift 
für  deutsches  altertum  (Berlin  1877)  21,  434  eine  kurze  nachricht  mit- 
geteilt hat.     Sie   folgt   in    dieser  handschrift   nach    einem  italienisch - 
lateinischen  kräuterbuche  auf  den  blättern  142  —  269,  und  begint: 
Erbarum  quasdam  dicturus  carmine  vires 
Herbarum  matrem,  dedit  Arthemisia  nomen 
cui  grecus  sermo,  justum  puto  pouere  primum. 
Ich  wirdt  sagen  von  etlicher  wurtzen  kraft 
als  ich  gefunden  hab  in  der  maisterschaft. 
dy  kriechisch  sprach  hat  geben  an  allen  list 
der  pesmalten  ^  ein  besunderen  nam  ze  diser  frist, 
ain  muetter  der  kreutter,  und  Arthemisiam; 
und  darumb  ist  recht  von  ir  zu  heben  an. 
Der  schluss  lautet  bl.  269 : 

Hie  ist  explicit  Macer  Herbarum, 
aber  du  solt  nicht  fragen  warumb. 

HALLE,    APRIL    1880.  J.   ZACHER. 

1)  pesmalte,  d.i.  besenmelde,  ist  ein  vulgärname  der  Artemisia  abrotanum, 
der  stabivurz.  Diese  benennung  fehlt  in  den  Wörterbüchern  von  Müller- Zarucke, 
Lexer  und  Grimm ,  wird  aber  aufgefülirt  von  Diefenbach  in  seinem  Glossarium 
latino-germanicum  (Prancof.  1857)  s.  51 ''  unter  artemisia  als  pesemnalten.  Des- 
gleichen bieten  Bock  s.  129*,  Tabernacmontanus  1,  52  und  Nemnich  1,  466  für 
artemisia  abrotanum,  stabivurz,  die  ganz  ähnlich  gebildete  Vulgärbenennung  besen- 
kraut. 


21G  BEHAGHEL,    DATIV   UND   ACCUSATIV 

DATIV  UND  ACCUSATIV. 

Zu  ztschr.  11,  73. 

Kinzel  will  in  seinem  autsatze  in  dieser  ztschr.  XI,  73  meine 
Untersuchung  Germ.  XXIV,  24  fgg.  ergänzen.  Besonders  findet  er  es 
einseitig,  dass  ich  nur  von  casusvertauschung  beim  pronomen  gespro- 
chen habe,  während  doch  beim  Substantiv  ebenfals  accusativ  für  dativ 
und  dativ  für  accusativ  vorkomme.  Dies  erhärtet  er  durch  eine  reihe 
von  belegen.  Vermutlich  ist  mancher  leser  dieser  Zeitschrift  zur  ansieht 
gekommen,  dass  mich  die  götter  mit  blindheit  geschlagen.  Glücklicher 
weise  aber  liegt  das  übersehen  nicht  auf  meiner  seite.  Erstens 
hat  Kinzel  folgenden  satz  meiner  abhandlung  übersehen  (s.  30):  „... 
habe  ich  hier  bei  der  Zählung  die  beispiele,  wo  der  casus  von  einer 
Präposition  begleitet  ist,  nicht  berücksichtigt.  Denn  in  diesen  fällen 
beschränkt  sich  die  vertauschung  nicht  auf  die  pronomina;  sie  erscheint 
algemein,  auch  bei  Substantiven.  Hier  geht  sie  offenbar  aus  von 
den  Präpositionen,  die  sowol  dativ  als  accusativ  regieren,  dehnt  sich 
dann  nach  und  nach  mit  der  zeit  so  ziemlich  auf  alle  präpositio- 
nen  aus." 

Zweitens  hat  er  übersehen  —  und  das  ist  schlimmer  — ,  dass 
unter  seinen  beispielen  von  accusativ  der  substantiva  statt  dativ  kein 
einziges  ist,  wo  nicht  der  casus  mit  einer  präposition  ver- 
bunden wäre.  Nicht  einmal  das  ist  ihm  aufgefallen,  dass  unter  den 
14  aus  Alexander  angeführten  beispielen  von  apocope  des  e  im  dativ 
der  substantiva  dreizehn  fälle  des  angeblichen  dativs  bei  präpositionen 
stehen  (und  das  vierzehnte  ist  verdorben).  Diese  fälle  sind  natürlich 
ebenso  zu  beurteilen ,  wie  die  von  ihm  s.  76  unter  c  angeführten ,  d.  h. 
es  steht  accusstiv  statt  dativ  bei  der  praeposition.^  Die  von  Kinzel 
beigebrachten  tatsachen  von  accusativ  des  Substantivs  für  dativ  sind 
also  gerade  diejenigen,  deren  heranziehung  ich  ausdrücklich  und  aus 
guten  gründen  zurückgewiesen  hatte.  Denn  dass  eine  casusvertauschung, 
die  nur  bei  präpositionen  stattfindet,  nichts  zu  tun  haben  kann  mit 
einer  solchen,  die  bei  allen  Verwendungen  der  betreffenden  casus  ein- 
tritt, das  liegt  auf  der  band.  Aus  gleichem  gründe  ist  es  auch  unzu- 
lässig, die  von  Kinzel  und  mir  angeführten  vertauschungen  mit  der 
tatsache  in  Verbindung  zu  bringen ,  dass  auf  niederfränkischem ,  nieder- 
deutschem und  teilweise  auf  mitteldeutschem  gebiet  der  dativ  des  star- 
ken adjectivs  von  einer  gewissen  zeit  au  auf -e«  statt  auf -e/M  ausgeht, 

])  Übrigens  kann  keine  rede  davon  sein,  dass  in  liüs  das  dativ -e  apoco- 
piert  sei. 


THIELE,    BRIEFE    AN    ESCHENBÜRCx 


217 


also  accusativ  imd   chitiv  des  masciüins  gleich  werden   (aber  nicht  des 
feminins  und  des  neutrums!). 

Auch  die  wenigen  beispiele  von  dativ  des  Substantivs  für  accu- 
sativ haben  weder  mit  den  casusvertauschungen  des  pronomens  noch 
mit  dem  Übergang  des  m  in  u  etwas  zu  tun.  Es  sind  nur  einzelne 
bestimte  verben:  ein  paar  beispiele  bei  heilen, ^  eines  bei  miiowen, 
eines  bei  gcrinwcn.  Dunken,  von  dem  Kinzel  ein  beispiel  anführt, 
gehört  nicht  hierher  (got.  thugkeith  misü).  Bei  heizen  richtet  sich  der 
dativ  nach  der  construction  bei  dem  synonymon  gebieten,  bei  muowen 
und  riuiven  nach  ausdrücken  wie :  mir  ist  wc,  mir  ist  leide  usw.  Kin- 
zel selbst  illustriert  die  tatsache,  dass  ein  wort  die  constructionsweise 
eines  synonymons  erhalten  kann;  er  schreibt  s.  74:  „Einer  besonderen 
erwähnung  verdienen  die  fälle." 

HEIDELBERG,   DEN  17.  FEBK.  1880  OTTO  BEHAGHEL. 


BRIEFE  AN  JOH.  JOACH.  ESCHENBURG. 

I.    Von  Christian  Felix  Weisse. 

A  Monsieur 
Monsieur  Eschenburg, 

Gouverneur  ^  au  College  illustre  de  & 

ä  Brunsvs^ig. 
Warum  so  viele  Entschuldigungen,  mein  liebster  Freund;,  über 
Ihre  verzögerten  Beyträge  zur  Bibliotheck  ?  ^  es  ist  ja  ohnedieß  bloße 
Güte,  daß  Sie  in  Zukunft  Theil  daran  nehmen  wollen.^  Ich  danke 
Ihnen  also  von  ganzem  Herzen  für  das  Ueberschickte :  beunruhigen  Sie 
sich  wegen  des  nächsten  Stückes  nur  nicht:  ich  will  es  so  gut  auszu- 
füllen suchen ,  als  ich  kann ,  da  mir  die  itzigen  Festtage  *  einige  Stun- 
den Zeit  verschaffen,  Die  Abhandlung  über  die  Chinesische  Malerey, 
die  ich  auch  schon  zu  übersetzen  angefangen ,  wird  recht  gut ,  die  Stelle 
der  Abhandlung  vertreten.^  Ob  des  Guys  Lettres  sur  les  Grecs  eine 
ßecension  verdienen,  zweifle  ich  beynahe:  was  er  von  Künsten  sagt, 
ist  ka^m  der  Mühe  werth  und  wie  mich  deucht,  schon  zehnmal  besser 
gesagt.*^  Bei  der  Recension  des  Lessingischen  Trauerspieles  habe  ich 
das  Bedenken ,  daß  gleichwohl  diese  Zeitung ,  die  wenigstens  bey  uns 
hier  bekannt  ist ,  in  fremde  Hände  fallen  und  den  Verfassern  der  Biblio- 
theck, die  mau  nicht  kennt,  den  Vorwurf  des  Abschreibens  zuziehen 
möchte.'^     Zweytens   bin   ich  noch   immer   der  Meynnng,    daß  ich   die 

1)  Vgl.  Eilh.  4380  dö  hiz  he  cleme  hnapin.     Serv.  1 ,  58  als  hy  synen  jonghe- 
ren  Met.    Herb.  26263  und  hiezen  in  (sc.  den  fromven). 


218  THIELE 

Bibliotheck  mehr  den  Künsteu  und  Aestlietischen  Büchern  als  dem  deut- 
schen Witze  ^  gewiedmet  seyn  lasse.  Ich  habe  es  aus  der  Erfahrung, 
daß  man  entweder  nichts  thun,  als  loben,  oder  sich  den  größten  kriti- 
schen Anfechtungen  aussetzen  muß,  wenn  man  seine  Gedanken  mit 
Freymüthigkeit  zu  sagen  waget :  ^  dieß  lezte  würde  aber  mein  Leben 
mit  Unruhe  erfüllen,  und  ich  habe  weder  Muth  noch  Kräfte,  mich  in 
Streitigkeiten  einzulassen ,  noch  eine  bittere  Eache  gleichgültig  zu  ertra- 
gen, die  gelegentlich  nicht  außen  bleibt.  Dieß  ist  auch  die  wahre 
Ursache ,  warum  ich  bisher  auch  von  unsern  besten  kSchriftstellern ,  oder 
vielmehr  Dichtern  geschwiegen  habe.  Ich  habe  dadurch  so  viel  gewon- 
nen ,  daß  ich  auch  dadurch  die  Zudringlichkeit  der  mittelmäßigen  Köpfe 
von  mir  abgewiesen  habe,  die  mir  Kecensionen  abgefodert  haben.  Ich 
weiß  nicht,  ob  Sie  diese  meine  Beweggründe  für  gut  halten:  aber  ich 
denke,  unsterbliche  Werke  werden  ohnedieß  von  aller  Welt  gelesen: 
die  gelehrten  Journale  und  Zeitungen  sind  itzt  so  eine  große  Menge, 
die  jedes  Werk  dieser  Art  anpreisen,  daß  wenn  ich  auch  nichts  dabey 
thue ,  als  bloß  mit  einstimmen ,  für  das  Publicum ,  nicht  der  mindeste 
Vortheil  erwächst.  Aesthetische  und  Kunstbücher  zu  prüfen,  ist  aber 
der  wenigsten  ihre  Sache:  wenige  Journale  lassen  sich  darauf  ein  und 
gleichwohl  nimmt  die  Kunstliebhaberey  so  itzt  unter  uns  zu,  daß  sie 
vorzüglich  ein  Gegenstand  der  Kritick  zu  seyn  scheinet.  Wenn  ich  bis- 
weilen eine  Recension  über  Poesien  mit  eiugestreuet  habe,  so  ist  es 
der  Abwechslung  wegen,  und  bey  solchen  Schriftstellern  geschehen, 
die  bey  Genie  noch  Besserung  bedürfen,  die  meine  Kritick  nützen  kön- 
nen und  von  denen  ich  hoften  darf,  daß  sie  mir  verzeihen,  wenn  ich 
auch  irrte.  Doch  dieß  sage  ich  Ihnen  alles  ins  Ohr,  als  einem  meiner 
Busenfreunde.  Sie  haben  doch  meiner  Sophia  *"  Ihre  Kritick  beygefügt? 
Dieß  wünsche  ich  vornehmlich.  Herr  Döbbelin^^  ist  hier  und  ich  freue 
mich  darauf,  unseres  Lessings  treffliche  Emilia  zu  sehen:  er  wird, 
wie  ich  höre ,  damit  den  Anfang  machen.  Gern  schrieb  ich  ihnen  mehr, 
mein  Theuerster ,  aber  man  fodert  mir  meinen  Brief  ab.  Ihre  Beyträge 
zur  Bibliotheck  will  ich  Ihnen  nach  den  Bogen  getreulich  berechnen 
und  die  Mad.  Dyckin  ^^  bittet  sich  aus,  ihr  nur  wissen  zu  lassen,  was 
Sie  gern  von  ihren  Verlagsbüchern  haben  möchten.  Meine  Frau  und 
Kinder  empfehlen  sich  Ihnen  freundschaftlich  auf  das  lebhafteste.  Erhal- 
ten Sie  mir  des  Herrn  Pr.  Eberts/^  Gärtners,^*  und  Lessings  Gewo- 
genheit. 

Ich  bin  lebenslang 

Ihr 

Leipzig  d.  16.  Apr.  [1772].  Weiße. 

Eiligst. 


BRIEFE  AN   ESCHENBÜRG 


II.    Von  Fried.  Nicolai. 


219 


1. 
Herrn  Prof.  Eschenburg  Berlin  tl.  15.  Dec.  1781. 

in  Braunschweig. 

Ich  bitte  Sie  um  Verzeihung  mein  theuerster  Herr  und  Freund 
daß  ich  Ihr  Schreiben  v.  14.  Novbr  nicht  eher  beantwortet  habe.  Ich 
habe  wirklich  so  viele  Geschäfte  vorgefunden,  dalS  ich  Ihnen  jetzt  auch 
nur  in  großer  Eile  schreiben  kann. 

Daß  ich  das  dankbarste  Andenken  an  die  glücklichen  Tage  hege, 
die  ich  in  Ihrer  Gesellschaft  zugebracht  habe,  können  Sie  mir  gewiß 
glauben.  Wollte  Gott  ich  könnte  so  glücklich  seyn,  Sie  ganz  hier  zu 
sehen.  Aber  was  könnten  wir  Ihnen  hier  anbieten ,  was  Ihrer  dortigen 
Lage  gleich  käme.  Wenigstens  hofte  ich  doch,  daß  Sie  einmahl  eine 
Reise  hieher  thun  werden. 

Ich  danke  Ihnen  für  die  Schriftproben  die  recht  gut  sind,  und 
über  die  Preise  des  Druckes  würde  sich  ja  allenfalls  auch  mit  dem 
Drucker  eine  Auskunft  finden  laßen.  ^^  Aber  die  Hauptschwierigkeit  ist 
immer  noch  das  Papier.  Wenn  sich  Herr  Rückling  nicht  sollte  bewe- 
gen lassen,  für  solches  Papier  wie  Lessings  Bejträge  haben, ^®  zu 
sorgen,  so  muß  ich  Sie  mein  bester  Freund  bitten,  sich  die  Adresse 
an  den  Papiermacher  geben  zu  lassen  (die  ich  hier  nicht  finden  kann) 
an  denselben  einen  Bogen  zur  Probe  zu  senden,  und  ihn  zu  fragen,  ob 
er  etwa  5  ä  6  Pallen  solches  Schreibpapieres  diesen  Winter  noch 
liefern  könne,  und  wie  theuer,  frcö  bis  Braunschweig  liefern  könne, 
gegen  gleich  baare  Bezahlung,  sobald  es  Probemäßig  geliefert  wor- 
den. Ich  habe  die  Anzahl  der  Pallen  angegeben ,  in  der  Meinung, 
daß  es  25  ä  30  Bogen  ä  1000  Auflage  werden  würden.  Sollten  Sie 
es  stärker  schätzen,  so  bitte  ich  Sie,  verhältnißmäßig  die  Anzahl 
des  Papieres  zu  schätzen.  Sobald  ich  den  Preis  erfahre,  so  werde 
ich  gleich  die  Bestellung  gleich  ganz  richtig  machen.  Verzeihen  Sie 
daß  ich  Sie  hiemit  beschwere.     Ich  weiß  mir  nicht  anders  zu  helfen. 

Nun  bitte  ich  Sie  auch  mir  gelegentlich  zu  melden  ob  ich  hoffen 
darf,  daß  der  2.  Band  zum  Hederich^'  der  ganz  Ihre  Arbeit  seyn 
wird,'^  zu  Ostern  1783  gedruckt  zu  sehen  hoffen  kann,  und  wann 
Sie  glauben ,  daß  der  Anfang  des  Druckes  geschehen  könne.  Auch  bitte 
ich  den  lieben  H.  Schmid  Ph.  (den  ich  von  ganzem  Herzen  umarme) 
zu  ersuchen,  daß  Er  Ihre  Intention  hierüber  in  seiner  Vorrede  zum 
1.  Bande  bekannt  machen  möge.  ^^ 

Ich  habe  Ihnen  ein  Pro  M.  wegen  verschiedener  Nachrichten  die 
ich  verlangte,  hinterlaßen,   das  ich  Ihrer  gütigen  Besorgung  empfehle. 


220  THIELE 

Zwey  ähnliche  P.  M.  über  andere  Nachrichten  habe  ich  an  H,  Ch.  Schmid 
Ph.  und  H.  Bibliothekar  Langer  ^^  gegeben.  Seyn  Sie  doch  so  gütig 
beide  daran  zu  erinnern. 

Auch  wünschte  ich  eine  genauere  Beschreibung  der  gläsernen 
Maschine  in  der  herzoglichen  Naturalienkanimer  in  Brauuschweig,  wo- 
durch der  Umlauf  des  Blutes  vorgestellt  wird.  Ich  habe  den  H.  Prof. 
Zimmermann  ^  *  in  einem  Billet  darum  gebeten.  Darf  ich  bitten ,  die- 
sen lieben  so  gern  procrastinirenden  Mann  daran  zu  erinnern. 

In  den  Gothaischen  Gelehrt.  Zeitung,  nr.  70  von  1781  steht:  Ein 
Windmüller  Felter  in  Leinde  bei  Wolfenbüttel  habe  einen  Wagen  ver- 
fertigt ,  mit  welchem  er  ohne  Pferde  vermittelst,  des  Windes  fahre. 

Ich  wünschte  Nachricht,  ob  dieses  wahr?  und  in  solchem  Fall 
genaue  Beschreibung  der  Maschine  und  ihrer  Wirkung. 

Verzeihen  Sie  die  viele  Bemühung,  die  ich  Ihnen  verursache. 
Ich  bitte  Sie  noch,  mich  und  meinen  Sohn^^  Ihrer  liebenswürdigen 
Frau  Gemahlinn,  Ihrem  Herrn  Schwiegervater,^^  und  allen  den  ver- 
ehrlichen Leuten,  in  deren  Umgang  ich  so  vieles  Vergnügen  gehabt 
habe  zu  empfehlen.     Ich  bin  von  ganzem  Herzen 

Ihr  ergebenster  Diener 

Fr.  Nicolai. 
Herrn  2. 

Herrn  Eschenburg 

HerzogL  Hofrath  und  Professor  Berlin  den  6.  August  1803. 

am  Carolinum 
zu  Braunschweig. 

Ich  ^^  habe ,  mein  würdigster  Herr  und  Freund ,  Ihr  Schreiben 
vom  18.  Julius  zu  seiner  Zeit  richtig  erhalten.  Meine  Handlung  hat 
Ihnen  auch  das  6.  7.  8.  Heft  von  Herders  Adrastea^^  gesendet. 

Ach  mein  theuerster  Freund,  ich  habe  wohl  der  Eeise  nach  Pyr- 
mont entsagen  müssen,  denn,  es  macht  mir  nicht  nur,  die  A.  D.  B.,^^ 
vereint  mit  meinen  übrigen  Handlungs-  und  anderen  Geschäften  so 
unbeschreiblich  viel  Arbeit,  daß  ich  mich  gar  nicht  besinnen  kann, 
und  beynahe  den  Gedanken  fassen  mul^,  die  A.  D.  B.  aufzugeben, 
sondern  es  ist  mir  auch  in  dieser  zeit  so  unbeschreiblich  viel  häus- 
licher Kummer  zubereitet,  daß  ich  wohl  voraussehen  konnte  es  würde 
vergeblich  seyn,  eine  Keise  zur  Kur  unternehmen  zu  wollen,  zu  einer 
Zeit  wo  mir  natürlich  die  Euhe  des  Gemüths  ganz  fehlen  muß.  Mein 
einziger  übergebliebener  Sohu^'  der  in  der  günstigsten  Laufbahn  ist, 
indem  er  in  jungen  Jahren  schon  erster  Kammer -Direcktor  in  Kaiisch 
und  sehr  glücklich  verheirathet  ist,^^  bekam  bey  dem  sehr  heißen 
Anfange   des   Aprills   einen  gefährlichen   Blutsturz.     Er  hatte   alzufrüh 


BRIEFE   AN   ESCHENBURG  221 

wieder  angefangen  zn  arbeiten,  und  so  bekam  er  im  Junius  ein  noch 
gefährlicheres  Recidiv.  Zwar  ist  er  nun  seit  Kurzem  aus  dem  Bette 
aufgestanden ,  aber  noch ,  sonderlich  wenn  er  wieder  in  die  Geschäfte 
kommt,  nicht  außer  der  Gefahr  eines  zweyten  Recidiv,  welches  ihn 
wahrscheinlich  tödlich  seyn  würde. ^^  Meine  älteste  Tochter^"  kam  im 
May  mit  ihrem  dritten  Kinde  nieder ,  hatte  eine  schwere  Geburt  und 
befand  sich  seitdem  so  schwach  daß  die  Zufälle  sehr  bedenklich  waren, 
und  wohl  voraus  zu  seilen  war,  sie  würde  lange  schwach  bleiben.  Sie 
schien  sich  etwas  zu  erholen,  aber  den  18.  Julius  starb  ihr  kleinstes 
Kind.  Nachdem  sie  dasselbe  bey  eigner  Schwäche  schon  an  14  Tage 
lang  gepflegt ,  hatte  sie  wohl  für  ihre  Kräfte  allzuviel  gethan ,  und  so 
gefast  auch  ihr  Geist  ist,  so  hat  doch  seitdem  ihre  Krankheit  so  zu- 
und  ihre  Kräfte  so  abgenommen ,  daß  wir  ihrer  Auflösung  täglich  ent- 
gegen sehen  müssen,  und  fast  gar  keine  Hoffnung  übrig  bleibt.  Meine 
jüngste  Tochter  ^^  von  der  die  Kranke  Tag  und  Nacht  gepflegt  wird, 
geht  auch  zu  Grunde,  und  siebet  wie  ein  Schatten  aus.  Mein  Schwie- 
gersohn vergeht  vor  Kummer.  Was  ich  dabey  leide,  können  Sie  sich 
vorstellen ,  ohnerachtet  ich  alle  Kräfte  anwende  mich  zu  fassen ,  um 
auch  die  Meinigen  nicht  meinetwegen  zu  betrüben.  Aber  wie  viel  mich 
diese  Philosophie  kostet,  und  wie  heftig  sie  auf  mein  Innerstes  wirkt, 
ist  nicht  auszusprechen.  Beschäftigung  durch  Arbeiten  mancher  Art  ist 
noch  mein  bester  Weg  zu  einiger  Erholung;  aber  [wer]  weis  ob  in 
einiger  Zeit  meine  Kräfte  auch  dazu  zureichen  werden,  denn  mein 
häusliches  Glück,  mein  Einziges,  hat  einen  harten  Stoß  gelitten.  Ich 
höre  iudeß  nicht  auf  mir  selbst  Ruhe  zu  predigen,  und  es  gelingt  mir 
in  so  weit,  daß  ich  wenigstens  meine  notliwendigsten  Geschäfte  ver- 
richten, und  meine  betrübten  Kinder  in  etwas  trösten  kann.  Auch  ist 
meine  Gesundheit  leidlich,  bis  auf  einen  seit  vorigen  Winter  eingewur- 
zelten Husten.  Leben  Sie  wohl  mein  theurer  Freund  und  bleiben  Sie 
gesund  und  glücklich,  ich  bin  von  ganzem  Herzen 

der  Ihrige 
Fr.  Nicolai. 
N.  S.    Noch  einen  Tag  ehe  das  Kind  starb,  und  unsers  äußerstes 
Unglück  angieng ,  war  ich  mit  meiner  jüngsten  Tochter  in  Kl.  Schöne- 
beck auf  einem  kleineu  Feste  wegen  H,  Fred.  Rapps   (dessen  Gattin  Sie 
kennen)  silbernen  Hochzeit.     Ich  hielt  dabey  eine  Rede ,  die  anbey  liegt. 


Aumerkung-en. 

Im  besitze  des  herrn  geh.  oberjustizrates  0.  Preuss ,  früheren  chefs  des 
obergerichts ,  z.  zt.  bibliothek.  der  öffentlichen  bibliothck  zu  Detmold,  befindet 
sich   eine   wertvolle  autographensamlung.     Zu   dieser   gehören   die  oben  gedruckten 


222  THIELE 

drei  briefe,  welche  mir  der  besitzer  nicht  nur  in  der  freundlichsten  weise  zur  ver- 
öifentlichung  überlassen  hat,  sondern  bei  deren  drucklegung  er  mich  auch  durch 
seinen  beirat  auf  das  trefflichste  unterstüzte.  Die  briefe  selbst  erhielt  herr  Preuss 
von  seinem  Schwiegervater,  dem  im  jähre  1861  in  Detmold  verstorbenen  regierungs- 
präsidenten  Wilhelm  Arnold  Eschenburg  (vgl.  d.  Allgem.  Deutsch.  Biographie  s.  v. 
W.  A.  Eschenburg),  dem  söhne  Johann  Joachim  Eschenburgs.  Der  vater  des  herrn 
Preuss,  legationsrat  Frz.  Ludwig  Preuss,  zuerst  ingenieuroffizier  in  preussischen 
und  hannoverschen  diensten ,  dann  vom  jähre  1808  an  bis  zu  seinem  tode  lehrer 
der  mathematik  und  geographie  am  gymnasium  zu  Detmold  (starb  1845,  vgl.  das 
Programm  des  gymuasiums  Leopoldinum  zu  Detmold  v.  j.  1845),  war  mitarbeiter 
an  der  Allg.  Deutsch,  und  Neuen  Allg.  Deutsch.  Bibliothek  von  Fr.  Nicolai  (vgl. 
die  Mitarbeiter  z.  Fr.  Nicolais  Allg.  Deutsch.  Bibl.  v.  G.  Parthey,  1842,  s.  22); 
wir  werden  unten  in  anm.  26  auf  ihn  zurückkommen.  Die  briefe  sind  genau  in  der 
Orthographie  und  mit  der  Interpunktion  der  originale  abgedruckt. 

1)  Da  Job.  Joachim  Eschenburg  von  Michaelis  1767  bis  1773  ,,  öffentlicher, 
in  herzogl.  diensten  stehender  hofmeister"  (gonverneur  d.  i.  ein  junger  lehrer 
„zur  aufsieht  über  die  in  dem  collegiengebäude  wohnenden  jungen  leute"  —  vgl. 
Entwurf  einer  Geschichte  des  Collegii  Carolini  in  Braunschweig  v.  J.  J.  Eschen- 
burg, Berlin  und  Stettin  bei  Fr.  Nicolai  1812,  s.  18)  am  Collegium  Caroliuum  war 
(vgl.  Jördens  Lexicon  Deutscher  Dichter  und  Prosaisten  VI.  bd.  s.  768) ,  aber  bereits 
am  anfange  des  Jahres  1773  zum  professor  an  derselben  anstalt  ernant  wurde  (vgl. 
Entwurf  usw.  s.  66) ,  ferner  da  Lessings  Emilia  Galotti  am  ende  des  briefes  erwähnt 
wird,  welche  bekautlich  am  anfange  des  Jahres  1772  gedruckt  (vgl.  Karl  Lessings 
briefe  an  seinen  bruder  vom  14.  jan.,  1.  febr. ,  3.  febr. ,  15.  febr. ,  29.  f ehr.  und 
12.  märz  1772,  Lessings  Werke  bei  G.  Hempel  bd.  XX.  2.  abteilung  Briefe  an  Les- 
sing, herausgegeben  von  Redlich,  s.  541fg. ,  552  fgg.,  558,  561  fg. ,  570  fgg.,  und 
von  Lessiug  an  Voss  vom  25.  jan.  1772  und  an  seinen  bruder  Karl  vom  25.  Jan., 
10.  febr.  und  1.  märz  1772,  a.  a.  o.  erste  abteilung  s.  475  fg.,  474  und  482  fg.)  und 
bereits  am  13.  märz  1772  in  Brauuschweig  zum  geburtstage  der  verwittweten  her- 
zogin  nach  dem  manuscripte  des  dichters  von  Döbbelin  (vgl.  Danzel-Guhrauer 
Lessings  Leben  und  Werke,  11,  1  s.  37  und  Eberts  brief  an  Lessing  vom  14.  märz 
1772,  a.  a.  o. ,  erste  abt.  s.  576  fg.)  so  wie  am  6.  april  1772  in  Berlin  (vgl.  die 
briefe  Nicolais  an  Lessing  vom  7.  april  1772  und  Karl  Lessings  vom  12.  april  1772, 
a.  a.  0.  s.  583  fgg.  und  s.  589  fgg.)  auf  dem  Kochschen  theater  (vgl.  Brachvogel 
Gesch.  d.  kgl.  Theaters  zu  Berlin  L  s.  238)  aufgeführt  wurde ,  so  muss  der  brief 
am  16.  april  1772  geschrieben  sein;  hiermit  stimt  auch  die  zeit  der  Veröffentlichung 
von  Weisses  abhandlung,  welche  in  der  4.  anmerkung  erwähnt  wird. 

2)  Es  ist  natürlich  die  von  Nicolai  im  jähre  1757  gegründete  und  seit  1759 
vom  5.  bis  12.  bde.  von  Weisse  redigierte  „Bibliothek  der  schönen  Wissenschaften" 
gemeint,  welche  seit  1765  unter  dem  titel  „Neue  Bibliothek  der  schönen  Wissen- 
schaften und  freyen  Künste  "  von  Weisse  fortgesetzt  wurde.  Anfänglich  hatte  Weisse 
die  herausgäbe  allein  besorgt ,  dann  mit  dem  Verleger  Dyk  zusammen ,  zulezt  über- 
liess  er  sie  demselben  gänzlich.     Sie  gieng  mit  dem  72.  bände  im  jähre  1806  ein. 

3)  Da  die  recensionen  in  der  ,, Bibliothek"  anonym  erschienen,  so  lässt  sich 
nicht  ermitteln,  welche  Beiträge  Eschenburgs  Weisse  im  sinne  hat. 

4)  Es  sind  die  osterfoiertage  des  jahres  1772;  ostern  fiel  in  diesem  jähre  am 
19.  und  20.  april,  also  schrieb  Weisse  am  grünen  donnerstage. 

5)  In  der  N.  Bibl.  d.  seh.  W.  und  fr.  K.  steht  immer  eine  abhandlung  voran, 
dann  folgen  die  recensionen.     Die  bezeichnete  abhandlung  führt  den  genauen  titel: 


BRIEFE    AN  ESCHENBURG  223 

Auszug  eines  Schreibens  des  P.  Amiot  aus  Peking  vom  I.März  1769,  welches 
Nachrichten  von  dem  Jesuiten  Attiret,  einem  dortigen  geschickten  Maler,  und  von 
dem  Zustande  der  Malerey  in  China  überhaupt  enthält  (Anmerkung:  Dieser  auszug 
ist  von  dem  herrn  Deguignes  und  im  Journal  des  Schavans  Juin  1771  befindlich)": 
sie  erschien  in  der  bibliothek  band  XIII,  1772,  stück  II  s.  I!i7  — 225. 

6)  Merkwürdig  ist  es,  dass  Weisse  trotzdem  diese  abhandlung  damals  selbst 
übersetzte,  und  zwar  unter  dem  titel:  liiterarische  Reise  nach  Griechenland  oder 
Briefe  über  die  alten  und  neuern  Griechen,  nebst  einer  Vergleichung  ihrer  Sitten 
von  Herrn  Guys.  Aus  dem  Französischen.  Erster,  zweiter  teil.  Leipzig  1772, 
(1  rth.  6  Gr.):  vgl.  Jördens,  s.  v.  Weisse,  bd.  V.  s.  289. 

7)  Wahrscheinlich  hatte  Eschenburg  das  eben  erschienene  und  die  grösste 
aufmerksamkeit  erregende  trauerspiel  Lessings,  Emilia  Galotti,  in  irgend  einer 
gelehrten  zeitung  besprochen,  vielleicht  in  dem  „Gelehrten  Beiblatte  zu  den  Braun- 
schweigschen  Anzeigen ,"  für  welche  er  schrieb  (vgl.  Schiller,  Braunschweigs  schöne 
Literatur  in  den  Jahren  1745  bis  1800,  1845,  s.  83),  oder  wahrscheinlicher  han- 
delt es  sich  um  die  von  Redlich  (Lessings  Werke  XX.  bd.  1.  abteilung,  Brief  an 
Eva  König  vom  15.  märz  1772  s.  488  anm.  3)  erwähnte  besprechung  der  „Emilia" 
in  der  Hamb.  N.  Zeitung  1772  st.  47  und  53,  von  welcher  der  gelehrte  Lessing- 
forscher vermutet,  dass  sie  aus  Eschenburgs  feder  herrühre.  Eschenburg  wolte 
also  diesen  artikel  in  der  N.  B.  wider  abdrucken  lassen. 

8)  ,,Witz''  ist  hier  in  der  bekanten  bedeutung  des  18.  jahrliunderts  zu  neh- 
men, =  ,,genie,"  ,,werk  des  witzes,"  ,,  dichtwerk " ;  vgl.  Hamburg.  Dramat. ,  her- 
ausgeg.  von  Schröter  und  Thiele ,  st.  I  anm.  3. 

9)  Weisse  bezieht  sieb  hier  auf  seine  trüben  erfahrungen ,  die  er  mit  Sulzer 
imd  Bodmer  gemacht  hatte ,  vgl.  Jürdeus  a.  a.  o.  s.  263  —  264. 

10)  ,,  Sophie  oder  die  Brüder"  lautete  ursprünglich  der  titel  eines  bürger- 
lichen trauerspieles,  welches  Weisse  1769  —  70  verfasst  hatte,  und  welches  erst 
später  den  umgeänderten  titel  „Die  Flucht"  erhielt.  Der  Verfasser  hat  es  durch 
längere  zeit  zurückbehalten.  Er  schrieb  darüber  am  28.  december  1772  an  Uz : 
„Ich  habe  seit  zwei  jähren  ein  trauerspiel  liegen;  aber  so  gerne  ich  mich  beschei- 
denen kritiken  unterwerfe,  so  möchte  ich  doch  nicht  scurrilisiert  werden."  Nach 
Plümike  ist  es  durch  Koch  am  4.  februar  1772  in  Berlin  aufgeführt  worden.  — 
Vgl.  J.  Minor,  (!hr.  Fei.  Weisse.  Innsbr.  1880.  s.  245  fg.  —  Die  Chronologie  des 
deutschen  Theaters,  von  Ch.  H.  Schmid,  Leipzig  1775,  sagt  darüber  s.  310,  zum 
jähre  1771:  „und  von  einem  neuen  trauerspiele  desselben,  „Sophie,  oder  die  Brü- 
der ,"  darf  noch  nichts  gesagt  werden ,   da  es  noch  nicht  im  druck  erschienen  ist." 

11)  Karl  Theophilus  Döbbelin  (geb.  1720  zu  Berlin,  nach  andern  1727  zu 
Königsberg  in  der  Neumark,  vgl.  Chronologie  des  deutschen  Theaters  s.  143,  Prutz 
Vorlesungen  über  die  Geschichte  des  deutschen  Theaters  s.  358),  ist  der  bekante 
und  in  Lessings  briefwechsel  oft  erwähnte  theaterprincipal.  Da  er,  wie  in  anm.  1 
bemerkt  ist,  das  manuscript  der  „Emilia"  besass,  so  wolte  er,  um  von  dem  neuen 
stücke  viel  vorteil  zu  ziehen,  es  wahrscheinlich  auch  in  Leipzig  zur  aufführung 
bringen.  Döbbelin ,  der  viel  wanderte  und  die  merkwürdigsten  Schicksale  erlebte, 
war  zwar  damals  in  Braunschweig,  spielte  aber  grade  in  Leipzig  gern,  vorher  und 
auch  noch  später,  wie  z.  b.  eine  notiz  in  der  ,, Chronologie  des  deutschen  Thea- 
ters" s.  345  z.  j.  1774  beweist:  ,,Herr  Döbbelin  gieng  zu  o.stern  über  Magdeburg 
nach  Leipzig." 

12)  Die  Weissesche  bibliothek  erschien  im  Verlage  der  Dykischen  buchhand- 
lung  in  Leipzig. 


224  THIELE 

13)  Joh.  Arnold  Ebert  (1723  —  1795),  damals  professor  der  englischen  und 
griechischen  spräche  am  Collegiuni  Carolinum  zu  Braunschweig. 

14)  Karl  Christian  Gärtner  (1712  — 1791),  zu  jener  zeit  professor  der  Sitten- 
lehre und  deutschen  redekunst  am  Coli.  Carol. 

15)  Es  scheint,  als  ob  Nicolai  bei  seinem  besuche  in  Braunschweig  bei 
Eschenburg  den  versuch  gemacht  habe,  in  der  Waisenhausbuchhandlung  zu  Braun- 
schweig, deren  factor  der  gleich  darauf  erwähnte  herr  Bückling  (nach  einer  freund- 
lichen brieflichen  mitteilung  des  herrn  archivrat  Hänselmann  in  Braunschweig  war 
Heinrich  Bückling,  nachdem  Michaelis  1756  sein  amtsvorgänger  Wilhelm  Christoph 
Henning  entlassen  war,  factor  der  im  jähre  1751  gegründeten  buchdruckerei  des 
herzogl.  Waisenhauses,  in  der  er,  gleich  Henning ,  zuvor  als  setzer  gearbeitet  hatte. 
Er  erweiterte  dieselbe  mit  vielem  glück  und  geschick  und  starb ,  dreiundneunzig 
jähre  alt,  am  7.  april  1805;  vgl.  Grotefend  Geschichte  der  Buchdruckerei  in  den 
Hannov.  und  Braunschweigschen  Landen,  Hannover  1840)  war,  artikel  seines  Ver- 
lages drucken  zu  lassen,  wahrscheinlich  aus  rücksichten  grösserer  billigkeit,  und 
zwar  wol  zuerst  die  anm.  18  erwähnte  neubearbeitung  des  ,,  Hederich";  doch  ist 
der  plan  nicht  gelungen,  da  sowol  bd.  1  von  Schmidt -Phiseldek  als  bd.  2  von 
Eschenburg  den  gewöhnlichen  druckort  der  Nicolaischen  verlagswerke  ,,  Berlin  und 
Stettin"  tragen,  wie  ich  bei  beiden  mir  vorliegenden  Originalausgaben  sehe. 

16)  Nicolai  meint  von  Lessing:  Zur  Geschichte  und  Literatur,  aus  den 
Schätzen  der  Herzoglichen  Bibliothek  zu  Wolfenbüttel.  Erster  Beitrag,  Braunschweig 
in  der  Buchhandlung  des  Fürstl.  Waysenbauses  1773,  Zweiter  band  ebenda  1773, 
Dritter  band  ebenda  1774,  Vierter  band  ebenda  1777,  Fünfter  band  ebenda  1781 
von  Lessing  und  Eschenburg,  endlich  Sechster  band  ebenda  1781  von  Lessing  und 
Christian  Leiste. 

17)  Mag.  Benjamin  Hederich,  geb.  am  12.  dec.  1675  zu  Geithen,  einer  stadt 
bei  Meissen,  lehrer  an  der  schule  zu  Kloster  Bergen  bei  Magdeburg,  1705  rector 
zu  Grossen  -  Hayn  in  Sachsen,  starb  daselbst  am  18.  juli  1748  (vgl.  Jöcher  Allgem, 
Gelehrtenlexikon  2.  bd.  s.  v.  Hederich).  Das  betreffende  werk  von  ihm,  das  1710 
zuerst  erschien,  führt,  wie  die  mir  vorliegende  4.  aufläge  vom  jähre  1725,  Witten- 
berg bei  Gottfried  Zimmermanns  sei.  Wittwe,  zeigt,  folgenden  titel:  ,,  Anleitung  zu 

den  fürnehmsten  Historischen  Wissenschaften ,    sofern  solche  einem  politen 

Menschen,   insonderheit  aber  denen,   so  die  Studia  zu  prosequiren  gedenken,   nütz- 
lich und  nöthig." 

18)  Dieses  für  seine  zeit  innnerhin  bedeutende  buch  wolte  Nicolai  neu  her- 
ausgeben und  übertrug  die  bearbeltung  der  7.  aufläge,  welche  17G0  erschienen  war, 
an  Christoph  Schmidt -Phiseldeck  (geb.  1740  in  Northeim  bei  Göttingen,  seit  1765 
professor  des  öffentlichen  rechtes  am  Carolinum  zu  Braunschweig)  und  Joh.  Joach. 
Eschenburg.  Der  1.  band,  von  Schmidt -Phiseldeck  besorgt,  erschien  1782,  der 
2.  band,  den  Eschenburg  umarbeitete,  1783.  Beide  sprechen  sich  in  den  ,, vorre- 
den" über  ihre  tätigkeit  genauer  aus,  Schmidt  vornümlich  auf  s.  3  dahin,  dass  er 
das  werk  für  seine  zeit  brauchbarer  machen  wolte,  ohne  die  eigentliche  bestim- 
mung  desselben  zu  einem  schulbuche  aus  den  äugen  zu  setzen ,  Eschenburg  auf  der 
zweiten  seite  des  ,, Vorberichtes,"  dass  er  den  Hederichschen  plan  nicht  nur  erwei- 
tert habe,  sondern  dass  in  seiner  ganzen  arbeit  fast  nirgend  eine  spur  von  der 
Hederichs  anzutreffen  sei. 

19)  Dies  hatte  Schmidt  auf  s.  6  der  am  26.  febr.  1781  unterzeichneten  vor- 
rede mit    folgenden  Worten  bereits   getan:    ,,Der  zweite  Theil  dieses  Buches,   wel- 


BRIEFE   AN    ESCHENBURG  225 

chen  Herr  Professor  Esclienburg  ausarbeitet ,  wird  die  Mythologie ,  die  römischen 
Alterthümer  und  eine  Notiz  der  klassischen  Schriftsteller  enthalten ,  und  zur  Oster- 
niesse  1783  an\s  Licht  treten." 

20)  Tianger  war  Lessings  nachfolger  in  Wolfenbüttel  und  verwaltete  die 
bibliothek  bis  zu  seinem  am  24.  febr.  1820  erfolgten  tode.  Er  schrieb  reccnsionen 
in  die  Allgem.  Deutsche  Bibliothek  (darauf  bezieht  sich  wol  Nicolais  P.  M.)  und 
in  die  „Göttingischen  Gelehrten  Anzeigen;"  vgl.  Schönemaun  Hundert  Merkwürdig- 
keiten der  Herzogl.  Bibliothek  zu  Wolfenbüttel,  1849,  und  0.  v.  Heinemann  Die 
Herzogl.  Bibliothek  zu  Wolfenbüttel,  1878. 

21)  Eberhard  August  Wilhelm  Zimmermann  (geb.  17.  aug.  1734)  war  seit 
1766  ordentl.  professor  am  Carolinum  und  hielt  Vorlesungen  über  mathematik ,  phy- 
sik  und  naturgeschichte :  vgl.  Eschenburg  Entwurf  einer  Gesch.  des  Coli.  Carol.  s.  92. 

22)  Hiermit  meint  Nicolai  wol  seinen  ältesten  söhn  Samuel  Friedrich  ,  der 
ihn  auf  seiner  reise  durch  Deutschland  und  die  Schweiz  begleitet  hat;  er  unter- 
stützte damals  seinen  vater  in  der  fiihrung  der  buchhandlung.  Selbst  nicht  ohne 
gelohrsamkeit  und  durch  fieiss  ausgezeichnet,  starb  er  leider  schon  1790;  vgl. 
Göckingk  Friedr.  Nicolais  Leben  und  literarischer  Nachlass,  1820,  s.  30. 

23)  Joh.  Joach.  Eschenburgs  gattiu  war  Dorothea,  die  tocliter  des  bekanten 
freundes  von  Lessing,  des  herzogl.  Braunschweig,  consistorialrates  und  professors 
der  religiou  und  latinität  am  Carolinum  Konrad  Arnold  Schmid  (geb.  23.  febr.  1716, 
seit  1760  in  Braunschweig,  er  starb  am  16.  nov.  1789);  vgl.  Eschenburg  a.  a.  o. 
s.  85  fg.  und  Schiller  a.  a.  o.  s.  75  —  80. 

24)  Der  brief  ist  dictiert  worden  ,  wie  es  Nicolai  in  seinen  späteren  jähren 
meist  tat;  nur  die  adresse,  die  nach-  und  unterschritt  sind  von  seiner  eigenen  band. 

25)  Adrastea,  herausgegeben  von  J.  G.  v.  Herder,  5  bände  (jeder  band  zu 
2  stücken),  Leipzig  1801—1803  (der  sechste  band  erschien  erst  1804).  Hier  ist 
also  die  zweite  hälfte  des  3.  und  der  ganze  4.  band  gemeint.  Der  erstere  enthielt: 
Horazens  ersten  brief  des  ersten  buches,  der  4.  band:  Persius,  P^inleitung  und  erste 
Satire;  vgl.  Jördeus  lexikon  II  s.  387. 

26)  Vielleicht  dürfte  es  nicht  uninteressant  sein,  hier  noch  einen  brief  aus 
dem  nachlasse  des  am  anfange  unserer  erörterungen  erwähnten  legationsrates  Preuss, 
den  Nicolai  an  denselben  schrieb,  als  er  ihn  zum  mitarbeiter  an  der  Allg.  Deutsch. 
Bibliothek  warb,  zu  veröffentlichen.     Dieser  brief  lautet: 

Hoch  wohlgeborener  Berlin  d.  19.  Juni  1804. 

besonders  hochzuehreuder  Herr. 
Der  Herr  Oberst  v.  Massenbach  hat  mir  gesagt,  dass  Ew.  Hochwohlgeboren 
geneigt  wären,  an  der  allgemeinen  deutschen  Bibliothek  durch  Eecensierung  neuer 
Kriegsschriften  Antheil  zu  nehmen.  Dieß  ist  mir  sehr  angenehm,  und  ich  bin 
daher  so  frey,  Ihnen  anbei  theils  das  gedruckte  Promemoria  von  der  äußeren  Ein- 
richtung der  Bibliothek  und  verschiedener  dahin  gehöriger  Circularien  als  auch 
einige  neue  Bücher  zu  senden ,  um  deren  Recensiou  ich  bitte.  Für  das  Honorarium 
werden  6  rth.  für  den  gedruckten  Bogen  gerechnet,  und  Sie  bekommen  auch  gra- 
tis ein  Exemplar  von  allen  neuen  Bänden  der  Bibliothek,  so  wie  sie  herauskom- 
men. —  Wenn  Sie  einmal  nach  Berlin  kämen,  so  würde  ich  mich  freuen,  Ihre 
persönliche  Bekanntschaft  zu  machen.  Ich  füge  nur  noch  die  Versicherung  der  voll- 
kommenen Hochachtung  hinzu,  womit  ich  verharre 

Ew.  Hochwohlgeboren 

ergebenster  Diener 

Fr.  Nicolai. 

ZEITSCHR.    F.    DEUTSCHE    PHILOLOGIE.    BD.  XII.  15 


226  KINZEL 

N.  S.    Ihre  Zeichen  werden  sein: 
3)t.  (deutsch)        Hr.  (lat.) 
womit  Sie,  nach  Gefallen,  abwechselnd  Ihre  Eecensionen  zu  unterzeichnen  belieben. 

Kurz  nachher,  am  25.  sept.  1804,  zeigt  Nicolai  in  einer  gedruckten  nach- 
richt  den  empfang  zweier  am  10.  aug.  j.  j.  von  Eschenburg  eingesanten  recensionen 
an,  wobei  er  sich  in  einer  eigenhändigen  nachschrift  entschuldigt,  weil  er  wegen 
seiner  abwesenheit  im  bade  Pyrmont  erst  so  spät  geantwortet  habe.  —  Neben  einzel- 
nen mahnzetteln  um  ablieferung  von  recensionen  schliesst  dann  die  correspondenz 
bald  mit  der  Übersendung  eines  drei  quartseiten  langen  promemorias  an  die  sämt- 
lichen herren  Verfasser  der  algemeinen  deutschen  Bibliothek  aus  dem  anfange  des 
Jahres  1805  (Nicolai  sagt  darin:  „ich  trete  in  wenigen  wochen  in  mein  73.  jähr,"  — 
er  war  geboren  am  18.  märz  1733),  worin  Nicolai  seinen  entschluss  mitteilt,  die 
,, Bibliothek"  eingehen  zu  lassen. 

27)  Nicolais  ältester  söhn  starb,  wie  in  anm.  22  bereits  erwähnt  ist,  im 
jähre  1790;  sein  zweiter  söhn  Carl  August  war  auch  bereits  im  jähre  1799  verstor- 
ben, und  so  lebte  im  jähre  1803  nur  noch  der  jüngste,  David.  Göckingk,  a.  a.  o. 
s.  30  fg.,  erzählt,  dass  derselbe  Ökonomie  theoretisch  und  praktisch  studiert 
und  auch  als  Schriftsteller  sich  in  seinem  fache  hervorgelan  habe.  Zuerst  als 
domainen  -  Intendant  in  der  provinz  Südpreussen  angestelt ,  wurde  er  dann  director 
der  kriegs-  und  domainenkammer  zu  Kaiisch. 

28)  David  Nicolai  war  mit  der  tochter  des  geh.  oberfinanzrates  Parthey  zu 
Berlin  vermählt ;  vgl.  Göckingk  a.  a.  o.  s.  31. 

29)  Er  starb  nicht  in  folge  jener  blutstürze,  sondern  eines  unglücklichen 
Sturzes,  den  er  auf  der  jagd  mit  dem  pferde  tat,  bereits  im  jähre  1804. 

30)  Wilhelmine  Nicolai  hatte  sich  im  jähre  1797  mit  dem  hofrat  Parthey, 
welcher  bei  dem  general-oberünanzdirectorium  zu  Berlin  angestelt  war,  vermählt. 
Sie  starb  wirklich  im  jähre  1803.  Ihr  söhn  ist  der  Verfasser  der  Zusammenstellung 
der  mitarbeiter  an  der  Allg.  Dtsch.  Bibl. ,  erschienen  1842.  Göckingk  a.  a.  o.  s.  31 
rühmt  sie  als  eine  gebildete,  geistreiche  und  liebenswürdige  danie. 

31)  Auch  die  besorgnis,  welche  Nicolai  für  seine  jüngste  tochter  Charlotte 
Macaria  hatte,  war  nicht  unbegründet.  Göckingk,  a.  a.  o.  s.  32  zolt  ihr  gleiches  lob 
wie  ihrer  Schwester;  auch  besass  sie  eine  sehr  schöne  stimme,  doch  soll  dies  die 
Ursache  ihres  frühzeitigen  todes  gewesen  sein,  weil  durch  die  anstrengung,  die  sie 
ihrer  schwachen  brüst  beim  singen  zumutete,  der  in  ihr  liegende  keim  zur  Schwind- 
sucht sich  weiter  ausbildete,  denn  sie  starb  bereits  im  jähre  1808.  So  muste  Nico- 
lai das  traurige  geschick  haben ,  alle  seine  kinder  zu  überleben ,  bis  er  selbst  am 
6.  Jan.  1811  die  lebensmüden  äugen  schloss. 

DETMOLD,    na   MAI    1880.  R.    THIELE. 


DER  WADEL. 


Ich  habe  schon  in  dieser  zischr.  XI,  493  darauf  hingewiesen, 
dass  ivndel  in  Seifrid  Helb.  III,  s.  172  schwerlich  eine  art  badehose 
bezeichne,  wie  A.  Schultz  in  seinem  Höf.  Leben  meint.  Das  richtige 
hätte  der  Verfasser  bei  Haupt  z.  f.  d.  a.  XI,  51  (Zu  Wolframs  Parzi- 
val)  gefunden,  und  wenn  er  Georg  Zappert,   Über  das  badewesen  mit- 


DER    WADEL  227 

telalterlicher  und  späterer  zeit  im  Archiv  f.  kuude  österr.  gesch.  quel- 
len 1859  21.  bd.  s.  1  —  166  gekant  liätte,  so  wäre  einiges  in  seinem 
in.  capitel  schärfer  gefasst  worden.  Beide  handelten  etwa  gleichzeitig 
auch  über  den  gebrauch  des  tvadels.  Ich  möchte  hier  zugleich  noch 
auf  zwei  stellen  aufmerksam  machen,  welche  Schultz  ebenfals  entgan- 
gen zu  sein  scheinen  und  auch  sonst  weder  in  den  angeführten  abhand- 
lungen  noch  in  den  Wörterbüchern  citiert  sind. 

Es  sind  besonders  vier  punkte,  welche  durch  die  monographie 
Zapperts  richtig  gestelt  werden.  Schultz  behauptet  s.  170  fg.  l)  die 
männer  hatten  badehosen  angelegt,  ehe  sie  ins  bad  stiegen.  2)  Die 
qucste  (bisweilen  mit  perizoma  glossiert)  ist  „ein  schamgürtel.'^  3)  Sol- 
che sind  auf  abbildungen  des  15.  Jahrhunderts  zu  sehen,  wo  sich  mann 
und  weib  im  gemeinsamen  bade  befinden.  4)  Seifrid  lässt  sich  a.  a.  o. 
einen  ivadel  umbinden. 

Dagegen  sagt  Zappert  s.  76:  „im  schwitz-  wie  wasserbade  befand 
man  sich  meist  in  völliger  hüUelosigkeit,  wie  dies  die  (von  ihm  mit- 
geteilten) abbildungen,  ebenso  die  im  Sachsenspiegel,  die  bekanten 
abbildungen  aus  der  bibel  des  königs  Wenzel,  der  holzschnitte  und 
kupferstiche  Behams,  die  holzschnitte  in  kalendern  des  16.  Jahrhun- 
derts usw.  zeigen."  In  den  offenen  mineralbädern  und  denen  beider 
gescMechter  erwähnt  er,  dass  „die  badegäste  aus  der  vermögenden 
klasse  mit  einem  schürz,  die  frauen  mit  einem  weit  ausgeschnittenen 
badelaken  bekleidet  waren"  (im  15.  jh.).  ,, Dieses  gemeinschaftliche 
baden  beider  geschlechter  war  in  den  früheren  Jahrhunderten  des  mit- 
telalters  streng  verpönt"  und  scheint  erst  aus  dem  Orient  eingedrungen 
zu  sein  (s.  82).  Unter  wadel,  questen  versteht  er  natürlich  auch  in 
der  stelle  des  Seifrid  die  zusammengebundenen  büschel,  welche  dazu 
dienten,  „sich  zur  erhöhung  der  hauttätigkeit  zu  peitschen  oder  zu 
besprengen"  (s.  79).  Er  erwähnt  aber,  und  das  wird  zugleich  durch 
eine  abbildung  aus  einer  handschrift  der  kaiserlichen  hofbibliothek  zu 
Wien  illustriert,  dass  man  sich  zugleich  im  notfalle  die  blosse  mit 
dieser  badequaste  deckte.  Er  weist  nach,  dass  man  in  poesie  und 
maierei  in  folge  dessen  auch  Adam  und  Eva  so  darstelte,  wenigstens 
in  Deutschland ,  während  „  die  künstler  Italiens ,  wo  dampf  bäder  in 
geringerem  gebrauche  als  in  Deutschland  standen,  sich  schriftmässig 
an  das  auch  in  ihrem  vaterlande  heimische  feigenblatt  halten."  Man 
vergleiche  dazu  Lexer  unter  wadel  =  laubbüschel:  swfn  wadel  deck- 
ten ir  schäm  Teichn.  C  60'';  unter  schirmwadcl:  mit  dem  Adames 
schermwadcle  wellent  si  ir  schäm  bedecken  Prl.  108. 

Ebenso  Haupt  a.  a.  o.  über  queste.  Er  führt  eine  anzahl  biblischer 
stellen  an ,  wo  queste  dem  perizoma  entspricht ;  bemerkt  aber ,  dass  die 

15* 


228  KINZEL,    DER    WADEL 

ursprüngliche  bedeiitung  eines  büschels  zu  gründe  liegt,  der  also  nur 
vorgehalten  wurde.  Einer  der  späteren  belege  ist  besonders  interes- 
sant ;  denn  er  zeigt  in  der  bedeutung  des  wertes  deutlich  den  Übergang 
zu  einem  wirklichen  kleidungsstück.  In  Könighofens  chronik  s,  50 
heisst  es  „von  den  leuten  die  Saturnus  in  Italien  fand :  ir  cleider 
worent  üz  loebe  oder  grase  gemäht  also  questen  oder  matten  (matten)" 
(Haupt  a.  a,  o.  s.  51). 

Auffallend  ist  es,  dass  nirgend  zur  erläuterung  der  Vorgänge  im 
bade  und  des  gebrauchs  der  tvadel  des  „blossen  keisers"  des  Herrand 
von  Wildonie  gedacht  ist.  Die  behandlung  desselben  Stoffes  vom  Stricker 
berücksichtigt  das  bad  nur  sehr  stiefmütterlich  (GA  III,  415):  der 
könig  geht  ins  bad ,  sezt  sich  zu  dem  engel  auf  die  bank  und  wirft  den 
sweiBbadcere ,  der  ihn  vertreiben  will ,  mit  einem  kübel.  Um  so  iustruc- 
tiver  hat  Herrand  die  sache  ausgestattet  (ed.  Kummer  1880  nr.  III): 
kleine  junklierlm  und  wtbelm  ein-  teil  diu  man  da  vindet  ringe  veil 
(v.  159)  bedienen  den  kaiser  im  bade.  Nach  dem  bade  wird  wasser 
angegossen  (an  die  heissen  steine) ,  die  fenster  werden  geschlossen ,  der 
kaiser  legt  sich  auf  die  bank.  Unterdessen  tritt  der  engel  in  seiner 
gestalt  aus  der  tür,  die  kämmerer  reichen  ihm  sin  badehleit  und  tra- 
gen ihm  sin  hatgewant  nach.  Der  kaiser  wird  blöz  hinausgeworfen 
(267): 

nach  im  si  sparten  suo  das  tor, 

da  stuont  er  jämerlichen  vor. 

ein  wadel  was  siner  lide  Jcleit; 

diu  vinster  naht  was  im  niht  leit, 

tvan  si  im  dacte  sine  schäm. 

Vielleicht  hätte  diese  stelle  Schultz  noch  in  seinem  irtum  vom  scham- 
gürtel  bestärkt.  Aber  es  ist  zweifellos:  der  kaiser  ist  ganz  nackt; 
man  vgl.  zur  bestätigung  v.  306:  sin  Up  ist  als  min  vinger  har.  Er 
deckt  seine  blosse  durch  den  vorgehaltenen  wadel.  Dies  beweist  denn 
auch  das  bild  in  der  handschrift.  Kummer  berichtet  s.  205  seiner 
ausgäbe:  „es  zeigt  den  nackten  kaiser  mit  der  kröne  auf  dem  haupte 
und  neben  ihm  liegt  der  wadel ,  ein  büudel  grüner  zweige ,  wie  man  ihn 
jezt  noch  in  dampf bädern  zum  besprengen  und  abklatschen  gebraucht." 

BERLIN,    JUNI    1880.  KARL   KINZEL. 


229 
LITTERATUR. 

Lessings  Hainburgisclie  Dramaturgie.     Für  die  oberste  Klasse  höhe- 
rer Lehranstalten   und  den    weiteren  Kreis  der  Clehildcten    erläu- 
tert von  Dr.  Friedrich  Schröter   und   Dr.  Richard  Thiele.     Halle,  Verlag 
der  Buchhandlung  des  Waisenhauses.    1878.     CXXXVI  und  G30  S.    8.     n.  10  m. 
Über  notwendigkeit,    zweck  und   plan  ihres  Unternehmens  sprechen  sich  die 
Verfasser  in  dem  Vorworte  folgendermassen  aus: 

, .Vieles  in  ihr  (der  H.  I).),  was  Lessing  als  l)ekant  voraussezte  und  voraus- 
setzen durfte,  weil  es  damals  gemeingut  aller  gebildeten  war,  ist  dem  bildungs- 
bewustsein  unserer  gegenwart  entschwunden  und  daher  jezt  unverständlich.  Ande- 
rerseits findet  sich  aber  auch  gar  manches,  das  Lessing  aus  dem  schätze  seines 
vielumfassenden  wissens  gespendet  hatte,  und  das,  schon  damals  schwerlicli  das 
eigentum  vieler,  in  unserer  zeit,  die  bei  dem  wachsenden  Inhalte  der  erkentnis 
jeden  mehr  denn  je  sich  auf  ein  einzelnes  gebiet  zu  beschränken  mahnt,  erst  recht 
nicht  mehr  von  allen  gewusst  wird  und  gewusst  werden  kann.  So  ist  die  Drama- 
turgie ein  buch  geworden,  das  mehr  gelobt  als  gelesen,  mehr  in  den  einzelnen 
hauptfragen  erfasst  als  voll  vorstanden  wird "  .... 

,,  Daher  muss  die  Wissenschaft  liier  eingreifen  und  vergessenes  und  verschwin- 
dendes wider  aufleben  lassen  oder  auffrischen,  mit  einem  worte:  den  teil  des  Wis- 
sens reconstruieren ,  aus  welchem  heraus  der  dramaturgist  sein  werk  schrieb.  So 
haben  es  Cosack,  Buschmann  und  mit  erweiterten  zielen  noch  ganz  jüngst  Blüm- 
ner mit  dem  Laokoon  gemacht.  Solte  die  Dramaturgie  nicht  dieselbe  rücksicht 
verdienen?  Es  lag  deshalb  der  gedanke  nicht  zu  fern,  diesen  schätz,  der  in  die 
tiefen  des  vergessens  zu  versinken  drohte,  für  die  gebildeten  unserer  nation  zu 
retten,  welche  die  Dramaturgie  in  ernstem  Selbststudium  lesen  wollen,  und  denen 
es  auf  ein  wirkliches  Verständnis  des  herlichen  buches  ankomt,  nicht  minder  sie  für 
diejenigen  zugänglich  zu  machen,  welche  noch  daran  sind,  sich  die  grundlagen 
einer  höheren  bildung  zu  erwerben ,  also  für  die  schüler  der  obersten  klasse  unse- 
rer höheren  lehranstalten ,  besonders  zum  zwecke  einer  fruchtbaren  privatlectüre. 
Um  diesen  kreisen  zu  dienen,  haben  die  herausgeber  ihr  werk  unternommen.  Für 
die  speciellen  zwecke  der  Wissenschaft  beabsichtigt  Cosack,  der  herausgeber  des 
Laokoon,  die  dramaturgie  ebenfals  zu  edieren,  und  hat  bereits  vor  mehreren  jäh- 
ren (in  Herrigs  Archiv  für  das  Studium  der  neueren  Sprachen  bd.  LI.  1873. 
s.  33  —  78)  einen  kritisch  bearbeiteten  text  und  einen  gelehrten  commentar  in  aus- 
sieht gestelt,  sowie  eine  probe  von  lezterem  veröifentlicht,  welche  wir  für  die 
betreffenden  stellen  (st.  X  —  XIV)  mit  dank  benuzt  haben:  er  hat  aber  leider  bis 
jezt,  so  viel  uns  bekant  geworden,  sein  versprechen  noch  nicht  eingelöst"  .  .  .* 

,,Wir  wollen  mit  unserer  ausgäbe  denen ,  die  an  der  gelehrten  form  anstoss 
nehmen  und  dieselbe  nicht  bewältigen  können ,  hilfreich  zur  seite  stehen ,  sie  teils 
durch  eine  einleitung,  in  welcher  sie  sowol  über  die  äussere  geschichte  und  alles, 
was  damit  zusammenhängt,  als  auch  über  den  Inhalt  im  ganzen  aufschluss  finden, 

1)  Hier  ist  den  Verfassern  ein  irtum  begegnet.  Auch  Cosack  verfolgt  in  seinem 
fast  gleichzeitig  erschienenen  commentare  die  aufgäbe  Lessings  klassische  werke  allen 
gebildeten  zugänglich  zu  machen  und  versichert  u.  a.  den  ausstellungen  gegenüber, 
welche  Blümner  an  Cosacks  Laokoon  gemacht  hat,  aus  vieljähriger  erfahrung,  „dass 
es  wirklich  leute  gibt,  welche  den  Laokoon  in  die  hand  nehmen,  trotzdem  sie,  ihrem 
bildungsgange  gemäss  —  mit  fremdwörtern  wie  parergon,  mensur  usw.  nicht  vertraut 
waren." 


230 


NEIDHABDT 


zum  Studium  der  dramaturgie  liinführeu,  vor  allem  aber  durch  anmerkungen  ihnen 
die  Schwierigkeiten,  welche  sich  im  einzelnen  finden,  lösen  und  somit  ihr  wissen 
erweitern"  .... 

„Was  den  text  anlangt,  so  haben  wir  den  der  Lachmann -Maltzahnschen 
ausgäbe  beibehalten  .  .  .  Geändert  haben  wir  nur  die  alte  Orthographie  und  die 
höchst  eigenartige  und  zu  üppige  interpunction  Lessings ,  und  haben  dafür  den 
jezt  geltenden  gebrauch  eingeführt,  besonders  aus  dem  gründe,  weil  unsere  aus- 
gäbe  auch  für  schüler  berechnet  ist  ...  Nirgends  aber  haben  wir  ins  fleisch 
geschnitten,  wir  haben  auch  nicht  ein  titelchen  in  der  flexion  der  worte  geändert, 
auf  dass  der  ganze  und  unverkümmerte  Lessing  mit  all  dem  reiz  seiner  eigentüm- 
lichkeit  auch  in  der  form  der  einzelnen  Wörter  zum  leser  spreche  .  .  .  Auch  glaub- 
ten wir  alle  fremdsprachlichen  stellen  durch  Übersetzung  sowol  im  texte  als  in  den 
anmerkungen  tilgen  zu  müssen." 

Um  nun  zunächst  einen  einblick  in  die  gliederung  und  den  Inhalt  der  ein- 
leitung  zu  gewähren,  möge  hier  eine  Zusammenstellung  der  Überschriften  zu  den 
einzelnen  abschnitten  platz  finden ,  welche  dem  werke  selbst  nicht  beigegeben  ist. 

Erster  absclinitt.    Äussere  geschichte. 

§  1.     Der  zustand  des  deutschen  theaters  bis  Gottsched.    (S.  I  — VIL) 

§  2.  Weitere  entwickelung  des  deutschen  theaters.  Nachahmung  der  Franzo- 
sen.   Notwendigkeit  der  reform.    (VII  —  XII.) 

§  3.  Wie  wolte  die  Hamburgische  Unternehmung  die  reform  bewerkstelligen  ? 
Die  massgebenden  persönlichkeiten  dabei.  Einleitung  des  Unternehmens. 
Lessing  wird  als  dramaturg  berufen.   (XIII  —  XVIII.) 

§  4.  Lessings  damalige  Verhältnisse.  Seine  Übersiedelung  nach  Hamburg. 
(XVIII  — XXI.) 

§  5.     Lessings  leben  in  Hamburg.    (XXI — XXV.) 

§  6.  Der  verlauf  des  Hamburger  Unternehmens.  Repertoir.  Das  unternehmen 
misglückt.    (XXV  — XXXIII.) 

§  7.  Lessings  tätigkeit  als  dramaturg.  Ankündigung.  Art  der  herausgäbe  der 
dramaturgie.     (Unterbrechungen.)     Epilog.     (XXXIII  -  XXXVII.) 

§  8.     Die  Schauspieler.     (XXXVIII  — LIII.) 

Zweiter  abschnitt.    Inhalt  der  dramaturgie. 

§  9.  Lessing  als  reformator  der  deutschen  litteratur.  Seine  bestrebungen  vor 
der  dramaturgie.  Kritischer  Standpunkt  und  einteilung  des  Inhaltes  der- 
selben.   (LIV  — LXIII.) 

I.    Negativer  teil. 

§  10.  Darlegung  des  zustandes  der  deutschen  bühne:  Dichter.  Kritiker.  Publi- 
kum. Schauspieler.  Originallustspiele.  Übersetzungen.  Originaltrauer- 
spiele.    (LXIII  — LXXU.) 

§  11.  Vernichtung  des  ausehens  der  Franzosen.  Lustspiel.  Weinerliches  lust- 
spiel.     Tragödie.     Theorie.     (LXXII— CI.) 

n.    Positiver  teil. 

1)    Die    regeln    des    dramas. 
§12.  Algemeine    gedanken:    Über    das    drama    im    algemeinen.      Über   die 
römische  komödic.     Unterschied  zwischen  tragödie  und  komödie,  hinsicht- 
lich des  Schauplatzes  wie  des  Schlusses.     Einteilung  des  stoffes.    Definition 
der  tragödie.     (CU  —  CV.) 


ÜBEK   LESSINGS   HAMB.   DRAM.    ED.    SCHEOETER  -  TUIELE  231 

§13.  Gegenstand  des  trauerspi  cles :  Nachahmung.  Handlung,  und  zwar 
nach  Stoffgebiet  und  behandlung.  Charaktere.  Arten  des  Trauerspieles. 
Verhältnis  der  tragödie  und  koraödie  zu  nioral  und  gescliichte.  Histori- 
sches drama.     (CV  — CXII.) 

§14.  Form  des  trauerspieles:  Bindung  und  losung  des  knotens.  Die  drei 
oinheiten.  Chor.  Musik  (überhauitt  beim  draraa).  Schauspielkunst.  Sce- 
neric.     Sprache.    (CXII  — CXVIII.) 

§  15.  Wirkung  dos  trauerspieles:  Algemeiner  Standpunkt  Lessings  Aristo- 
teles gegenüber.  Aristoteles  ansieht  nach  Lessing.  Wie  stelt  sich  Lessing 
zu  ihr?    (CVm  — CXXV.) 

2)  Shakespeare. 
§  16.    Hinweis  auf  das  britische  theater  und  Shakespeare.     (CXXV  —  CXXX.) 

III.    Auhaug.    Einzelne  erkentnisse. 

§  17.     Der  harlekin.     (CXXX  — CXXXI.) 

§  18.     Hinweis  auf  das  spanische  theater.     Vermischung  des  tragischen  und  komi- 
schen.   (CXXXI  —  CXXXIII.) 
§  19.    Dichter  und  publicum.     (CXXXIII  -  CXXXIV.) 
§20.    Die  titel  der  stücke.     (CXXXIV  —  CXXXV.) 
§  21.    Der  nachdruck.     (CXXXV.) 
§22.     Schlusswort.     (CXXXV  —  CXXXVI.) 

Darnach  folgt  auf  609  selten  der  text  der  H.  D.  mit  aumerkungen ,  in  wel- 
chen die  Verfasser  selbst  laut  Vorwortes  das  hauptstüek  ihrer  arbeit  erblicken.  Sie 
stehen  unter  dem  strich,  sind  für  jedes  einzelne  stück  fortlaufend  numeriert,  nach 
zahl ,  umfang  und  Inhalt  ausserordentlich  verschieden.  Ihre  anzahl  schwankt  von 
1  (St.  LVIII.)  bis  36  (St  XVIII.),  ihr  umfang  von  74  zeile  (bei  Stellennachweisen) 
bis  nahezu  3  selten  (bei  Inhaltsangaben  von  dramen);  sie  bringen  grammatisches, 
lexicalisches ,  geschichtliches,  biographisches,  litterarisches,  bibliographisches,  kri- 
tik  und  begründung  Lessingscher  aufstellungen  je  nach  gelegenheit  des  textes.  Ihre 
gesamtsumme  beträgt  1356,  und  sie  nehmen  43  "/o  des  raumes  auf  jenen  609  sel- 
ten ein,  wonach  bei  den  gewählten  Schriftarten  ihre  quautität  zu  der  des  textes 
wie  3  :  2  sich  verhält. 

Den  schluss  des  Werkes  bilden  vier  anhänge: 
I.    Excurse  Lessings,  ohne  anmerkuugen.    S.  610— 616. 

H.    Varianten,  die  abweichungen  von  der  Originalausgabe  enthaltend.    S.  617  — 
619. 

III.  Kalender  für  april-juli  1767  mit  hervorhebung  der  Spieltage  am  Hamburger 
uationaltheater.    S.  620. 

IV.  Verzeichnis  sämtlicher  in  der  dramaturgic  erwähnten  stücke  mit  hervor- 
hebung der  von  Lessing  besprochenen  und  nachweis  der  stellen ,  wo  ihr 
Inhalt  angegeben  ist.     S.  621 — ^624. 

und  endlich  ein  namenregister  mit  hervorhebung  der  historischen  personen.  S.  625—30. 

Vorstehendes  mag  ein  ungefähres  bild  geben  von  der  einriehtuug  und  der 
reichhaltigkeit  unseres  commentars. 

Leztere  ist  allerdings  sehr  gross,  so  gross,  dass  man  sich  mancher  beden- 
ken nicht  entschlagen  kann.  Schon  der  quantität  nach  beläuft  sich  nach  den  oben 
mitgeteilten  massverhältnissen  unter  hinzurechnung  der  einleitung,  welche  eben- 
fals  enger  als  der  text  der  H.  D.  gedruckt  ist,  die  gesamtmasse  der  erläuterun- 
gen  auf  mehr  als  das  doppelte  der  commentierten  schrift.     Wenn  nun  dies  verhält- 


232  NEIDHABDT 

nis,  wenn  es  sich  um  die  wissenschaftliche  erklärung  eines  griechischen  oder  römi- 
schen autors  handelte,  nichts  auffälliges  hätte,  so  liegt  doch  die  frage  nahe,  ob 
es  bei  einer  bearboitung  der  H.  D.  für  nicht  gelehrte  kreise  als  zweckmässig  gebil- 
ligt werden  kann.  Ist  der  Inhalt  derselben  in  der  tat  so  weit  schon  dem  gebil- 
deten bewustsein  unserer  tage  entschwunden,  dass  es  eines  solchen  aufwandes  von 
mittein  bedarf,  um  ihn  jenem  nahe  zu  bringen  und  verständlich  zu  machen?  Man 
kann  fürchten,  dass,  wenn  wirklich  so  viele  hebel  angesezt  werden  müssen,  um 
jenen  ,,  schätz  vor  dem  versinken  in  die  tiefen  des  vergessens  zu  retten,"  nur  wenige 
noch  kraft  und  lust  genug  fühlen  werden  ,  diese  unabsehbaren  reihen  von  hebeln 
zu  handhaben. 

Diese  besorgnis  führt  notwendig  weiter  zu  der  anderen  frage,  ob  eigentlich 
auch  alles,  was  die  Verfasser  gegeben  haben,  zu  einem  ausreichenden  Verständnisse 
der  H.  D.  erforderlich  ist.  H.  Müller  in  seiner  besprechung  des  werkest  hat  sie 
verneint  und  findet  ganz  besonders  in  den  aumerkungon  viel  aufdringliches,  stö- 
rendes und  überflüssiges;  das  ganze  werk  erscheint  ihm  als  ein  raagazin  mit  viel 
brauchbarem  und  unbrauchbarem  material,  und  er  findet  dadurch  den  Lessingschen 
text  wie  mit  disteln  und  dornen  überwuchert. 

Es  lässt  sich  leicht  zeigen,  dass  diese  ausstcUungen  zum  grossen  teile  unbe- 
rechtigt sind.  Denn  ungerechtfertigt  ist  es ,  einem  werke ,  das  ausdrücklich  für 
Schüler  der  prima  unserer  höheren  lehranstalten,  also  aucli  für  realschüler,  und 
für  weitere  kreise  der  gebildeten  bestimt  ist,  zum  vorwürfe  zu  machen,  dass  es 
über  Homer,  Horaz  und  Sophocles  auskunft  gibt,  fremdwörter  erklärt,  über  musi- 
kalische Instrumente,  damenkleider  des  vorigen  Jahrhunderts  und  theriak  uns 
belehrt;  und  es  führt  zu  nichts,  dagegen  bald  vom  Standpunkte  des  lehrers  des 
deutschen,  bald  von  dem  des  gymnasialprimaners,  bald  von  dem  des  gebildeten 
mannes  einspruch  zu  erheben,  sich  beleidigt  zu  fühlen,  von  aufdringlichkeit  zu 
reden ,  und  was  dergleichen  äusserungen  einer  subjectivistischen  kritik  mehr  sind. 
Der  gymnasialprimaner  weiss  ungefähr,  wen  er  unter  Homer,  Horaz  und  Sophocles 
sich  vorzustellen  hat;  der  realschulprimanor  wahrscheinlich  nicht,  und  von  dem 
gebildeten  in  abstracto  lässt  sich  nun  gar  nicht  sagen,  ob  ihm  dieses  oder  jenes 
positive  wissen  zuzutrauen  sei  oder  nicht.  Wem  eine  solche  anmerkung  nichts 
neues  bringt,  für  den  ist  sie  nicht  geschrieben;  aber  er  hat  keine  Ursache  sich 
dadurch  beleidigt  zu  fühlen  und  kein  recht  gerade  sein  wissen  oder  sein  Interesse 
zur  norm  für  einen  commentar  zu  machen,  der  offenkundig  so  vielen  dienen  will. 
Höchstens  liesse  sich  fragen,  ob  überhaupt  das  unternehmen  die  H.  D.  für  einen 
leserkreis  von  so  verschiedenartiger  Vorbildung  zu  erklären  in  sich  möglich  und 
gerechtfertigt  sei.  Wer  dies  zugibt,  wie  H.  Müller  es  tut  —  und  auch  ref.  ist 
dieser  ansieht,  da  sonst  die  forderung  erhoben  werden  müste  für  erwachsene  und 
für  Schüler,  und  dort  wider  für  leute  von  akademischer  und  „algemeiner"  bildung, 
hier  für  gymnasiasten  und  realschüler  je  einen  besonderen  commentar  zu  schrei- 
ben —  der  muss  die  consequenzen  eines  solchen  planes  billig  mit  in  den  kauf 
nehmen. 

Wenn  ferner  H.  Müller  die  aufgäbe  des  commentators  der  H.  D.  dahin  for- 
muliert, dem  leser  in  das  wesentliche  und  bleibende,  die  eigentliche  Substanz  jener 
eindringen  zn  helfen ,  wobei  er  anerkent ,  dass  die  Verfasser  recht  dankenswertes  in 
dieser  hinsieht  geleistet  haben ,    so  bezeichnet  er  damit  unstreitig  die  schwierigste 

1)  Ztschr.  f.  Gymn.-wesen  1877  (der  erste  band  der  commentierten  dramaturgie 
war  schon  1877  erschienen)  s.  442—448  und  ebenda  1880.  s.  220  —  226. 


ÜBER   LESSINGS    HAMB.    DRAM.    ED.    SCHROETER- THIELE  233 

und  zugleich  schönste  seite  seiner  tätigkeit.  Aber  er  erschöpft  diese  nicht.  Auch 
auf  das  kleine  und  unbedeutende  hat  sie  sich  zu  erstrecken,  auch  die  geringsten 
hilflcistungeu  dürfen  ihr  niciit  zu  niedrig  sein ,  und  ein  gewissenhafter  erklärer 
niuss  ebensywol  vom  tiieriak  und  brodieren  als  von  der  tragischen  katharsis  uns 
rechenschaft  geben,  wenn  wir  ihrer  bedürfen. 

Dennoch  muss  ref.  zugestehen,  dass  er  bei  der  ersten  lectüre  des  Werkes 
mancher  ähnlichen  empfindungen,  wie  II.  Müller  sie  ausspricht,  sich  nicht  erweh- 
ren konte,  und  dass  auch  das  genauere  studium  eines  buches,  welches  so  eminen- 
ten fleiss  und  so  viel  gesundes  urteil  beweist,  ihn  doch  nur  teilweise  zu  reiner 
befriedigung  geführt  hat.  Die  oft  überwältigende  massenhaftigkeit  der  anmerkun- 
gen  und  ihr  buntes  allerlei  machen  in  der  tat  an  solchen  stellen  es  schwierig  den 
leitenden  faden  des  Lessingschen  textes  festzuhalten.  Wie  oft  trift  das  äuge,  wel- 
ches der  Weisung  der  zittern  getreulich  folgt ,  auf  einen  Stellennachweis ,  der  augen- 
blicklich gar  nicht  interessiert,  auf  eine  bemerkung  wie  ,,übersezt  von  den  heraus- 
gebern"  oder:  „aus  der  Übersetzung  von  X";  wie  oft  muss  man  sich  durch  allerlei 
historische,  biügrai)liische  und  bibliographische  notizen  durcharbeiten,  ehe  man  auf 
einen  gedanken  komt,  der  für  das  veiständnis  des  textes  von  unmittelbarem  werte 
ist.  Eef.  zieht  daraus  nicht  den  schluss ,  dass  solches  und  ähnliches  beiwerk  besei- 
tigt werden  luüste.  Manclies,  was  ihm  selbstverständlich  dünkt,  mag  anderen 
nützlich  sein;  eine  menge  von  notizen,  Verweisungen  und  anführungcn  sind  für 
Specialstudien  von  unzweifelhaftem  nutzen,  die  umfangreichen  inhaltsangaben  auch 
geringer  stücke  von  obscuren  Verfassern  haben  doch  ein  selbständiges,  wenn  auch 
oft,  um  mit  den  herausgebern  zu  reden,  nur  pathologisches  Interesse.  Aber  leider 
häuft  sich  das  alles  zu  sehr  an  einzelnen  stellen  und  bringt  unausbleiblich  eine 
ermüdende  und  zerstreuende  Wirkung  hervor. 

Auch  die  einleitung,  so  reichhaltig  und  gründlich  sie  ist,  scheint  dem  ref. 
in  dieser  gestalt  nicht  recht  zweckmässig.  Sie  überschüttet  in  ihrem  ersten 
abschnitte  den  leser  mit  einer  fülle  von  detail,  dessen  kentnis,  wie  wünschenswert 
an  sich ,  doch  keine  notwendige  Vorbedingung  für  das  Verständnis  der  H.  D.  ist. 
Der  zweite  und  dritte  abschnitt  aber  —  wie  seltsam  mutet  denjenigen,  der  die 
Dramatui-gie  schon  kent ,  dieser  auf  paragraphen  gezogene  und  systematisch  etiket- 
tierte extract  aus  dem  meisterwerke  Lessings  an.  Es  ist  dabei  keine  fälschung 
mit  untergelaufen,  es  ist  der  wesentliche  und  ächte  Inhalt  der  H.  D.  Und  doch 
vyiderum  nicht.  Schon  die  äussere  ungleichmässigkeit  der  teile  beweist,  wie 
befremdlich  solche  systematische  architektonik  dem  Inhalte  der  H.  D.  zu  gesiebt 
steht.  Die  Verfasser  sprechen  einmal  in  ihrem  Vorworte,  wie  oben  mitgeteilt,  die 
absieht  aus  denjenigen,  welche  an  der  „gelehrten  form"  der  H.  D.  anstoss  neh- 
men ,  zu  helfen.  Von  gelehrter  form  aber  kann  bei  Lessing  eigentlich  nur  insoweit 
die  rede  sein,  als  er  die  kentnis  fremder  sprachen  voraussezt.  Im  übrigen  ist  es 
ja  gerade  der  hauptreiz  seiner  besten  werke ,  dass  er  wissenschaftliche  erkentnisse 
nicht  in  gelehrter  form,  sondern  frei  von  allem  system-  und  paragraphenzwange 
im  natürlichsten  unterhaltungstone,  den  er  so  meisterhaft  zu  handhaben  versteht, 
weniger  vorträgt  als  vor  unseren  äugen  findet  und  entwickelt.  Da  ist  alles  leben 
und  frische,  reizvolle  Ungezwungenheit,  dramatische  kraft  und  hinreissende  dar- 
stellung.  Von  dem  allem  bleibt  natürlich  in  der  gelehrten  form,  welche  in  Wahr- 
heit erst  die  herausgeber  dem  Inhalte  der  H.  D.  übergeworfen  haben ,  wenig  zurück. 
Es  konte  nicht  anders  sein,  und  es  ist  nicht  die  schuld  der  Verfasser,  dass  ihr 
auszug  so  ausgefallen  ist;  ein  jeder  systematische  auszug  würde  ungefähr  so  aus- 
fallen.   Nur  kann  ref.  nimmermehr  glauben,    dass  eine  solche  darstellung  geeignet 


234 


NEIDHARDT 


sei  zum  Studium  der  dramaturgie  hin  zuleiten;  mau  müste  sich  denn  geradezu 
vorgenommen  haben  durch  den  contrast  zu  wirken.  Er  ist  überhaupt  kein  freund 
langer  analysierender  und  räsonnierender  einleitungen.  Ihr  genügendes  Verständnis 
sezt  eigentlich  das  Studium  des  einzuleitenden  Werkes  schon  voraus,  und  auch  die 
besten  werden  mit  wirklichem  nutzen  erst  nach  dem  hauj^twerke  gelesen.  Womit, 
wenn  diese  beobachtungen  richtig  sind,  bewiesen  Aväre ,  dass  jene  nicht  an  ihrem 
platze  stehen  oder  keine  einleitungen  sind. 

Hiernach  richten  sich  die  bedenken  des  ref.  nicht  sowol  gegen  den  Inhalt 
als  gegen  die  form  des  Schröter  -  Thieleschen  commentars.  Nicht  dass  er  so  vieles 
bringt  und  auf  so  verschiedenartige  bedürfnisse  berechnet  ist,  erscheint  ihm  unzweck- 
mässig, sondern  die  art,  wie  er  es  bringt:  die  einrichtung  des  buches,  welche  jeden 
leser  zwingt  alles  ohne  ausnähme,  und  zwar  alles  hintereinander,  d.  h.  in  den 
anmerkungen  durch  einander,  zu  lesen  und  so  einen  zweck  durch  den  anderen 
beeinträchtigt.  Die  Verfasser  setzen  mit  recht  ein  ernstes  und  gewissenhaftes  Stu- 
dium voraus.  Bei  solchem  wird  man  nicht  umhin  können  zunächst  die  ganze  ein- 
leitung  durchzumachen,  da  in  den  einzelanmerkungen  fortwährend  auf  sie  bezug 
genommen  wird,  und  unter  diesen  widerum  ist  es  nicht  möglich,  eine  auswahl  zu 
treffen ,  augenblicklich  störendes  vorläufig  zurückzuschieben ,  das  wichtige  und 
unentbehrliche  von  dem  nur  eventuel  brauchbaren  zu  sondern,  da  man  nie  weiss, 
was  man  zu  erwarten  hat:  ob  sich  nicht  etwa  an  die  deutung  eines  fremdwortes, 
das  man  kent,  an  die  nachweisung  einer  stelle,  die  man  jezt  nicht  aufschlagen 
will ,  an  biographische  und  andere  notizen  ein  nicht  vermuteter  aufschluss  anknüpft 
oder  ein  gesuchter  unter  ihnen  sich  verbirgt.  Diese  Vorführung  des  ganzen  mate- 
rials  auf  einmal  bringt  die  oben  gekenzeichneten  misstände  hervor.  Indem  die  Ver- 
fasser den  leser  nötigen  auf  zu  vielerlei  zugleich  seine  aufmerksanikeit  zu  richten, 
ihn  oftmals  enttäuschen  wie  überraschen,  machen  sie  ihm  manche  vergebliche 
arbeit  und  geben  seiner  tätigkeit  jedenfals  einen  beigeschmack  der  Zerfahrenheit 
und  des  misbehagens. 

Diese  übelstände  scheinen  jedoch  nicht  notwendig  mit  einem  werke,  das  die 
absiebten  des  vorliegenden  verfolgt,  verbunden  zu  sein.  Man  kann  sich  eine  ein- 
richtung vorstellen,  welche  ganz  denselben  stoff  den  verschiedenartigen  bedürfnis- 
sen  der  leser  so  darbietet,  dass  jeder  die  seinigen  mit  Sicherheit  und  leichtigkeit 
befriedigen  kann ,  ohne  durch  fremdartiges  gestört  zu  werden.  Dem  ref.  schwebt 
ein  solcher  plan  vor,  und  es  möge  ihm  gestattet  sein,  denselben  zu  skizzieren,  und 
wenn  es  auch  nur  zu  dem  ende  wäre,  bessere  vorschlage  hervorzurufen. 

Zunächst  also  werde  auf  ein  paar  selten  eine  gedrängte  darstellung  der  ver- 
anlaesung  und  entstehung  der  H.  D.  gegeben  ohne  litterarhistorische  und  biogra- 
phische Weitläufigkeiten.  Wo  dergleichen  einen  passenden  platz  finden ,  soll  nachher 
gezeigt  werden. 

Hierauf  folge  der  text  der  H.  D.  in  möglichst  genauem  abdruck  der  Origi- 
nalausgabe, natürlich  ohne  deren  fehler.  Es  ist  ein  entschiedener  vorzug  des  Schrö- 
ter-Thieleschen commentars  vor  dem  Cosackschen,  der  im  übrigen  wesentlich  den- 
selben Charakter  zeigt,  dass  er  den  text  gleich  mitgibt.  Aber  dieser  vorzug  würde 
noch  weit  grösser  sein ,  wenn  wir  einen  wirklich  ächten  text  ohne  tilgung  der 
fremdsprachlichen  stellen  und  ohne  Verkürzungen  erhielten.  Was  die  lezteron  betrift, 
so  haben  die  herausgeber  mit  der  auslassung  einzelner  citate  und  der  Verweisung 
einiger  gelehrten  excurse  Lessings  in  einen  anhang  ein  paar  selten  räum  gewonnen. 
Wenn  sie  aber  diese  excurse  fragen  untergeordneten  wertes  und  philologische  quis- 
quilicn  nennen,    so  fordern  sie  den  vergleich  mit   eiuem  nicht  ganz  kleinen  teile 


ÜBEE   LESSINGS    IIAMB.   DRAM.    ED.    SCHROETER- THIELE  235 

ihrer  eigenen  arbeit  nur  zu  leicht  heraus.  In  wahrlieit  kann  es  bei  einem  so 
umfangreichen  werke  auf  etliclic  selten  mehr  oder  weniger  nicht  ankommen,  und 
selbst  wenn  man  für  die  unveränderte  gestalt  der  H.  D.  einige  dutzend  noten  des 
commentars  streichen  oder  kürzen  müste ,  wäre  der  gewinn  nicht  zu  teuer  erkauft. 
Denn  dann  würde  das  werk  auch  zu  jeder  wissenschaftlichen  benutzung  ausreichend 
sein,  und  selbst  dem  gebildeten,  solte  man  meinen,  müste  die  authentische  Über- 
lieferung auch  mit  der  Lessingschen  orthograiihie  und  interpuuction  erfreulich  sein; 
zum  mindesten  wird  sie  ihn  in  keiner  weise  hindern.  Auch  unsere  primaner  wer- 
den es  ohne  schaden  ortragen  können ,  vom  heutigen  gebrauche  abweichender  Schrei- 
bung zu  begegnen,  wie  sie  ja  mit  recht  abweichende  sprachliche  formen  und  Wen- 
dungen bei  Lessing  so  gut  wie  anderwärts  hinnehmen  müssen. 

Unter  dem  texte  aber  werde  eine  Übersetzung  der  fremdsprachlichen  stellen, 
nicht  auch  eine  erklärung  der  fremdwörter,  ohne  alle  weitere  zutat  gegeben;  höch- 
stens, dass  die  eigenen  Übersetzungen  des  herausgebers  durch  einen  stern  oder 
sonst  wie  bezeichnet  werden.  Der  quellennachweis  für  die  übrigen  steht  besser 
anderswo.  —  Bei  solcher  bcschränkung  ist  jeder  lescr  nur  so  weit  genötigt  die 
noten  unter  dem  text  zu  beachten,  als  er  der  betreffenden  sprachen  unkundig  ist, 
und  jeder  findet  doch,  was  er  braucht;  die  fremdwörter  an  anderer  stelle. 

Nach  geeigneten  abschnitten  aber,  seien  es  die  einzelnen  stücke  der  H.  D. 
oder  mehrere  zusammengcfasst,  wo  dies  aus  inneren  oder  äusseren  gründen  rätlich 
scheint ,  müste  in  unterscheidendem  drucke  in  möglichst  zusammenhängender  und 
doch  übersichtlicher  darstellung  alles  das  gegeben  werden ,  was  zur  erfassung  des 
wortsinnes,  des  Zusammenhanges,  der  gedankenentwickelung  unbedingt  nötig  und 
förderlich  ist.  Also  zunächst  worterklärung  in  den  fällen,  wo  bei  unveränderter 
form  ein  bedeutungswechsel  seit  Lessing  eingetreten  ist,  wie  in  den  Wörtern 
„empfindlich,"  „symbolisch,"  „Zudringlichkeit."  Veraltete,  provinzielle  und  tech- 
nische ausdrücke  dagegen,  welche  sich  in  ihrer  besonderheit  selbst  kentlich  machen, 
mögen  wie  fremdwörter  behandelt  werden.  x\bweichende  structuren,  wie  sie  z,  b. 
in  der  rection  der  präpositiouen  sich  linden,  bedürfen,  wenn  der  leser  von  der 
absoluten  Zuverlässigkeit  des  textes  überzeugt  sein  kann ,  keiner  erwähnung ,  aus- 
genommen, wenn  sie  das  Verständnis  erschwerten,  oder  sie  können  in  dem  bald 
ZU  erwähnenden  lexicon  untergebracht  werden. 

Nach  den  sprachlichen  erläuterungen ,  wo  solche  nötig  sind,  würde  sogleich 
zur  erörterung  des  Inhaltes  fortzugehen  sein,  welche  folgende  punkte  vornehmlich 
ins  äuge  zu  fassen  hätte:  zuerst  eine  präcise  feststellung  dessen,  was  Lessing 
gemeint  und  gewolt  hat,  in  den  dingen,  wo  irrige  auffassungeu  vorgekommen  sind 
oder  nahe  zu  liegen  scheinen.  Es  ist  dies  keine  unwichtige  aufgäbe.  Ist  es  doch 
selbst  einem  Spengel  begegnet,  dass  er,  in  der  ausgesprochenen  absieht  die  Les- 
singsche  aulfassung  der  katharsis  gegen  Bernays  zu  verteidigen ,  in  gutem  glauben 
so  ziemlich  auf  ihr  gegenteil  hinauskomt  und  sich  noch  weiter  von  ihr  entfernt  als 
selbst  dieser.^  Daran  würde  sich  uaturgemäss  sowol  berichtigung  und  kritik  als 
begründung  und  Verteidigung,  resp.  die  weiterentwickelung  der  von  Lessing  behan- 
delten oder  nur  angeregten  fragen  anschliessen.  —  Auf  den  vorliegenden  commen- 
tar  angewendet,  läuft  diese  fordorung  im  wesentlichen  auf  eine  Verarbeitung  der 
hauptmasse  der  einleitung  mit  einem  teile  der  noten  zu  einer  anzahl  den  gang  der 
dramaturgie  begleitender   excurse   hinaus,    wovon,    wie   oben   angedeutet,    ref.  sich 

1)  Vgl.  die  dissertation  des  ref. :  de  Euripide  poetaruin  maxinie  tragico  p.  30.  31, 
auch  in  den  dissertt.  philol.  Hai.  vol.  III  pars  II,  p.  310.  311. 


236  NEIDHARDT 

Bichr  ertrag  verspricht  als  von  jenen ,  und  wodurch  u.  a.  auch  die  häufigen  und 
unbequemen  Verweisungen  der  einleituug  auf  die  uoten  und  der  noten  auf  die  ein- 
leitung  in  wegfall  kämen. 

Um  aber  nicht  den  schein  unbilliger  ansprüche  zu  erwecken ,  mag  hier  gleich 
eine  ausstellung  H.  Müllers  eingeschränkt  werden,  der  es  bedauert,  dass  die  Ver- 
fasser in  den  oben  bezeichneten  fragen  sich  meist  auf  eine  referierende  darstellung 
beschränkt  und  z.  b.  in  dem  katharsisstreit  keine  erklärte  position  eingenommen, 
d.  h.  nach  Müllers  wünsche  der  Bernaytischen  theorie  beigepflichtet  haben.  Dass 
eine  festbegründeto  ansieht  für  die  darlegung  so  verwickelter  problerae  neben  der 
gefahr  der  einseitigkeit  auch  grosse  vorteile,  namentlich  den  der  übersichtlichen 
gruppierung  und  grösseren  irische  mit  sich  bringt  und  dann  besonders  dankenswert 
ist,  wenn  sie  einen  fortschritt  der  erkentnis  enthält,  wird  niemand  in  abrede  stel- 
len. Aber  verlangen  lässt  sich  dies  von  dem  commentator  der  H.  D.  billiger 
weise  nicht;  wol  aber,  dass  er  Lessings  tendenz  genau  kent  und  darlegt,  die  ent- 
wickelung  und  den  stand  der  späteren  forschung  in  den  hauptzügen  charakterisiert 
und  mit  Sicherheit  beurteilt  oder  doch  den  leser  in  den  stand  sezt  mit  Sicherheit 
zu  beurteilen ,  ob  eine  als  die  Lessingsche  vorgetragene  ansieht  diesen  anspruch 
verdient.  Dass  aber  die  herausgeber  unseres  commentars  diese  aufgäbe  im  wesent- 
lichen mit  erfolg  gelöst  haben,  muss  anerkant  werden. 

Bei  den  vorgedachten  erörterungen  werden  bibliographische  angaben  nicht 
zu  umgehen  sein;  aber  sie  mögen  in  gestalt  von  numerierten  anmerkungen  den 
excursen  folgen  und  nichts  enthalten  als  titel  und  Seitenzahlen,  damit,  wer  solche 
nicht  sucht,  auch  nichts  anderes  hier  suchen  muss.  Den  überg-ang  dazu  würde 
passend  die  berichtigung  kleiner  irtümer  Lessings  in  chronologischen  und  anderen 
daten  sowie  der  nachweis  der  von  ihm  benuzten  und  im  äuge  gehabten,  aber  nicht 
oder  ungenau  bezeichneten  quellen  und  stellen  bilden.  Solte  die  inhaltliche 
Vorführung  oder  ergänzung  von  dergleichen  nützlich  erscheinen ,  so  würde  diese ,  je 
nach  dem  grösseren  oder  geringeren  belange,  entweder  in  den  tenor  der  excurse, 
eventuel  übersezt  oder  doch  mit  der  Übersetzung,  einzuflechten  oder  in  den  nun- 
mehr zu  besprechenden  dritten  hauptteil  des  commentars  unter  vorgängiger  Verwei- 
sung darauf  aufzunehmen  sein.  —  Solchergestalt  würde  sich  in  den  excursen  die 
dreiteilung  des  ganzen  widerholen. 

Aus  dem  bisherigen  ist  zum  teil  schon  ersichtlich,  wie  ref.  sich  den  lezten 
abschnitt  des  Werkes  gestaltet  denkt.  Er  wünscht  in  demselben  in  lexicaliseher 
anordnung  aufgeführt  zu  sehen  die  fremdwörter ,  die  diesen  gleich  zu  achtenden 
deutschen  Wörter,  allenfals  auch  besonderheiten  der  formen  und  constructionen ; 
ferner  sämtliche  biographische,  historische,  mythologische  und  die  meisten  litte- 
rarhistorischen  und  bibliographischen  mitteilungen ;  endlich  die  Inhaltsangaben  der 
dramen  und  romane.  Mit  einem  werte:  in  dem  lexicalischen  Verzeichnisse  stehe 
dasjenige,  das  wol  unterrichtend,  aber  nicht  unmittelbar  erforderlich  ist  zum  Ver- 
ständnisse der  H.  D. ,  oder  dessen  kcntnis  bei  vielen  vorausgesezt  werden  darf.  Das 
Verhältnis  des  ersteren  dieser  bestandteile  zu  den  excursen  Avürde  im  kleinen  ein 
analogen  bilden  zu  demjenigen,  welches  Bernhardy  durch  trennung  der  äusseren 
geschichte  der  litteratur  von  der  inneren  darzustellen  gesucht  hat.  Dass  aber  die 
gedachten  kategoricn  auch  auf  die  inhaltsaugaben  der  in  der  H.  D.  vorkommenden 
dichtwerke  anwendung  finden  ,  leuchtet  ein :  die  meisten  der  lezteren  sind  unbedeu- 
tend, und  die  bedeutenden  bald  diesem  bald  jenem  teile  des  vorausgesezten  lescr- 
kreises  nicht  fremd.     Die  lexicalische  anordnung  dieser  materien  aber  verbindet  den 


ÜBER  LESSINGS   HAMB.   DRAM.    ED.    SCHROETER  -  THIELE  237 

Vorzug  der  verlässlichsten  auffindimg  mit  der  vornieidung  jcgliclier  Überfüllung  und 
Störung. 

Im  oinzeluou  denkt  sicli  ref.  die  liauptmassc  dieser  notizen  zu  zusammen- 
hängenden artikeln  unter  dem  namon  der  betreffenden  dichter  und  gelehrten  nach 
feststehendem  schema  verarbeitet.  Z.  b.  artikel  Voltaire:  kurze  biographie,  alge- 
meine Charakteristik  und  Stellung  in  der  litteratur  mit  quellennachwcis,  gesamt- 
ausgabni  und  Übersetzungen.  Darauf  titel,  Chronologie,  eventuel  beurteilung  und 
inbaltsangabe  der  in  betracht  kommenden  einzelwerke,  und  zwar  widerum  in  alpha- 
betischer Ordnung ,  nebst  ihrer  litteratur.  —  Auf  diese  weise  hätte  man  an  einem 
orte  übersichtlich  beisammen,  was  sonst  an  vielen  punkten  verstreut  ist,  während 
doch  die  schematische  anläge,  unterstüzt  durch  eine  zweckmässige  typographische 
einrichtung,  schnelle  Orientierung  und  leichte  auswahl  ermöglichten. 

Ferner  möchte  es  sich  empfehlen,  diesen  teil  des  Werkes  auch  als  register 
zu  gestalten,  z.  b.  s.  v.  karthar.sis  anzugeben,  in  welchem  stücke  der  H.  D.  und 
in  welchem  excurse  hauptsächlich,  in  welchen  nebenbei  davon  gehandelt  wird,  unter 
dem  uamen  der  dichtwerke  auf  die  dichter  zu  verweisen.  Ist  ein  und  derselbe  stoff 
von  mehreren  dichtem  bearbeitet,  so  wäre  vielleicht  behufs  leichterer  vergleichuug 
von  der  regel  abzuweichen  und  die  besprechung  der  gleichnamigen  werke  gemein- 
sam vorzunehmen,  z.  b.  die  der  beiden  Electren  entweder  bei  Sophocles  oder  bei 
Euripides,  in  ähnlicher  weise,  wie  Cosack  die  Merope  des  Maffei  und  des  Voltaire 
act  für  act  und  scene  für  scene  neben  einander  vorgeführt  bat.  Auch  hierüber 
müste  selbstverständlich  das  register  auskunft  geben. 

Doch  ref.  muss  befürchteu  sich  schon  zu  sehr  in  einzelheiteu  verloren  zu 
haben.  Er  ist  durchaus  nicht  der  meinung,  dass  der  vorgeschlagene  plan  muster- 
giltig  sei.  Sehr  vieles  kann  gewiss  zweckmässiger  eingerichtet  werden.  Allein  die 
Überzeugung,  dass  die  grosse,  teils  schwerfällige,  teils  zersplitterte  masse  der- 
artiger commentare  durch  sonderung  wie  durch  Zusammenfassung  in  übersichtliche 
und  handliche  gruppen  zu  bringen  wäre ,  um  wesentlich  an  brauchbarkeit  zu  gewin- 
nen; dass  das  princip  der  anordnung  sein  müste  das  unentbehrliche  und  wichtige 
vor  dem  erst  in  zweiter  linie  wissenswerten  zu  geben ;  dass  das  bestreben  immer 
darauf  zu  gehen  hätte,  den  in  betracht  kommenden  bildungsstufen  und  studien- 
weisen ihre  besonderen  bedürfnisse  leicht  und  möglichst  unverwirrt  mit  anderem 
darzubieten:  diese  Überzeugung  glaubt  ref.  festhalten  zu  müssen,  auch  wenn  es 
ihm  nicht  gelungen  ist,  die  wege,  die  dazu  fühi'en,  zu  finden  und  zu  zeigen.  Einen 
leisen  anfang  damit  hat  Cosack  gemacht,  indem  er  seinen  comuientar  mit  anmer- 
kuugen  begleitet  hat,  aber  freilich  uiigleichmässig  und  ohne  principielle  Scheidung. 
Denn  der  commeutar  selbst  trägt  ganz  den  gleichen  fragmentarisch -bunten  Charak- 
ter wie  die  anmerkungen  dazu. 

Zum  Schlüsse  möge  hier  noch  dasjenige  platz  finden,  was  dem  ref.  im  ein- 
zelnen an  dem  Lessiugschen  texte  bei  Schröter  und  Thiele  und  in  den  anmer- 
kungen aufgefallen  ist,  und  zwar  nach  der  reiheufolge  der  stücke  der  H.  D.  auf- 
geführt. 

II,  2,  3.  Zu  den  werten  Lessings:  „Wunder  dulden  wir  da  nur  in  der  phy- 
sikalischen weit;  in  der  moralischen  muss  alles  seinen  ordentlichen  lauf  behalten, 
weil  das  theater  die  schule  der  moralischen  weit  sein  soll"  bemerken  die  heraus- 
geber  unter  A.  2. ,  nachdem  sie  den  begriff  des  Wunders  und  des  physikalischen 
Wunders  erläutert:  ,,ein  moralisches  wunder  aber  würde  es  sein,  wenn  Gretchen 
nicht  zu  gi-unde  ginge ,  denn  unser  gerechtigkeitsgefühl  verlangt  die  sühne  als  not- 
wendige folge  ihres  fehltritts  "  —   und  unter  A.  3. ,   zu  den  lezten  der  angeführten 


238  NEIDHAEDT 

Worte  Lessings:  ,,  und  also  insofern  vor  allem  nicht  unser  gerechtigkeitsgefiihl  ver- 
letzen darf."'  —  Durch  einmischung  des  gerechtigkeitsgefühls  und  das  gewählte 
beispiel  wird  der  Lessingsche  gedanke  alteriert.  Lessing  spricht  sich  gegen  die 
nicht  genügend  motivierte  bekehrung  der  Clorinde  aus;  er  vermisst  nicht  eine  not- 
wendige folge,  sondern  eine  unerlässliche  vermittelung ,  und  nicht  das  gerechtig- 
keitsgefiihl des  Zuschauers  findet  er  gefährdet  —  wie  solte  jemand  diese  bekehrung 
ungerecht  finden?  — ■  sondern  die  befriedigung  seiner  einsieht.  Allerdings  darf 
das  theater  als  „schule  der  moralischen  weit"  auch  jenes  nicht  verletzen;  doch 
lag  dies  hervorzuheben  hier  keine  veranlassung  vor.  Wahrscheinlich  sind  die 
Verfasser  durch  den  ausdruck  ,, moralische  weit"  irre  geführt  worden.  Lessing 
gebraucht  aber  „moralisch"  in  weiterem  sinne  zur  bezeichnung  der  einheit  des 
geistigen  und  sittlichen,  wie  er  ,,moral"  jeden  algemeinen  satz  nent,  und  wie  wir 
heute  noch  das  wort  in  manchen  Verbindungen  anwenden,  wenn  wir  z.  b.  von 
„moralischen  eroberungen"  und  dergleichen  reden.  Den  gegeusatz  von  physika- 
lischer und  moralischer  weit  Avürde  man  heut  zu  tage  wol  durch  den  der  materiel- 
len und  geistigen  auszudrücken  suchen. 

10.  Die  hier  gegebene  kurze  definition  des  Zweckes  der  tragödie  als  „wol- 
tuender  erregung  von  aifecten,  deren  mässigung  im  wirklichen  leben  man  als  die 
aufgäbe  des  sitlichen  menschen  betrachtet"  —  ist  irreleitend;  zum  mindesten  hät- 
ten die  zu  erregenden  alFecte  namhaft  gemacht  werden  müssen.  Da  in  der  einlei- 
tung  und  zu  späteren  stücken  der  H.  D.  weit  eingehender  und  zutreffender  von  die- 
sem gegenstände  gehandelt  Avird,  so  wäre  hier  eine  blosse  Verweisung  richtiger 
gewesen. 

14.  Ob  die  identificierung  von  ,,nothnagel"  und  ,,niednagel"  etymologisch 
gerechtfertigt  ist,  weiss  ref.  nicht.  Dem  obersächsischen  sprachgebrauche  wie  dem 
zusammenhange  bei  Lessing  entspricht  aber  mehr  die  bedeutung  ,,notbehelf"  als 
die  von  den  herausgebern  empfohlene:  ,, lästige  kleinigkeit." 

17.     Die  notizen  über  Eckhof  sind  neben  der  einleitung  entbehrlich. 

in,  3.  Dass  die  hier  und  LXXVI,  2  vorgetragene  erklärung  von  „symbo- 
lisch" =  ,, bildlich,"  resp.  ,, sprachlich"  nicht  richtig  ist,  hat  bereits  H.  Müller 
bemerkt,  ohne  bestimt  zu  sagen,  wie  man  es  zu  erklären  hat.  Aus  der  verglei- 
chung  der  drei  stellen ,  wo  das  wort  von  Lessing  gebraucht  wird ,  St.  III :  „  Er  (der 
algemeine  satz,  die  moral)  ist  kein  blosser  symbolischer  schluss;  er  ist  eine' 
generalisierte  empfindung"  —  St,  IV:  „Wenn  es  daher  ein  mittel  gibt,  ...  das 
symbolische  der  moral  wider  auf  das  anschauende  zurückzubringen"  — 
St.  LXXVI:  ,,so  kömt  es  darauf  an,  ob  sich  diese  dinge  ebensowol  in  der  natur 
von  einander  trennen  lassen,  als  wir  sie  in  der  abstraction  und  durch  den  symbo- 
lischen ausdruck  (es  ist  von  der  disjunction  durch  ,, weder  —  noch"  die  rede)  tren- 
nen können"  —  und  aus  der  erwägung  ihres  Zusammenhanges  gelangt  ref.  zu  dem 
ergebnis,  dass  Lessing  ,, symbolisch"  =  ,, formelhaft"  gebraucht  hat  (symbol  = 
formel) ,  an  den  beiden  ersten  stellen  mit  dem  nebenbegritf  des  unlebendigen ,  kal- 
ten, an  der  lezten  mit  dem  des  herkömlichen ,  fest  ausgeprägten,  welche  der  for- 
mel anzuhaften  pflegen. 

4.  In  Übereinstimmung  damit  nmss,  wie  auch  schon  Müller  gesehen  hat, 
in  den  worten  ,, generalisierte  empfindung"  der  nachdruck  auf  dem  Substantiv  lie- 
gen. Demnach  will  Lessing  hier  nicht  sagen ,  was  die  herausgeber  ihn  sagen  las- 
sen, und  was  an  sich  ja  nicht  unrichtig  ist:  ,,die  moral  drückt  einen  gedanken 
aus,  der  nicht  nur  der  augenblicklichen  empfindung  der  handelnden  person  ent- 
spricht ,  sondern  auch  losgelöst  von  seiner  beziehung  zum  augonblicke  und  zur  per- 


ÜBER   LESSINGS   HAMB.   DRAM.    ED.    SCIIROETEH  -  THIELE  239 

son  eine  algeiiieine  geltung  besizt."  Vielmehr  hebt  er  hervor:  die  moral  im  drama 
ist  nicht  nur  ein  algemeiner  satz,  sondern  es  spricht  sich  in  ihr  zugleich  die  empfin- 
dung  der  handelnden  persou  aus. 

IV,  2.  Die  orklärung  von  ,,  conventioiiell "  ==  ,,  nur  durch  langen  gebrauch 
erklärlich "  —  erschöpft  den  begriff  nicht  ganz.  Es  muss  hier  lieissen :  durch  das 
herkommen  festgestelt  und  dadurch  algemein  bekant  und  angenommen. 

VI,  2.  Nach  der  hier  gegebenen  erklärung  muss  mau  glauben,  der  prolog 
sei  eine  völlig  legitime  und  durch  die  autorität  dos  Aristoteles  geheiligte  einrich- 
tung  des  griechischen  trauerspieles  seit  Euripides.  Das  richtige  findet  sich  XLIX,  3 
ausgeführt ,  und  darauf  war  zu  verweisen. 

18.  Zu  dem  verse:  „Abscheuliches  meistersttick  der  herschsucht  und  ihr 
list"  wird  bemerkt,  er  werde  nur  lesbar  dui'ch  die  ausspräche  ,, abscheulches "  oder 
,,abscheulichs."  Da  der  Verfasser  dieses  epiloges  sich  starke  kürzungen  erlaubt, 
wie  5  Zeilen  vorher:  ,,die  anders  glaubens  sind,''  statt  ,, anderes,"  so  darf  man 
ihm  eine  kürzung  ,,abscheulichs"  statt  „abscheuliches"  (nom.  sing.)  allerdings 
zutrauen.  Aber  er  braucht  8  Zeilen  später  auch  das  neutrale  adjectiv  in  unflectier- 
ter  form:  ,,In  ein  unschuldig  herz,"  statt  ,, unschuldiges."  Und  demnach  könte  er 
auch  hier  geschrieben  oder  gemeint  haben:  ,,  Abscheulich  meisterstück."  In  einem 
wie  in  dem  anderen  falle  wird  der  vers  scaudicrbar ;  im  zweiten  jedoch,  mit  unflec- 
tiertem  adjectivum,  wird  er  gefälliger. 
20.     Bei  der  stelle: 

„Er  war  und  —  oh  verzeiht  die  thrän!  —  und  starb  ein  Christ. 
„Liess  sein  vortreflich  herz  der  nach  weit  in  gedichten, 
,,Um  sie  —  was  kann  man  mehr?  noch  todt  zu  unterrichten." 
heisst  es:  ,,Zu  liess  ist  „er"  als  subject  aus   dem  vorhergehenden  satze  zu  ergän- 
zen."    Die  frage  liegt  nahe,    ob  nicht  durch    ein    komma  statt  des  punktes   hinter 
,, Christ"  die  construction  zu  erleichtern  sei. 

VIII,  10.  Die  notizen  über  madarae  Löwen  sind  neben  der  einleitung  ent- 
behrlich; desgleichen 

XII,  8.   die  über  Ackermann. 

XV,  6.  Eomeo  und  Julie.  Im  Verzeichnisse  der  in  der  H.  D.  erwähnten 
stücke  s.  621  --  624  hat  ref.  dieses  nicht  finden  können. 

XX,  9.  tot  linguae  quod  membra  viro.  Die  Vermutung  der  herausgeber, 
dass  Lessing  den  vers  selbst  gebildet  habe,  ist  durch  Cosacks  nachweis,  s.  147, 
hinfällig  geworden. 

XXVII.    Im  texte  s.  173  steht  durch  versehen:  ,, in  dieser  seine  composition. 
XXXI.     Zu  der  construction  s.  194:    „was  geht  das  dem  dichter  an?"  wäre 
die  bemerkung  J.  Grimms  in  seinem    deutschen  wörterbuche  1,  341   zu  verwerten 
gewesen. 

XXXVIII.  Man  vermisst  hier  einen  bericht  über  die  spätere  entwickelung 
des  in  diesem  stücke  behandelten  problems.  Auch  in  der  einleitung  §  11.  s.  XCIII 
wird  nur  die  von  Lessing  versuchte  lösung  des  Widerspruches  zwüsehen  den  forde- 
rungen  des  13.  und  14.  capitels  bei  Aristoteles  mitgeteilt  und  ,,  ebenso  kurz  als 
scharfsinnig"  genant,  jedoch  mit  der  Verwahrung,  dass  damit  kein  urteil  über  die 
riclitigkeit  der  Lessingschen  meinung  gefält  sein  solle.  Scharfsinn  wird  ihr  nun 
niemand  streitig  machen,  aber  unrichtig  ist  sie  doch,  da  sie  im  gründe  auf  der 
Verwechselung  von  nfQinhfia  und  f^traßolr)  beruht.  Auch  die  herausgeber  bemer- 
ken in  §  12  der  einleitung  s.  CHI  a.  2,  dass  das,  was  Lessing  unter  peripetie  ver- 
steht, nicht  ganz  richtig  sei,  und  führen  die  jezt  algemein  angenommene  erklärung 


240  NEIDHARDT 

an  Daraus  folgt  aber  schon  mit  notwendigkeit,  dass  jener  lösungsversuch ,  weil 
ganz  auf  die  unrichtige  deutung  der  peripetie  gebaut,  nicht  zum  ziele  führt,  wenn 
auch  Cosack,  auf  Ed.  Müllers  autorität  gestüzt,  uns  das  wider  versichert.  —  Aber 
selbst,  wenn  man  mit  Vahlen  im  13.  c.  die  lehre  von  der  /Linußol^  und  nicht,  wie 
Lessing,  von  der  ntQinsTfia  erblickt,  wird  man  den  Widerspruch  nicht  los.  Denn 
erstlich  ist  die  fAtraßoh)  kein  teil  der  handlung,  sondern  die  summe  derselben, 
am  wenigsten  ein  accessorischer,  wie  jene;  und  zweitens  steckt  der  Widerspruch 
auch  im  14.  c.  allein,  wie  Susemihl  gezeigt  hat.* 

XXXIX,  8.  Heimat  und  zeit  des  Polybius  sind  schon  unter  XXIX,  10  ange- 
geben. 

XLIX ,  5.  Die  bemerkung :  „  Das  urteil  des  Aristoteles  (über  Euripides)  .  . 
kann  nur  mit  einer  gewissen  einschränkung  anspruch  auf  richtigkeit  erheben,  denn 
auch  bei  Äschylus  und  Sophocles  ist  ein  unglücklicher  ausgang  durchaus  nicht  sel- 
ten" —  vergisst,  dass  Aristoteles  selbst  unmittelbar  vorher  sagt:  id  toicvtiu  tqk- 
yixcjTccTui  (fuh'ovrai.  Eben  deswegen  ist  die  versuchte  beziehung  auf  die  jüngeren 
tragiker  unzulässig.  Euripides  erweist  sich  als  der  tragischste  dichter,  insofern 
die  genante  art  der  composition  bei  ihm  die  vorwiegende  oder  wenigstens  häufiger 
war  als  bei  jedem  anderen  dichter.  "•^ 

7.  ,, Aussetzen"  kann  hier  nicht  wol  heissen  ,, versehen,"  ,, ausrüsten."  Ref. 
nimt  es  gleich  ,, exponieren"  im  medialen  sinne:  sich  die  expositiou  machen.  — 
[Lessing  braucht  „aussetzen"  im  sinne  von  ,, ausgehen,  seineu  ausgangspunkt  von 
etwas  nehmen ,  von  einem  punkte  aus  beginnen " ;  vgl.  am  Schlüsse  der  vorrede 
zum  Laokoon :  „Da  ich  von  dem  Laokoon  gleichsam  ausseztc,  und  mehrmals  auf 
ihn  zurückkomme ,  so  habe  ich  ihm  auch  einen  anteil  an  der  aufschrift  lassen  wol- 
len." Demnach  scheint  hier  der  sinn  sein  zu  sollen:  „wenn  er  uns  sofort  könte 
anheben  lassen  mit  der  Überzeugung"  usw.    J.  Z.] 

LVIII.  Im  text  s.  342  liest  man:  ,,und  erbarmen  solte  könige  schimpfen?"  — 
Fehlt  etwa  das  ,,be''? 

LIX.  Im  text  s.  346  steht:  ,,in  leidenschaften ,  deren  jeder  seine  eigene 
beredsamkeit  hat."  Hier  steckt  entweder  ein  fehler,  anstatt:  deren- jede  ihre 
eigene  ...,  oder  eine  künstlich  geschraubte  construction  des  sinnes:  jeder  bat  seine 
eigene  beredsamkeit  der  leidenschaften,  jeder  weiss  den  leidenschaften  einen  indi- 
viduellen ausdruck  zu  geben.  Dem  zusammenhange  entspricht  mehr  die  erstere 
annähme.  —  [Meines  bedünkens  soll  ,, deren"  ungefähr  die  bedeutuug  ,, in  welchen" 
haben,  der  genitiv  ,, deren"  aber  abhängen  von  ,, beredsamkeit,"  so  dass  der  sinn 
ist:  ,,in  leidenschaftlicher  erreguug  hat  jeder  seine  eigene,  natürliche,  angeborene, 
nicht  angelernte  beredsamkeit.     J.  Z.] 

LXI,  2.     Durch  versehen  steht  „so"  anstatt  ,,und." 

LXXII.  Der  ausdruck  „löschbrand"  im  text  s.  400  hätte  wol  eine  erklärung 
verdient. 

LXXIII,  24.  Zu  den  worten  Lessings :  ,,ich  würde  Shakespeares  werk  wenig 
stens  nachher  als  einen  Spiegel  genuzt  haben,  um  meinem  werke  alle  die  flecken 
abzuwischen,  die  mein  äuge  unmittelbar  darin  zu  erkennen  nicht  vermögend  gewesen 

1)  Vgl.  des  ref.  de  Eurip.  poet.  niax.  trag.  p.  33  —  37,  resp.  313  —  317,  wo  ein 
versuch  gemacht  ist  den  schaden  durch  Umstellung  der  worte  xgcirtaTov  und  äsvTfQov 
zu  bellen. 

2)  Vgl.  die  ausführungen  des  ref.  1.  1.  p.  1.  2,  14—16,  37  —  39,  resp.  281.  282, 
294  —  296,  317  —  319. 


ÜBER    LESSINGS    HAMB.    DRAM.    ED.    SCHROETER -THIELE  241 

Wäre"  —  fügen  die  herausgebev  hinzu:  „«lic  aber  (so  dürfen  wir  wol  Lessing  ergän- 
zen, weil  or  im  folgi-nden  Sliakosjjeare  nirgends  reclitfortigt)  bei  den  grossen  mas- 
sen  der  Shakespeareschen  tragödie  leicht  an  dieser  selbst  zu  erkennen  gewesen 
wären."  —  Sie  nehmen  also  an,  dass  Lessing  von  fieeken  in  Shakespeares  Richard  III 
rede,  welche  er,  als  dort  leicht  orkenbar,  aufgesucht  liaben  würde,  um  die  glei- 
chen fehler  in  der  eigenen  arbeit  zu  tilgen.  Diese  auffassung  ist  weder  im  Wort- 
laute des  textes  begründet,  noch  lässt  sie  sich  irgend  mit  dem  zusammenhange  des 
Stückes  wie  mit  der  gesamtanschauung  Lessings  von  Shakespeare  in  einklang  setzen. 
Lessing  will  einfacb  sagen:  ich  würde  mein  (fertiges)  werk  mit  dem  Shakespeares 
als  einem  muster  verglichen  und  aus  dieser  vergleichung,  an  den  schiinhciteu 
Shakespeares  die  fehler  meines  Werkes  erkant  haben,  die  ich  bis  daliin  nicht  gese- 
hen hätte. 

LXXIV.     Im  text  s.  417  steht  durch  versehen  „entwurf"  anstatt  ,,einwurf." 

LXXV,  14.     Phokas  regierungszeit  ist  um  1000  jähre  zu  spät  angesezt. 

LXXVI,  4.  5.  Dass  Lessings  erklärung  des  (fiXarfh^oinov  die  richtige  ist, 
meint  ref.  in  seiner  vorgenanten  schrift  bewiesen  zu  haben.  ^ 

LXXVII,  1.  Hier  wird  die  Döringsche  lehre  von  der  potentiellen  (tragischen) 
und  eigentlichen  furcht  vorgetragen,  welche  ref.  für  recht  scharfsinnig,  nur  nicht 
für  aristotelisch  ansehen,  und  welche  bei  Aristoteles  nicht  gefunden  zu  haben  er 
unmöglich  mit  den  herausgebern  Lessing  als  Unklarheit  anrechnen  kann.^ 

12.  Durch  versehen  steht  hier:  ,,eine  und  des  Aristoteles  ansieht"  anstatt: 
,, seine  u.  d.  A.  a. 

13.  ,,Die  herren  haben  gut  streiten"  braucht  kein  Gallicismus  zu  sein  in 
der  bedeutung  ,,striiten  vergeblich."  Wenigstens  hiirt  man  in  Schlesien,  Sachsen 
und  Thüringen  täglich  Wendungen  wie:  ,,  Du  hast  gut  reden,  raten,  lachen"  u.a.m. 
in  dem  sinne:  ,,Du  hast  oder  machst  es  dir  leicht,  davon  zu  reden"  usw.  Übri- 
gens liegt  der  begriff  des  vergeblichen  darin  mit  eingeschlossen;  denn  diese  aus- 
drücke werden  immer  auf  solche  angewendet,  die  man  in  falscher  position  zur 
sache  ei'blickt,  und  deren  reden  und  tun  man  darum  richtigkeit,  Verbindlichkeit 
für  andere  und  erfolg  abspricht.  Z.  b.  ,,Der  reiche  hat  gut  reden  von  den  Vor- 
zügen der  armut"  heisst:  dem  reiclien  wird  es  leicht  von  den  Vorzügen  der  armut 
zu  reden,  weil  er  ihren  druck  nicht  kent,     -  und  eben  darum  redet  er  in  den  wind. 

XCI,  5.  Zu  anfang  der  anm.  muss  Aristophanes  anstatt  Aristoteles  gesezt 
werden. 

XCII,  6.  An  die  bemerkung  Hurds:  ,,Der  geizige  des  Meliere  ist  nicht  so 
eigentlich  das  gemälde  eines  geizigen  mannes  als  des  geizes  selbst"  —  schliessen 
die  herausgeber  folgende  deduction  Kre^'ssigs:  ,.ein  erfahrener  Wucherer,  der  seinen 
geldkasten  vergräbt,  ein  mann  der  nicht  zwei  brennende  lichte  in  seinem  zimnier 
leiden  mag,  der  ohnmächtig  wird,  wenn  sein  koch  ihm  den  küchenzettel  eines 
massigen  abendbrotes  vorträgt:  und  dieser  selbe  mann  im  besitz  von  kutschpfer- 
den,  eines  Intendanten  und  zum  überfluss  sterblich  in  ein  armes  mädchen  verliebt 
und  nebenbuhler  seines  sohnes  —  das  sind  färben,  die  sich  in  dem  porträt  eines 
einzigen  menschen  nicht  vertragen,  möge  der  glänz  jeder  einzelnen  immerhin  nichts 
zu  wünschen  übrig  lassen."  —  Nun  heisst  es  in  demselben  XCIL  st.  weiterhin  bei 
Hurd:  „Meliere  und  Plautus  haben  statt  der  abbildung  eines  geizigen  mannes  uns 
eine   grillenhafte   widrige    Schilderung    der    leidenschaft    des   geizes   gegeben.     Ich 

1)  L.  L  p.  24  —  26.  resp.  304  —  306. 

2)  Vgl.  de  Eurip.  p.  23,  resp.  303. 

ZEITSCHR,    F.    DEUTSCHE    PHILOLOGIE.      BD.    XII.  16 


242  NEI0HARDT,    ÜBER   LESSINGS    HAMB.    DRAM.   ED,    SCHROETER  -  THIELE 

nenne  es  eine  grillenhafte  Schilderung,  weil  sie  kein  urbild  in  der  natur  hat.  Ich 
nenne  es  eine  widrige  Schilderung ;  denn  da  es  die  Schilderung  einer  einfachen 
unvermischten  leidenschaft  ist,  so  fehlen  ihr  alle  die  lichter  und  schatten,  deren 
richtige  Verbindung  allein  ihr  kraft  und  leben  erteilen  könte.  Diese  lichter  und 
schatten  sind  die  Vermischung  verschiedener  leidenschaften ,  welche  mit  der  vor- 
nehmsten oder  herschciiden  leidenschaft  zusammen  den  menschlichen  Charakter  aus- 
machen." —  Dass  die  beiden  beurteiler  gerade  das  entgegengesezte  in  dem  stücke 
des  Meliere  finden  und  tadeln ,  liegt  auf  der  band.  Hier  durfte  es  an  einer  ver- 
mittelung  nicht  fehlen,  oder  der  leser  durfte  überhaupt  nicht  in  dieses  dilemma 
versezt  werden. 

XCIV,  5.  Hier  heisst  es  u.  a. :  ,,In  Wahrheit  aber  existiert  das  begriif liehe 
nur  in  oder  durch  das  einzelobject,  nicht  aber  neben  oder  jenseit  desselben,  und 
es  gab  somit  für  Plato  keinen  grund  die  kunst,  soweit  sie  die  erscheinungs- 
weit nachahmt,  aus  seinem  idealstaatc  auszuschliessen."  —  Für  Plato  gab  es  eben 
den  grund,  dass  er  die  gegenteilige  lehre,  wie  sie  die  herausgeber  vorher  richtig 
zu  anfang  der  anmerkung  entwickelt  haben,  aufstelte. 

XCV,  8.  Den  ausdruck  fermenta  cognitionis  soll  Lessing  ,,wol  ohne  zweifei" 
dem  Solinus  entlehnt  haben.     Diese  gewissheit  ist  doch  recht  ungewiss  vorgetragen. 

XCVI,  7.     „Gegen  aller  neuern  jjolierten  Völker  ihre"  (sc.  litteratur)  und 

XCVni,  4.  „Die  niederlage  bei  sich  erlaubt"  sind  sächsische  Provinzialis- 
men. „Niederlage"  bezeichnet  ort  und  gelegenheit  zu  verkehr  in  fremdem  hause, 
meist  mit  dem  nebeubcgriffe  des  anstüssigen. 

CI  —  CIV,  6.  In  einer  längeren  auseinandersetzung  über  Lessings  dictum  : 
„ich  bin  weder  Schauspieler  noch  dichter"  liest  man:  ,,'Wir  meinen  vielmehr,  es 
liegt  uns  hier  ein  wort  vor,  durch  welches  Lessing  in  wahrhaft  bewundernswerter 
selbsterkentnis  durch  Schilderung  seines  eigensten  wesens  seine  innersten  herzens- 
gedanken  offenbart "  .  .  .  .  „  Doch  hier  erweisen  zu  wollen ,  dass  Lessing  sich  mit 
den  Worten  selbst  bitteres  unrecht  zugefügt  hat,  würde  unnütze  mühe  sein,  da 
dies,  wie  jeder  freund  Lessings  weiss,  von  weit  berufener  (berufenerer?)  band 
widerholt  geschehen  ist"  ....  ,,Aber  alles  dies  erklärt  nur,  warum  Lessing  so 
sprach,  nicht  aber,  ob  er  recht  hat.  Und  dies  hat  er  in  seinem  sinne  gewiss!"  — 
Diese  sätze  vermag  ref.  nicht  zu  vereinigen.  Wenn  Lessing  —  natürlich  in  sei- 
nem sinne  —  recht  hat,  wenn  er  mit  ,, bewundernswerter  selbsterkentnis"  sich 
beurteilt,  so  kann  er  sich  unmöglich  bitteres  unrecht  zugefügt  haben.  Unrecht  wird 
ihm  nur  der  tun,  der  ihn  nicht  in  seinem  sinne,  also  falsch  versteht.  Und  dies 
meinen  wol  auch  die  herausgeber. 

Im  text  s.  603  liest  man:  „die  ihn  mit  einem  bewundernden  Ah!  nachfolgt." 

37.     Anstatt  A.  11  ist  zu  lesen  A.  12. 

Trotz  des  kläglichen  stiles  der  herren  Dodsley  und  compagnie  darf  man  wol 
fragen,  ob  sie  wirklich  gedruckt  haben :  ,, so  bald  jemanden  ein  buch  nacligedruckt 
wird"  —  „von  alle  arten  des  nachdrucks"  —  ,,von  unsre  geselschaft  aber" 
s.  606.  607. 

Endlich  möchte  ref.  hinsichtlich  der  diction  mit  aller  reserve,  welche  der 
vor  anderen  subjective  charakter  solcher  eindrücke  erheischt,  bemerken,  dass  ihm 
hin  und  wider  eine,  um  den  Lessingschen  ausdruck  einmal  selbst  anzuwenden, 
„symbolische"  rhetorik  entgegengetreten  ist.  Er  macht  in  diesem  betracht  beson- 
ders auf  den  anfang  des  Vorwortes,  den  schluss  der  einleitung  und  auf  die  num- 
mern  LIX,  9.  LXXII,  5.  LXXIII,  15.  LXXXVII— VIII,  11.  CI  — CIV,  5.  6.  auf- 
merksam. 


TOMANETZ  ,    ÜBER    HADAMAR    ED.    STEJSKAL  243 

Kef.  schliesst  mit  dem  wünsche,  dass  es  den  Verfassern  beschieden  sein  möge, 
ihr  tüchtiges  und  gewissenliaftes  werk  in  nicht  zu  langer  zeit  weiter  zu  vervol- 
komnen. 

ERFÜRT.  DR-    E.    NEIDHARDT. 

Hadamars  von  Laber  Jagd  mit  Einleitung  und  erklärendem  Coni- 
mentar  herausgegeben  von  Dr.  Karl  Stejskal.  Wien  1880  bei  Alfred 
Holder.    XLIV,  219  s.     fl.  3.  20 

Schmellers  ausgäbe  von  Hadamars  ,.  Jagd"  ist  schon  1850  als  20.  publication 
des  literarischen  Vereins  erschienen :  seitdem  kam  die  vorzügliche  Münchener  hand- 
schrift  (bei  Stejskal  B)  neu  hinzu,  andere  hss. ,  die  Schmeller  wol  gekant,  aber 
nicht  benüzt  hatte  (C  [14.  jh.],  d  [15.  jh.])  konten  mit  grossem  vorteil  bei  der 
textesherstellung  verwertet  werden;  zudem  basierte  Schmellers  ausgäbe  auf  der 
ziemlich  wertlosen  Erlanger  handschrift  (15.  jh.,  bei  Stejskal  c)  und  Hess  manches 
zu  wünschen  übrig;  eine  neue  ausgäbe  der  Jagd  war  also  wol  gerechtfertigt,  und 
dass  selbe  in  die  hosten  bände  geraten  ist ,  beweist  die  vorliegende  edition  in  vol- 
stera  masse.  Schon  in  seiner  abhandlung  ,,zu  Hadamar  von  Laber"  Zeitschr.  f. 
deutsch,  alterth.  22,  263 — 99  hat  Stejskal  eine  probe  seiner  umfassenden  und 
gründlichen  vorarbeiten  gegeben  und  die  einleituug,  die  der  ausgäbe  vorausgeht, 
erweitert  die  dort  behandelten  punkte  ,  und  fügt  melirere  neue  hinzu ,  alle  mit  einer 
Sorgfalt  und  genauigkeit  ausgeführt,  dass  man  für  die  ausgäbe  selbst  nur  das  beste 
erwarten  kann. 

Bevor  wir  uns  zu  dieser  selbst  wenden,  mag  ein  überblick  über  das  in  der 
einleitung  gebotene  voraufgehen.  Unter  L  gibt  Stejskal  einen  abriss  des  lebens 
Hadamars.  Wenig  war  in  dieser  hinsieht  vorgearbeitet,  auch  das  gedieht  selbst 
bietet  fast  keine  anhaltspunkte,  alles  muste  aus  den  verschiedensten  geschichtsquellen 
mühsam  zusammengelesen  werden.  Um  so  statin enswerter  ist  die  relativ  grosse 
genauigkeit,  mit  der  wir  des  dichters  lebenslauf  verfolgen  können.  Ich  will  als 
resultat  nur  herausheben,  dass  Hadamar  III.  aus  dem  oberpfälzischen  geschlechte 
der  von  Laber  um  1300  geboren  ist,  eine  ziemlich  wichtige  politische  rolle  spielte, 
zwischen  1335  —  40  unser  gedieht  verfasste  und  in  den  50er  jähren  gestorben  ist. 
Sein  rühm  überdauert  ihn  um  Jahrhunderte;  sein  literarisches  beispiel  wird  mass- 
gebend für  die  nachfolger  und  insoferne  ist  Hadamar  als  dichter  von  niclit  zu 
unterschätzender  bedeutung.  —  Im  2.  abschnitt  bespricht  Stejskal  das  handschrif- 
tenverhältnis ,  wofür  die  oben  erwähnte  abhandlung  das  wichtig.ste  schon  vorweg- 
genommen hatte.  Die  frage  nach  der  ursprünglichen  abfolge  der  Strophen  ist  bei 
der  „Jagd"  eine  ungemein  verwickelte,  da  nicht  zwei  der  erhaltenen  handschriften 
in  derselben  übereinstimmen  und  nicht  eine  ein  volständig  siugemässes  ganzes 
darbietet  Mit  gröster  Sorgfalt  sucht  Stejskal  diese  frage  ins  reine  zu  bringen  und 
hat  dabei  unzweifelhaft,  in  befolgung  richtiger  grundsätze,  die  wahrscheinlich 
ursprüngliche  strophenfolge  widerhcrgestelt.  Sjieciell  rechtfertigt  er  die  anordnung 
der  ersten  21  atrophen,  da  hier  die  handschriften  am  meisten  divergiren.  Dass 
trotzdem  nicht  überall  ein  fortlaufender  gedankenfluss  erzielt  werden  konte,  liegt 
in  der  natur  des  gedichtes  und  wol  auch  seiner  abfassung,  da  es  mir  wenigstens 
sehr  wahrscheinlich  ist,  dass  die  ,,Jagd"  nicht  eine  einheitliche  coniposition ,  son- 
dern in  absätzen  gearbeitet  ist,  deren  Verschmelzung  eine  volständige  ausgleichung 
verhinderte.  (Vgl.  auch  einleitung  s.  XIX.)  Anschliessend  gibt  Stejskal  eine  Über- 
sicht über  den  Inhalt  und  die  art  der  composition  des  gedichtes:  wir  ersehen  daraus, 
dass  die  eigentliche  allegorie  der  schwächste  teil  der  dichtung  ist,  wie  nicht  anders 

16* 


244  TOMANETZ 

ZU  erwarten  war,  die  stärke  Hadaraars  vielmehr  in  den  eingestreuten  betrachtun- 
gen  liegt,  obwol  auch  hier  nur  selten  wirklich  schönes  sich  entdecken  lässt,  das 
sogar  inhaltlich  nicht  einmal  auf  erfindung  des  dichters  zu  beruhen  braucht,  son- 
dern nur  verarbeitetes  gemeingut  der  damaligen  gebildeten  kreise  sein  kann.  Ich 
denke,  Stejskal  würdigt  diese  seite  des  gedichtes  mehr  als  sie  verdient.  —  Unter  III. 
bespricht  der  herausgeber  die  strophenform .  die  sich  als  eine  nachbildung  der 
Scharfenbergischen  Titurelstrophe  erweist,  indem  diese  dahin  geändert  ist,  dass 
nur  klingender  versschluss  verwendet  Avird.  Lozteres  ist  darum  interessant,  weil 
sich  dabei  die  beobachtung  ergibt,  dass  Hadamar  den  unterschied  zwischen  hoch- 
betonter langer  und  kurzer  silbe  nicht  mehr  kante ,  und  darum  ein  wort  wie  begeren 
nur  mehr  klingend  verwerten,  mithin  auch  im  vers  nicht  mehr  verschleifen  konte. 
Dafür  ist  auch  bei  ihm  das  princip  strenger  abfolge  von  hebung  und  Senkung  ohne 
ausnähme  durchgeführt.  Übrigens  beobachtet  er  im  algemeinen  die  metrischen 
gesetze  der  blütezeit ,  was  Stejskal  des  näheren  ausführt.  Es  ist  ein  verdienst  die- 
ser ausgäbe ,  diese  metrischen  beobachtungen  auch  textkritisch  verwertet  zu  haben ; 
Schmeller  kam  es  nicht  darauf  an ,  einem  verse  1  bis  2  hebungen  mehr  zu  geben, 
als  er  reclitmässig  haben  solte.  -  In  IV  schliesslich  sammelt  Stejskal  einige  der 
wichtigsten  rhetorischen  mittel  Hadamars:  es  sind  ihrer  nicht  wenige,  doch  ver- 
lieren sie  meist  ihren  wert,  da  sie  gewöhnlich  auf  die  spitze  getrieben  werden. 

An  diese  reichhaltige  eiuleitung  schliesst  sich  der  text  an.  Über  das  ver- 
fahren bei  der  herstellung  desselben  spricht  sich  Stejskal  s.  XLIII  fg.  aus.  Berückr 
sichtigt  sind  fast  nur  die  handschriften  des  14.  jh.:  ABC  Da,  und  mit  recht;  denn 
die  im  15.  jh.  geschriebenen  sind  durch  den  Unverstand  der  Schreiber  meist  in 
sinlosester  weise  corrumpiert.  Von  den  erwähnten  handschriften  gehören  A  B  C  D 
der  handschriften  - klasse  x,  a  der  klasse  y  an,  so  dass  die  Übereinstimmung  in  den 
lesarten  der  beiden  klassen  für  die  textrecension  von  entscheidendem  einfiuss  sein 
konte.  In  den  seltensten  fällen  ist  Stejskal  von  der  handschriftlichen  lesung  abge- 
gangen und  hat  conjekturen  in  den  text  gesezt,  die  aber  sämtlich  geglückt  sind 
(vgl.  zu  24,  5).  Eher  könte  man  sagen,  dass  er  sich  zu  sehr  an  die  handschrift- 
liche autorität  gehalten  hat  (s.  u.) ;  der  archetyp  mag ,  wie  in  bezug.  auf  die  stro- 
phenfolge  (vgl.  ztschr.  f.  d.  a.  22,  294)  so  auch  rücksichtlich  der  textgestalt  nicht 
mehr  ganz  correct  gewesen  sein.  Dass  die  abweichungen  von  Schmeller  bedeutende 
sind,  wird  niemandem  auffallen,  der  bedenkt,  dass  Schmeller  seinen  text  haupt- 
sächlich nach  der  schlechten  Erlanger  handschrift  construiert  hat.  Zu  wünschen 
wäre  nur,  dass  wenigstens  die  bedeutenderen  textdifferenzen,  eventuel  bei  den  les- 
arten ,  ersichtlich  gemacht  worden  wären.  Dass  freilich  an  vielen  stellen  durch  den 
neuen  text  immerhin  noch  keine  klarlieit  hergestelt  ist,  darf  nicht  dem  heraus- 
geber zur  last  fallen ;  Hadamar  hat  sich  oft  einer  so  dunkeln  ausdrucksweise  beflis- 
sen,  die  meist  durch  die  form  der  allegorie  hervorgerufen  ist,  dass  gewiss  schon 
den  Zeitgenossen  hin  und  wider  nicht  ganz  klar  gewesen  sein  mag ,  was  er  gemeint 
hat.  Das  lässt  sich  natürlich  nicht  gut  machen.  Jedoch  gegen  Schmellers  text, 
der  manchmal  einen  platten  unsinn  bot,  hat  die  neue  ausgäbe  gewiss  einen  sehr 
bedeutenden  fortschritt  gemacht  und,  soweit  man  es  beurteilen  kann,  fast  überall 
in  der  herstellung  des  textes  das  richtige  getroffen.  Nur  kleinigkeiten  sind  es,  an 
denen  recensent  von  Stejskals  lesung  altweichen  möchte.  So  steht  15,  G  geselle, 
hetzä  Liehen.  ABa,  die  liss.,  denen  Stejskal  stets  gefolgt  ist,  uiul  deren  Überein- 
stimmung um  so  wertvoller  ist,  da  sie  zwei  handschriftenklasson  angehören  (vgl. 
s.  XVIII),  lesen  hetze.  Wenn  nun  auch  B  an  der  zweiten  stelle,  wo  es  dieselbe 
Strophe  widerholt  (B  512)  hetsa  liat,  so  steht  doch  für  unsere  strophe  hetze  fest.  — 


ÜBER   HADAMAR    ED.    STEJSKAL  245 

91,  7.  helfet  mir  si  liehen,  mich  ir  bieten  Ba,  was  Stejskal  in  der  anmerkung  als 
eine  auch  gute  lesart  anerkent;  sie  ist  sogar  die  l)essere.  Denn  abgesehen  davon, 
dass  Ba  als  zwei  handschrit'tenklassen  angehörig  viel  melir  gewicht  haben  als  A. 
dessen  lesart  im  text  steht,  so  ist  in  helfet  mir  si  lieben  (=  helfet  mir,  dass  sie 
mich  erfreue)  si  Subjekts  -  accusativ  und  der  satz  ein  echter  acc.  c.  inf. ;  ich  denke 
nun,  es  ist  stets  das  richtigere,  einem  solchen  in  einem  mhd.  gedieht  auszuweichen, 
zumal  wenn  auch  andere  gründe  eine  änderung  befürworten.  Schnieller  hat,  viel- 
leicht von  derselben  erwägung  geleitet,  helfet  (icsellen  mir,  ir  liehen  geschrieben.  — 
Schwierig  ist  die  stelle  112,  4  man  hoert  si  hellen  lüte  imd  Jceines  dönes.  Das 
eigentlich  zweifelhafte  wort  ist  dönes :  die  handschriften  bieten  das  verschiedenste : 
trones,  lones ;  icones,  frones.  Öclinieller  und  Bech  conicierten  der  erstere  rönes, 
der  andere  hrönes  (vgl.  ötejskals  anm.  zur  st.),  dönes  ist  mit  Ba  wol  richtig  her- 
gestelt  und  die  anderen  handschriften  mögen  geändert  haben,  um  dem  reim  auf 
dönes  (v.  2)  auszuweichen.  Doch  auch  so  ist  die  construction  etwas  eigentümlich, 
a  bietet  chlaines  dones.  vielleicht  könte  es  ursprünglich  unMeines  dönes  geheissen 
haben,  so  dass  derselbe  gedanke  erst  positiv,  dann  negativ  gegeben  ist,  was  bei 
Hadamar  öfter  vorkorat.  Vgl.  180 ,  4.  —  Auch  275,  7 ,  wo  im  text  steht  oh  ich 
si  staet ,  getriuwe  und  rein  des  muotes ,  gibt  a  mit  reines  muotes  eine  glattere 
fügung.  Freilich  ist  es  wider  in  solchen  fällen  geratener,  die  seltenere  construc- 
tion als  die  ursprüngliche,  von  der  zu  einer  gebräuchlicheren  abgewichen  wurde, 
aufzunehmen.  —  In  312,  2  ez  kere  ^car  ez  kere,  dar  teil  ich  nimmer  kriefjen  wäre 
ohne  bedenken  mit  B  immer  in  den  text  zu  setzen  gewesen;  nimmer  ist  gewiss 
falsch.  Allerdings  haben  es  die  übrigen  handschriften;  da  hört  jedoch  die  pietät 
gegen  die  handschriftliche  autorität  auf,  die  sonst  der  ausgäbe  nur  zum  lobe 
gereicht.  Zum  mindesten  hätte  die  änderung  im  commentar  als  notwendig  ange- 
merkt werden  sollen.  —  330,  1  fgg.  lesen  wir:  swer  minner  heizet  tören,  ser  ich 
daz  loiderklaffe ,  so  habe  ich  miniu  ören.  In  dieser  fassung  ist  es  schwer,  einen 
practikabeln  sinn  herauszufinden.  Die  änderung  ist  jedoch  sehr  leicht  und  zwar 
ganz  an  der  band  der  handschrift,  was  Stejskal  eben  nur  übersehen  haben  muss. 
ABa  lesen  habt  (was  unter  den  lesarten  s.  164  nachzutragen  ist)^  und  sodann  eio 
(=  iu).  Die  stelle  heisst  somit:  .so  habt  iu  miniu  ören  und  ihr  sinn  ist:  ihr  könt 
dafür  meine  obren  zum  pfand  nehmen.  —  334,  4  ist  wol  herzentrüten  zusammen- 
zuschreiben. —  490,  1  liest  Stejskal  in  Übereinstimmung  mit  allen  handschriften: 
ich  sprach.  Das  ist  nun  schon  deswegen  auffallend,  weil  Hadamar  seit  488,  6 
spricht  und  zu  sprechen  noch  gar  nicht  aufgehört  hat  Sodann  ist  der  inhalt  der 
Strophen  490.  491  schwer  mit  Hadamar  und  seineu  Jagderlebnissen  vereinbar.  Er 
spricht  nämlich  str.  490  von  einem  liebchen ,  das  ihm  gott  gegeben  hat ,  und  ohne 
das  er  jezt  nicht  mehr  am  leben  wäre;  denn  sie  war  ein  zaemez  wilt  gehiure  und 
hatte  den  Jäger  offenbar  nicht  zu  lange  auf  der  verte  gelassen.  Gerade  das  gegenteil 
davon  jedoch  ist  der  inhalt  der  ,,jagd";  Hadamar  entkörnt  das  wild  stets  und  er 
ist  darob  in  Verzweiflung.  Keinen  anstoss  gibt  die  strophe,  wenn  wir  statt  ich  :  er 
lesen  und  diese  werte  dem  Jäger,  mit  dem  er  spricht,  in  den  mund  legen.  Dann 
schliesst  sich  auch  491  vortreflich  au.  ,,Zum  Zeitvertreib  möchte  ich  nicht  ungerne 
einer  scheuen  binde,  die  der  Schlauheit  Schlauheit  entgegenzusetzen  versteht,  den- 
noch auf  irgend  eine  listige  ai't  beizukommen  suchen;  solche  kniffe  muss  eben  einer, 
der  dem  wilde  nachjagt,  kennen.''     Darauf  komt  wider  Hadamar  zum  sprechen  und 

1)    Ich  habe  diese  ergänzung   aus  dem  handschriften  -  apparate  des  herausgebers, 
den  er  mir  selber  freundlichst  zur  Verfügung  stelte. 


246  TOMANETZ 

meint,  er  vvolte  ihm  wol  verzoilieii  (dass  er  gegen  sein  wild  listig  vorgehe)  wenn 
er  sein  nachreiten  und  des  wildes  flucht  zu  sehen  bcicäme  und  wie  eines  das  andere 
überlisten  wolte  —  mit  deutlicher  bcziehung  auf  des  Jägers  rede  in  strophe  491. 
Diese  und  490  gehören  zusammen,  bilden  die  rede  des  Jägers,  und  490,  1  ist  dann 
er  zu  schreiben.  Damit  entfält  natürlicli  Stejskals  frage,  wer  wol  dieses  Hadamars 
liebchen  gewesen  sein  mag.  —  497,  5  steht  im  texte:  ez  kom  ein  donrsträl,  brin- 
nent  in  der  verte  der  blic  von  himel  liUte.  Aa  lesen;  in  prennen  verte ,  B  pren- 
nen  verte.  Das  ist  sinlos.  Da  also  geändert  werden  muss ,  halte  ich  für  viel  ein- 
facher zu  lesen:  in  brinnenter  verte.  Das  stimt  fast  volständig  zu  Aa.  Die  versezte 
botonung  von  brinnenter  kann  bei  Hadaraar ,  der  lieber  eine  tieftonige  silbe  statt 
der  hochtonigen  in  hebung  sezt,  um  nur  ja  nicht  eine  Senkung  auslassen  zu  müs- 
sen, nicht  befremden.  (Vgl.  s.  XXIX.)  —  560,  6  Fröud  ist  von  im  gesiviget,  er 
(sc.  Eüege)  hat  sich  auch  von  manger  vart  verdrimgen.  sich  lesen  alle  handschrif- 
ten  ,  und  darum  hat  es  Stejskal  beibehalten ;  und  doch  ist  es  falsch.  Schon  Schmel- 
1er  (seiner  anordnung  str.  563)  hat  dafür,  unzweifelhaft  richtig,  sie  conicirt.  —  In 
Strophe  p,  7  (s.  147)  schrieb  Stejskal:  und  hüete  wol  der  Zungen  klaff erortes. 
klafferortes  muss  jedenfals  getrent  geschrieben  werden;  denn  Zungen  kann  nicht 
von  klafferortes  abhängig  sein ,  sondern  nur  klaffer  von  zwngen  und  dieses  von 
ortes. 

Nur  nebenbei  möchte  ich  bemerken ,  dass  hin  und  wider  die  s.  144  fgg.  abge- 
druckten Strophen ,  die  sich  nur  in  einzelnen  handschriften  finden ,  auch  eine  bemer- 
kung  verdient  hätten. 

Auch  gegen  die  interpunction ,  deren  durchführung  an  dem  oft  so  schwierig 
zu  verstehenden  Inhalt  bedeutende  hindernisse  zu  überwinden  hatte,  ist  nur  an 
spärlichen  stellen  etwas  einzuwenden.  So  134,  5  fgg.  nu  sint  si  als  die  wolfe  gar 
tinmaere;  die  da  den  guoten  wiben  ir  fröud  verkerent,  daz  sint  fruödirraere.  Das 
si  in  V.  5  verlangt  notwendig  eine  erklärung,  die  eben  in  dem  folgenden  relativ- 
satz  gegeben  ist;  der  Strichpunkt  ist  daher  in  einen  beistrich  zu  ändern;  der  rela- 
tivsatz  steht  dann  änd  xoivoD.  Ich  will  hier  anmerken,  dass  Hadamar  diese  con- 
struction  mit  einiger  Vorliebe  anwendet;  so  steht  sie  kurz  vorher  132,  5  fgg.:  ich 
mein  die  merker,  die  ez  dicke  noeten,  [daz  ez  sin  selbes  kummer  verswigen  muoz], 
daz  loil  es  danne  toeten.  Dann  129,  4:  ich  hoffe,  ez  ivelle  nü  geschehen,  [daz 
Harre,  Triuioe,  Staete  und  Wille  zuo  einander  setzen] ,  ^ö  stoigen  alle  klaffer  bil- 
lieh  stille.  Hier  ist  bemerkenswert,  dass  daz  zuerst  mit  ,,dass,"  im  zweiten  falle 
mit  ,,wenn"  zu  übersetzen  ist.  Freilich  kann  auch  der  durch  so  eingeleitete  satz 
für  sich  stehen,  so  hat  dann  die  häufig  vorkommende  bedeutung  ,,wenn  das  gesche- 
hen ist,  so,"  ,,dann"  (wie  auch  122,  7).  In  diesem  falle  ist  aber  natürlich  der 
beistrich  vor  so  in  einen  Strichpunkt  zu  verwandeln.  Es  begegnet  jedoch  dieselbe 
doppelte  bedeutung  von  daz  in  einer  « tto  xotroö- construction  auch  strophe  441:  ich 
wünsche  in  minem  herzen,  [daz  guoter  frouwen  ougen  wol  saehen  äne  smerzen  in 
al  der  minne  gernden  herze  tougen  wml  oiich  erkanden ,  da  ir  aller  meinen],  so 
möht  man  guot  dem  guoten  erzeigen  und  ouch  miden  die  unreinen.  Sie  braucht 
also  129,  4  nicht  aufzufallen.  Zu  str.  441  Ist  nur  noch  zu  erwähnen,  dass  der  bei- 
strich nach  erkanden  jedenfals  zu  streichen  ist.  —  817,  3  fgg.  ich  däht,  man  solte 
hohen  iuch  mörder,  öwe  einem  armen  gaste,  dem  bi  in  schalken  sine  hunde  entlie- 
fen. Nach  mörder  muss  ein  Strichpunkt  oder  punkt  gesezt  werden.  —  397.  Gesel- 
liclicher  läge  üf  alle  schanze  ivarten  nnem  ich  für  alle  mäge.  des  muot  besniten 
waer  so  mit  der  barten,  so  daz  er  tvol  geselleschaft  erkande,  verswigen  und  ant- 
tvurten  ze  rehter  zit,   waz  der  unsaelde  tvande.     Der  satz   naem  ich  für  alle  mäge 


ÜBER    HADAMAR    ED.    STEJSKAL  247 

sezt  eine  person  voraus,  Jio  HacUiniar  allen  seinen  verwaiiten  vorziehen  würde, 
„wenn  sie  nämlich  so  j,'cartct  wäre,  dass  sie  wul  von  dem  beisainniensein  wüste, 
jedoch  zu  rechter  zeit  zu  schweigen  und  rede  zu  stehen  verstünde,  so  dass  (hidurch 
alles  Unheil  heseitigt  würde."  Dies  ist  der  Inhalt  der  v.  4  fgg.,  die  notwendig  zu 
V.  3  gehören,  weshalb  ich  es  für  das  richtigehalte,  den  puukt  nach  müge  in  einen 
beistrich  zu  ändern.  V.  1  und  2  stehen  dann  gewissermassen  anaphorisch  da  und 
werden  durch  den  satz  mit  des  wider  aufgenommen;  des  steht  hier  in  derselben 
bedeutung,  in  welcher  so  oft  der  ==  siver  vorkomt  =  wenn  jemandes,  wenn  eines 
....  —  517,  1  fgg.  ffcdenke  in  släfes  tivalme  midi  Umngent  ie  so  nähen,  man 
muht  mit  einem  h(dme  da  zioischen  niht,  so  ivaene  ich,  umbe  vähen.  So  interpun- 
giert,  gehören  mit  einem  hcdme  du  stoischen  umhe  vähen  zusammen;  das  ist  ja 
eine  reine  contradictio  in  adjecto.  Die  besserung  ist  einfach,  indem  man  den  bei- 
strich nach  so  ivaene  ich  weglässt  und  nach  niht  stärker  interpungiert.  Die  stelle 
lautet  dann:  „im  träume  bin  ich  stets  so  nahe  an  ihr,  dass  man  mit  einem  haline 
nicht  dazwischen  könte:  so  fest  glaube  ich  sie  zu  umfangen."  Die  ellipse  des 
objectes,  wie  hier  hei  umherähoi.  findet  auch  sonst  bei  Hadamar  ihre  entsprecliung; 
vgl.  478,  4:  gelich  dem  helnden  diebe  oant  ich  da  leit,  dem  ich  (sc.  mich)  noch  nie 
ertoerte.  —  Auch  in  strophe  s  s.  148  würde  ich  eine  änderung  der  interpunktion 
vorschlagen.  Die  strophe  lautet:  ivaz  Ican  diu  herz  durch  kriechen,  daz  ez  den 
muot  erfrischet,  kein  erzen't  den  siechen  so  holde  labet,  so  ein  wort  daz  mischet  ist 
mit  dem  zeichen  dar  an  man  enphindet  ein  lieplich  sunder  meinen ,  ivie  snelle 
daz  unmnotes  bant  enbindet!  Ich  denke  mir  nun  den  gedankenzusammenhang  so; 
vorausgeht  die  frage:  „was  kann  so  in  das  herz  dringen,  dass  es  das  gemüt 
erquickt?"  Darauf  folgt  als  antwort  nicht  direkt:  Worte  und  gebärden  der  liebe, 
sondern  in  breiter  ausführung:  keine  arzenei  labt  den  kranken  so  bald,  als  ein  wort, 
das  von  gebärden,  an  denen  man  die  liebe  erkent,  begleitet  ist;  und  als  resume 
dessen  zum  schluss:  ,,wie  schnell  dadurch  der  unmut  beseitigt  wird!"  Danach 
glaube  ich,  ist  hinter  erfrischet  ein  fragezeichen  und  hinter  meinen  ein  Strichpunkt 
zu  setzen. 

Dem  texte  schliessen  sich  die  lesarten  an,  die  jedoch  nur  eine  auswahl  von 
handschriften  berücksichtigen,  vgl.  s.  244;  nur  in  wichtigeren  fällen  sind  auch  die 
handschriften  des  15.  Jahrhunderts  angeführt. 

An  die  lesarten  reihen  sich  die  anmerkungen ,  die  meist  lexikalischen  Inhal- 
tes sind,  indem  die  in  dem  gedieht  so  vielfach  vorkommenden  jagd- ausdrücke  sorg- 
fältig und  gründlich  erläutert  werden,  auch  sonst  bei  schwierigen  Wörtern  die  ent- 
sprechende Übersetzung  hinzugefügt  wird;  hin  und  wider  werden  auch  ganze  stellen 
dem  Vorständnisse  näher  gerückt,  jedoch  wie  ich  meine,  viel  zu  spärlich.  Hada- 
mars  unklare  diction  hätte  es  schon  verdient,  an  zahlreicheren  stellen  in  ein  helle- 
res licht  gestelt  zu  werden;  dem  herausgeber,  der  sich  in  das  gedieht  hineingelebt 
hat,  mag  manches  ganz  klar  sein,  was  demjenigen,  der  das  gedieht  eben  nur  liest, 
unverständlich  ist  oder  erst  nach  längerem  bemühen  deutlich  wird ;  vielfach  genügt 
da  eine  kurze  andeutung,  die  wenig  räum  einnimt,  die  anmerkungen  aber  erst  zu 
dem  macht,  was  sie  zu  sein  versprechen,  zu  einem  ,, erläuternden  commentar." 
Auch  syntactische  noten  finden  sich ;  auch  diese  hätten  viel  reicher  ausfallen  kön- 
nen; doch  ist  wie  gesagt,  das  hauptaugenmerk  des  herausgebers  auf  die  wort- 
erklärung  gerichtet  gewesen,  und  es  kann  ihm  daher  der  mangel  umfassenderer 
syntactischer  beobachtungeu  nicht  zur  last  gelegt  werden ,  zumal ,  wie  mir 
dr.  Stejskal  mitteilte,  das  festgesezte  raumverhältnis  ihm  vielfache  heschränkungen 
auferlegte. 


248  TOMANETZ 

Es  sei  mir  nun  noch  vergönt,  einzelne  punkte  der  anmerkungen  zu  bespre- 
chen. Zu  str.  29,  7:  claz  ich  mich  danne  ieman  irren  saehe  constatiert  Stejskal 
einen  acc.  c.  inf. :  ieman  mich  irren.  Doch  ist  dieses  bedenkliche  syntactische  hilfs- 
mittel  hier  gar  nicht  nötig;  ieman  ist  objects -accusativ  zu  saehe.  —  158,  6  ich 
meine  unnoetez  klaffen  von  manger  diet,  duz  mich  vil  dicke  toeret  soll  zu  dem 
indirecten  anführungssatze  ein  ,,ist  es"  zu  ergänzen  sein;  umioetez  klaffen  ist 
ubject  zu  ich  meine.  —  180,  5  ich  blies  zwir  ^ind  schrei  mit  mangem  ivuofen  ist 
wuofen  als  „Jammergeschrei"  erklärt;  eher  ist  hier  an  einen  jagdruf  zu  denken, 
durch  den  ein  helfer  herbeigeführt  werden  solte.  Nebenbei  will  ich  bemerken ,  dass 
es  mir  in  den  folgenden  versen:  ob  ich  noch  ieman  hörte,  den  ich  durch  helfe 
mohte  zao  mir  ruofen,  viel  plausibler  seheint,  statt  ob  ich  :  ob  mich  zu  schrei- 
ben; der  ton  liegt  doch  darauf,  dass  ihn  jemand  hört.  —  184,  6.  7  kein  künc 
wart  nie  so  riehe ,  ez  waer  (jenuoc ,  ob  er  die  vart  volendet.  Dies  wird  übersezt 
mit:  „kein  könig  war  jemals  so  glücklich,  es  wäre  viel,  wenn  er  (als  könig)  zum 
ziele  gelangen  würde."  Dadurch  ist  die  stelle  nicht  viel  klarer  geworden.  Es  ist 
wol  zu  übersetzen:  ,,Nie  war  jemals  ein  könig  so  reich,  dass  es  ihm  nicht  genügen 
köute,  wenn  er  (sc.  da,  bei  dieser  frau)  zum  ziele  käme."  ez  waer  =  es  enwaer.  — 
203,  1.  2.  dö  such  ich  ez  umb  jagen  üf  disen  ivegen  herte.  herte  wird  als  adv. 
gefasst  und  fehlt  als  solches  bei  Lexer.  Es  kann  hier  aber  auch  flexionsloses  attri- 
butives adjectiv  sein,  zu  wegen  gehörig.  Ebensowenig  ist  es  nötig,  346,  3.  4 
gesach  man  mich  ie  frechen,  duz  künde  mir  verzagen  dö  wol  stillen,  frechen  als 
ein  sonst  unbelegtes  sw.  v.  retl.  zu  fassen;  es  ist  der  accusativ  des  flectierten  prä- 
dicativ  gebrauchten  adj.  frech.  Anschliessend  will  ich  zwei  irtümer  corrigieren, 
die  Stejskal  bei  der  constatieruiig  des  fehlens  einzelner  Wörter  bei  Lexer  unterlau- 
fen sind.  Das  130,  7  erscheinende  adj.  schrickenlich  steht  bei  Lexer  11,  797  unter 
schriclich,  in  dieser  form  nur  durch  unsere  stelle  belegt;  ebenso  das  555,  2  vor- 
kommende lenken  stn.  bei  Lexer  I,  1882,  mit  unserer  stelle  als  einzigem  beispiel; 
allerdings  ohne  bedeutungsangabe.  An  mehreren  anderen  stellen  findet  sich  wider 
die  stelle  aus  Hadamar  bei  Lexer  notiert,  aber  mit  etwas  anderer  lesung  (nach 
Schmeller)  und  unter  einem  anderen  worte.  So  ist  263,  3  das  ady.  unhelfUche 
bei  Lexer  allerdings  nicht  angeführt ,  aber  unser  vers  steht  unter  unJiilflicJie  II,  1897 
als  einziger  beleg  angemerkt:  378,  5  «?t  ist  verschröteyi  min  gedankes  t'ider  findet 
sich  I,  962  mit  ÜfAimeller s  gerider,  das  durch  keine  handschrift  gestüzt  wird.  544,5 
daz  er  die  göudenlichen  milg  vertrinken  ist  I,  1025  unter  giudecliche  mit  der 
Schreibung  göudielichen  citiert,  während  das  adjectiv  göudenlich  (strophe  609  nach 
Schmeller,  f ,  s.  145  bei  Stejskal)  mit  der  richtigen  form  unter  giudenlich  I,  1026 
angemerkt  ist.  Wider  an  anderen  stellen  ist  wol  das  betreffende  wort  bei  Lexer 
vorhanden,  es  fehlt  jedoch  die  specielle  bedeutung,  die  für  die  stelle  bei  Hadamar 
angenommen  werden  muss;  so  bei  gerehticUch  (35,  2.  Lexer  I,  875;  vgl.  Nach- 
trag s.  V.)  die  bedeutung:  ,, weidgerecht,  hirschgerecht";  bei  brück  (69,  6.  Lexer 
I,  362)  die  bedeutung  ,, abgebrochener  zweig";  bei  blide  (72,  5.  Lexer  I,  307) 
die  bedeutung  „  artig ,  sittsam."  Diese  beiden  fälle  subsumiert  Stejskal  unter  das 
einfache  ,, fehlt  bei  Lexer";  gewiss  hat  er  recht;  in  einem  fall  fehlt  wirklich  die 
bestimte  form,  im  anderen  die  bedeutung;  das  hätte  aber  jedesmal  angemerkt  wer- 
den sollen.  An  allen  anderen  stellen  aber  (es  sind  deren  noch  ca.  60)  ist  in  der 
tat  das  volständige  fehlen  des  wortes  bei  Lexer  zu  constatieren ,  und  man  wird 
überrascht  durch  die  relativ  grosse  anzahl  dieser  bei  Hadamar  vorkommenden  «7r«| 
flQrjf^ivcc.  Freilich  sind  es  vielfach  blos  substantivierte  Infinitive ,  die  fehlen ,  und 
die  W.  Grimm    (vgl,  Lexer  I,    XVII)   übergangen    haben    mag,    und   andererseits 


ÜBER   HADAMAR   KD.    STEJSKAL  249 

erklärt  sicli  oft  das  nichterscheinen  der  Wörter  bei  Lexer  dadurch,  dass  eben  die- 
selben erst  durch  die  neuo  ausgäbe,  die  ein  l)essores  und  besser  verwertetes  band- 
schriften-material  zur  Verfügung  hatte  als  Schmeller,  in  den  fext  gcsczt  worden 
sind.  Übersehen  liat  Stejskal,  dass  das  196,  5  vorkommende  beobern  ebenfals  bei 
Lexer  fehlt.  Bei  diesem  wäre  auch  unter  änen  (1,  68)  die  bei  Hadamar  264,  2 
erscheinende  dialectische  nebenform  önen  (:  Ionen,  vgl.  St.  Hadam.  s.  XXXII)  nach- 
zutragen. —  zu  233,  5  da  viuoz  muot  in  unmnot  sich  hekohern  ist  nach  Lexer  I,  167 
für  bekobern  die  bedeutung  „sich  zusammenfassen,  erholen"  (Lexer  citiert  dafür 
blos  Herb.  H869)  angesezt:  hier  ist  es  wol  jedenfals  mit  ,.sich  verkehren"  zu  über- 
setzen, welche  bedeutung  allerdings  nicht  belegt  ist;  doch  lässt  sie  sich  sehr  leicht 
mit  der  belegten  bedeutung  vereinbaren:  denn  auch  das  ,, erholen"  sezt  eine  ände- 
rung  des  früheren  zustandes  voraus.  —  338,  5  ich  schrei,  claz  mort  mit  mordes 
übergolde.  Dazu  ergänzt  Stejskal  geschiht.  Es  heisst  natürlich  geschah;  die  ganze 
rede  ist  präterital.  —  411,1  fgg.  mit  hnnden  abgeladen  sach  ich  da  varen  einen 
gen  mir  üf  einer  sträzen.  ntii  hunden  abgeläzen  wird  übersezt  mit  „von  hunden 
verlassen."  ,,Mit"  kann  doch  nicht  mit  ,,von"  widergegeben  werden.  Es  heisst 
jedenfals  ,,  mit  hunden ,  die  freigelassen ,  vom  seile  losgemacht  waren ,  also  frei 
herumliefen."  Dafür  spricht  auch  v.  5,  in  welchem  Hadamar  zu  diesem  Jäger,  der 
da  herangekommen  ist,  sagt:  hie  ist  vil  ivildes ,  vähä  dine  hunde.  —  555.  vol- 
sprechen  noch  volsingen  mit  aller  zunge  lenken  kan  nimmer  muwt  volbringen,  — 
was  guoter  dinge  man  mit  Harren  endet,  lenken  fasst  Stejskal  mit  Lexer  als  stn. 
und  übersezt  es  mit  ,,das  lenken."  Es  ist  nicht  zu  läugnen ,  dass  dies  nicht  zum 
besten  passt.  Wäre  es  nicht  besser,  lenken  als  dat.  plur.  zu  einem  stn.  letik  = 
gelenk  zu  fassen,  wie  wir  ähnlich  378,  5  vider  statt  gevider  gebraucht  gefunden 
haben?  Dass  die  ausdrucksweise  „mit  den  gelenken  der  zunge"  anatomisch  unrich- 
tig ist,  braucht  im  14.  jh.,  zumal  in  einer  dichtung,  nicht  aufzufallen. 

Die  lezten  selten  der  ausgäbe  fült  ein  kurzes  aber  volständiges  sach-  und 
Wortregister. ' 

Alles  zusammengenommen,  kann  man  nur  constatieren,  dass  diese  herrn 
prof.  Heinzel  gewidmete  ausgäbe  der  „Jagd"  allen  anforderungen ,  die  man  an  sie 
zu  stellen  berechtigt  war,  in  volstem  umfang  entspricht  und  im  verein  mit  ihrer 
freundlichen  ausstattung  gewiss  nicht  verfehlen  wird ,  sich  unter  den  Germanisten 
zahlreiche  freunde  zu  erwerben.  Sie  ist  ganz  danach  angetan ,  das  Interesse  für 
Hadamärs  poem  von  neuem  anzuregen  und  zum  weiterarbeiten  auf  dem  nun  gebahn- 
ten wege  anzueifern.  Von  diesem  gesichtspunkte  aus  wollen  meine  bemerkungen 
beurteilt  werden. 

1)  Wenn  ich  noch  auf  einzelne  druckfehler  aufmerksam  mache,  die  sich  zumal 
in  die  anmerkungen  eingeschlichen  haben,  so  geschieht  dies  gewiss  nur  deshalb,  weil 
ich  es  für  eine  .pflicht  des  recensenten  halte,  auf  derlei  kleinigkeiten  aufmerksam  zu 
machen,  damit  sich  dieselben  andere  leser  und  der  autor  selbst  ohne  mühe  ausbessern 
können.  Die  meisten  druckfehler  im  texte  sind  schon  einleitung  s.  XLIV  angemerkt; 
nachzutragen  bleibt  nur  2.3.5,  7  lies  üzbrüchic  statt  ürhrüchic.  In  den  anmerkungen 
s.  180  gehört  die  note  zu:  die  vart  bmven ,  die  unter  26  steht,  an  das  ende  von  str.  25, 
s.  188  die  unter  94  stehende  bemerkung  zu  ungeslagen  schon  zu  str,  95,  ebenso  s.  194 
das  unter  175  erklärte  tingirdec  schon  zu  str.  177,  s.  sodann  209  oben  durchgraben 
schon  zu  Str.  538.  Ausserdem  lies  s.  185  statt  str.  62:  63,  s.  188  z.  17  v.  u.  statt  ihm: 
ihn,  s.  197  statt  str.  236:  235,  s.  204  z.  8  v.  o.  statt  schwiegen:  schweigen  und  statt 
anwenden:  abwenden,  endlich  s.  210  z.  4   v.  o.  statt  allitation :  alliteration. 

ZNAIM,  IM  MÄRZ  1880.  KAHL  TOMANETZ. 


250  KINZEL 

Die  poetischen  erzäliluiigen  des  Herraiid  vou  Wildouie  und  die  kleinen 
innerösterreichischen  Minnesinger  herausgegeben  von  dr.  Karl 
Ferd.  Kummer,  Prof.  am  K.  K.  Staatsgymnasium  im  IX.  Bezirk  in 
Wien.     Wien  1880,  Alfred  Holder.    XIV  und  228  s.     u.  m.  5,60. 

Die  poesie  der  Epigonen  konte  sich  bis  in  die  jüngste  zeit  nicht  grade  einer 
sehr  lebhaften  teilnähme  der  forscher  erfreuen.  Besonders  den  entlegeneren  gebie- 
ten und  weniger  bedeutenden  Stoffen  schenkte  man  geringere  beachtung.  Ein  blick 
auf  die  nachtrage ,  Avelche  Martin  der  litteraturgeschichte  Wackernagels  hinzufügte, 
gibt  davon  Zeugnis:  für  den  ausgang  des  13.  und  die  späteren  Jahrhunderte  stand 
ihm  nur  spärliches  material  zu  geböte.  Es  fehlte  eben  hier  lange  die  rechte 
anregung,  und  es  ist  immer  von  neuem  zu  bedauern,  dass  Jänicke  seine  absieht 
nicht  zur  ausführung  bringen  durfte,  die  geschichte  der  deutschen  spräche  von 
1250  — 1350  zu  schreiben,  wie  er  1873  versprach.  Eine  solche  zusammenfassende 
arbeit  wäre  sicherlich  überaus  befruchtend  gewesen. 

Dieses  jähr  hat  uns  zwei  umfangreiche  specialuntorsuchuugen  aus  jener  epoche 
gebracht,  welche  der  anregung  Heinzeis  ihre  entstehung  verdanken  und  ihm  gewid- 
met sind:  Hadamars  von  Laber  Jagd  von  Stejskal  und  Herrand  von  Wildonie  von 
Kummer  herausgegeben ,  beide  in  lobenswerter  ausstattung  bei  Holder  in  Wien 
erschienen. 

Kummer  gibt  s.  129  — 176  einen  kritischen  text  der  poetischen  erzählungen 
Herrands,  s.  177  — 186  den  der  vier  minnesänger  Wildonie,  Sounecke,  Scharphen- 
berc  und  Stadecke,  unter  demselben  die  abweichenden  formen  der  handschrift, 
dahinter  33  selten  anmerkungen.  Es  ist  zu  bedauern,  dass  diese  nicht  ebenfals 
unter  dem  texte  stehen,  da  ihre  benutzung  dadurch  doch  bedeutend  erleichtert 
worden  wäre.  Ob  es  dem  Verfasser  gelungen  ist,  aus  der  einzigen  handschrift  den 
text  mit  einiger  Sicherheit  herzustellen,  wollen  wir  nicht  weiter  untersuchen.  Jeden- 
fals  beruht  sein  verfahren ,  das  ja  in  solchem  falle  stets  von  zweifelhaftem  werte 
ist,  wenn  nicht  wenigstens  einige  gedichte  zuverlässiger  überliefert  sind,  auf  den 
eingehendsten  Specialuntersuchungen  über  spräche  und  metrik  Herrands ,  welche 
die  einleitung  darlegt.  Wir  wollen  deshalb  auch  auf  einzelheiten ,  die  luis  aufgefal- 
len sind,  wie  die  form  hetse  für  hete  si  III,  142,  ivunnelcben  in  zwei  werten 
III ,  548  und  manches  andere  nicht  näher  eingehen ,  sondern  uns  ihr  zuwenden. 
Sie  zerfält  in  zwei  hauptteile.  Der  erste  s.  1—55  behandelt  die  poetischen  erzäh- 
lungen Herrands. 

Nachdem  wir  über  die  Schreibweise  der  Ambraser  handschrift  und  Bergmanns 
textreceusion ,  über  die  drucke  und  verwanten  darstellungen  kurz  orientiert  worden, 
folgt  eine  sorgfältige  metrische  analyse.  Sonderbar  ist  der  ausdruck ,  der  erste 
herausgeber  scheine  „in  herstellung  mhd.  formen  etwas  weit  gegangen  zu  sein," 
während  doch  sein  verfahren  offenbar  wie  das  v.  d.  Hagens  in  seinen  gesamtabeu- 
teuern  ganz  unkritisch  war.  Sic  übersezten  eben  unbekümmert  um  reim  und  metrik 
alles  erreichbare  in  die  spräche  Hartmanns.  Nicht  viel  anders  ist  das  verfahren 
Goedekes  in  seinem  Theuerdank  zu  bezeichnen,  das  schwerlich  dadurch  entschuldigt 
wird,  dass  jene  samlung  für  ein  grösseres  publikum  bestirnt  ist.  Wer  den  Theuer- 
dank liest,  mag  sich  auch  die  sprachformen  jeuer  zeit  gefallen  lassen.  Schlimmer 
aber  ist  es  in  sofern,  als  Goedeke  nicht  einmal  bemerkt  hat,  wo  und  wie  er  geän- 
dert hat.  Kummer  durfte  also  auf  seine  ausgäbe  keine  rücksicht  nehmen,  am 
wenigsten  Schlüsse  auf  ihre  Orthographie  bauen. 

Die  bemerkung  unter  den  consonantisch  -  unreinen  reimen  s.  6 ,  dass  die  auf- 
geführten reimfreiheitcn  in  den  Nib.  im  Parz.  vorkommen ,   ist  in  dieser  algemein- 


ÜBER  HERRAND    ED.    KUMMER  251 

heit  unrichtig  uud  irreleitend,  zumal  Ja  man  sie  auf  das  umiiittelbar  vorhergehende, 
auf  reime  wie  was  :  baz,  beliben  :  verzifjot ,  bezieht.  Die  anmerkungcn  z.  d.  st. 
berichtigen  dies  auch  zum  teil. 

Die  motrik  ist  wie  das  ganze  buch  mit  grosser  Sorgfalt  und  kcntnis  der  ein- 
schlägigen arbeiten  dargestelt.  Die  einzelnen  abschnitte  behandeln  die  hebungen 
im  vers,  hebung  und  senkung,  einsilbigkeit  derselben,  die  lezte  Senkung  und  den 
auftact  s.  7 — 20.  In  bezug  auf  die  Verwerfung  der  annähme  von  dreihebigcn  Ver- 
sen bei  Herrand  stimmen  wir  dem  Verfasser  durchaus  bei.  Unter  den  von  ihm  auf- 
geführten beispielon  haben  die  meisten  verse  sicher  sechs  silben  und  sind  ohne 
Schwierigkeit  regelrecht  zu  lesen.  Im  einzelnen  liesso  sich  natürlich  bei  manchem 
fall  mit  dem  Verfasser  über  seine  auffassung  rechten.  Aber  wer  sich  einmal  an  die 
verwickelte  aufgäbe  spät  nihd.  metrik  gemacht  hat,  weiss,  wie  schwer  es  ist,  ohne 
vorgefaste  meinung  zu  jeder  erscheinung  eine  feste  Stellung  zu  gewinnen.  Die 
frage  nach  der  silbenzählung  im  13.  Jahrhundert  ist  eine  überaus  schwierige  und 
es  will  mir  scheinen,  als  wäre  Jänicke  in  ztschr.  f.  d.  a.  16  und  17  zu  weit  gegan- 
gen, wenn  er  ihr  einen  solchen  cinfluss  auf  widersinnige  wortbetonung  zuschreibt. 
Eher  hat  man  sich  wol  sonst  allerhand  freiheit  in  verschleifung  usw.  gestattet, 
auch  wenn  dabei  fehlende  Senkung  eintrat.  Wo  ist  auch  z.  b.  die  grenze  zu  zie- 
hen, wenn  es  heisst :  ,,die  vokalische  Senkung  kann  eiugesezt  oder  doch  als  dem 
dichter  noch  fühlbar  gedacht  werden"  (s.  8)  wie  in  heimelich ;  oder  hat  hier  die 
Senkung  gefehlt  ?  Das  aber  ist  schwerlich  bei  einem  dichter  wie  Herrand  zuzu- 
geben, bei  dem  das  fehlen  der  senkung  in  vielen  fällen  constatiert  ist,  wie  ürloüge, 
herliche,  herschaft,  einvalt  u.  a. ,  dass  er  den  artikel  in  folgenden  fällen  betont 
habe: 

3,  109.    imcl  hiez  den  lantliuten. 

3 ,  273.    dö  slouf  der  eilende. 

8,  284.    da  er  den  tonoartel  vant. 

3,  348.    dö  er  des  almuosens  bat. 

Ich  glaube,  dass  man  auch  in  der  metrik  der  Ordnung  zu  liebe  mit  dem  Schema- 
tismus zu  weit  gehen  kann.  Unsrer  auffassung  entspricht  denn  auch  das  resultat 
(s.  19):  ,,  Herrand  von  Wildon  gehört  zu  den  genaueren  dichtem  der  zweiten  hälfte 
des  13.  Jahrhunderts ;  .  .  .  von  den  rohheiten  der  späteren  dichter  im  gebrauche  der 
kurzen  reimpaare  und  in  der  silbenzählung  hält  er  sich  frei." 

Nachdem  die  möglichkeit,  ja  walirscheinlichkeit  dargelegt  worden,  dass  der 
liederdichter  und  erzähler  identisch  sind  (vgl.  auch  Wack.  lit,  gesch.  ^  361) ,  folgt 
in  dem  abschnitte  ,,  Chronologie  der  erzählungeu"  s.  21— 34  der  nachweis,  dass 
Herrand  (im  Koberstein  immer  Herant)  der  zweite ,  1248  —  78  urkundlich  bezeugt, 
nicht  der  dritte  1281 — 92,  der  vei'fasser  sei,  der  in  intimen  beziehungeu  zu  Ulrich 
von  Liechtenstein  stand.  Chronologisch  wird  für  die  einzelnen  gedichte ,  für  nr.  III 
und  IV  durch  versuchte  deutung  und  anlehnung  an  historische  Verhältnisse,  fol- 
gende reihenfolge  festgestelt: 

II.  der  verkerte  toirt,  jedenfals  nicht  nach  1275,  Ulrichs  von  Liechtenstein  tod. 

I.  diu  getriu  kone,  nicht  vor  1257,  Ulrichs  Prauenbuch. 

III.  dor  blöze  keiser,  etwa  1259/60. 

IV.  von  der  katzen,  zwischen  1269  und  1271 

Der  schluss  des  I.  teils  behandelt  Herrands  Verhältnis  zu  seinen  Vorgängern,  zu 
Stricker,    zu    Liechtenstein    u.  a.     Für    die    erste   erzählung  diu  getriu  kone   oder 


252  KINZEL 

daz  ouge  uimt  Kuiiuner  an ,  dass  Herrand  das  längere  gedieht  GA  1 ,  149  (die  vers- 
zahl ist  gleich,  es  fehlen  aber  in  GA.  Herrands  v.  1  —  22  und  265—75)  gekant 
habe.  Ist  nicht  vielmehr  mit  v.  d.  Hagen  an  eine  gemeinsame  quelle  zu  denken? 
Freilich  wäre  dann  anzunehmen,  dass  beide  sich  ziemlich  frei  zu  ihr  verhalten  hät- 
ten. Eine  abhängigkeit  Herrands  von  der  darstellung  in  GA  will  mir  nicht  recht 
einleuchten. 

Der  vergleich  des  ,, Nackten  Königs"  mit  der  gleichen  bearbeitung  des 
Strickers  ist  recht  geschickt.  Verfasser  macht  aufmerksam  auf  die  modernen  ideen, 
welche  Herrand  eingefiochten  hat  und  die  ein  licht  werfen  auf  die  Verhältnisse  sei- 
ner zeit.  Wie  hier  so  weicht  auch  die  darstellung  in  der  erzählung  von  der  katsen 
von  Strickers  kater  freier  bedeutend  ab.  Dennoch  wird  auch  bei  dem  Nackten 
König,  der  zwar  unter  des  Strickers  namen  überliefert  ist,  aber  ihm  von  Bartsch 
abgesprochen  wird,  angenommen,  dass  Herrand  dies  gedieht  gekant  habe,  ja  dies 
wird  gestüzt  durch  die  Vermutung,  einige  Übereinstimmung  in  bezug  auf  behand- 
lung  des  reims  lassen  sich  auf  einfluss  dieses  gedichts  zurückführen.  Dies  erscheint 
um  so  kühner,  als  nach  des  Verfassers  Zusammenstellungen  s.  40  fgg.  die  sonstigen 
Übereinstimmungen  sich  nur  ,,  auf  einzelne  Wendungen  und  kleine  züge  erstrecken." 
Auch  die  technik  Ulrichs  von  Liechtenstein  hat  Kummer  einer  Untersuchung  unter- 
zogen und  verwendet  zum  vergleich  die  reime,  die  ausfüUuug  der  Senkungen  u.  a. 
Hier  soll  sich  ebenfals  formelle  beeinflussung  orgeben,  z.  b.  ,,den  grammatischen 
oder  logischen  ton  um  des  versaccentes  willen  zu  verschieben,  hat  Wildon  wol  von 
Liechtenstein  gelernt."  Ich  brauche  kaum  ein  wort  darüber  zu  verlieren,  dass  dies 
wol  scharfsinnig  erfunden  ist,  dass  es  aber  schwerlich  je  zu  grosser  wahrschein- 
keit  gebracht  werden  wird.  Beide  dichter  gehören  derselben  zeit,  derselben  gegend 
an:  ich  müste  mir  die  handhabung  dichterischer  technik  überaus  mechanisch  vor- 
stellen, wenn  ich  an  eine  abhängigkeit  denken  wolte.  Man  sehe  nur  auf  die  bil- 
dende kunst  gleichen  orts  und  gleicher  zeit.  Zahllos  finden  sich  dieselben  motive, 
dieselben  formen ,  meist  ohne  dass  eine  directe  nachahmung  anzunehmen  ist. 

Abhängigkeit  Herrands  von  Ulrich,  bekantschaft  mit  Iwein  und  Parzival  wird 
auch  aus  dem  wertschätz  erwiesen.  Kummer  geht  im  ganzen  vorsichtig  zu  werke 
und  komt  über  eine  Wahrscheinlichkeit  nicht  hinaus. 

Der  zweite  teil  der  einleitnng  s.  55  — 126  behandelt  die  vier  kleinen  inner- 
österreichischen  minncsinger  Wildonie,  Sounecke,  Scharphenberc  und  Sta- 
decke.  Kummer  gibt  zunächst  eine  eingehende  Übersicht  über  die  entwicklung 
der  lyrischen  poesie  mit  besondrer  berücksichtigung  ihres  lebens  in  Österreich.  Von 
den  österreichischen  minnesingern  werden  auch  die  weniger  bekanten  und  unbedeu- 
tenderen mit  grosser  Sorgfalt  skizziert,  und  zwar  werden  zuerst  die  ,,im  öster- 
reichischen hauptlande  betrachtet ,  wo  sie  sich  um  einen  festen  mittelpunkt  grup- 
pieren." Dann  geht  der  Verfasser  s.  70  zu  den  übrigen  österreichischen  ländern 
über:  Tjrol,  Kärnten,  Steiermark,  und  komt  so  zu  den  vier  steirisehen  dichtem, 
die  er  besonders  behandelt. 

Die  Untersuchung  über  heimat  und  zeit  der  sänger  s.  76  —  84  gibt  folgende 
resultate.  Scharphenberc  ist  ein  plagiator  Neidharts;  welcher  und  ob  einer 
von  den  urkundlich  bezeugten  herrn  von  Scharphenberc  ist  nicht  festzustellen.  Über 
Suon egge,  der  eine  eingehendere  prüfung  verlangte  und  erfuhr,  wird  seine 
Zugehörigkeit  zum  geschlechto  der  untersteirischen  Saneck  oder  Souneck  vermutet 
und  nicht  an  Konrad  L,  sondern  an  einen  seiner  söhne  gedacht,  die  von  1255 
an  erscheinen.  Der  Stadecker  ist  nach  Weinholds  bestimmung  (Wiener  Sitz. -  Ber. 
1861;  35,  162)  Rudolf  IL  1243—1261. 


ÜBER    HEREÄND    ED.    KUMMER  253 

Die  „Charakteristik  dor  sänger"  s.  84  —  96  berücksichtigt  das  naturgefühl, 
Syntax  und  stil,  Strophen-  und  versbau.  Bei  Wildonie  und  Stadeck  schliesst 
Kummer  auf  gleiche  schule.  Ein  besondres  kapitel  trägt  die  Überschrift  ,,  Vorbil- 
der und  uacliabmer"  s.  97  — 120.  Der  Verfasser  spricht  sich  im  algemeinen  mit 
recht  sehr  vorsichtig  über  entlehnungen  aus,  meint  sogar,  „dass  für  wenige  gedan- 
ken  und  Wendungen  unserer  dichter  sich  nicht  parallelen  aus  örtlich  oft  recht  ent- 
legenen poeten  beibringen  Hessen."  Dennoch  glaubt  er  nachweisen  zu  können  ,,für 
Wildonie,  Sunecke  und  Stadecke  fast  gleichmässige  bekantschaft  und  verwantschaft 
mit  Walther,  Neifen  und  Liechtenstein ,  für  Scharphenberc  engste  anlehnung  an 
Neidliart  und  dessen  scliule."  Aus  den  algemeinen  berührungen  schliesst  er  auf 
einwirkung  der  schwäbischen  poeten  auf  den  osten  und  nimt  seit  1276  eine  rück- 
strömung  aus  dem  osten  nach  dem  westen  an:  ,,  und  zwar  ergibt  sich  als  das 
wahrscheinliche  vehikel  der  durch  die  Habsburger  begründete  verkehr  zwischen  den 
beiden  äussersten  grenzen:-  diese,  als  angesessen  im  äussersten  westen  und  als  neue 
landesherren  im  osten,  führten  und  zogen  bei  ihren  widerholten  zügen  die  beider- 
seitige ritterschaft  mit  sich. 

Der  lezte  abschnitt  ist  der  „Überlieferung"  gewidmet.  Kummer  weist  „grup- 
pen  von  sängern,  die  nach  einem  systera  geordnet  sind,  wol  kleine  liederbücher, 
als  bestandteile  der  quelle  BC  so  gut  wie  der  handschrift  C  nach"  und  nimt  an, 
dass  Wildonie,  Suneck,  Scharphenberc  schon  in  einem  liederbuch  gestanden  haben, 
als  die  samlung  C  angelegt  wurde. 

Hoffentlich  ist  es  mir  gelungen,  ein  bild  von  der  sorgfältigen  und  instruc- 
tiven  arbeit  Kummers  zu  geben,  der  sich  schon  dadurch  ein  verdienst  erworben, 
dass  er  uns  die  schlecht  erreichbaren  werke  des  Herrand  und  einiger  Zeitgenossen 
so  bequem  zugänglich  gemacht  hat.  Auch  Alwin  Schultz  in  seinem  „höfischen 
leben"  hat,  soviel  ich  sehe,  den  von  Wildonie  nicht  benuzt,  ihm  würden  sonst 
einige  interessante  stellen  über  das  baden  nicht  entgangen  sein.  Ich  komme  gele- 
gentlich darauf  zurück. 

BERLIN,    JUNI    1880.  KARL    KINZEL. 


(f.  Michaelis,  Beiträge  zur  Geschichte  der  deutschen  Eechtschrei- 
buug.  Ergänzungen  zu  der  Schrift:  die  Ergebnisse  der  zu  Berlin 
vom  4.  bis  15.  Januar  1876  abgehaltenen  orthographischen  Kon- 
ferenz.    Berlin,  Barthol  1880.     140  s.     8.     M.  1,50. 

In  dieser  ztschr.  XI,  495  wurde  schon  auf  einige  interessante  mitteilungen 
über  die  geschichte  der  Schreibung  aus  der  feder  desselben  Verfassers  hingewiesen. 
In  der  neuen  schritt,  welche  diesem  thema  ausschliesslich  gewidmet  ist,  sind  zwei 
kleine  hefte  zu  einem  ganzen  vereinigt.  Das  erste  erschien  schon  1877  als  ergän- 
zung  zu  den  ,, Ergebnissen"  und  enthielt  auf  56  selten  zwei  abhandlungen  über 
,, beseitiger  der  dehnungszeichen  in  der  zweiten  hälfte  des  18.  Jahrhunderts"  und 
„die  grammatiker  der  fruchtbringenden  geselschaft  und  die  Zesianer."  Auch  das  neu 
erschienene  zweite  heft  gibt  wertvolle  beitrage  zur  geschichte  der  deutschen  Schrei- 
bung, wenn  mau  auch  eine  gewisse  einheitliche  durcharbeitung  des  gesammelten 
Stoffes  vermisst.  Es  wäre  wünschenswert,  dass  Michaelis,  den  man  eine  autorität 
auf  diesem  gebiete  nennen  kann,  mit  seinem  unermüdlichen  eifer  zu  einer  umfas- 
senden geschichtlichen  darstellung  gelangte. 

Die  erste  der  neuen  abhandlungen  (III)  beschäftigt  sicli  mit  den  ,, fraktur- 
drucken von  Guttenberg  bis  zu  Luther."     Ins  äuge  gefasst  wird  zunächst  die  dar- 


254  KINZEL 

Stellung  der  S- laute  und  die  ansieht  des  Verfassers  über  die  physiologische  bildung 
derselben  verteidigt,  die  schon  mannigfache  angriffe  erfahren  niuste.  Michaelis 
zeigt  uns,  wie  diese  laute  in  den  ältesten  drucken  Verwendung  fanden.  Er  teilt 
u.  a.  zu  diesem  zwecke  proben  aus  sieben  drucken  (1466^1518)  der  vorlutherischen 
deutschen  bibelübersetzung  mit,  weil  wir  ,,an  ihnen  ein  gutes  stück  der  entwicke- 
lung  der  hochdeutschen  spräche  und  Schreibung  bis  zu  Luthers  Übersetzung  hin 
verfolgen  können,"  und  zeigt  wie  almälilich  der  positions-kanon  wosser,  hießen 
eindringt.  Die  frage  s.  64:  „wie  soll  man  nun  lesen  flöß  oder  schon  floss?"  ist 
unberechtigt.  Das  gefühl  für  den  unterschied  langer  und  kurzer  vocale  geht  eben 
seit  dem  13.  jahi'huudert  almählich  verloren;  es  wurde  also  wol  ein  zwischenlaut 
gesprochen.  —  Daneben  führt  uns  Mich,  die  eigentünilichkeiten  des  Niklas  von 
Wyle  und  des  Parzival-druckes  von  Mentelin,  Strassburg  1477  vor,  um  zu  zeigen, 
,,dass  manches,  was  man  in  Luthers  schritten  als  eigentümlich  anzusehen  und  aus 
dem  gebrauche  der  kanzleien  abzuleiten  pflegt,  in  der  ihm  vorangehenden  littera- 
tur  bereits  volständig  vorbereitet  war." 

Nach  einem  kurzen  abschnitt  über  die  bezoichnung  der  umlaute  von  u  und  o 
wendet  sich  der  Verfasser  dem  Mitteldeutschen  im  algemeinen  zu.  Er  hält  es  für 
wahrscheinlich ,  dass  im  md.  des  14.  Jahrhunderts  ie  z.  b.  im  worte  siech  (Beheim 
Evang.)  noch  lautlich  durchgeklungen  habe.  Dagegen  spricht  einmal,  dass  wir  in 
vielen  md.  denkmälern  i  für  ie  und  ie  für  i  geschrieben  finden ,  dann  aber  vor 
allem,  dass  die  dichter  diese  wilkürlich  auf  einander  reimen.  Interessant  ist  die 
s.  79  abgedruckte  Urkunde  aus  Korbach  (Waldeck)  vom  jähre  1374:  t  verschoben, 
auch  daz,  aber  zweimal  dit;  brib,  bribe:  luden,  gndir,  gebeden,  aber  vatir ;  hei', 
kene  usw.  Solte  wirklich  uo  in  tzuo  stehen?  Korbach  ist  ndd. ,  die  spräche  der 
Urkunde  mfränkisch.  Damit  kehrt  Michaelis  zu  den  umlauten  von  o  und  u  zurück 
und  hat  sein  augenmerk  auch  im  lezten  abschnitt  ,,die  niederdeutschen  drucke" 
darauf  gerichtet.  Er  zeigt  wie  das  eintreten  der  umlautbezeichnung  im  mnd.  ganz 
parallel  geht  mit  dem  in  md.  an  den  Lübecker  drucken  des  Dodesdanz  1489  usw. 
und  des  Reinke  1498,  an  den  Rostocker  drucken  und  in  den  ndd.  bibelübersetzun- 
gen  von  Lübeck  1494,  Halberstadt  1520,  Wittenberg  1523.  Aus  diesen  lezten 
dreien  gibt  er  eine  reihe  von  parallel -stellen. 

IV.  Luther.  Nach  einigen  einleitenden  orientierenden  bemerkungen  wendet 
sich  Verfasser  zu  Luthers  Schreibung  und  zu  seinen  druckern:  Job.  Grunenberg, 
Melchior  Lotther  (proben  aus  ,,An  den  christlichen  Adel,"  „Das  Newe  Testament" 
sept.  1522).  Es  wird  nachgewiesen,  dass  in  der  2.  aufläge  des  neuen  testaments, 
welche  im  dec.  1522  bei  demselben  drucker  erschien,  das  fj  getilgt  ist,  während  es 
die  1.  aufl.  reichlich  anwante.  Ein  neuer  kanon  ist  eingetreten:  ,,im  inlaut  ff,  im 
auslaut  §  (nur  ausnahmsweise  fg."  (S.  101),  also  gvoffe ,  grog;  voffc,  ro8;  l^affe, 
l^aS.  Michaelis  hat  sich  bemüht,  in  der  annähme,  dass  weder  autor  noch  drucker 
ihre  ansieht  so  schnell  geändert  haben  können ,  anderswo  einen  urheber  dieser 
grundlegenden  änderung  zu  finden  und  hat  scharfsinnig  auf  Justus  Jonas  oder  Hans 
Luff't  vermutet. 

Im  folgenden  weist  nun  der  Verfasser  weitere  änderungen,  wie  bezeichnung 
des  Umlauts  usw.  in  der  Orthographie  Lutherischer  schriften  nach  und  wendet  sich 
dann  zu  seinem  gebrauche  von  i  und  ie,  dem  „  intervocalen "  /*,  th,  consonant- 
verdopplung  und  dehnungszeichen.  In  bezug  auf  ie  nimt  Michaelis  einen  vermit- 
telnden Standpunkt  ein  zwischen  Hupfeld  (Neue  Jen.  allg.  Litt.  Zt.) ,  welcher  Luther 
den  gebrauch  etymologisch  -  richtiger  ie  zuschrieb  und  Rückert  (nhd.  Schriftsprache), 


ÜBEU    MICHAELIS,    Z.    RKCHTSCHRKIBUNfi  255 

welcher  bei  ihm  überall  deliiiungszeichen  erblickte.  Seiner  ansieht  nach  sei  das  e 
als  dehnnngszeichen  nach  /  erst  alniählieh  eing'edrimgen.  ,,In  der  sehrift  an  den 
christliehen  adel  beispielsweise  sind  abgesehen  von  einigen  wenigen  sich  eindrän- 
genden abweiehungen  die  oberdeutschen  ie  noch  sprachrichtig  bewahrt  und  ebenso 
widerum  die  reinen  i"  (s.  IIG).  Um  zu  zeigen,  wie  Luther  sich  zu  dem  ,,inter- 
vocalen"  h  verhielt,  das  teils  aus  altem  h.  teils  aus  ^v  oder  j  entstanden  oder  nur 
silbentrennend  ist,  wird  eine  reihe  von  über  100  solcher  Wörter  s.  119  — 134  in 
alphabetischer  folge  mit  belegen  aus  Luther,  aus  md.  und  ndd.  denkmälern  auf- 
geführt. 

Über  einzelne  Sonderbarkeiten  wollen  wir  mit  dem  Verfasser  liii'r  niclit  rech- 
ten. Nur  das  eine  sei  uns  zu  bemerken  erlaubt.  Weshalb  derselbe  seine  Unter- 
suchungen ergänzungen  zu  der  auf  dem  titel  angeführten  schritt  nent,  wissen  wir 
nicht.  Aber  dass  er  auch  innerhalb  dieser  wissenschaftlichen  arbeit  bisweilen  noch 
auf  die  beschlüsse  der  orthographischen  konfercnz  rücksicht  nirat,  wie  s.  119, 
welche  doch  ihrem  ganzen  wesen  nach  der  Vergangenheit  angehört  und  zu  diesen 
historischen  abhandlungen  in  gar  keiner  beziehung  steht,  ist  nicht  zu  billigen. 

BERLIN,    JUNI    1880.  KARL    KINZEL. 


Herinauii  Althof,  Grammatik  altsächsischer  Eigennamen  in  westfä- 
lischen Urkunden  des  neunten  bis  elften  Jahrhunderts.  Paderborn 
1879,  Schöningh.     92  s.     8. 

Nachdem  über  die  heimat  der  verschiedenen  altniederdeutschen  deukmäler 
mancherlei  mehr  oder  weniger  gesicherte  Vermutungen  geäussert  worden ,  erhalten 
wir  nun  durch  Althof  wenigstens  für  einen  teil  des  gebietes  das  material,  das  zu 
genauerer  localer  fixierung  jeuer  denkmäler  unbedingt  notwendig  ist.  Voraus 
schickt  der  Verfasser  eine  recht  gelungene  erörterung  über  die  sprachliche  Verwer- 
tung der  eigennameu  in  mittelalterlichen  Urkunden  (s.  1  —  14).  Er  betont,  dass  die 
eigennamen  genau  der  gleichen  Veränderung  unterworfen  sind,  wie  das  übrige 
sprachgut:  ausgenommen  sind  Ortsnamen,  die  durch  officielle  Schreibung  auf  einer 
gewissen  stufe  fixiert  sind,  sowie  —  zur  zeit  der  abschwächung  der  endsilben  — 
die  taufnamen,  die  aus  psychologischen  gründen,  in  folge  einer  etymologisierenden 
riehtung,  vollere  endvocale  behielten.  Mit  grosser  besonneuheit  wählt  Althof  die 
Urkunden  aus,  die  allen  für  grammatische  zwecke  zu  stellenden  bedingungen  genü- 
gen, und  gibt  s.  15  —  30  regesten  des  benuzten  materials.  Es  folgt  dann,  auf  etwa 
2400  namensformen  sowie  eine  auswahl  von  appellativen  gründend,  die  lautlehre 
(s.  33  77),  die  declination  (s.  76  —  85)  und  lexicalisches  (s.  86).  Den  schluss 
bildet  ein  ausführliches  Inhaltsverzeichnis.  Althof  beschränkt  sich  darauf,  die  tat- 
sachen  zusammenzustellen  und  zu  ordnen ;  auf  eigentliche  sprachliche  Untersuchun- 
gen, erörterungen  über  den  lautwert  der  verschiedenen  Schreibungen  lässt  er  sich 
nicht  ein.  Aber  schon  diese  nackten  Zusammenstellungen  sind  höchst  dankenswert 
und  bieten  genug  des  interessanten  und  zur  nähern  Untersuchung  reizenden. 
Ich  führe  an  die  Schreibung  ch  für  ry  im  anlaut  und  inlaut  (§29,  32  und  36): 
g  erscheint  auslautend  als  r/,  als  h,  als  ch,  als  c  (§37  fgg.);  neben  überwiegendem 
c  oder  k  tritt  in  allen  Stellungen  ch  ein  (§  43  fgg.)»  wozu  die  Schreibung  et 
für  ht  zu  vergleichen  (§  66)  ist:  h  steht  ,, unorganisch  "  vor  vocalen  (§  60);  t  für  th 
(§76)  usw. 


256  BEHAGHEL,     ÜBER   ALTHOP,    .VliTS.    EIGENNAMEN 

Die  arbeit  Altliofs  ist  im  ganzen  sorgfältig  und  correct.  Jedoch  ist  das 
material  nicht  überall  volständig  verwertet.  Gleich  zu  anfang  vermisst  man  einen 
Paragraphen  über  b  im  anlaut,  das  ja  zahlreich  genug  vertreten  ist.  So  gewint  es 
den  anscheiu ,  als  ob  anlautend  nur  p  stünde.  Das  ist  aber  keineswegs  der  fall ; 
die  Sache  liegt  vielmehr  so.  Anlautendes  2>  bat  doppelte  geltung :  einmal  ist  es  = 
ahd.  pf,  zweitens  =  ahd.  b,  und  in  der  leztereii  geltung  wechselt  es  mit  der 
Schreibung  b  und  hatte,  wie  ich  glaube,  auch  gleichen  lautwert  mit  diesem.  Dass 
mau  zur  Schreibung  p  gritf,  kam  wol  daher,  dass  h  im  inlaut,  ehe  die  Schreibung 
V  aufkam ,  die  geltung  dieses  lautes  besass ,  und  dass  das  anlautende  b  von  dem 
laute  V  weiter  abstand  als  von  dem  laute  ^x  Ähnlich  ist  radtsch  kegen  (contra)  zu 
erklären.  —  Wie  Althof  §84  behaupten  kann,  in  Herifordensis ,  Mimigerneforäen- 
sis,  SticJcfiirion  stehe  d  für  th,  weiss  ich  nicht.  Sagt  er  auch,  fadar  stehe  für 
faihar?  —  Seltsam  klingt  die  Überschrift  zu  §125:  „Auslautend  vereinfachtes  n 
verdoppelt,  wo  es  im  inlaut  erscheint.'' 

HEIDELBERG,   DEN    1.  AUGUST    1879.  OTTO   BEHAGHEL. 


ZU   KLOPSTOCKS  MESSIAS. 

In  band  XI  s.  371  fg.  dieser  Zeitschrift  ist  ein  von  dr.  Richard  Hamel 
veröffentlichtes  erstes  heft  ,,Zur  textgeschichte  des  Klopstockschen  Messias"  (Rostock, 
W.  Werther  1879,  62  s.)  besprochen  und  dessen  beträchtlicher  wert  für  die  text- 
kritik  des  Messias  und  überhaupt  für  die  richtige  Würdigung  Klopstocks  nach  gebühr 
hervorgehoben  worden.  Der  Verfasser ,  welcher  auf  grund  langer  und  sorgsamer 
vorarbeiten  eine  kritische  und  mit  volständigem  kritischem  apparate  ausgestattete 
ausgäbe  des  Messias  beabsichtigt,  gedenkt  demnächst  in  demselben  verlage  eine 
zweite  und  eine  dritte  abhandlung  erscheinen  zu  lassen,  in  welchen  dargeboten 
werden  soll:  Sprachliche  Varianten,  geschichte  der  entstehung  des  textes  und  der 
ausgaben  des  Messias,  mit  eingehenden  kritischen  beobachtuugen  und  mit  aus- 
blicken auf  Klopstocks  wesen  und  seine  zeit.  Der  gegenständ  an  sich  und  die  im 
ersten  hefte  dargetane  befähigung  des  Verfassers  verdienen  wol,  dass  die  kenner 
und  freunde  unserer  klassischen  litteratur  dem  unternehmen  ihre  aufmerksamkeit 
und  ihre  förderliche  teilnähme  zuwenden.  J.  Z. 


Halle,  Buchdruckerei  des  Waisenhauses. 


DIE  ERD-   UND  VÖLKERKUNDE  IN  DER  WELTCHRONIK 
DES  RUDOLF  VON  HOHEN -EMS. 

EINLEITUNG. 

Zur  würdigringf  Ton  Rudolfs  IVeltchronik  im   algomeinen,    des 
goograpliischen  abr'sses  im  besondereu. 

Wiewol  über  die  abfassuugszdt  und  die  reihenfolge  der  verscliie- 
denen  dichtungswerke  Rudolfs  von  Hoheii-Ems,  jenes  dienstman- 
nes  der  angesehenen  grafen  von  Montfort,^  im  einzelnen  noch  keine 
völlige  Sicherheit  herscht,  so  viel  steht  doch  als  unzweifelhaft  fest, 
dass  die  Welt- Chronik  als  das  lezte  werk  dieses  fruchtbaren  dich- 
ters  betrachtet  werden  muss,  deren  abfassungszeit  nach  1250^  und 
vor  1254  zu  setzen  ist,  weil  der  dichter,  wie  wir  aus  seinen  eigenen 
Worten  im  eingange  zu  den  Büchern  der  köuige  ersehen ,  auf  den 
wünsch  des  Staufers  Konrads  IV.  ihre  bearbeituug  unternahm,^  aber, 
lauge  bevor  er  seinen  plan  der  Vollendung  zureifen  sah ,  in  „  welschen 
reichen "  hinstarb :  die  arbeit  Rudolfs  bricht  ab ,  als  er  eben  erst  bis 
zur  erzählung  von  Salomons  tode  gekommen  war  * 

Dieses  werk,  welches  nicht  bloss  durch  den  erwarteten  könio-lichen 
lohn  den  dichter  künftighin  aller  leiblichen  sorgen  überheben  solte, 
sondern  das  auch  für  könig  Konrad  eine  würdige  lectüre,  für  die  mit- 
und  nachweit  aber  ein  „ewiclich  memoria!''  an  diesen  hohen  gönner 
darzubieten  bestimt  war,  —  ist  es  nun  diesen  hohen  absiebten  gemäss 
angelegt?  Ist  es,  soweit  es  durch  Rudolfs  band  gediehen  ist,  dem 
entsprechend  würdig  ausgeführt  worden  ? 

Die  beurteilung,  welche  es  in  neuerer  zeit  erfahr,  ist  eine  sehr 
auseinandergehende.  Denn  während  Gervinus,^  in  erster  linie  durch 
den  gesichtspunkt  des  ästhetischen  bestimt,  sich  höchst  abfällig  äusserte 
und  sogar   so   weit   gieng,    dass   er  „die  Weltchronik  in   ihrer  echten 

1)  wie  er  sich  in  seinem  Wilhelm  (v.  d.  Hagen  Ms.  IV,  548)  nent,  nach 
Franz  Pfeiffer  (Barlaam  s.  XI)  „zum  ersten  und  einzigen  male." 

2)  Vergleiche  die  anmerkung  3  auf  s.   258. 

3)  Vergl.  in  dieser  zeitschr.  IX,  s.  467. 

4)  Vergl.  ebenda  IX,  471. 

5)  in  seiner  Geschichte  der  deutschen  dichtung^  11.  bd.  s.  77. 

ZEITSCHR.   F.   DEUTSCHE   PHILOLOGIE.     BD.  XII.  17 


258  DOBERENTZ 

und  einfachsten  gestalt,  in  der  sie  aus  Rudolfs  bänden  kam/'  für  „das 
langweilige  werk  eines  langweiligen  dichters "  erklärte ,  —  machte 
Vilmar  in  seiner  ebenso  eingehenden  wie  feinsinnigen  Marburger  pro- 
gram mabb  an  dlung  (aus  dem  jähre  1839),^  indem  er  die  geschichte  der 
litteratur  angemessener  nicht  sowol  als  geschichte  der  kunst,  sondern 
vielmehr  als  geschichte  der  kultur  und  der  geistesentfaltung  behandelt 
wissen  wolte ,  auf  die  bedeutsame  Stellung  der  Rudolfschen  Weltchronik 
in  dem  entwickelungsgange  unserer  litteratur  wie  in  der  geschichte 
des  deutschen  geisteslebens  aufmerksam. 

Hatte  Vilmar  ^  doch  in  ihr  „  das  erste  und  weitbinaus  einzige 
werk"  erkant,  „welches  dem  stände  der  ungelehrten  die  geschichte  des 
alten  testamentes  im  volständigen  zusammenhange  mitteilte."  Und 
hierin  muste  es  offenbar  dem  bedürfnisse  der  Zeitgenossen  und  der  fol- 
genden geschlechter  entgegengekommen  sein ,  da  die  Weltchronik  erstens 
nicht  allein  in  ihrer  echten  gestalt,  wie  die  noch  vorhandenen  zahl- 
reichen handschrifteu  beweisen ,  eine  sehr  weite  Verbreitung  fand ,  son- 
dern auch  zweitens,  und  sogar  schon  frühzeitig,  eine  nachahmung  her- 
vorrief, die  dem  landgrafen  Heinrich  von  Thüringen ^  gewidmete,^  und 
nicht  viel  weniger  beliebt  gewordene  „Christ-herre- Chronik" —  wie 
man  sie  gewöhnlich  nach  ihren  anfangsworten  nent.     Nicht  viel  später 

1)  „Die  zwei  recensionen  und  die  handschriftenfamilien  der  Weltchronik  Rudolfs 
V.  Ems,  mit  auszügen  aus  den  noch  ungedruckten  teilen  beider  bearbeitungen." 

2)  A.  a.  0.  s.  8. 

3)  Unter  diesem  hat  man  mit  Massmann  (Kaiserchronik  bd.  III,  s.  91)  Hein- 
rich III.  den  Erlauchten  zu  verstehen,  welcher  seit  Heinrich  Easpes  tode  (1247) 
erbe  des  grösten  und  reichsten  teiles  der  landgrafschaft  Thüringen  geworden  war 
und  1288  gestorben  ist.  Vilmar  zwar  (a.  a.  o.  s.  28)  war  geneigt,  dabei  an  Hein- 
rich Easpe  zu  denken;  was  gäbe  aber  das  recht,  den  beginn  der  abfassung  von 
Eudolfs  Weltchronik  —  wie  man  es  doch  bei  Vilmars  behauptung  müste  —  vor 
das  jähr  1250  zu  setzen,  da  ja  der  dichter  selbst  sagt: 

Daf  ift  der  Tivnig  Chvnrat 

des  Tceißrs  kint.  der  mir  hat 

geboten,  vn  des  bete  mich 

gervhte  biten  des.  daf  ich 

dvrh  in  dv  mere  tihte. 
(Vgl.  Massmann,  in  seiner  ausg.  der  Kaiserchronik III,  186  und  diese  ztschr.  IX,  468). 
Dem  strengen  Wortlaute  dieser  stelle  zufolge  war  also  Konrad,  als  er  den  auftrag 
an  Eudolf  erteilte,  bereits  könig.  Und  für  so  strenge  auffassung  des  Wortlautes 
spricht  überdies  die  erwägung,  dass  Eudolf,  seiner  anderwjirts  zu  beobachtenden 
gewohnheit  gemäss,  wenn  er  bereits  vor  1247  an  der  Weltchronik  gearbeitet  hätte, 
diesen  umstand  schwerlich  verschwiegen ,  vielmehr  mit  naivem  stolze  erwähnt  haben 
würde,  wie  lange  er  schon  mit  diesem  werke  für  seineu  „lieben  herren"  beschäftigt 
gewesen  sei. 

4)  Siehe  die  drei  bezüglichen  stellen  in  dieser  ztschr.  IX,  s.  444 — 446. 


DIE   GEOGRAPHIE   RUDOLFS   VON   EMS  259 

sodann  Avard  drittens  die  echte  lludolfsche  Weltchronik  mit  dieser 
Christ -herre- Chronik  —  die  wegen  des  prunkes  ihrer  grösseren  zur 
schau  getragenen  theologisclien  gelehrsamkeit  besonders  gefiel  —  ver- 
sezt  und  vermengt ,  und  auch  sonst  noch  durch  fortsetzungen  und 
Zusätze  mannichfacher  art  verlängert,  und  wuchs  damit  —  nach  Mass- 
manns  ausdrucke  —  zu  den  umfänglichen  „Schwellhandschriften"  heran, 
fand  aber  auch  in  dieser  erweiterten  gestalt  einen  nicht  minder  beträcht- 
lichen leserkreis,  aus  dem  allerdings  wol  mancher,  wie  man  Gervinus 
wird  zugeben  können ,  seine  gröste  freude  eben  an  den  unechten  neben- 
schösslingen  und  den  weniger  edlen  auswüchsen  aus  dem  Rudolfschen 
stamme  haben  mochte.  Aber  selbst  nach  alledem  zeigte  sich  das 
Interesse  für  Rudolfs  werk  noch  keineswegs  erloschen:  schliesslich  in 
prosa  aufgelöst  lebte  es  viertens  als  sogenaute  „Historienbibel"  noch 
lange  zeit  fort.^ 

Hiess  Vilmar  sonach  mit  recht  in  dem  entwickelungsverlaufe 
unserer  litteratur  den  Wertmesser  für  Rudolfs  leztes  werk  suchen,^  so 
gelangte  er  dadurch,  dass  er  sich  besser  als  Gervinus  in  die  empfin- 
dungsweit des  christlichen  mittelalters  zu  versetzen  wüste,  weiterhin 
auch  zu  einer  gerechteren  beurteilung  der  ästhetischen  seite. 

Denn  er  hob  hervor,  dass  Rudolf,  nicht  erdrückt  durch  die  reiche 
fülle  des  stoffes,  seine  darstellung  nach  einem  festen  plane  in  leichtem 
flusse  der  rede  darbiete.^  Rudolf  betrachtete  nämlich,  wie  Vilmar 
richtig  erkant  hat,  die  geschichte  der  Offenbarung  als  die  einzig  wahr- 
hafte geschichte,  die  in  des  erlösers  gott- menschlicher  gestalt  ihre 
erfüllung  fand,  oder  —  um  Rudolfs  eigene  worte  anzuwenden  —  als 
der  mcere  rehtiu  han;  die  geschichte  der  beiden  hingegen  streut  er 
nicht,  wie  sein  Vorbild,  die  Historia  scholastica  des  Petrus  Comestor, 
und  wie  sein  nachahmer,  der  unbekante  Verfasser  der  Christ -herre -Chro- 
nik,* ohne  innigeren  Zusammenhang  ein  als  blosse  incidentia,  sondern 

1)  Siehe  Theod.  Merzdorff,  Die  deutschen  Historienbibeln  des  Mittelalters. 
Stuttgart  (Literar.  verein)  1870,  s.  13,  wo  die  aus  Kudolfs  Weltchronik  hervor- 
gegangenen Historienbibeln,  als  grupj^e  11"  bezeichnet,  zu  finden  sind. 

2)  Als  unzutreffend  ist  es  jezt  freilich  hinzustellen,  wenn  Vilmar  in  seiner 
Geschichte  der  Nationalliteratur  (17.  aufl.  Marburg  u.  Leipzig  1875)  s.  183  behaup- 
tet: „Rudolfs  Weltchronik  ist  dadurch  noch  besonders  bemerkenswert,  dass  sie  bis 
auf  Luther  das  einzige  werk  war,  aus  welchem  der  laienstand  keutnis  des  alten 
testamentes  schöpfen  konte  und  geschöpft  hat":  denn  Th.  Merzdorff  (a.  a.  o. 
s.  9 — 13)  hat  in  seinen  Untersuchungen  über  die  Historienbibeln  eine  durch 
21  handschriften  vertretene  handschriftenfaniilie  nachgewiesen  [gruppe  I] ,  welche 
durchaus  unabhängig  von  Eudolfs  erzählung  genant  werden  muss. 

3)  Vgl.  Vilmar,  Die  zwei  recensionen  usw.  s.  7  und  13. 

4)  Siehe  Vilmar  a.  a.  o.  s.  20. 

17* 


260  DOBERENTZ 

er  will  sie  vielmehr  als  „Mwege"  die  nur  den  „nebenganc"  haben, 
angesehen  wissen.^  Aus  diesem  gründe  stelt  es  sich  als  unstatthaft 
heraus,  Rudolfs  leztes  werk  mit  der  bezeichnung  „Reimbibel"  zu 
belegen:  es  ist  im  gegenteil  des  dichters  absieht,  eine  „Weltchronik" 
zu  liefern,  die  es  aber  mit  dem  künne,  in  dem  got  ßt  an  ßch  nam 
durch  uns  die  hranJcen  menscheit,  hauptsächlich  zu  tun  hat.  Diese 
christologische  auffassung  der  ganzen  Weltgeschichte  nun  wird  dem 
kenner  mittelalterlichen  lebeus  und  webens  leicht  begreiflich  erschei- 
nen: auch  Rudolf  sucht  den  angelpunkt  der  gesamten  geschichtlichen 
entwickelung  in  der  bezeugung  uud  erscheinung  des  erlösers ,  und  seine 
ganze  geschichtsauffassung  gipfelt  ihm  in  erwägung  der  frage,  welche 
der  seit  der  ersten  hälfte  des  12.  Jahrhunderts  höchst  einflussreiche 
Honorius  Augustodunensis  in  seinem  dogmatischen  handbuche  „Eluci- 
darium"^  in  die  worte  fasste:  Quomodo  potuit  nasci  (Christus)  sine 
peccato  de  massa  peccatrice?  Beide  stimmen  darin  überein,  dass  sie 
hierauf  dieselbe  antwort  haben:  Ab  initio  Deus  quosdam  qui  se  fami- 
liarius  colerent  ab  aliis  segregnvit,  |  de  quihus  Virgo  quasi  de  linea 
producta  pullulavit ;  \  quae  velut  olim  virga  arida  sine  humore  protu- 
lit  florem,  \  ita  sine  concupiscentia  mundo  edidit  Salvatorem.  Und 
allein  diese  von  gott  begnadeten  geschlechter  verdienen  nach  Rudolfs 
mittelalterlicher  meinung  genauere  beachtung  in  einer  chronik  der 
gesamten  geschichte. 

Nach  alledem  wird  es  dem  forscher  auf  dem  gebiete  deutscher 
litteraturgeschichte  nicht  möglich  sein,  die  geringschätzung,  welche 
Gervinus  so  unumwunden  über  die  Weltchronik  aussprach,  fernerhin 
als  berechtigt  anzuerkennen  und  an  Rudolfs  leztem  werke  interesselos 
vorüberzugehen,  zumal  dieses  denkmal  auch  für  den  Sprachforscher  in 
noch  grösserem  umfange,  als  dieses  bisher  der  fall  war,  beachtung 
verdient,  da  es  für  den  Sprachgebrauch  vor  allem  während  der  nach- 
blute der  mittelhochdeutschen  glänz-  und  blütezeit  noch  manche  aus- 
beute zu  bieten  vermag. 

Da  nun  aber  eine  ausgäbe  der  gesamten  Weltchronik,  die  in  der 
Wernigeroder  handschrift  ungefähr  36500  verse  enthält,-'^  bei  der  gros- 
sen anzahl  von  handschriften  in  der  nächsten  zeit  schwerlich  zu  erhof- 
fen sein  wird ,  so  bedarf  es  wol  keiner  weiteren  rechtfertigung ,  wenn 
ich  im  folgenden  ein  stück,  welches  sich  bequem  aus  dem  ganzen 
herausheben  lässt,  in  kritischer  behandlung  vorzulegen  versucht  habe, 
und  für  das  ich  daher,    selbst  wenn  die  zahl  der  benuzten  handschrif- 

1)  Siehe  Vilraar,  a.  a.  o.  im  ,, anhange"  s.  67,  spalte  a. 

2)  Lib.  I,  cap.  19.  (Migne,  Patrolog.  band  172,  spalte  1123.) 

3)  Vgl.  diese  ztschr.  IX,  461. 


DIE    GEOGRAPHIE    KUDOLFS    VON    EMi5  261 

teu,  die  mir  für  jezt  erreichbar  waren,  als  noch  nicht  völlig  genügend 
befunden  werden  solte,  um  geneigte  aufnähme  bitte.  Wenigstens  hoffe 
ich  durch  die  vergleichung  der  unten  aufgeführten  und  besprochenen 
handschriften  für  die  Untersuchung  über  quellen ,  Verbreitung  und  bedeu- 
tuug  des  geographischen  abschnittes,  welche  uns  zunächst  besonders 
beschäftigen  soll,  einen  hinlänglich  sicheren  grund  gelegt  zu  haben. 

Zudem  bietet  aber  der  abschnitt,  den  ich  hiermit  vorlege,  der 
geographische  abriss,  schon  an  sich  als  eine  länder-  und  Völ- 
kerkunde des  mittelalters  genügendes  Interesse  dar;  zumal  eine 
genauere  prüfung  dieses  gelehrt  zusammengewobenen  geographischen 
Stückes  nicht  nur  ein  hohes  alter  der  einzelnen  fäden  —  sowol  des 
aufzuges  wie  des  einschlages  — ,  welche  dieses  gewebe  bilden,  erwei- 
sen wird,  sondern  auch  die  überaus  grosse  beliebtheit  gerade  dieses 
gewebemusters  während  mehrerer  Jahrhunderte  des  mittelalters  erken- 
nen lässt.  Zeigte  sich  mir  nun  einerseits  eine  sorgsamere  und  liebe- 
volle beschäftigung  mit  dieser  mittelalterlichen  geographie  ebenso  loh- 
nend wie  reizvoll ,  so  hielt  ich  andererseits ,  durch  meine  forschungen 
über  ihren  nicht  unerheblichen  wert  belehrt,  eine  kritische  ausgäbe 
geradezu  für  ein  notwendiges  erfordernis. 


DER  GEOGRAPHISCHE   ABRISS  NACH   SEINER  ECHTHEIT  UND  VERBREITUNG, 

SEINER   HERKLTNFT   UND  VERW ANTSCHAFT ,    UND   NACH  SEINER  BEDEUTUNG 

IN    DER   GEISTESGESCHICHTE  DES   MITTELALTERS. 

1. 

Zugehörigkeit   zur  Rudolfschen  Weltelironik   und    Verbreitung 
durch  diese  und  deren  verwante. 

§  1.    "Wichtigkeit   für  die  handsctiriftengruppierung  der 
verschiedeneii  gereimten  Weltchroniken. 

Wenngleich  der  eigentümliche  reiz  und  die  nicht  geringe  bedeut- 
samkeit  dieses  abschnittes  für  die  geistesgeschichte  des  mittelalters 
dem  forscherblicke  Vilmars,  welcher  das  verdienst  hat,  sich  zum  ersten 
male  eingehender  mit  unserer  geographie  befasst  zu  haben,  völlig  ent- 
gieng,  und  wenn  von  ihm  gerade  dieser  geographische  abriss  mehrmals 
sogar  für  die  „durchaus  schwächste  partie,"^  ja  für  das  „unbedeu- 
tendste "  stück  in  der  ganzen  Weltchronik  ^  erklärt  wurde ,  so  war  ihm 

1)  Vilmar,  Die  zwei  recensionen  s.  17. 

2)  Vilmar ,  a.  a.  o.  s.  30. 


2G2  DOBEKENTZ 

dennoch  die  Wichtigkeit  desselben  für  die  Charakterisierung  und  grup- 
pierung  der  verschiedenen  handschriftenfamilien  bereits  zum  bewustsein 
gekommen. 

1.  Denn  während  der  geographische  abschnitt  einerseits  in  allen 
bisher  bekant  gewordenen  handschriften  der  echten  Eudolfschen  Welt- 
chronik —  die  nach  ihren  anfangsworten  „Eihter-got-recension" 
benant  zu  werden  pflegt  —  angetroffen  wird,  ist  er  andererseits  dem 
schon  oben  erwähnten  doppelgänger  derselben,  —  jener  anderen,  ähn- 
lichen, wenig  jüngeren  chronik,  die  nach  ihren  anfangsworten  als 
Christ-herre- Chronik,^  oder  auch  nach  der  gegend  ihres  Ursprungs 
als  Thüringer  Reimbibel  bezeichnet  zu  werden  pflegt  —  in  ihrer 
ursprünglichen  gestalt  durchaus  fremd.  Es  bietet  nämlich  die  jüngere, 
die  Christ -herre-recension,  in  der  geschichte  der  zweiten  „Welt," 
nach  der  Schilderung  von  Noahs  tode,  zwar  wie  es  auch  in  der  echten 
Eudolfschen  Chronik  geschieht ,  eine  aufzählung  der  söhne  Noahs, 
welche  der  erwähnung  des  turmbaues  zu  Babel  voraufgeht;  nach 
derselben  aber  fügt  sie  nur  einige  verse  hinzu,  die  sich  auf  die 
geographische  ausbreitung  der  nachkommen  lediglich  des  einen  sohnes 
beziehen ,  aus  dessen  stamme  nachher  der  gottessohn  entspriessen  solte, 
also  des  Sem.  —  Die  Eihter-got-recension  dagegen  bringt  an  der 
entsprechenden  stelle,  nach  der  erzählung  vom  turmbau,  eben  unsern 
geographischen  abriss,  und  nimt  dort  für  diesen  einen  räum  von  1600 
Versen  in  anspruch.  —  Dass  aber  jene  beschränkung  in  der  Christ - 
herre-recension  eine  beabsichtigte  gewesen  ist,  folgt  unzweifelhaft  aus 
der  zugefügten  benierkung:  die  aufzählung  der  anderen  (völker  und 
sprachen)  solle  „gespart"  werden.  Diese  entscheidende  stelle  der 
Christ -herre- Chronik,  welche  nach  der  erzählung  vom  turmbau 
folgt,  gebe  ich  hier  nach  dem  texte  der  Gothaer  pergamenthandschrift 
Mbr.  I.  nr.  88.  ^ 

1)  Diese  muss  mit  Vilmar  (a.a.O.  s.  28) ,  trotz  Massmanns  einwendungen 
(Kaiserchronik  bd.  III,  s.  88),  entschieden  als  ein  selbstständiges,  von  der  Eudolf- 
schen Weltchronik  verschiedenes  werk  und  nur  als  eine  -weniger  geschickte  nach- 
ahmung  derselben  betrachtet  werden.  Denn  die  beweise,  welche  Ferd.  Massmann 
gegen  Vilmars  darlegungen  vorbringt ,  stehen  auf  sehr  schwachen  füssen.  Die 
inhaltliche  Übereinstimmung  mehrerer  stellen  beider  Chroniken  beruht  grossen  teiles 
auf  benutzung  einer  und  d' rseiben  vorläge;  es  ist  daher  keinesweges  abzusehen, 
inwiefern  der  abschnitt  von  der  trunkenheit.  Noahs  in  der  Christ -herre -Chronik 
für  einen  engeren  Zusammenhang  mit  dem  entsprechenden  teile  in  der  Eudolfschen 
bearbeitung  beweisend  sein  müste:  im  gegenteil  ist  hierbei  nicht  mehr  zuzugeben, 
als  von  Vilmar  (s.  28  fg.)  zugestanden  ist. 

2)  Über  diese  von  Wilh.  Grimm,  Vilmar,  Massmann  und  Regel  übereinstim- 
mend  ins  14.  jh.  gesezte  hs.  vgl.  Vilmar  a.  a.  o.  s.  42  nr.  11;   Massmann,   Kaiser- 


DIE    GEOGRAPHIE   RUDOLFS   VON   EMS  263 

bl.  34^    Das  lernt  man  dar  nach  nande 

Alz  iz  noch  genennit  iß 

JBabilonie.    bis  an  dife  vriß 

Hatte  is  ouch  den  namen  bracht 

Des  im  8U  namen  was  gedacht 

Do  ßch  ein  einic  sunge 

Mit  gefcheidenir  wandelunge 

In  swo  vnd  ßbensic  sungen  brach 

Vnd  der  wandet  al  da  geschach 

Si  wurden  tviden  su  fant 

vf  di  erde  in  alle  lant 

als  ich  uch  da  vorne  beschit  ^ 

wi  di  lant  do  teilten  di  dit 

T/on  den  andern  waren  ß  gevarn 
alhi  ivil  ichs  nu  fparn 
bl.  35 "   wo  ß  blihen  in  den  tagen 

Ich  wil  uch  von  dem  kunne  fagen 

Das  von  feme  was  geborn 

Di  urucht  hat  im  got  irhorn  .... 

2.  Nim  umss  aber  der  geographische  abriss,  welcher  mitlerweile 
durch  die  handschriften  der  echten  Weltchronik  vielfältige  Verbreitung 
gefunden  hatte,  so  fesselnd  und  so  wichtig  erschienen  sein,  dass  man 
ihn  in  die  Christ -herre- Chronik  hinübernahm ;  ^  wie  sich  auch  in  fünf 

Chronik  in,  175  nr.  23  und  Kegel,  in  dieser  ztschr.  IX,  444.  —  Für  die  benutzung 
dieser  hs.  wie  auch  der  anderen  Gothaer  papierhs.  (Vilmar  s.  57  nr.  36) ,  die  mir 
an  ort  und  stelle  mit  gröster  liberalität  verstattet  wurde,  bin  ich  der  herzoglichen 
bibliotheksverwaltung ,  namentlich  aber  der  freundlichkeit  des  herrn  oberbibliothe- 
kares  hofrat  Pertsch  zu  grossem  danke  verbunden.  —  Dass  der  text  der  Heidel- 
berger papierhs.  des  15.  jh.,  Cod.  Pal.  321,  (Vilmar  s.  51  nr.  26)  sich  an  der  ent- 
sprechenden stelle  (fol.  34*^)  ebenso  verhalte,  geht  hervor  aus  Vilmars  angäbe  in 
der  anmerkung  auf  s.  18. 

1)  d.  i.  auf  bl.  32-=  — 34^ 

2)  Dies  ist  namentlich  geschehen  in  folgenden  5  handschriften  der  Christ - 
herre  -  Chronik ,  welche  Massmann  (Kaiserchronik  III,  176  fgg.)  seiner  gruppe  Bc 
eingeordnet  hat: 

1.  Wien,  papier,  vom  j.  1426,  (nr.  30G0,  früher  Theol.  CCXXII.  ol.  717.  fol.) 
S.  Massmann  s.  176  nr.  27;  Vilmar  s.-59,  nr.  41. 

2.  Wien,  perg.,  vom  j.  1439  (nr.  2782,  früher  Hist.  prof.  71;  ol.  Ambr.  320. 
gr.  fol.)     S.  Massmann  s.  177  nr.  29;  Vilmar  s.  58,  nr.  39. 

3.  Gotha,  papier,  vom  j.  1398  (A.  3.  gr.  fol.).  S.  Massmann  s.  180  nr.  36; 
Vilmar  s.  57,  nr.  36,  und  vor  allem  Jakobs  und  Ukert,  Beiträge  z.  älteren  Lit.  II, 
243  —  258.     Es  ist  dieselbe  hs, ,  die  mir  gütigst  zur  benutzung  überlassen  war. 


264  LOBEKENTZ 

handschriften  der  gruppe  I  der  prosaischen  „ Historienbibeln ,"  welche 
mit  Rudolfs  Weltchronik  sonst  gar  nichts  zu  tun  hat,  der  geographische 
abriss  eingefügt  findet.^  —  Aus  diesem  gründe  ist  es  daher  eine  unrich- 
tige und  irre  leitende  angäbe,  wenn  Vilmar  (s.  18  anm.)  behauptet: 
„An  dem  Vorhandensein  oder  mangel  dieses  geographischen,  etwa 
2300  verse  enthaltenden  abschnittes  ^  ist  auch  in  defecten  handschriften 
und  von  dem  flüchtigsten  und  unkundigsten  beschauer  sofort  die  ältere 
und  die  jüngere  recension  zu  erkennen."  Vielmehr  ist  gerade  im  gegen- 
teil  mit  bestimtheit  zu  sagen:  nur  aus  dem  fehlen  des  geographi- 
schen Stückes  in  sonst  volständigen  handschriften  ist  sogleich  die 
unbedingte  Zugehörigkeit  dieser  hs.  zu  der  rein  gehaltenen  gruppe 
der  Christ-herre-Chronik  zu  bestimmen.  Das  Vorhandensein 
unseres  abschnittes   dagegen  lässt   die   einreihung   der  betreffenden  hs. 

4.  Wien,  perg.,  XIV.  jahrh. ,  (nr.  2768,  früher  Theol.  XXV;  ol.  708.  fol.) 
S.  Massinann,  s.  180,  nr.  38;  Vilmar  s.  57,  nr.  34. 

5.  Bruneken  in  Tyrol,  perg. ,  aus  dem  j.  1394  (3.  juni).  Geschrieben  durch 
Heinz  Seutlinger.  S.  Massmann  s.  178,  nr.  35;  fehlt  bei  Vilmar.  —  Nach  dieser 
incorrecten  und  keinesweges  volständigen  hs.  veranstaltete  Ignaz  V.  Ziiigerle  1865 
in  den  Wiener  Sitzungsberichten  d.  kaiserl.  Akad.  d.  Wissensch.  phil.-hist.  Kl.  bd.  L, 
s.  371fgg.  einen  abdruck  unter  dem  titel:  „Eine  Geographie  aus  dem  13.  Jahr- 
hnndert,"  der  auch  als  Sonderausgabe  erschienen  ist,  Wien  1865  bei  Karl  Gerold 
Sohn,  80  s.  8. 

Wenn  Gervinus  (Gesch.  d.  deutsch.  Dichtung  5.  a.,  II,  76),  nachdem  er  oben 
im  texte  von  der  in  die  Eudolfsche  Weltchronik  „eingefloehtenen  erdkunde" 
gesprochen  hat,  unten,  in  der  amnerkung  84,  hinzufügt:  ,,In  einer  bearbeitung 
der  Rudolfschen  Chronik  des  I.S.Jahrhunderts,  der  Christ-herre^Chronik,  fin- 
det sich  ein  volständiges,  von  Zingerle  herausgegebenes  Kompendium  der 
Geographie"  usw.,  so  muss  diese  bemerkung  bei  einem  jeden  leser  die  irrige 
Vorstellung  erwecken,  als  seien  die  beiden  hier  erwähnten  geographi- 
schen stücke  auch  zwei  besondere  und  von  einander  verschiedene 
abschnitte.  Vor  diesem  luisverständnisse  aber,  welches  wahrscheinlich  dadurch 
veranlasst  worden  ist,  dass  Zingerle  in  seiner  ausgäbe  der  Verfasserschaft  Rudolfs, 
die  wir  im  folgenden  als  unantastbar  erweisen  werden,  dabei  mit  keiner  silbe 
erwähnung  getan  hat,  muss  um  so  ausdrücklicher  gewarnt  werden,  als  auch  der 
lezte  herausgeber  eines  bruchstückes  aus  diesem  geogr.  abschnitte,  nach  einer  Ber- 
ner papierhs.  des  XIV.  jh. ,  (in  der  Ztschr.  f.  deutsch.  Alterth.  XXII,  142  —  144) 
dies  bruchstück  nach  Zingerles  vorbilde  ohne  weiteres  der  Christ-herre-Chronik 
zuweist.  Es  handelt  sich  aber  hier,  wie  in  Zingerles  ausg;ibe,  um  dasselbe  stück, 
nur  dass  der  text  der  Sentlingerschen  handschrift,  aus  welcher  allein  Zingerle 
geschöpft  hat,  nm  vieles  schlechter,  stellenweise  interpolirt,  stellenweise  gekürzt  ist, 
wie  eine  vergleichung  des  bei  Zingerle  gedruckten  textes  mit  dem  hier  weiter  unten 
folgenden  texte  zeigen  wird. 

1)  S.  Merzdorff,  Die  deutschen  Historienbibeln  des  Mittelalters  I,  132. 
anm.  9. 

2)  Es  sind  deren  indes  nur  1650. 


DIE   GEOGRAPHIE   RUDOLFS   VON   EMS  265 

in  die  gruppe  der  Kihter-got-recension  nur  wahrscheinlich  finden; 
zur  gewisheit  wird  solche  Wahrscheinlichkeit  aber  erst  bei  genauem 
zusauimenstinimen  mit  dem  texte ,  den  Avir  unten  bieten.  Denn  die 
handschriften  der  Christ -herre- Chronik,  welche  die  geographie  auf- 
nahmen, wie  z.  b.  die  Sentlingersche  zu  Bruneken,  zeigen  den  text, 
namentlich  an  den  übergangssteilen,  verändert  und  meistens  inter- 
poliert. ^ 

So  stelt  sich  die  frage  nach  der  ursprünglichkeit  und  Zugehörig- 
keit unseres  geographischen  abrisses,  wenn  wir  uns  nach  der  hand- 
schriftlichen Überlieferung  richten,  wie  sie  uns  bislang  bekant  gewor- 
den ist. 

§  2.    Beweise  für  Rudolfs  autorschaft. 

a.    Nachweis    aus    äusseren    gründen. 

Dass  diese  geographie  aber  wirklich  von  der  band  Rudolfs  von 
Hohen -Ems  herrührt,  findet  weitere  bestätigung,  wenn  wir  auf  einige 
eigentümlichkeiten  der  reime,  redewendungen,  des  stiles  und  der  metrik 
wie  rhythmik  unseres  dichters  die  aufmerksamkeit  hinwenden. 

«.     Sprachliche    eigentümlichkeiten. 

1.  Unser  abschnitt  ist  nichts  weniger  als  abwechslungsreich  in 
den  reimen:  es  zeigt  sich  im  gegenteil  eine  auffallende  widerkehr 
derselben  bindungen  und  Wendungen  auf  engstem  räume ,^   die,    soviel 

1)  Diese  Interpolationen  fussen  allem  anscheine  nach  auf  stellen,  welche  der 
Schreiber  in  der  Christ  -  herre -recension  vor  sich  liegen  hatte.  Dieses  zu  unter- 
suchen habe  ich,  als  mir  handschriften  der  Christ -herre -Chronik  zur  band  waren, 
leider  übersehen. 

2)  Recht  lebendig  drängt  sich  dieses  gefühl  auf,  wenn  man  das  genaue  und 
höchst  dankenswerte  reimregister  zu  Wolfram,  welches  San  Marte  (A.  Schulz)  der 
germanistischen  Wissenschaft  dargeboten  hat,  zur  vergleichung  mit  den  reimen  in 
Rudolfs  geographischem  abrisse  herbeizieht.  Schulz  selbst  charakterisiert  den  wert 
seiner  gäbe  offenbar  riclitig,  wenn  er  behauptet:  ,,ein  reimregister  zu  Wolframs 
werken,  zumal  mit  rücksicht  auf  deren  grossen  umfang,  wird  als  richtscheit 
für  die  reirakunst  in  der  besten  zeit  der  mittelhochdeutschen  poesie  überhaupt 
gelten  dürfen,  an  dem  die  kunst  und  spräche  anderer  dichter  gemessen  und  damit 
ohne  mühe  verglichen  werden  kann."  Besässen  wir  eine  grössere  anzahl  ähnlicher 
reimregister,  so  Hesse  sich  durch  gegenüberhalten  derselben  noch  mancher  interes- 
sante schluss  auf  die  kunstfertigkeit  und  die  ideenassociationen  der  einzelnen  dich- 
ter ziehen  !  —  Sehr  lehrreich  scheint  mir  die  gegeiiüberstellung  von  bindungen  aus 
Rudolfs  geographischem  abschnitte  (G).  welcher  1654  verse  umfasst,  und 
den  entsprechenden  aus  Wolframs  gesamten  werken,  welche  nach  Schulzs 
berechnung  (a.  a.  o.  s.  I)  zusammen  39758  reime  (oder  19879  reirapaare)  enthalten 
und  zwar  auf  die  einzelnen  werke  verteilt:  Parc.  24810,  Titurel  680,  Wilhelm  13988, 
die  lieder  280  verse. 


266  DOBEEENTZ 

ich  bis  jezt  untersuchen  konte,  in  diesem  unniasse  allerdings  in  den 
anderen  Rudolfschen  werken  nicht  hervortritt:  und  hierin  mag  wol  in 
erster  linie  das  zu  suchen  sein,  was  dem  gefühle  Vilmars  (s.  33)  so 
abweichend  von  dem  tone  der  übrigen  teile  der  Weltchronik  vorkam; 
doch  werden  wir  die  Ursache  dieser  eigentümlichen  erscheinung  weiter 
unten  noch  genauer  ins  äuge  fassen  und  in  dem  stoife,  den  er  noch 
dazu  übersezte,  begründet  finden. 

Stets  verraten  aber  die  reinen  und  völlig  genauen  reime  den 
wolgeschulten  höfischen  dichter.  Der  Vilmarschen  bemerkung  (s.  14): 
dass   „rührende   reime   sowie   veraltete,   der  Volksdichtung  angehörige 

Es  bietet  Rudolf  unter  827  bindungen  in  G.  an  :  dan  nicht  weniger  als  5 mal; 
im  ganzen  Wolfram  dagegen,  also  in  198T9  reimpaareu,  findet  sich  dieselbe  bin- 
dung  nur  im  Parc.  11  mal  und  im  Wilb.  2  mal. 

G.  kranc  :  lanc  3 mal;  im  ganzen  Wolfr.  nur  ein  einziges  mal  (Parc). 

„    hin  :  in  7 mal;  Parc.  5 mal,  Wilb.  Imal. 

„   dar  :  gar  5 mal;  Parc.  7 mal,  Wilh.  9 mal. 

„    ßder  :  nider  5 mal;  Parc.  4 mal,  Wilb.  7 mal. 

„    wer :  mer    (nebst  komposit.  nort-    und  mittelm.)    9 mal;    Parc.   5 mal, 
Wilb.  7 mal;  dagegen: 

„    mer  :  her  5 mal;  Parc.  16 mal,  Wilb.  14 mal.     Aber 

„    nande  :  lande  3 mal;  dazu  noch  landen  :  nanden  2 mal;  im  Wolfr.  über- 
haupt nicht. 

„    wirt :  gebirt  5 mal;  bei  Wolfr.  kein  einziges  mal.     Dagegen: 

„    wirt :  verbirt  Imal;  bei  Wolfr.  Parc.  24 mal,  Wilh.  9 mal.    Aber 

„    ist :  vrist  10 mal;  bei  Wolfr.  Parc.  2 mal,  Wilh.  Imal. 

„    zil :  vil  16  mal;  bei  Wolfr.  Parc.  24mal,  Wilh.  11  mal. 

„    lit :  zit  5 mal;  bei  Wolfr.  nur  Imal  (Parc);  und  vollends: 

„    lit :  git  5 mal;    lit :  fit  7 mal,    Ut :  ivit  10 mal;   —    bei   Wolfram    aber 
gar  nicht. 

„    wart :  uzvart   4 mal;    bei  Wolfr.  überhaupt  nicht. 

„   gefat :  houbetftat  3 mal;  „        „  „  „ 

„   ftrich :  ßch  9 mal;  „        „  „  „ 

Hingegen  „    ßnt :  Mnt  12 mal;  Parc.  56 mal,  Wilh.  46 mal,  Lieder  Imal. 

Im  Parc.  und  Wilb.  reimen  eigennamen  auf  ä  teils  untereinander,  teils 
mit  da,  aldä  und  andersivd  im  ganzen  46 mal;  bei  Rudolf  hingegen  sind  in  G. 
eigennamen  auf  ä  untereinander  nicht  weniger  als  17,  mit  da  gar  27,  mit  aldä  4, 
mit  anderswä  3 mal  gebunden,  zusammen  also  51  mal. 

Wie  leicht  zu  begreifen,  findet  sich  in  G.  lant  häufig  verwant  und  oftmals 
im  reime,  so  z.  b.  lant  :  benant  in  G.  3 mal  (im  Parc.  dagegen  2  und  im  Wilh. 
2 mal);  lant  :  bekant  in  G.  2 mal  (im  Parc.  H  und  im  Wilh.  8 mal).  Dass  aber  die 
reimbindung  lant  (nebst  komposit.)  :  erkant  nicht  weniger  denn  27  mal  in  G.  zu 
finden  ist,  gibt  für  den  schönbeitssinn  und  die  gewantheil  des  dicbters  doch  nicht 
eben  günstiges  zeugnis;  bei  Wolfram  ist  dieselbe  bindung  im  Parc.  13,  im  Wilh. 
7 mal  verwendet.  Der  reim  lant  :  genant  ist  innerhalb  unserer  1650  verse  gar 
43 mal  gebraucht,  während  er  bei  Wolfram  nur  im  Parc.  4  und  im  Wilh,  3 mal 
vorkomt. 


DIE    GEOGRAPHIE   RUDOLFS   VON   EMS  267 

reimtöne  sich  wol  in  keinem  werke  Kudolfs  finden  sollen"  kann  ich 
nur  beipflichten. 

Denjenigen  reimen  aber,  die  sich  uns  als  besondere  lieblinge 
Kudolfs  in  diesem  abschnitte  aufdrängen,  kann  man  auch  sonst  in  sei- 
nen übrigen  werken,  vor  allem  aber  in  der  Weltchronik  des  öfteren 
begegnen. 

Den  reim  lant :  genant  finden  wir  auch  an  anderen  stellen  der 
Weltchronik  verwendet,  die  hie  und  da  gedruckt  vorliegen.  So  in  die- 
ser zeitschr.  IX,  467  (zweimal);  in  den  Verhandlungen  des  histor.  Ver- 
eines für  Oberpfalz  und  Regensburg,  1874.  s.  198;  bei  Vilmar  s.  64. 
(v.  289.  299).  Auch  begegnet  er  in  anderen  werken  Rudolfs;  so  im 
Guten  Gerhard  v.  603,  und  im  Barlaam  (ed.  Pfeiffer)  55,  39.  —  Die 
bindung  lant :  erkant  komt  nicht  selten  im  Guten  Gerhard  vor ,  z.  b. 
v.  1267.  1309.  1787.  1933.  2033.  —  Begegnet  mau  bei  Rudolf  dem 
reimworte  vruht,  so  kann  man  mit  ziemlicher  Sicherheit  erwarten,  dass 
es  mit  genullt  gebunden  sei.  So  findet  es  sich  in  dem  geographischen 
abschnitte  dreimal,  v.  147.  717.  947  (während  es  bei  Wolfram  nur  ein 
einziges  mal,  Parz.  238,  21  auftritt);  desgleichen  im  Barlaam  10,  7; 
41,  21.  39;  im  Guten  Gerhard  4385;  und  in  gedruckten  stellen  der 
Weltchronik,  wie  in  dieser  ztschr  IX,  467''  und  bei  Vilmar  s.  61  (v.  83), 
63  (v.  209  und  237) ,  64  (v.  269). 

2.  Auch  redewendungen,  welche  im  geographischen  abschnitte 
dem  leser  auffallen,  lassen  sich  gleichfalls  an  anderen  stellen  Rudol- 
fischer werke  nachweisen,  wie  aus  nachstehenden  beispielen  zur  genüge 
erhellen  wird: 

Geogr.  V.  19    vnd  verßuont  des  andern  niht 

an  der  getäf  an  der  gefcJiiht 
Vilmar  s.  66^*  wan  er  was  ouch  fcliuldic  niht 

an  der  getät  an  der  gefchiht  (vgl.  v.  1645.) 

Geogr.  V.  354  ze  fwelher  ßtmt  in  fwelher  zU 
Vilmar  s.  64^"  (v.  322)  in  fwelher  ßunt  se  fwelher  zd 

Geogr.  V.  240  mit  üfgender  tilgende 

Diese  ztschr.  IX,  468''  in  ir  üfgender  herfchaft 

Geogr.  V.  59    da  ße  ßch  niderlie^en 

wie  ße  nach  in  fit  hieben 
Vilmar  s.  62**  v.  155  wä  ße  ßch  niderlie^en, 

und  wie  die  ßifter  hieben 


268 


DOBERENTZ 


Geogr.  V.  83     als  uns  mit  reliter  wärheit 

diu  fchrift  der  wärheit  hat  gefeit 
Vilmar  s.  62"  v.  18  als  uns  mit  rehter  wärheit 

diu  buoch  der  wärheit  hänt  geseit 
und  Vilmar  s.  66*"  wan  des  mit  rehter  wärheit 
diu  fchrift  der  rehticheit  feit 
mit  gewcerem  urhünde 

Geogr.  V.  1035    mit  gewalte  fchone 

vil  hünehlicher  Jcrone 
Alex.  V.  12869  (d.  ztsclir.  X,  100)  Trüg  mit  gewalte  fchone 

Die  romsche  kröne 

Geogr.  V.  243     in  wider  niuwer  Jcraft  erhant 

Verhandl.  f.  Kegensb.  1874  s.  198  in  wider  niuwer  vroide  er  fprach 

und  ebendas.  s.  198     ßnem  hersen  wart  gegeben 

widir  ain  niuwif  lehendif  leben 

3.  Diese  lezte  zur  vergleichung  herbeigezogene  stelle  bietet  über- 
dies ein  Wortspiel,  an  welchem  Kudolf  ein  besonderes  wolgefallen 
gefunden  haben  mag,  da  er  es  bereits  im  Guten  Gerhard  v.  381  fgg. 
mit  behaglicher  breite  ausgeführt  hatte: 

das,  iß  die  diemüefe 

des  heilegen  geißes  güete, 

mit  der  daz,  lebeliche  leben 

lebelichem^  iß  gegeben; 

fwag,  lebendes  üf  der  erde  lebt^ 

in  lüften  oder  in  waz,z,er  fwebti 

daz,  lebt  in  ßner  blüete 

von  des  heilegen  geißes  güete. 

das,  leben  iß  drivaltic: 

des  iß  din  geiß  gewaltic. 

ein  leben  lebende^  leben  hat 

das,  ßch  doch  lebennes  niht  verftät. 
Auch  im  geographischen  abriss  v.  310  hat  er  es  widerum  angebracht, 
ohne  dass  eine  nötigung  dazu  vorhanden  war : 

wan  im  niht  fürbaß  iß  gegeben 

alters  sit  noch  lebende^  leben 
Diesem  Wortspiele  ähneln  Wendungen  wie  die  folgenden: 
Geogr.  V.  1445   wol  bewart  unde  behuot 

mit  kraft  an  werUcher  wer 

1)  So  nach  Lachmanns  coujectur. 


DIE  GEOGRAPHIE  RUDOLFS  VON  EMS  269 

ebend.  v.  1513     alfo  kreftecUche  Jcraft 
Vilmar  s.  60''      mit  kundUcher  künde 
G.  G.  V.  6855      mit  ivisUcher  ivtsheit 
und  V.  102       nach  der  geUrten  lere 
in  dies,  ztschr.  9,  469''  der  vrien  vriheit 

Geogr.  V.  502      in  füe^es  fmackes  füez,e  git 
G.  G.  V.  1040     mit  blüendes  hluomen  hlüete 
hluote  gotlichiu  güete  ^ 

Namentlicli  gehört  hieiiier  auch  die  sogar  dreimal  innerhalb  des  kur- 
zen geographischen  abschiiittes  widerkehrende  wortspielende  ausdrucks- 
weise: V.  1244     ligent  gelegenliche 

V.  1055     da  ligent  gelegenUcJie 

V.  813       Daran  gelegenliche 
lit  Frigid. 

ß.     Stilistische    eigentümlichkeiten. 

1.  Auch  die  breite  und  für  unseren  geschmack  nicht  selten 
schwülstig  und  hohl  erscheinende  redeweise  Kudolfs,  die  gerade  im 
geographischen  abrisse  oftmals  lästig  hervortritt,  eine  Übertreibung  der 
manier  Gotfrieds  von  Strassburg,  ist  wol  durch  jenes  haschen  nach 
Wortspielen  zu  solcher  ausartung  gefördert  worden. 

Zur  Veranschaulichung  mögen  hier  die  beispiele  aus  unserem 
geographischen  abschnitte  folgen: 

V.  477     vor  dem  kan  ßch  niht  er  wem 
noch  mit  deheiner  wer  genern 
V.  435     und  nmo^  ouch  ßn  wilde 

und  in  wildem  bilde 
V.  138     da^  lant  in  grüener  varwe  lit 

gruonende  alf  der  grüene  kle 
V.  1291  und  da^  lant  iß  alfo  kalt 
von  grdz,er  kelte  manicfalt 
V.  1318  da  zem  mittem  tage 

der  funnen  hitze  zaller  sit 
die  hei^eßen  hitze  git 
V.  155     ein  edel  houm  des  edelkeit 

Arömatä  die  edeln  treit 
V.  1381  den  iß  mit  fnellekeit  bereit 
alfo  bereitiu  fnellekeit 

1)  So  nach  Lachiuanns  besserung. 


270  -  DOBERENTZ 

V.  1585  wan  rihtediche  un^  an  den  grünt 
tuot  fielt  der  fclim  mit  rihte  hunt 

V.  1497  der  hrinnende  berc  Ethnä 
hrinnende  in  dem  lande  Ut 
den  man  ßht  hrinnen  saller  zit 

V.  1040  sivei  laut  in  landes  groe^e  wU 
V.  715     das,  üf  der  erde  im  eben  rieh 

deJiein  lant  iß  noch  gelich 

an  landes  güete  mit  genuht 

an  genuhticUcher  vruht 

iß  beZjZier  lant  niht  anderfwä 
V.  404     tuot  ez,  werltchen  ßrit  erhant 

und  recket  in  werlicher  kür 

gein  wer  das,  eine  hörn  hinfür 
V.  101     zwifchen  dem  paradife  Ut 

manic  lant  und  tfel  wit 

unhähaft  äne  hü  erkant 

uns,  an  die  hühaften  lant 

wan  in  der  wüeße  und  underwegen 

iß  wüeßer  wilde^  vil  gelegen 

darin  fo  vil  getvürmes  Ut 

und  tiere  das,  se  keiner  sU 

nieman  drinne  mac  genefen 

noch  mit  deheinem  büwe  wesen 

in  den  wüeßen  landen  da 

Diese  ziüezt  ausgehobene  stelle  werden  wir  unten  kennen  lernen  als 
überaus  breite  Umschreibung  der  knappen  angäbe  der  vorläge:  Poß 
Paradifum  funt  midta  loca  deferta  et  in  via,  \  ob  diver  fa  ferpentum  et 
ferarum  gener a.  Übrigens  wird  hier  auch  ein  lesefehler  untergelaufen 
sein;  Rudolf  scheint  nämlich  das  eine  wort  invia  misverständlich  als 
zwei  Wörter  in  via  gelesen  und  aufgefasst  zu  haben. 

Beiläufig  will  ich  bemerken,  dass  die  übereinstimmende  lesart 
der  Wernigeroder  hs.  bl.  59''  und  der  beiden  Heidelberger  (Cod.  Pal. 
membr.  nr.  327  und  chart.  nr.  146) 

und  daf  fruhtigoße  lant 

daf  in  Egipte  iß  lant  genant 
nicht  anzufechten  ist ,  während  man  in  den  Verhandlungen  des  historischen 
Vereins    für  Oberpfalz   und   Regensburg  1874   s.  193    das    zweite    lant 

1)  Hs.  ivilder  tvüeste 


DIE   GEOGRAPHIE   RUDOLFS    VON  EMS  271 

beanstandet  hat  und  für  irtümlich  dadurch  in  den  text  gekommen 
hielt,  dass  im  pergament  des  Cod.  Wernig.  dort  gerade  eine  schad- 
hafte stelle  sei  und  der  Schreiber  der  deutliclikeit  halber  jenes  wort 
noch  einmal  darunter  geschrieben  habe.  Denn  ganz  entsprechend  lau- 
tet es  im  geogr.  abschnitte  v.  87 

daz,  iß  das,  höJiße  lant 

das,  in  dem  teil  iß  lant  genant 
und  ähnlich  v.  789: 

Da  ßos,et  an  ein  michel  lant 

das,  ouch  iß  houbetlant  genant. 

Dass  diese  eben  besprochene  Vorliebe  Kudolfs  auch  in  seinen  andern 
werken  hervortritt,  ist  leicht  darzutun;  hinweisen  will  ich  hierbei  auf 
jene  beobachtung,  die  sich  Moritz  Haupt  beim  Guten  Gerhard  auf- 
gedrängt hatte  (G.G.  einleitung  s.  XII):  „Umständliche  ausführlichkeit 
hat  es  mit  fast  allen  mittelhochdeutschen  höfischen  erzählungen  gemein 

und    bis    zur    ermüdung   ist   sie    nicht  getrieben   Nur   eine 

allzuoft  widerkehrende  weise  des  ausdruckes,  die  Rudolf  sei- 
nem vorbilde  Gotfried  von  Strassburg  nachahmt,  den  er  im  Wilhelm 
und  mehr  als  alle  anderen  dichter  im  Alexander  feiert,  ermüdet  und 
verliert  die  Wirkung:  das  spiel,  das  er  mit  der  widerholung 
derselben  worte  treibt." 

Als  weitere  belege  mögen  folgende  stellen  genügen : 
Gute  Gerh.  v.  1617  Do  ich  ir  klagende^  ungemach 
mit  Magelicher  fwcere  er  fach 
ez,  tet  mir  von  hersen  we 
V.  68     da^  im  der  ruom  an  lohe  ein  sil 
von  ßn  selbes  jjrife  gap 
[wie  ßn  prifUcher  urhap 
fo  guot  fo  lohehcere 
mit  richem  prife  wcere 
V.  654  ....  da^  er  Jcomen  wolte 

niht  wan  vil  heinlichen  dar 
mit  einer  heinlichen  fchar 
V.  679  mich  hat  ein  heimlicher  ger 
ein  heimlich  not  gejaget  her 
V.  1001  ßn  bete  was  alfo  getan. 

er  bat  den  hei f er  das,  er  in 
der  bete  erliefe  ouch  bat  ßn  ßn 
got 


272  DOBERENTZ 

Barlaam  s.  403,  12    daz,  e^  vil  lihte  maneges  muot 
ze  he^^erunge  kerte 
und  hez,z,erunge  lerte 
Geogr.  V.  441    daz,  an  dem  antlütze  ßn 

hat  menfchen  antlütze  fchin 

Weltchron.  bei  Massmann  Kaiserchr.  III,  92 

An  difen  mceren  der  ich  hän 
hegonnen  unde  her  getan 
rehte  in  rehter  rihte 
an  umhehreiz,  mit  flihte 

in  dieser  ztschr.  IX,  469* 

da^  ß  ze  hvrzewil  ßch  wernt 
der  mere  vn  hvrzewilent  dran 

In  den  Verhandl.  f.  Eegensb.  1874  s.  194  die  Schilderung  des  erscbreckens 
der  brüder  Josephs  in  Ägypten : 

Nach  forhtlicher  lere 

erfchraken  alfo  jere 

die  hruder  ßn  von  vorhten  do 

daz  ßu  erfchroken  und  unfro 

vor  im  geßuuden  in  not 

von  vorhten  bleich  und  fchame  rot 

unz  er  mit  linden  warten  in 

geleite  kume  ir  zwivel  hin 

daz  ß  ir  vorhte  liezen  ßn 

und  ir  zwivellichen  pin 

wan  ßu  der  tugentriche 

kuße  brüderliche 

und  leite  alle  fivere  hin 

2.  Nicht  selten  trift  man  bei  Rudolf  auch  eine  unerquickliche 
breite  an,  die  durch  tautologie  veranlasst  wird,  obschon  der  dich- 
ter widerholt  ausdrücklich  sagt,  dass  er  sich  der  kürze  befleissigen 
wolle,  worunter  er  aber  freilich  kaum  etwas  anderes  als  beschräukung 
seines  Stoffes  verstanden  zu  haben  scheint.^  Denn  dass  er  seinen  aus- 
gesprochenen Vorsatz  an  umbekreiz,  mit  flihte  zu  reden,  auch  wirklich 
immer  erreicht  und  al  die  umberede  vermiten  hätte,  ist  keineswegs  der 
fall,  selbst  nicht  einmal  in  der  eben  beregten  stelle,  bei  Massmann, 
Kaiserchr.  III,  s.  92 ,  wo  er  von  der  beabsichtigten  kürze  durchaus  nicht 

1)  So  möchte  ich  Vilmars  urteil  auf  s.  14  präcisiren.  Vergl.  hierzu  auch 
Massmann,  Kaiserchr.  III,  s.  92  fg. 


DIE  GEOGRAPHIE  RUDOLFS  VON  EMS  273 

kurz  spricht.  Weuu  also  dieser  zug  in  dem  geographischen  abrisse 
mehrmals  in  einer  für  unsern  geschniack  misfälligen  weise  hervortritt,  so 
steht  das  mit  Kudolfs  Schreibart  keinesweges  im  Widerspruche.  Zur 
veranschaulichung  solch  tautologisch  breiten  ausdruckes  im  geographi- 
schen abrisse  mögen  die  folgenden  stellen  dienen : 
V.  1548  da  dehein  ßange  kämet  in 

der  7iietnan  [iht  deheinen  da 
V.  21 G     und  fribent  mit  fmr  davon 
die  [langen  die  man  da  filit 
und  länt  die  da  helihen  niht 
V.  337     die  ßnt  äne  hoiibet 

%md  hotdietes  herouhet 

Hierher  zu  rechnen  sind  auch  Wendungen  wie 

V.  1344  da  diz,  lant  hat  endes  drum 
was  völlig  gleichbedeutend  ist  mit 

V.  8  45     Jne  ist  der  lantmarke  drum 
oder:  v.  1385  iiber  der  marke  endes  sil 

während         v.  903     iß  oucJi  der  marke  aldä  ein  sil 
ganz  dasselbe  besagt. 

Von  derartigen  ausdrucksweisen  wird   unten  bei   der  bedeutun^s- 
bestimmung  im   commentare  nochmals  genauer  zu  handeln    sein.     Mit 
Vorliebe    braucht    Rudolf   die   folgende    tautologische  fügung: 
Geogr.  V.  399     mit  wärheit  funder  wän 

V.  312     mit  ivärhcit  und  an  allen  wän 
V.  536     gewcerliche  und  an  allen  wän 
V.  1127  die  Jiänt  uns  fus  mit  tvärJieit 
der  lande  gelegenheit  gefeit 
funder  zivivelUchen  tvän 
Gute  Gerh.  v.  457     ich  wciz  von  ivärheit  fmider  ivän 
Geogr.  v.  1507     als  ich  muoz,  von  tvärheit  jehen 
daz,  iß  geivcErliche 

Auch  der  Gute  Gerhard  bietet  reichliche  belege  für  Rudolfs  nei- 
gung  synonyme  ausdrücke  tautologisch  zu  häufen,  z.  b. 
V.  57     des  tvart  ftn  pris  geneiget 
verkrenket  und  gefweiget 

Besondere  Vorliebe  scheint  er  gehegt  zu  haben  für  die  mehrmals  wider- 
kehrende gehäufte  Verbindung  herze,  sin,  muot: 
G.  Gerh.  v.  7       daz,  er  ze  guote  keret 
herze  ßnne  unde  muot 

ZEITSCHR.    F.    DEUTSCHE    PHILOLOGIE.    P.D.  XII.  18 


274  doberentz 

V.  88     er  leerte  muot  herz  unde  ßn 

an  vride  an  guot  gerihte 
V.  127  mit  alß  tugende  richer  kraft 

was  ir  ßn  ir  herze  ir  muot 

in  gotes  hulde  wol  hehuot 

y.     Metrische    und    rhythmische    eigentümlichkeitea. 

1)  FIdss  und  lebendigkeit  der  verse. 
Gibt  diese  Vorliebe  Kudolfs  für  breite  und  tautologisclie  ausdrucks- 
weise seinem  stile  einerseits  den  Stempel  gemütlichster  behaglichkeit 
und  schlichter  einfalt,  so  wird  dagegen  andererseits  der  ruhige  fluss 
seiner  verse  auch  nicht  eben  selten  durch  rmie  brechen  oder  auch  durch 
enjambement  auf  anmutige  weise  in  raschere  und  reichere  rhythmische 
bewegtheit  gebracht;  und  sehr  richtig  hat  Vilmar  den  versbau  der 
Weltchronik  charakterisiert,  wenn  er  s.  14  sagt:  „Allerdings  hat  diese 
gleichmässigkeit  (einer  schlichten  erzählung  und  einfachen  behandhmg 
des  Stoffes)  der  erforderlichen  abwechselung  des  tones  der  erzählung 
eintrag  getan,  doch  ist  der  rhythmus  der  verse,  wenngleich  hin  und 
wider  an  die  spätere  einförmigkeit  des  tones  der  kurzen  reimpaare 
anstreifend,  im  ganzen  noch  sehr  weit  von  dem  toten  versmechanismus 
des  14.  Jahrhunderts  entfernt.  Die  verse  haben,  bei  durchaus  genauem 
reime,  zwar  nicht  durchgängig  eine  hinreichend  genaue  messuug,  aber 
die  hebungen  und  Senkungen  finden  sich  überall  mit  geschickter  abwech- 
selung verteilt,  und  der  sinn  ist  niemals  an  das  verspaar  oder  den 
einzelnen  vers  oder  gar  an  das  reimwort  gebannt."  —  Diese  kunst- 
mittel,  welche  dazu  mitwirken  sollen,  die  kurzen  reimpaare  vor  der 
gefahr  des  herabsinkens  in  einförmig  klapprigen  tonfall  zu  bewahren, 
finden  wir  in  dem  geographischen  abschnitte  mindestens  ebenso  häufig 
angewendet,  als  in  Eudolfs  übrigen  werken,  und  auf  grund  dieser 
beobachtung  konte  auch  widerholt  bei  der  beurteilung  des  textes  in 
zweifelhaften  fällen  die  entscheidung  über  die  von  dem  dichter  gemeinte 
Satzgliederung,  und  damit  über  die  einzuhaltende  iutei-punction  getrof- 
fen werden. 

Als  beispiel  für  den  gebrauch  dieser  kunstmittel  im  geographischen 
abriss  mögen  die  beiden  folgenden  stellen  dienen: 
v.  505  wan  e^  enJceine  fpife  zert 

anders^  \  wan  daz,  ez,  ßch  nert 

mit  den  reinßen  würzen  gar, 

die  diu  erde  ie  gebar 

in  dem  lande  und  anderswo,.  \\ 

In  Ganges  dem  wa^^er  da 


DIE  GEOGRAPHIE  RUDOLFS  VON  EMS  275 

und  V.  1595  dia  ßds,et  an  diu  felhen  lant:  \ 
in  Laune  iß  ß  genant 
diu  verlorne.  \  das,  iß  ivär, 
wan  zeiner  zit  iibr  elliu  jär 
da^  lant  alß  ver [windet, 
daz,  ez,  nienian  vindet : 
daz,  lant  iß  allen  Unten  gar 
verborgen  vor^  \  wan  nieman  dar 
hmnt:  \  ez,  müez,e  von  gefcJiiht 
ergän.  |  mati  vindet  anders  niJit 
wä  diu  ifele  ß  gelegen.  || 
der  vil  wunderliche  gotes  degen  .... 

Hierzu  vergleiche  man  aus  dem  Schlüsse  des  Barlaara 
404,  29    Nu  lät  mich  vürhaz,  fprechen  me.  | 
ich  häte  mich  vermez,z,en  e, 
dö  ich  daz,  mcere  enharte 
von  dem  guoten  Gerharte, 
hcsf  ich  mich  dran  verfümet  iht, 
daz,  lihte  tumhem  man  geschiht, 
daz,  ich  ze  huoz,e  wolde  ßän, 
oh  mir  würde  kunt  getan 
ein  ander  mcsre:  \  deß  geschehen.  || 
nü  kan  ich  des  niht  verjehen, 
oh  ich  hän  iht  gehe^z,ert  mich: 
des  tveiz,  ich  niht.  \\  noch  wil  ich  .... 

Aus  den  späteren  teilen  von  Kudolfs  Weltchronik  lassen  sich 
mehrere  stellen  aus  den  durch  Zupitza  im  18.  bände  der  Hauptschen 
zeitschr.  mitgeteilten  bruchstücke  zur  vergleichung  heranziehen.  Hier 
genüge  die  eine,  s.  121  v.  46  fgg. : 

der  grozzc  hunger  ß  des  tivanch, 

daz  ß  vil  vihes  [lügen  nider :  \ 

mit  ezzen  ß  gewunnen  wider 

ir  kraft  nach  krankheit,  e  ß  got 

geopferten  nach  dem  gebot, 

daz  in  der  e  verboten  was.  \ 

da  mit  daz  leut  uf  ßch  las 

des  chuniges  zorn.  |j  der  machte  [a 

got  einen  grozzen  alter  da, 

dar  u[  er  gote  prachfe  do 

[ein  opfer.  \\  do  daz  ivas  al[ö, 

18* 


276  DOBERENTZ 

er  hiez  den  ewarten  ervarn 
vmme  got,  |  oh  er  der  lieiden  fcliarn 
nach  folde  jagen  oder  nicht.  \\ 
do  wart  im  vmme  die  gefchicht 
chein  antwürte  do  gefeit.    || 
vmme  daz  vorhtliche  leit 

2)  Scheinbar  iiiiriidolfisclie  rliytlimik  dnrch  die  eigenuamen  veranlasst. 

Somit  ist  uachgewiesen,  dass  unser  geographischer  abschnitt  nach 
spräche  und  redeweise  durchaus  das  Rudolfsche  gepräge  zeigt.  Auch 
die  kuustgriffe,  welche  —  wie  wir  sahen  —  zur  belebung  des  Vers- 
baues benuzt  wurden ,  und  die  man  in  der  folge  bald  fast  völlig  ver- 
lernte, —  sind  durchaus  dem  künstlerischen  bestreben  unseres  höfischen 
dichters  angemessen.  Jedoch  ist  noch  hinzuzufügen,  dass  zuweilen 
freilich  die  fülle  von  eigennamen  unseren  gewissenhaften  dichter 
gezwungen  hat,  einesteils  langweilig  gleichförmig  scandierte  und  andern- 
teils  holprige,  nur  notdürftig  in  das  metrum  eingepferchte  verse  zu 
bauen.  —  Über  die  betonung  der  naraen  in  derartigen  versen  zu  urtei- 
len ist  freilich  gar  manchmal  recht  mislich  und  unsicher,  wenngleich 
man  wol  im  algemeinen  voraussetzen  darf,  dass  der  dichter  auch  in 
seinen  deutschen  versen  diejenige  betonung  derselben  habe  beibehalten 
wollen ,  welche  er  ihnen  beim  lesen  lateinischer  texte  zu  geben  gewohnt 
war,  demnach  wol  so  ziemlich  dieselbe,  die  noch  heute  in  unserer 
gewönliclien  ausspräche  lateinischer  namen  herschend  ist. 
Als  beispiel  der  ersteren  art  möge  dienen : 
V.  594  den  ßnt  gefe^.2,en  nahe  hi' 

die  frechen  Mo'abi'ten, 

Idumei'  ^  und  Ammoni'ten, 

Sarracine  und  Madjam'ten 

und  dahi  meiner  fiten 

die  wilden  ^'lamiten 

die  hl   den  felhen  si'ten 

V.  1245  Navdrren  und  Wash'mje 

und  da^  Idnt  se  Gdhgünje 
V.  1207  Burgündje  und  Liittringen 

und  daz,  Idnt  ze  Karlingen 

1)  In  V.  596  könte  man  zwar  geneigt  sein ,  tind  zu  streichen ,  und  Idumei 
zu  betonen;  doch  scheint  dagegen  zu  sprechen  die  handscliriftliche  Überlieferung 
und  auch  die  analogie  in  v.  745  fg. ,  1047  fgg. ,  1230  f gg. ,  1260  fgg.  —  Schwere 
auftakte  sind  bei  Rudolf  in  unserm  abschnitte  überhaupt  nicht  selten. 


DIE  GEOGRAPHIE  KUUOLFS  VON  EMS  277 

Mehr  unter  die  zweite  art  fallen  vcrse  wie  die  folgenden : 
585  daran  li't  Caldeä 

Ärabja  linds,  laut  Sdbha 
615  da  li't  ouch  Tyrus  die  lyrds 
(dagegen  mit  gewönlicher  betonung 

1012  daz,  W  den  zi'ten  Tijrds) 
1026  Japhetes  filn  mit  ndmen  Ceti'm 
635  ist  gelegen  Jerü'falem 

die  Sem  der  edel  Mine  Salem  * 
644  in  Faleßma    dem  lande 
986  und  Nörwcege  daz,  dlfö  wtt 
972  Düringen  ddz,  lant  darnach  fa 
1003  diu  nidcr  Pdnnd'nid' 
und  1074  und  1137  diu  ober  Pdnnonia  ^ 

In  nicht   seltenen   fällen   wird   man    nur   nach   umfänglicher  und 
wnderholter  vergleichuug  ähnlicher  stellen  mit  annähernder  Wahrschein- 
lichkeit vermuten  können  ,    wie  zu  lesen  und  zu  betonen  sei.     Schwer- 
lich auch  wird  Rudolf  bei  manchen  uamen,  zumal  bei  solchen  die  ihm 
wenig  oder  gar  nicht  bekant  waren ,   oder  die  sich  schwer  in  den  vers 
fügten ,    eine  und   dieselbe    betonung   überall  mit    voller   und   strenger 
consequenz    eingehalten    und    durchgeführt    haben.     Dazu    komt   ferner 
noch ,    dass  in  manchen  namensformen  auch  alte  Verderbnisse  verschie- 
denen Ursprunges  vorliegen,   die  zuweilen  nur  durch  sehr  weitgreifende 
quellenkritik   sich    erkennen   und   berichtigen   lassen.     Deshalb   mag  es 
nicht  überflüssig  sein,   hier  noch  einige    solcher  mislicher  verse  vorzu- 
führen ,  die  zum  teile  noch  weiterer  erwägung  bedürfen. 
1158  Galabrie  Pülle  Terre  de  labü'r^ 
1043  Theffä'lje  und  Mdcedonje 
1058  Siciö'njä  ilnd  Arcliadid' 
1230  Traconjä  ihid  Carthä'go 
Gali'cje  und  Lü'ßfanja 

1)  Dass  das  ej^itheton  edel  beabsichtigt ,  und  deshalb  nicht  zu  streichen  ist 
lehrt  seine  anderweite  entsprechende  Verwendung  in  der  "Weltchronik ,  z.  b.  Vilraar, 
s.  71''  V.  53  Jose'x)h  der  edel  götes  degen  Haupts  ztschr.  18,  103  (von  Abraham) 
wän  der  edel  götes  degen 

2)  Gegen  eine  änderung  in  die  flectierte  form  ohriu,  wie  sie  ja  bei  Kudolf 
an  sich  wol  zulässig  wäre,  sprechen  die  für  seine  Verwendung  des  flexionslosen 
ober  beweisenden  verse 

1178    da^  ober  Lampärten  und  daz,  nider  (:  beider) 
und  921    dm  ober  Germania  gelegen 

3)  Etwa:  Calabri,  Füll,  Terralabur  (oder  Terrdelabür)? 


278  DOBEEENTZ 

Tinguita  nje  und  Bt'tica 
mit  V.  1232  ist  zu  vergleichen 

1365   Tinguita  nje  und  [ein]  ^  C6farea 

Ethiopjä  darnach  Sdhha 
1260  Daß  Britdnje  und  JEngeUdnt 
1480  dö  Vit  an  Cijdö'n^  daz,  länt 
14y6  dähl'  lit  Sa  mos  da^  Idnt 
1574  Ein  ßdt  iß  Si'ene   genant 
1553  die  i' fein  Pdrchares'^ 
1338  daß  Berete  ilnde  Occafa  * 
1474  Störja  '"  Melos  lind  Pärön 
1515  Cylla    diu  ifl  und  ^'dbe 

lind  darzüo  Vulkänie 
1329  das,  iß  Perm'ce  « 

Äfßno'e  lind  Cyrene 
618  vnd  Sydonie  diu  von  Sydone  (:  fchone) 
bietet   zwar  in  allen  von   mir   beniizten  haudschriften    die   namensform 
Sydonie,    die   auch    dem    Rudolf  und    den    abscbreibern   seines   Werkes 
allerdings  recht  wol  bekant  sein  konte  aus  der  Vulgatastelle  Luc.  4,  26; 
„in  Sarepta  Sidoniae,"    dennoch  möchte   man  hier   einen  alten  fehler 
der  abschreiber  vermuten,  und  mit  correcterer  betonung  lesen 
und  Sydo'n  diu  von  Sydone. 

b.     Beweis    aus    inneren    gründen. 
u.    Anklänge  un  d  rückerinner  ungen. 
Nachdem   wir  so   gefunden  haben,    dass   die   sprachlichen,    stili- 
stischen und  metrischen  eigentümliclikeiten  des  geographischen  abrisses 

1)  ein  bieten  zwar  alle  von  mir  benuzten  handscbriften,  doch  ist  es  wol  nur 
ein  alter  fehler  der  Überlieferung. 

2)  Gemeint  ist  Chios.  Das  misverständnis  ist  durch  Honorius  Augustodunen- 
sis  verschuldet. 

3)  Der  vers  solte  lauten: 

die  iseln  Baleäres 
denn  gemeint  sind  die  Balearen.    Die  Verunstaltung  des  namens  scheint  von  Rudolf 
herzustammen. 

4)  So  scheint  die  betonung  gemeint  zusein;  oder  vielleicht  auch:  daft  Be'ret 
ünde  Uccasd.  Die  benennungen  freilich  sind  verderbt  aus  Sabrata  und  Occa  bei 
Isidor.     Der  fehler  geht  auf  Honorius  Augustodunensis  zurück. 

5)  Der  wunderliche  und  unerhörte  griechische  inselname  Storia  ist,  wie 
unten  nachgewiesen  werden  wird,  nichts  weiter  als  eine  abenteuerliche  Verstüm- 
melung von  „  historia." 

6)  Gefälliger  würde  dieser  vers  durch  herstellung  der  correcten  namensform 
Berenice, 


DIE  GEOGRAPHIE  RUDOLFS  VON  EMS  279 

durchaus  nicht  gegen  Eudolfs  art  Verstössen,  lassen  sich  auch  ferner 
noch  uuvcrkenbare  remini scenzen  und  anklänge  an  andere  Rudolf- 
sche  stellen  in  ihm  auffinden,  ohne  dass  dabei  der  gedanke  an  Inter- 
polation irgendwie  aufkommen  könte. 

So  erinnern  die  verse  1131  fg.  aus  der  Geographie,  von  denen 
Kudolf  in  seiner  lateinischen  vorläge  nichts  fand, 

tmd  daz,  lant  zc  Ruinen 

Liflant  unde  Prinzen 
unverkenbar  an  v.  1195  fg.  des  Guten  Gerhard 

Jiin  über  mer  gen  Blumen 

zc  Liflant  und  ze  Priu^en. 
Und  die  verse  98  fgg.  unserer  Geographie 

diu  vier  waz,z,er hegiez,z,ent 

diu  lant  und  macJient  mit  ir  kraft 
die  erde  fiuhte  und  herhaft 
sowie  713  und  machet  ez,  mit  ftner  Jcraft 
fiuhte,  veiz>t  und  herhaft 
zeigen   starke   ähnlichkeit   mit   dem,    was    der    dichter   schon  an  einer 
früheren   stelle    der  Weltchronik,   bei   der   Schilderung   des  paradieses, 
gesagt  hatte  Vilmar  s.  64**  v.  309 

daz,  diu  waz,z,er  mit  ir  Jcraft 

diu  erde  machent  herhaft 
Ferner   halte    man   neben   die    verse  1260  —  66    der  Geographie, 
wofür  Eudolf  bei  Honorius  Augustoduneusis   nur  die  nameu  Britannia, 
Aüglia,    Hibernia  vorfand,    und    die  er   demnach   durch    seine  eigenen 
keutnisse  vervolständigte : 

daß  Britanje  tmd  Engellant 

Cornwäl  unde  Wäleis 

Nortumhri  unde  Norgäleis 

Hyherne  .  ; 

als  ez,  iß  funders  üzgenant 

daz,  funderlant  in  Irlant 
aus  dem  Guten  Gerhard  die  verse  5905  fgg. : 

von  Corneiväl  und  von  Wäleis 

von  Schotten  und  von  Norgäleis 

von  Yherne  und  von  Yrlant^ 

1)  Zu  lezterem  verse  füge  man  noch  den  gleichlautenden  vers  5833,  in  wel- 
chen beiden,  wie  aus  v.  1265  des  geographischen  abrisses  hervorgeht,  „und"  auf- 
gefasst  werden  niuss  in  dem  sinne  von  „und  überhaupt." 


280  DOBEEENTZ 

Hierzu  nehme  man  noch  die  stelle,  welche  Rudolf  später  in  der 
Weltchionik,  unter  den  ,,  beiwegen "  zur  „vierten  weit,"  d.  h.  zum 
vierten  Zeitalter,  darbietet,  und  welche  im  Cod.  Palat.  nr.  327  fol.  158* 
unten  lautet :  ^ 

Beatiuf-  der  unver sagte 
fo  hohen  prif  heiagte 
daz,  im  def  kunigef  tohter  da 
ze  wibe  ivart  mit  der  er  fa 
158  "^  JRovmde  chriechfclnv  riche 
vn  ßt  gewalticliche 
Stifte  mit  gewaltef  hant 
elliv  JBritanifchiv  lant 
Deift  Engellant  vn  Waleif 
Schottenlant  vn  Norgaleif 
vn  Cortival  [1.  Cornewal]  der  name  degan 
erß  würzen  vn  ßch  heben  an 
Hieraus  geht  klar  hervor,    dass  Rudolf  jene  namen  kante;    beachtens- 
wert   scheint,    dass    er   an    allen    drei    stellen    Wäleis    mit    Norgäleis 
gereimt  hat. 

Von  schlagender  beweiskraft  erscheint  namentlich  die  nahe  ver- 
wautschaft  einer  stelle  über  Italien  in  v.  1140 — 1182  des  geographi- 
schen abrisses  mit  einer  anderen  später  folgenden  der  Weltchronik, 
welche  in  die  erzählung  der  zur  zeit  der  Richter  gehörenden  „htwege" 
organisch  eingefügt  ist. 

Die   betreifeude    stelle    der  Weltchronik   lautet   nach-  Cod.  Palat. 
327  fol.  HS''  und  Cod.  Pal.  146  fol.  55  fg.:^ 
In  difen  feJben  ziten  ivaf 

{alf  ich  an  den  hyßorien  laf) 
ze  Lavrenten  mit  kraft 

fo  Jcrefte  riche  herfchaft 

daz  div  lant  al  geliche  gar 

hvbten  bi  den  ziten  dar 

1)  Im  cod.  Pal  146  fehlt  dieser  abschnitt.     Vgl.  Vilmar  s.  46. 

2)  Des  Silvius  söhn. 

3)  Ich  habe  hier  aus  der  Weltchronik  ein  grösseres  stück  ausgehoben,  als 
zum  blossen  zwecke  der  vergleichung  mit  den  entsprechenden  versen  des  geogra- 
phischen abrisses  unmittelbar  erforderlich  sein  würde,  damit  der  leser  selbst  durch 
eigene  auschauung  sich  von  der  ursprünglichen  und  organischen  Zugehörigkeit  die- 
ser stelle  zu  dem  ihr  vorangehenden  und  nachfolgenden  texte  der  Weltchronik 
überzeugen  könne,  welche  den  verdacht  einer  nachträglichen  Interpolation  von  ande- 
rer band  gar  nicht  aufkommen  lässt. 


ÜIK    GKOGRAPUIE    KUDOLFS    VON    EMS  281 

div  noch   Ytalia  ßnt  genant 

das  ßnt  elliv  div  lant 
div  fuf  ir  vnder  marche  liant 

da  fl  von  den  gebirgen  gant 
vntz  an  def  mittein  meref  sil 

der  lande  ich  ein  teil  nennen  wil 
alf  ich  ir  namen  gelefen  han 

Lanchparten  vn  Tvfcan^ 
Romanie  vn  Maritima 

Änchvn  vn  Spolit  ßnt  ouch  da 
dar  ZV  Sycilie  vn  al  div  lant^ 

div  dar  ze  dienß  ßnt  henant 
Pvlle  vn  Galahrie  alf  das  gat 

vn  Capif  das  Principat 
Terre  delahvr  vn  difiv  lant 

fint  gar  Ytalia  genant 
AI  vmbe  vntz  an  Monticinis  ^ 

div  tvarn  in  ei  gen  f  wif 
den  von  Lavrent  vndertan 

alf  ich  nv  gefprochen  han 
ivan  ß  dannoch  vnbvhaft 

warn  vn  an  herfchaft 
der  ßt  der  felben  iare  friß 

da  vil  vn  me  gewahfen  iß. 
der  do  bi  den  ziten  da 

Rihfeta    In  Italia 

der  waz,  geheizen  lanvf 

Damit  vergleiche  mau  uuu  v.  1143  fg.  des  geographischen  abrisses: 
Itäliä,  diu  mit  dem  mer 
und  mit  den  bergen  iß  ze  wer 
beßo^^en  veßecUche, 
und  V.  1154  fgg.     der  houbetname  iß  genant 

1)  Cod.  146.  Lamparteu.     Vg